Portertage beschlossen und für den sie durch Wochen gerüstet hotte, aufgegeben und abgesagt, in einer Weise abgesagt, die bei Freund und Feind Verblüffung erregt hat. Die Gründe, die die Parteileitung für ihren Entschluß ins Treffen führt, haben ohne Zweifel starkes Gewicht: es ist wohl wahr, daß die parlamentarische Opposition im Abgeordnetenhaus ver- sagt hat, und daß die militärischen Vorkehrungen den Schluß zuließen, daß es den Machthabern gar nicht unwillkommen wäre, den proletarischen Widerstand gegen ihr Schandwerk in Blut und Tränen zu ersticken. Aber durchschlagend sind diese Gründe dennoch keineswegs. An sich ist schon der Ge« danke, den Generalstreik der Arbeiter von dein Grade der Entschlossenheit und Tapferkeit einer bürgerlichen Opposition und gar einer so bunt zusammengewürfelten, wie es die„ver- bündete" des ungarischen Reichstages ist, abhängig zu machen, ganz verfehlt: da hätten die Arbeiter voranstürmcn müssen-, und da hatten sie die Opposition im Parlament schon mitgerissen. Hätte die Parteileitung den Generalstreik am Montag früh proklamiert und hätte er von da an seine Wir.- kungen gezeigt— was schon deshalb das Logische gewesen wäre, weil der Streik, der die Verhandlung der Wahlreform zu h i n d e r n bestimmt war, doch schon vor Beginn dieser Verhandlung wirksam hätte werden müssen—, so wäre es der Opposition im Parlament natürlich nicht möglich gewesen, ihren Kampf aus die merkwürdige Rede zu reduzieren, mit der Graf Äpponyi in ihrem Namen eine platonische Rechts- Verwahrung abgegeben hat. Ueber die Aussichten des Gene- ralstreiks, der unterlassen worden ist, Prophezeiungen anzu- stellen, ist natürlich eine billige und unfruchtbare Sache: aber dennoch darf gesagt werden, daß selten ein Kampf solche Aussichten auf unmittelbaren Erfolg bot wie der Budapester Generalstreik. Eigentlich hat für ihn alles gesprochen. Das Proletariat verficht hier eine Forderung, die gar keine spezifische Klossenforderung der Arbeiterschaft ist, die viel- mehr, man kann es nicht anders bezeichnen, eine staatliche und gesellsdsaftliche Notwendigkeit darstellt, deshalb eine Forderung des gesamten Volkes ist. Es führt den Kampf um die demokratische Wablreform unter der lebhaftesten Zustimmung des gesamten Bürgertums. Es kann sich dabei auch aus das feierlichste Versprechen der Krone berufen. Und ihm steht eine Regierung gegenüber, die moralisch ganz abge- wirtschaftet hat. die von Wien nur aus geineinen Geschäfts- berechnungen gehalten wird, die innerlich schon gefallen ist. Die Zersetzung der Regierungspartei schreitet ununter- krochen fort: man ist auch dort der gewalttätigen Diktatur des Tisza und der schamlosen Korruption des Lukacs gründ- lich satt. Das ist wohl eine Situation, in der ein energischer Stoß des Proletariats die Wendung herbeiführen kann, in der der Generalstreik die Wirkung hätte haben können, daß die Verhandlung der Wahlreform entweder unterbleibt, oder daß die Regierung mannigfache und nicht unbedeutende Ver- besserungen hätte zugestehen müssen. Nun ist der Kampf um die Wahlreform zu Ende, sie wird in Budapest unver- ändert beschlossen werden, und daß sich eine politische Situa- tion ergibt, die der Krone die Möglichkeit bietet, die Sanktion zu verweigern, ist recht unwahrscheinlich. Die Abjagung des Generalstreiks bedeutet wohl, daß ein geschichtlicher Moment .ptzpfäumt wurde. Nun wäre es natürlich billig, den ungarischen Genossen