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1. Beilage zumVorwärts" Berliner Volksblatt. Zlr. S80. Mittwoch, den 39. Novrmlirr 1893. 19. Jahrg. Pcirlamenfebei'tdilc. Deutscher   Reichstag  . 7. Sitzung vom 28. November 1893, 1 Uhr. Am Bundesrathstische: Graf v. Caprivi, v. Bötticher, Miquel, H o l l ni a n n, Gras v. P o s a d o w s k y. Bron- sart von Schellendorf, v. Marschall. Die erste Berathung des Etats und des Anleihe» g e s e tz e s für 1394/95 wird fortgesetzt. Preußischer Finanzminiiter Miquel: Die Frage einer pro- gressiven Neichs-Einkommensteuer habe ich als Abgeordneter schon 1837 behandelt und bin zu denselben Konklusionen gekommen, die ich jetzt im Namen der verbündeten Regierungen darlege. Ich persönlich bin der Meinung, daß ein staatsrechtliches Hinderniß für eine Reichs-Einkommenstener nicht vorhanden ist, aber eine solche Steuerreform ist jetzt unzulässig und undurchiührbar. Die Mehrheit der Bundesstaaten hat allerdings direkte Einkommen- steuern, aber eine Reihe anderer Bundesstaaten kennt Ein- kommensteuern überhaupt nicht, darunter sind sehr bedeutende größere Bundesstaaten. Man könnte Zuschläge zu den einzel- staatlichen Einkommensteuern erheben, ivas aber in den zuletzt bezeichneten Staaten nicht möglich wäre; diese müßten erst ge- zwungen werden, ihr Steuersystem umzugestalten; Bayern  , Württem- bcrg und Mecklenburg   würden dahin gehören. Das wäre ein Eingriff in das innere Wesen der Einzelstaaten, welches sich mit dem Inhalt der Reichsverfassung, mit dem Föderativsystem kaum vertrüge. In den andern Staaten würden aber auch Schwierigkeiten ent- stehen, wenn nicht erst sämmtliche Einkommensteuern gleichmäßig geordnet würden. Sollen die einzelstaatlichen Beamten die Ein- schätzung vornehmen oder etwa besondere Reichsbeamte? In zedem Falle würde eine ganze Behördenorganisation geschaffen werden müssen, so daß von der Selbständigkeit der Einzelstaaten nichts übrig bleibt. Soll das Reich auch noch die direkten Ein- nahmequellen aussaugen, welche den Einzelstaaten allein noch übrig geblieben sind? Da sind wir an der Grenze des Födera- lismus angekommen. Wer zahlt denn die direkten Steuern? Gewiß auch die Reichen; aber 97 pCt. aller Steuerzahler haben in Preußen 999 8500 Marl Einkommen; nur 3 pCt. sind die Reichen, die man gern treffen möchte. Wenn ein Familien- vater, der viele Kinder hat, nicht raucht, aber doch steuern muß, trifft ihn das nicht viel härter, als wenn ein junger Mann später statt 5 Zigarren nur 4 täglich raucht? Der Wein ist in 4/5 Deutschlands ein Genußartikel der wohlhabenden Klassen; der minder Bemittelte wird also durch die Besteuerung des Weines weniger getroffen als durch die Einkommensteuer. Wenn der Weg der direkten Steuern praktisch nicht gangbar war, schon deslzalb, weil im Bundesralh keine Mehrheit dafür zu finden war, dann war keine indirekte Steuer zu finden, welche besser die Worte des Reichslanzlers wahr machte, daß die nothwcndigen Lebensmitteln nicht besteuert werden sollen. Wen» der Branntwein mit 299 pCt. seines Werlhes besteuert, das Bier in einem Theile Deutschlands   sehr stark herangezogen ist und der Versuch vergeblich war, es in Norddeutschland heran- zuziehen, dann lag nahe, den Wein zu besteuern, der von Reichs- wegen nicht besteuert