Vorwürfe zu machen und ihnen vorzurechnen, welche Fehler sie gemacht haben, wie schädlich insbesondere ihr Zusammen- gehen mit der bürgerlichen Opposition gewesen ist, wie es ja überhaupt keine Kunst ist, beim Mißlingen großer proleta- rischer Aktionen die„Irrtümer" nachträglich herauszufinden und mit ihrer säuberlichen Auszeichnung sich großzutun. Nur eben, daß diese Kritik vergißt und übersieht, welche Leistung der ungariichen Sozialdemokartie zugemutet wird, wenn ihr von dem„Verbünden" mit der parlamentarischen Opposition abgeraten wird: daß sie in einem agrarischen Lande, in dem die industrielle Arbeiterschaft eine verschwindende Minori - tat ist. nicht etwa bloß die Führung des Wahlrechtskampfes inne haben sollen, nein, daß sie diesen Kamps allein führen müssen und ihn derart am gewissesten gewinnen würden! Tie eigentliche Wahrheit über den abgesagten Generalstreik ist wohl die, daß die Partei, als sie den Gedanken in die Massen warf und den außerordentlichen Parteitag zum Zwecke der Beschließung des Generalstreiks einberief, der Meinung oder der Hoffnung war. es werden, bevor zu dem letzten Mittel gegriffen werden müsse, schon die gewöhnlichen Kampfmittel die Wendung herbeiführen: den Sturz der reformfetndlichen Regierung und das Entstehen einer politi- schen Situation, in der die Wahlreform, wenn sie die For- derung des arbeitenden Volkes auch nicht restlos erfüllt, so dach so viel demokratischen Gehält empfängt, daß man sie als Abschlagszahlung, als Etappe hinnehmen kann. Es wäre wohl auch in normalen Zeiten so gekommen, und daß es nicht so gegangen ist. wie man es immerhin erwarten durfte, daß die Lukacs und Tisza noch immer gehalten werden, und ihnen gestattet wird, daß sie gleichsam den Raub in die Scheune bringen, hat wohl seinen eigentlichen Grund in der gespannten auswärtigen Lage, in der seit Monaten schleichenden Kriegs- gefahr, die Aenderungen in der inneren Politik nicht hold ist. Die Zeit der Kriegsgefahr ist für proletarische Kämpfe eben keine günstige Zeit, und in Ungarn kann viel geschehen, was in Staaten, wo der Monarch im Lande weilt, vielleicht nicht möglich wäre. Ein König, der in Budapest wohnt, konnte kaum einen Ministerpräsidenten halten, von dem gerichtlich nachgewiesen ist, daß er ein Dieb und Gauner ist: der König außer Land, den an„seinem" Ungarn nur interessiert, daß es rechtzeitig und viel Rekruten liefert, braucht sich von moralischen Bedenken nicht stören zu lassen. Der Fehler ist nicht, daß die ungarischen Genossen den Generalstreik be- schlössen haben: der Fehler ist, daß sie den Mut der Tat nicht hatten, als alle übrigen Mittel erschöpft waren und kein anderes übrig blieb als die proletarische Revolution der Straße. Betrogen sind die ungarischen Rechtlosen freilich zu allererst von ihrem König, und es ist wirklich die höchste Ironie, daß der König, der vor acht Jahren den Gedanken der Einführung des allgemeinen Wahlrechts in die Massen warf, nun damit einverstanden war, daß in die Massen, die nur die Königsforderung vertreten, nun Pulver und Blei „geworfelt" werde. Aber die Welt ist rund, und in Ungarn dreht sie sich gar besonders rasch: das allgemeine Wahlrecht. das man jetzt mit der Schandreform des Lukacs verhöhnt und parodiert, wird von der Tagesordnung des ungarischen politischen Lebens nicht mehr verschwinden. Auch in Oester- reich hoffte man mit der fünften Kurie das allgemeine und gleiche Wahlrecht von der Einführung für immer abzu- ichneiden, und nach zehn Jähren war es eingeführt! So wird eS auch m Ungarn gehen, das der avitische« Formen und der Herrschaft der Oligarchen übersatt ist und überhaupt reif zur Europäisierung seiner politischen Dinge. In diesem Kaytpft. der schon entbrannt ist, wird der Sozialdemokratie die wichttgste Aufgabe zufallen, und der abgesagte General- stteik wird sie lehren, nichts zu unternehmen, was sie nicht leisten will und alles zu leisten, was zu leisten sie sich vornahm. ■** * Annahme der Schandreform. Budavest, 7. März. Die Wablrcformvorlagc ist heute vom Abgeordnetenhause angenommen worden. vet Kalliankrieg. Die Friedensverhandlungen. Kovstoutiuopel, 6. März. In Kreisen der Pforte wird erklärt, daß die Friedensverhandlungen sich auf gutem Wege befinden, weil inan Grund habe zu glauben, daß die Balkanstaaten mehr mit sich reden lassen"würden. Das Blatt„Jfh am" kommt zu dem Schluß, daß der Friede unzweifelhaft nahe bevorstehe, wenn die Entschädigungsftage leicht gelöst würde.—„A l e m d a r" tadelt in einem augenscheinlich von jungtürkischen Kreisen inspirierten Artikel die Haltung des Großwcsirs in der Friedensfrage und er- klärt, der Großwcsir müsse entweder das Kriegsglück noch einmal versuchen, um vorteilhaftere Friedensbedingungen zu erlangen, oder die Macht denjenigen überlassen, die sich für fähig halten, eine solche Verantwortung zu übernehmen. Man brauche eine Regierung, die mehr Kompetenz habe, sei es zum Frieden oder zum Kriege. Heute nachmittag listen hartnäckig Gerüchte um. daß der G r o ß w e s i r die Absicht kundgegeben habe, zurückzu- treten. Die Gerüchte werden amtlich dementiert. Rumänien und Bulgarien . Wien , 7. März. Privatmeldungen aus B u k a r e st zu- folge akzeptierten die Großmächte den Standpunkt der rumänischen Regierung hinsichtlich der Durch- führung der Mediation. Prinz Ghika reist nach Peters- bürg, wo eine Botschafterreunion sich ousschließ- lich mit dem rumänisch -bulgarischen Konflikt befassen wird. Eine Falschmeldung. Athen , 6. März. Di« Meldung der„Neuen Freien Presse", daß der türkische Kreuzer„H a m i d i j e" in der Bucht von Hagio Oro» drei griechische Transportschiffe in den Grund gebohrt habe, ist unbegründet. llianeitie. Man schreibt uns aus Petersburg : Die Amnestie des Knutenzaren, die mit Sicherheit vorauszu- sehen war. ist nun eingetroffen, lieber den Charakter der uns bevorstehenden„Gnaden" waren wir uns vollständig im klaren: Am Vorabend der Amnestie wurden in Petersburg in den Arbeiter- vierteln Massenverhastungen vorgenommen und gleichzeitig erhielt die sozialdemokratische Dumafraktion«ine telegraphische Nachricht aus Wologda , daß von dort 11 politische Verbannte— in der Er. Wartung des„Gnadenaktes"— ganz plötzlich festgenommen und nach einem der entlegensten Winkel des Gouvernements ablranS- portiert wurden, darunter eine Frau in den letzten zwei Monaten der Schwangerschaft, mittellos und ohne warme Kleider, und noch drei ernst kranke Frauen. So wurde die Amnestie eingeleitet. Und jetzt läuten alle Kcrchenglocken.... Auf dem Newski prächtige Zelte, von hohen Masten wehende Flaggen, Laubgewinde, Lampions usw. Schon in aller Frühe hatten wir in den Zeitungen den uns bescherten„Gnadenakt" schwarz auf weiß vor Augen. Orden und Auszeichnungen, KaiserporträtS in diamantenbefetzten Rahmen als Geschenke, einen Grafentitel an einen Baron— nur verstockte Rebellen können mehr