wurde, wenigstens diese Frage dem Reichs- tage vorzulegen. Die Frage der Einführung einer Wehrsteuer ist auch erörtert worden, aber man mußte sich sagen, daß es bei einer einfachen Kopssteuer für den vom Militärdienst Befreiten nicht bleiben könne, man müsse die Eigenthumsverhältnisse in Betracht ziehen find dabei kommt man auf die Einkommensteuer zurück. Die vom Militär Befreiten sind aber nicht alle gleich; ein Theil ist vollständig arbeitsfähig, viele aber sind mehr oder weniger erwerbsunfähig. Welche Skala von Steuerstusen müßte da aufgestellt werden! Es bleibt nichts übrig, als die Deckung der Ausgaben, die beschlossen sind, um die Unabhängig- keit und Ehre Deutschlands   zu verbürgen, die also nicht aus die Einzelstaalen abgewälzt werden können, durch indirekte Steuern. (Hört! Hört! links.) Ich werde abwarten, welches andere Steuer- objekt die Herren uns zeigen werden. Die Erbschaftssteuer halle ich in Preußen beansprucht, aber nur ein kleines Zipfelchen der- selben; die Erbschajtssieuer sollte nur zur Kontrolle dienen und der Widerstand war ein so einstimmiger, daß ich mich überzeugte, diese Erbschaftssteuer ist nicht durchzubringen. Die Ursache des Widerstandes war, daß das Vermögen eigentlich nicht als individuelles Eigenthum des Erblassers betrachtet wurde, sondern als Eigcnlhum der Familie, sodaß man an ein eigentliches Erben gar nicht denkt, solange das Vermögen in der Familie bleibt. Ein weiterer Grund bestand darin, daß die Erbschaftssteuer, wenn sie hoch ist, Deszendenten und Aszendenten und Ehegatten trifft, eine der drückendsten Steuern für die deutschen   Ver- hällnisse. Das ist ein scharfes, hartes Wort, und es könnte viel- leicht einmal wider mich gebraucht werden. Aber ich spreche eS mit voller Ueberzeugung aus. In 89 Fällen aller Erbfälle wäre die Lage der Kinder schlechter, wenn sie die Eltern verlieren, weil die Kinder meist auf den eigenen persönlichen Verdienst des Vaters angewiesen sind; ein großes Vermögen ist selten vor- Händen. Bei großen Vermögen drückt die Steuer nicht und ist einfach zu erheben. Wenn eine deutsche Erbschaftssteuer 49 Millionen Mark ergeben sollte, müßten die Erbschaften unter den nächsten Verwandten mit mindestens 2 pCt. Steuer belegt werden. Angenehm ist die Lage des Finanz- Ministers nicht, der für beschlossene Ausgaben die Deckung zu finden hat. Ich bitte Sie, andere Steuern vorzuschlage», welche mehr die wohlhabenden Klassen treffen.(Zuruf: Liebes- gäbe!) Tie jetzige Tabaksteuer hat den inneren Tabakbau belastet und seine Entwicklung im fiskalischen Interesse gehindert. Die neue Tabaksteuer entlastet den Tabakbauer, sie vermindert den Konsum nicht so, wie die brutale Gewichtsteuer. Die jetzige Steuer traf bei ihrer Einführung den Massenkonsum, der natür- lichizurückgehen mußte. Durch die Werthsteuer mag der Konsum sich von oben nach unten verschieben; der Nachweis, daß eine wesentliche Konsumverminderung eintritt, kann nicht geführt werde» durch die übertriebene» agitatorischen Behauptungen der Interessenten. Die 5869 Millionen für die Militärkosten werde» Sie nicht decken können ohne die Tabaksteuer. Wenn wir die Lebensmittel besteuern, glauben Sie, daß ein Genußmittel, welches man entbehren kann, dessen Gebrauch ini Uebermaaß ich weiß es von mir selbst höchst schädlich