verlangen! Aber es folgt wirklich noch mehr: Erlaß von allerhand Steuerrückständen— deren Einkassierung völlig aussichtslos war—. großer Zuschuß an die Unterstützungskassen des Adels, Verfügung über Wiederauf- nähme eines Teils der relegiert gewesenen Unschuldslämmlein aus den Reihen der Studierenden und manches andere, das sich auf dem Papier breit macht, in Wirklichkeit aber völlig belanglos ist. So ist es z. B. eine leere Phrase, daß die bis zum Amnestietage zum Tode Verurteilten zu zwanzigjähriger Zwangsarbeit„be- gnodigt" werden— weil diejenigen, die es angehen konnte, von der umsichtigen Regierung zeitig genug gehängt wurden. Nur litera- rische Verbrecher wurden gänzlich begnadigt. Die eigentlichen politischen Delikte sind von der Amnestie ausge- schlössen. Di« sozialdemokratischen Abgeordneten der zweiten Duma bleiben in Katorga und Verbannung. Der jüdisch« Arbeiter BeiliS bleibt wie zuvor im Aiewer Gefängnis: der Justizminister will von Petersburg aus gesehen haben, wie er einen Ritual- mord beging; die örtlichen Behörden— die wahrlich auch nicht engelrein sind— sind darüber ganz anderer Meinung. Und wie ehedem wird in der weiten Taiga die Purga heulen und die ein. samen Hütten der Verbannten in tiefen Schnee vergraben.... Ueberaus lehrreich an der Amnestiebewegung«wir halten es mit einer wirklichen Bewegung zu tun) ist das Verhalten unseres katzenjämmerlichen Liberalismus; es lohnt sich, darauf näher einzugehen. Seit Wochen keuchten die liberalen Setz- und Ro- tationSmaschinen vor Anstrengung: Amnestie! Amnestie! Auch einige Stadträte faßten sich—> natürlich vor dem Verbot der Re. gierung— ein Herz und beschloffen, um eine Amnestie zu petitio- nieren. Mit einemmal soll sich der Gedanle an eine Amnestie— verkündeten die flinken Handlanger der liberalen Zeitungsfabri- kanten— aller Herzen bemächtigt haben; sie sei die brennende Aufgabe des Tages. Zu diesem Zwecke wurde der russischen Re- gierung ein menschliches Gewissen angedichtet, und diesem Gewissen wurde zugeredet, sich auf den Weg des Friedens zu begeben und die„großen Ungerechtigkeiten" gutzumachen. In diesem liberalen Gewinsel machten sich in erster Reihe die Interessen der Bourgeoisie selbst bemerkbar, vor allem— des Journalistenstandes. Von diesem ließen sich seinerzeit Hundert« — erwärmt vom sonnigen Licht der Freiheitstage— ziemlich stark hinreißen und leisteten ihre Tagesardeit ohne die üblichen Schutz. Vorrichtungen. Natürlich waren die Folgen schwere Verurteilun- gen nach§ 120 des Strafgesetzbuches wegen Preßvergehen. Und bei dielen war die.Lur" noch lange nicht zu Ende. Also in eigener Sache wurde agitiert. Aöer auch andere Schichten der höheren Klassen vertraten in der Amnestiebeivegung ihre eigenen Interessen. Wie diele Söhn« und Töchter häherer Gesellschaftsstützen verkommen in den wüsten Eisfeldern und Tundren, wie viele von ihnen werdett in den Gc- fängnissen gemartert! BourgeoiSkinder sind eS ja, die in den letzten Jähren zu Tausenden aus den Hoch», ja sogar Mittelschulen— weiß Gott , wofür— relegiert wurden. Diese große Armee bürger- sicher Kinder könnte nach einer Amnestie wieder ihre Ausbildung fortsetzen—, haben nicht die vermögenden Klassen daran ein starkes Interesse? Aber auch die V ä.t c r dieser Kinder brauchten eine Amnestie. Viele von ihnen nxrren in den Jahren 1905 bis 1906 leider nur zu unvorsichtig. Sie kounleu die Zukunft nicht voraus- sehen. Ja, bei manchem von