ist(Heiterkeit), nicht besteuerungsfähig ist? Wenn Frankreich  , England und alle andern Staaten dieses Ge- nußmittel besteuern, glauben die Herren Fabrikanten, die der Vorlage ihr Interesse in lebhafter Agitation entgegengestellt haben. daß man sich mit einer Steuer von 1 M. pro Kopf aus die Tauer begnügen wird? Ein Fabrikant hat erklärt, er dürfe es nur nicht offen sagen, aber so schlimm, wie es dargestellt würde, würde es wohl nicht werden(Zuruf des Abg. R r ch t e r: Das war wohl ein Kommerzienralh!). Nein, das war kein Kommerzien- rath. Vorläufig halte ich mich an den Gedanken, daß die Mehr- kosten der Militärvorlage in zweckmäßiger Weise gedeckt werden von diesem Reickstage, der verantwortlich ist für eine zweckmäßige Finanzgebahrung sim Reiche und für eine ge- deihliche Entivicklung der Finanzen der Einzelstaaten.(Beifall rechts.) Abg. Richter(Freis. Volksp.): Die Auslegung der Sympalhiebekundung in der Thronrede ist eine durchaus irr- thümliche; denn im Südwesten, welchen der Kaiser durchreiste. sind die Stimmen gegen die Militärvorlage noch stärker ver- treten gewesen als im übrigen Deutschland  ; man könnte sonst die Kundgebung auch auslegen als eine Begeisterung für die Sleuervorlagen, die gerade den Südwesten betreffen. Es giebt Tausende von Offizieren, deren Lebenslauf mehr dem gleicht, der uns entrollt ist in den Denkwürdigkeiten des Grafen Moltke. Aber man gewinnt den Eindruck, als ob es sich doch nicht um eine einzelne Erscheinung handelt, sondern als ob die Personen sich überall zeigen in Garnisonen der Kavallerie- Regimenter. Die Wucherer und Falschspieler sind verurtheilt vom Gericht. Der Kriegsminister stellt die Sache so dar, als wenn er sagen wollte: Was geht das den Reichstag an? Das Militär geht de» Sieichstag sehr viel an, in Geldsachen mehr als uns lieb ist; besonders auch das Reitinstitut in Hannover  , dessen Erweiterung uns angesonnen ist. Offiziere, die an dem Prozeß betheiligt waren, sind noch in ihren Stellungen und einzelne sind sogar bald nachher zum Ehrendienst befohlen gewesen bei der kaiser- lichen Hofjagd. Die Offiziere haben in engster Vertraulichkeit mit den Wucherern und Spielern gelebt, und zwar Osfiziere, die sonst so exklusiv sind, daß sie in ihren Regimentern keinem Bürgerlichen Aufnahme gewähren. Offiziere sind betheiligt ge- wesen an diesem Treiben, deren Väter in Synoden entrüstete Resolutionen angenommen haben gegen die Zügellosigkeit der Jugend. Freilich allzu schlimm darf die Regierung die jungen Leute nicht anfassen, denn sie duldet ja unter dem Adler die An- preisung des Lotteriespiels, welches nicht nur mit der Kolonial- Politik,' sondern auch mit dem königlichen Schlosse und sogar mit dem Nationaldenkmal des Kaisers Wilhelm I.   ver- knüpft worden ist.(Zustimmung.) Beim Lotteriespiel fängt die Verführung an, sie setzt sich beim Totalisator fort und endigt schließlich bei dem ollen ehrlichen Seemann.(Heiterkeit.) Wenn wir Parleipolitik treiben wollten, könnten wir den Mehrheitsparteien sagen: da habt Ihr die Bescheerung, Ihr habt es ja nicht anders gewollt; seht nun zu, wie Ihr mit dem Steuerbouquet fertig werdet. Wer nicht hören will, muß fühlen! Das trifft hier nicht j», denn die Steuern treffen leider auch diejenigen, welche gegen die Militärvorlage gestimmt haben, und das verpflichtet uns zuzusehen, daß die Lasten sich nicht drückender gestalten als nothwendig ist. Die Rede des Finanzministers geht davon aus, als ob es selbstverständlich sei, daß 199 Millionen Mark durch Steuern gedeckt werden müssen, als ob es sich nur um die Auswahl der Steuerraten handelte. Es muß doch erst untersucht werden, was eigentlich nothwendig ist. Der Herr Schatzsekretär meinte freilich, die Steuern seien nothwendig, weil die Regierung sie fordert; sie würde doch nicht ohne Roth sich dem Kreuzfeuer der drei Interessengruppen aussetzen. Diese Unannehmlichkeit des Kreuzfeuers geht vor- über; sind die Steuern aber bewilligt, dann hat der Reichstag die Verantivortung auf seinen breiten Rücken zu nehmen. Es werden jetzt 69 Millionen für die Heeresvorlage und 49 Millionen für die Reichs-Finanzreform verlangt. Die frühere Regierungs- vorläge verlangte 58 Millionen; durch Antrag Huene sind 9 Millionen Mark weniger nothwendig geworden, es sind also nur 49, nicht 69 Millionen nothwendig und 7 Millionen Kosten, nach dem Antrag Huene 19 Millionen, sollten erst nach und nach entstehen, so daß nur 46 Millionen höchstens erforderlich sind. Um die weiter entstehenden Kosten brauchen wir uns heute noch nicht den Kops zu zerbrechen. Wie kommt man dazu, die Kosten dauernd zu verlangen, ivährend die Heeresvorlage nur für fünf Jahre bewilligt und die Finanzreform auch nur auf fünf Jahre berechnet ist? Herr Miquel sprach nur von der Deckung der Kosten der Heeres- vorläge; es sollte mir lieb sein, wenn er etwa die Vorlage über die Finanzreform angesichts der Stimmung des HaufeS schon aufgegeben hätte; dann hätten wir uns jetzt nur über 69 Millionen zu unterhalten, und auch eine solche Forderung steht noch in vollem Widerspruch zu den Untersuchungen, welche wir in der Militärkommission angestellt haben. Freilich sind dem jetzigen Schatzsekretär die Auslassungen seines Amts- Vorgängers sehr unangehm, weil derselbe erklärte, daß weitere Steuern nicht nothwendig seien, daß man erst abwarten müsse, welche neuen Ausgaben entstehen. Sehr dankenswerth sind die Tabellen, in welchen der damalige Schatzsekretär nachweist, welche MehreinnahmSn die vorhandenen Einnahmequellen abwerfen werden; es sind da 114 Millionen Mark in dieser allerdings jetzt sehr uitbequemen Tabelle vorgerechnet. Diese Berechnung ist keine optimistische gewesen; sie beruht auf den Erfahrungen, welche wir im Laufe der Jahre gemacht haben, die sich vollständig be- währt haben, wie die gestrige Finanzübersicht des Reicks-Schatz- sekretärs bezüglich der Einnahmen der Post, der Eisenbahnen und der Zuckersteuer ergiebt. Auf diesen 114 Millionen Mark lasten allerdings 23 Millionen Mark wahrscheinlicher Mehrausgaben, für die Jnvaliditäisversicherung jc., es bleiben immer noch mehr als 89 Miillionen Mark. Welche Veranlassung haben wir also, für künftige mögliche Ausgaben jetzt schon Steuern zu bewilligen? Das würde keine sparsame Wirthschast sein, das würde pro- voziren zur leichtsinnigen Bewilligung neuer Ausgaben. Es handelt sich nur darum, den Einzelstaaten die Aussicht auf die künftige Mehreinnahme abzukaufen und 49 Millionen neuer Steuern auf Vorralh zu schaffen. Wenn man die neuen Steuern hat und nachher die Neueiunahmen dazu kommen, werden dann die Steuern zurückgegeben werden? Keineswegs! Sie werden ja für die Dauer verlaugt. Wir sind der Meinung, daß es über- Haupt keiner neuen Steuerbelastung für die Heeresvorlage bedarf, daß sie gedeckt werden kann durch die Beseitigung der bestehenden Steuerprivilegien, der Liebesgabe der Brenner.(Lachen rechts.) Ehe diese Privilegien nicht beseitigt sind, werden wir uns aus keine neuen Steuern einlassen. Die schlechten wirthschastlichen Verhältnisse, unter denen die Einzelstaaten leiden ivie das Reich, wären schon längst vorüber, wenn die Industrie nicht immer wieder beunruhigt würde. Dip Eisenbahnen in Preußen haben schon erhebliche Mehreinnahmen auf- zuweisen iirolge der neuen Einnahmen für die Bahnsteig- karte», der Zuschläge für die Benutzung der Harmonikazüge und der Einnahmen aus SHnzeigen. Die Betriebseinnahmen sind schon jetzt 59 Millionen Mark höher als im vorigen Jahre, geben also einen Ueberschuß von 89 Millionen, da der Etaisansatz für das laufende Jahr um 29 Millionen höher ist als die Jsteinnahme des vorigen Jahres. Der Amtsvorgänger des Herrn Schatz- sekretärs hat schon in der Militärkommission erklärt, daß für das Jahr 1894/95 besondere Schwierigkeiten vorliegen; er hat uns also gewarnt, uns nicht durch das Aussehen dieses Etats verlocken zu lassen zu S teuervorlagen. Die ungünstigen Umstände bestehen darin, daß die Zolleinnahmen infolge der Handels- vertrüge keine Steigerung auswiesen, daß der Zinsenbedars für die im vorigen Jahre bewilligte Anleihe jetzt in den Ausgaben erscheint; ferner sind die Einnahmen berechnet nach dem Durchschnitt der Jahre 1899/91/92; der Durchschnitt ist ungünstig wegen der schlechten Ernte und wegen der Choleragefahr in den bezeichneten Jahre». Die hohen Preise infolge der Fulternoth fallen ebenfalls ins Gewicht, aber daraufhin kann man nicht dauernde Steuervor» lagen begründen. In dem Etat sind z. B. bei den Reichseisen- bahnen extraordinäre Ausgaben, die man sonst aus Anleihen ver- weist, aus lausenden Mitteln gedeckt. Hat man das im Reichs- schatzamt nicht entdeckt? Sparsamkeit hat man nicht geübt im Marineetal und im Mililäreiat. Für die Indienststellung u. f. w. sind neue Ausgaben eingestellt. Die Kritik des Herrn Bebel hat der Herr Staatssekretär im Marineamt als eine persönliche Beleidigung der Schiffe aufgefaßt(Heiterkeit); er meinte, wenn die alten Schiffe nicht genügend seien, sollten wir neue bauen lassen. Die Kritik richtet sich aber gegen die ganze Klasse der Panzersahrzeuge, und diese ketzerischen Ideen sind nicht blos bei den Sozialdemokraten vorhanden, sondern in sehr weiten Kreisen Mau fragt sich, ob die großen Schiffskolosse wirklich die Kosten lohnen, welche darauf verwendet sind. Die neuen Schiffsbauten werden bezeichnet als bestimmtzum Er- sah"; aber die Schiffe, als deren Ersatz die neuen Schiffe dienen sollen, schwimmen ruhig weiter. Unsere Kolonialpolitik löst sich allmälig in einen fortdauernden militärischen Guerillakrieg auf. Der Kaufmann und Bureaukrat sind vollständig zurückgetreten; der Offizier steht im Vordergrund. Trotzdem das Kulturleben in den Kolonieen keinerlei Fortschritte macht(Widerspruch rechts), wachsen die Kosten immer mehr. Man sollte einmal prüfen, ob die Kolonialschwärmer auch mehr Geld auszugeben bereit sind. Man möchte die Kolonieen unter den Schutz der Missionen stellen; man weiß ja auch, warum? Die Sparsamkeit besteht darin, daß man die laufenden Mittel zur Deckung extraordinärer Ausgaben heranzieht. An Neubauten wird jetzt überall bei der Zivilverwaltung gespart: Alte Gesängnißbauten, Kliniken und ähnliche Gebäude werden trotz der schlimmsten Verhältnisse nicht umgebaut, aber die Mtlitärbauten wachsen an. Fünf Garnisonkirchen sind im Bau und es sollen noch 2 in Angriff genommen werden. Wir find überhaupt gegen die Trennung von Zivil und Militär. Jetzt will man neue Dienstwohnungen, neue Kadetten« und Kriegsschulen bauen; 21 neue Kasernen sollen gebaut werden. Seit Langem haben wir keinen Kasernirunasplan mehr, weil die Militärforderungen sich überstürzt haben. Man läßt sich Anleihen bewilligen, aber 1392/93 sind 176 Millionen Mark garnicht ver- braucht worden, sondern werden als Restausgaben behandelt. Daneben steigt der Pensionsetat ganz erheblich, erheblicher, als die Regierung früher angenommen hat. Ueber 799 Generale sind bereits pensionirt; ferner 3699 Stabsoffiziere und 33 Admirale bei der Marine. Jeder Etat ist der Ausdruck des herrschenden Systems, welches wir nicht ändern können; deshalb können wir auch den Etat nicht gründlich umgestalten. Die Haupt- fache der Initiative liegt immer bei der Finanzverwaltung. Schon seit Jahrzehnten hat man einen selbständigen Finanzminister verlangt. Seitdem ist der Etat und die Schuld angewachsen, aber von irgendwelcher organischen Reform ist nicht die Rede gewesen. und wo will man sie anders durch- setzen, wenn nicht bei den Steuern. Wir entbehren noch einer dauernden Rechnungskontrolle. Auch die Finanzminister der Einzelstaaten könnten anders wirksam sein, als es jetzt der Fall ist. In ihrem Lande sind sie sehr knauserig gegenüber den anderen Verwaltungen, im Reiche aber sorgen sie meist nur für die nöthigen Einnahmen, aber man hört niemals eine Kritik eines Finanzministers gegen die steigenden Ausgaben. Die Ausgaben werden rücksichtslos gesteigert für Militär, Marine. Kolonien und Dampfersubventionen. Rücksichtslos ist auch das Verfahren bei der Ausarbeitung der neuen Steuer- vorlagen. Wenn wir einen unglücklichen Krieg gehabt hätten, dann würde ich mich nicht entschließen, dem Volke ein solches Steuerbouquet zu präsentiren. Die Stempelsteuern gehen über alles Maß hinaus. Ein Checkgesetz wird vorbereitet, aber man führt einen Cbeckstenipel ein um lumpige 599999 M. Das sicherste Mittel gegen den Wucher ist die Baarzahlung, aber man besteuert die Quittungen; man befiehlt gesetzlich, eine Abrechnung zwischen Gläubiger und Schuldner von Zeit zu Zeil vorzunehmen und jetzt stellt man solche Abrechnungen unter die Strafe einäs Stempels. Auf jede durchgreifende Reform der Eisenbahntarif.? müssen wir infolge des Druckes des Finanzministers verzichten; hier besteuert er den Frachtverkehr mit 7 Millionen Mark und zwar wird gerade der Kleinverkehr belastet. Die Tabak- fabrikanten werden ja schlimmer behandelt als ehemalige Zuchthäusler, die unter Polizei-Aufficht stehen. Nicht blos im November v. I. hat man erklärt, daß auf den Tabak verzichtet würde; nein am 26. Mai ist das wieder erklärt worden. Die Wähler sind also getäuscht worden, sonst wären die Wahlen wohl anders ausgefallen.(Zustimmung links.) Eine solche steuertechnische Mißgeburt, ivie die Weinsteuer, ist mir überhaupt noch nicht vorgekommen. Den Einzelstaaten sollen 49 Millionen zugewendet werden, aber Sie nehmen den Einzelstaaten die Atittel weg, indem Sie die Weinsteuer nehmen. Ueberilassen Sie es den Einzelstaaten selbst, diesen Quittungsstempel einzuführen. Warum muß das Reich dieses Odium aus sich nehmen? Können die Einzelstaaten nicht die Tarife ihrer Eisenbahnen selbst er» höhen? wozu brauchen sie erst den Umweg über das Reich? Der Schatzsekretär hat seine gestrige Rede damit ge- schloffen, daß diese Steuerprojekte dem Wortlaut und Gedanken der Reichsverfassung entsprächen. Das Gegentheil ist der Fall. Die Ausgaben des Reichs werden gedeckt durch die Matrikularbeiträge und Zölle, soweit Reichssteuern nicht bestehen. Dieses Wort: Reichssteuern" ist zugefügt worden auf ein Amendement der liberalen Parteien unter Führung des Herrn Miquel. Wen.» Herr Miquel seit 1859 sich gewandelt hat, muß er sich auch seit 1867 gewandelt haben.(Heiterkeit.) Das Projekt einer Reichs- einkommensteuer ist vorbereitet worden in den siebziger Jahren, z. B. auch unter Mitwirkung des Herrn v. Minnigerode. Ver­wahrung muß ich daher einlegen dagegen, als ob die Reichs- einkommensteuer mit der Verfassung in Widerspruch stände. Niemand ist es bei der Schaffung der Verfassung in den Sinn gekommen, daß die Einzelstaaten, statt einen Zuschuß zu zahlen, einen Ueberschuß vom Reiche erhalten sollen. Man hätte es damals als eine tiefe Schädigung des Reichsgedankens bezeichnet, die minder wohlhabenden Klassen durch indirekte Steuern zu belasten, um den Einzelstaaten ihre Finanzen zu verbessern x das ist ein neuer Kurs, keine Rückkehr zur alten Finanzpolitik des Reichs; das ist die Ueberschußpolitik, die seit einiger Zeit getrieben wird, die Ueberforderung von neuen Steuern, die fort- gesetzt zu einer Steigerung der Steuerlast führt, ohne der Finanz- noth ein Ende zu machen. Wir werden, so lange unsere Kraft reicht, Widerstand entgegensetzen der Finanzreform, sowie allen neue» Steuern.  (Beifall links.) Staatssekretär Gras v. PosadowSky  : Wenn die Finanz- reform-Vorlage angenommen wird, dann wird die Finanz- Verwaltung und auch das Recht des Reichstags gestärkt. Bei der Annahme der Vorlag» aber wird entschieden werden müssen, auf welche Jnteressenteugruppen sich die Lasten vertheilen sollen. Herr Richter spricht von einer Einnahmesteigerung von 114 Millionen. Ein Theil der neuen Einnahmen gehört gar nicht dem Reiche, sondern den Einzelstaaten, so daß wir sie nicht einfach nehme» können. Herr Richter suchte nachzuweisen, daß die Ausgaben zu hoch, die Einnahmen zu niedrig veranschlagt seien, um Stimmung für die Steuervorlagen zu mache.». Tie Zölle haben einen Minderertrag ergeben und müssen vor.- sichtig behandelt werden; bei den Stempelsteuern wird sich kaum der Etaisansatz erreichen lasfen. Gegen die Steuervergünstigung eifert man mit großem Nachdruck. Meine Herren! Wenn Sie auch nur zwei Jahre unter den schlechten Verhältnissen des Ostens auf einem Gute gelebt hätten, so würden Sie ganz anders dar- über denken. Jever sucht seine Scholle zu verkaufen, und die Zahl derer, welche Landbesitz erwerben, nimmt immer mehr ab; das ist kein guter Zustand für unser Vaterland. Die Kartoffel