ihnen war— wenn sie es selbst jetzt auch verleugnen, wollen w i r ihnen gerecht werden— der eigene Wunsch der Vater der Gewißheit, daß das Zünglein an der Wage ioeit nach links ausschlagen werde, und sie hatten daher so u»inchmi eigenen leichtsinnigen Zungenschlag zu büßen mit systematischen Enthebungen von Posten und Aemtern, verweigerten Pensionen, Zurücksetzungen und Schikanienungen aller Art. Und das einzige Heilmittel, das derartige Entgleisungen der Zunge heilt und ver- gessen macht, ist eben die Amnestie. Es fehlte mithin der Amnestieagitation der großen Presse fast gänzlich der politische Gedankt; nicht um einen Kampf für eine bessere politische Zukunft handelte. eS sich dabei. ES äußerte sich hier eher eine bittere Unzusriedcnlicit mit der Bureaukratie, die in ihrer Borniertheit keinen Unterschied zwischen einem wirklichen Feind und einem reuigen Sünder zu machen versteht und die Zahl ihrer Gegner mehrt, ohne sich etwas Mühe zu geben«ach, es ginge ja so leicht!!, diese in ihre Freunde zu verwandeln. Und deshalb der ekelhafte, einschmeichelnde Ton, das Augenzwinkern, daß es ja im Interesse der Regierung selbst liege, den Bogen nicht allzu stark zu spannen, und deshalb auch die abgeschmackten Beteuerungen, die Hälfte der„Unglücklichen" bestehe ja aus Unschuldigen.... Schon der Anlaß selbst zur Amnestiebettelci war zarentreu genug. Bei solchen Feierlichkeiten erhält in der Regel der letzte Soldat in der Kaserne eine reichliche„Tscharka" Wodka, die großen und kleinen Jntcndantengcntlemen bekommen die Schlüssel zu ihren«wahrhaft ihren I) Speichern zurück,— und da sollte daS Herz unseres Jubilars es an diesem Tage über sich bringen, U n- schuldige tvciter im Gefängnis schmachten zu lassen? Gewiß! Unser Jubilar läßt auch wirklich niemals— nach seinen Be- griffen— Unschuldige im Gefängnis schmachten. Unverzüglich macht er Gebrauch von seinem Begnadigungsrecht, wenn es sich um die ohnebin schon milde Aburteilung von Pogrombanditen und mordenden Offizieren handelt, oder um eine Thronstütze wie den Moskauer Statthalter Reinbot, der sich als Bovdellspekulant, Be- günstiger von Diebesbanden und dergleichen mehr entpuppte.. Ju solchen Fällen ist unser Jubilar die personifizierte Güte. Auch den Mörder des Dumaabgeordnetcn Hertzenstein ließ der Zar nicht im Gefängnis schmachten. Wohlweislich wurde in den liberalen Amnestielitaneien ein zweites Jubiläum verschwiegen, das mit dem dynastischen zu- sammenfällt, das zehnjährige„Jubiläum" von Kischincsf.... Doch rosige Hände lieben eS nicht, schwarze Schatten zu malen. Und übrigens war es ja größtenteils jüdisches Blut, das damals in Strömen floß, und der russische Liberalismus hat es nicht allzu gern, über jenen Aderlaß wie auch über die gegenwärtige Lage der russischen Juden— die blutlose Metzelei. die tagaus, tagcin durchgeführt wird— zuviel Worte zu verlieren. Für feine ästhetisch verfeinerte Seele ist dieses Thema einfach langweilig. Und feine politische Taktik heißt auch hier— abwarten! Es wäre aber durchaus ein Irrtum, anzunehmen, daß die Am- ncsttedewegung aus den Interessen der Bourgeoisie ollein hervor- gegangen war. Nkan spürte dabei den freien Atem der poli» tischen Belebung, die im Lande im Anwachsen bcgrifteu ist. Auch wären einige Schichten der industrielle» Bourgeoisie und speziell der Handelswelt nicht abgeneigt, die politischen Fesseln im Lande etwas gelöst zu sehen. Für diese— allerdings winzigen — Gruppen enthielt die Amnestiebewegung auch eine stumm an- gedeutete polltischc Forderung, die große Spannung einiger- maßen zu entladen und den Weg einer mäßig lLberalen Reform zu beschreiten. Und hierin lag ein nicht unbedeutendes politisches Symotom. Und die Regierung! Es kam ihr Plötzsich zum Bewußtsein. daß die VolkSgroschen nicht vergeudet werden dürfen, und sie ging ungeheuer sparsam mit der kostbaren Truckerschwärze um. Ihre Reptilien widmeten der Amnestie dann und wann einig« Zeilen, dcc sich jedesmal widersprachen: Sie kommt— kommt nicht— vielleicht wohl— ganz bestimmt nicht usw. O, wir glauben es der Regierung nur zu gern. daß sie sich nicht leicht zu etwas entschließen konnte, das ihr nicht vom schwarzen Hundert diktiert ward! Besonders wenn dies noch der Arbeiterklasse das Atmen erleichtern könnte. Und doch konnte man mit Sicherheit auf eine natürlich tümmcvliche Amnestie rechnen, und zwar weil sre vom Standpunkt der Regierung selbst erforderlich war. In den Gefängnissen— die überfüllt sind— mußte freier Raum geschaffen werden, weil absolut kein Platz für neu« Gefangene vorhanden war. Schon um die rostige Polizei- maschin« einigermaßen in Ordnung zu bringen, muhte das überflüssige Mensckwnzeug auö ihrem Bereich entfernt werden,— um dann mit frischer Kraft das Land von den neuen politischen „Verbrechern" zu säubern, die nun fast ausschließlich der Arbeiter. klaffe angehören. Und wie verhielt sich das Pvoletariat zur Amnestieftage? Sewstvarständllch verlangt die Arbeiterklasse immer die Frei- lassung der politischen Gefangenen, nicht aber als Snadenakt, sondern von Rechts wegen. Mit einem seltenen Taktgefühl und einer erfreulichen Vorncbmheit— wie das im russischen Martyrium für den Einzelnen zur Tradition geworden ist— hielt e» die Arbeiter. liasse Rußlands unterihrerWürde.aus Anlaß der höfischen Festlichkeiten den Zaren um die oder jene Gnade anzubetteln. Auch war es ja jedem entwickelten Arbeiter sonnenklar, daß nach den Festlichkeiten alles beim alten bleiben wivd. Und diejenigen, die heute aus dem Gefängnis befreit würden, kämen morgen in die. selben Zellen zurück. Denn solange cS Arbeiter gibt, müssen auch Arbeiterorganisationen— mit allen ihren Konsequenzen— existieren, und davon will die russisch« Regierung nichts wissen. So mancher hat schon den Ural als Amnestierter passiert, um bald darauf für analoge„Verbrechen" von neuem über ihn zurück nach Sibirien zu wandern.________ poUtifebe deberHebt Berlin , den 7. März 1V18. Abgeordnetenhaus. Mit Aussehen erregenden Enthüllungen über eine Person, mit der die preußisch« Regierung auf Kosten der Steuerzahler Geschäfts- Verbindungen unterhält, trat Genosse Hoffmann am Freitag im Abgeordnetenhause hervor. Zur Beratung stand der NachtragSetot, der die Summ« von 6'Millionen zur Erwerbung des Grundstücks KöniggrStzer Straße 121 und Prinz-Albrecht-Straß» S verlangt. Der Wert de» Grundstücks, da» u. a. zur Herrichtung eine» Garten» für die Dreiklassenleute verwendet werden soll, beträgt aber nur 5 SSS 000 M.. der Rest, also 2 603 000 M., soll dem Bankdirektor Karl V. Äinterfeld als Entschädigung für entgangenen Verdienst gegeben werden. Ist cS schon an und für sich skandalös und be- zeichneild für die Abhängigkeit, i» der sich sogar die preußische Regierung von dem Bodenspekulanten tum be- findet, daß eme so ungeheuere Summe diese» Schädlivgeu
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten