2. Beilage zum„Vorwärts" Berliner Volksblatt.Kr. 2H2.Freitag, den 1. Dezember 1893.10. Jahrg.Modernes Kanernlegen.Im vierundzmaiizigsten Kapitel seines„Kapital" schildertKarl Marx die Art und Weise, wie im achtzehnten und weithinein ins neunzehnte Jahrhundert die Landlords in Hochschott-land sich in den Besitz von Bauernland setzten. Durch allerleiPfiffe und Kniffe, Schliche und Ränke, durch brutale, vom Ge-setze gedeckte Gewalt wurden die Bewohner ganzer Gegenden,tausend und abertausend freie Männer, deren Vorfahren dasLand besiedelt und urbar gemacht, systematisch von ihrer Hufegetrieben, verjagt und ausgerottet. An die Stelle der mit demSchweiße von Generationen gedüngte Fruchtfelder tratenquadratmeilengroße Weiden und Tristen, die Dörfer und Weilerwurden zerstört und niedergebrannt, wo sonst zehntausend arbeitsame Mensche» ihr Auskommen fanden, zogen jetzt hunderttausendSchafe. Aber auch das genügte demHunger und Uebermuth des Kapi-tals noch nicht. Nur wenige Jahre verflossen und auf den gras-reichen Hängen schoß junger Wald empor, die Schafe ver-schwandet! und an ihre Stelle traten Hirsche, Rehe und Füchse;aus dem Jahrhunderte alten Kulturboden sind wieder Jagdrevieregeworden, in welchen hochnäsige Lords und dickbäuchige Fa-brikanien ihre Zeit todtschlagen.Was damals in Schottland geschah, etwas Aehnliches voll-zieht sich seit etwa zwei Dezennien in den deutschen AlpenländernOesterreichs. Von Jahr zu Jahr vergrößert sich die Zahl derreichen Protzen, der„Edelsten" und„Hochedelsten", welche dieseGegenden zum Jagdtummelplatz erküren.Ungeheure Landkomplexe werden zusammengekauft, was nichtgekauft werden kann, wird gepachtet. Was Hunnen, Awaren undMagyaren nicht vermochten, das gierige Kapital hat es zu Wegegebracht. Alter Kulturboden, der schon zur Römer-zeit seine Bebauer ernährte, wurde wieder zur Wildniß.Von den Alpenweiden verschwindet das Vieh, an seineStelle tritt die Gemse. Der Bauer verkaust um jeden Preis,zieht übers Meer oder vergrößert in den Städten die Reserve-armee. Die eingehegten Thiergärten in den Vorbergen, dieJagdreviere im Hochgebirge vergrößern sich von Jahr zu Jahrund verschlingen Alles, was ihnen im Wege steht. StundenlangeThäler sind gesperrt, über ganze Gebirge gebietet Einer. EineMenge Weiler, Höfe und Häuser sind verschwunden, ganzeDörfer verödet, bis in die Märkte des Flachlandes hinab ist derverderbliche, kulturfeindliche Einfluß des Systems deutlich zuspüren. Der Hochadel Oesterreichs, regierende deutsche Fürsten,das internationale Gold- und Leihkapital, katholische Klöster,selbst der Staat, sie alle sind an der Verwüstung gleichmäßigbetheiligt. Ja, wenn diese„hohen" Herren dem armen Teufelvon Alpenbauer sein Besitzthum wenigstens auf eine einigermaßenehrliche Weise abkaufen würden. Aber von einer Noblesse istda verdammt wenig zu spüren. Das würde ja Geld kosten!Und man fährt doch bedeutend billiger, wenn man all die Fi-nessen benützt, welche einem die heutigen Gesetze an die Handgebe», oder welche sie wenigstens nicht verbieten und mit Strafebedrohen.Der Vorgang bei dieser Art von Bauernlegen ist gewöhnlichder Folgende. Irgend ein reicher Mann kommt daher und kaufteine Waldherrschast. Sein Wald liegt in den meisten Fällen zwischenden Alpweiden und den Höfen der Bauern, welche drunten inden Thälern oder an den Hängen sitzten. Dieser Umstand istsehr wichtig für dentSpekulanten. All' diese Bauern am Nordrand der Alpen treiben als Hauptbeschäftigung vorzüglich Viehzucht und Milchwirthschaft. Dabei sind sie auf die Weiden an-gewiesen, welche über der Waldgrenze liegen oder zwischen Wäl-der» sich hinziehen. Diese Weiden sind entweder im Besitz einesEinzelnen, oder einer Gemeinde, oder die Bauern habenwenigstens das Weiderecht. Es muß hervorgehoben werden, daßin den Alpen diese Rechte und auch die Wegerechte vielfach nichtverbrieft sind, sondern ihre Geltung nur dem Herkommen undder augenblicklichen Besitzhandlung verdanken. Darauf fußt derSpekulant, der mit dem Plane in die Gegend gekommen, sich eingroßes Jagdgebiet zusammenzuschlagen. Das Erste, was er thutist, daß er im Erundbuche nachschaut. Jeder Weg. der hiernicht ausdrücklich als öffentlicher erklärt ist, wird von ihm sofortgesperrt.Es sind Fälle vorgekommen, daß Gutsbesitzer Thalwege,welche schon seit Jahrhunderten begangen waren, und die ein-zige Verbindung ins Hochgebirge darstellten, einfach absperrten.Tie Bauern mußten Jahre lang bei den Gerichten herumstreitenund unmenschliche Kosten begleichen, che sie ihr Recht erhielten.Ter Bauer, dem auf diese Weise der Auftrieb unmöglich gemachtwurde, muß im Frühjahr sein Vieh billig verkaufen, im Herbstes theuer wieder kaufen. Selbst die wohlhabenderen Bauernwerden dadurch ruinirt; der Jagdherr kauft im Herbste alleserreichbare Futter für seine Hirsche auf. Droben aber aus derAlpe verfault jahraus, jahrein da? schönste Gras ungenützt.Gelingt es nicht aus diese Weise, die Bauern voni Auftriebeabzuhalten, so wird ein anderes Mittel versucht. Die Grenzenzwischen Weide und Wald, Weide und ödem Hochgebirge find invielen Fällen nicht genau bestimmt. Mit List und Gewalt, kurzmit allen Mitteln sucht nun der Gutsherr seine Grenzen hinaus-zuschieben und provozirt eine Besitzstörungs- Klage nach der an-deren. Die Prozeffe kosten Geld und manches Bäuerlein gehldarüber zu Grunde, während seine Klage noch schwebt. Dasan die Gant gebrachte Gütlein wird vom Großgrund-besitzer um einen Taunterling erworben und zur Herrschalt geschlagen. Wollen die Bauern gar nicht mürbewerden, dann tritt der Gutsherr als Jagdherr auf. Er läßteinige Jahre nichts abschießen, daS Wild vermehrt sich ungeheuer,mischt sich unter das aufgetriebene Vieh und frißt ihm das Grasweg. Wehe aber dem Bauer, der sich dagegen wehrt! Sosortregnet es Klagen und Anzeigen von Seite des Jagdhcrrn. ImJahre 18öS wurde ein Hüterbub, weil er auf der Alpe Weistbacheln gejauchzt, mit der Peitsche geknallt, einen Hund hattebellen lassen und dadurch den fürstlichen Gemsstand boshafterWeise schwer geschädigt hatte, von der Bezirk-hauptmannschaftzu vierzehntägigem Arrest verurtheilt. Die Bauern, welche aufdiese Alpe das Austriebsrecht besitzen, haben dieses nämlich ver-brieft, es stammt aus dem Jahre 1583; auf eine andereWeise war ihnen nicht beizukommen. Bezeichnend ist, daß dieAnzeige des fürstlichen Jagdleiters von einem„anarchistischenGebahren" der Bauern redet. Aber nicht blos der Adeligeund Großkapitalist verfährt aus diese Weise, auch der Staat, dasösterreichische Aerar wirthschaflet nicht anders.Tie Gemeinde Telfs in Tirol besaß urkundlich das Austriebs-recht für 288 Stück Rindvieh auf die Melkalpe Hämmermoos.Diese Alpe gehört dem Aerar und das Siecht der Gemeindewurde 1877 dadurch hinfällig gemacht, daß man Jungwald auf-schießen ließ. Der Streit währte über vier Jahre und erst alsder österreichische Ackert auminister zufällig in die.Gegend kam,erreichte die Gemeinde soviel, daß das Ae,ar tausend Joch Hoch-wald niederschlagen ließ und den dadurch gewonnenen Platz alsWeidcgrund anwies; die Gemeinde verlor" trotzdem die Hälfteihres Auftriebs rechtes.Ist durch die Absperrung der Alpen den Bauern die Existenzunmöglich gemacht, dann beginnt der Landlord mit dem Ankaufvon Ackerboden. Er kaust aber nicht auf einmal, im Großen,.,„sondern Hof für Hof nach größeren Zeiträumen. Und- mit derPolizeibehörd e, ein Verzeichniß der Mitglieder einzureichen, hattegrößten Schlauheit und Geriebenheit wird da vorgegangen. Dieerworbenen Gütlein grenzen nie aneinander, stets liegen nocheinige, welche Bauern gehören, dazwischen. Auf diese ist es ab-gesehen. Die angekauften Häuser werden niedergerissen, nieder-gebrannt, oder, wenn sie im Walde liegen, einfach dem Verfallüberlassen; das frühere Ackerland wird mit schnell wachsenden Wald-pflanzen ausgeforstet. Es dauert nur wenige Jahre, dann sind dieseemporgeschossen und rauben den dazwischen liegenden Aeckern Lustund Licht.Die Besitzer sind fertig zum Abfliegen. Sie kommen jetzt ausfreien Stücken zum Grundherrn, bitten und betteln, man solleihnen doch ihren Grund abkaufen. Das erste Mal werden sieabgewiesen. Sie kommen wieder und nehmen, was man ihnenwie ein Almosen zuschiebt. Sind alle Bauern>veggefegt, dannwerden die Wälder in den Vorbergen und Thälern eingezäuntund zu Wildparks eingerichtet. Aber auch hier kann das Kapitalseine wüthende Gier nicht zügeln. An den Grenzen der Thier-gärten, besonders dort, wo fremder, freier Wald ist, werden„Einspringe" angebracht, um so auf die denkbar billigste Weiseden eigenen Stand durch fremdes Wild zu vermehren. DieEinspringe werden nicht direkt an der Grenze angelegt— dakönnte der geschädigte Nachbar ja die ganze Vorrichtung durcheinen„Gegensprung" vereiteln— sondern etwa zweihundertSchritte iveiter zurück aus dem eigenen Jagdgebiet.Als in den Achtziger Jahren das Bauernlegen einenimmer größeren Umfang annahm, da wurden endlich die Landes-Verwaltungen und Gemeinden rebellisch, einzelne Landes-ausschüsse veraustalteter Umfragen und wandten sich an die Re-gicruug um Abhilfe. Das geschah aber nicht den vertriebenenBauern zu Liebe, sondern ganz im eigenen Interesse. Mit derVerringerung der Zahl der Bauernhöfe schwand die Grundsteuer,stiegen in den Gemeinden die Arinenlasten. Im Jahre 1387 kamdie Angelegenheit im Abgeordnetenhause öffentlich zur Sprache—wider den Willen der Regierung. Diese hatte bis dahin jedeBesprechung in den Zeitungen durch Konfiskationen hintertrieben.Im Reichsrage erhoben sich Männer von verschiedenen Parteien,um die Praktiken der Bauernleger darzulegen. Am sachgemäßestenthat dies und das meiste Material brachte bei der AbgeordneteSteinwender, dessen Ausführungen wir auch im Nachstehendenfolgen wollen.Sottale Llelieeficktt.Au alle Vanauschlägcr für Berlin und Umgegend.Kollegen, keine Branche der Bauhandwerker und Arbeiter stehtder Ausbeutung so wehrlos gegenüber, wie die derAnschläger. Wohlist die Gelegenheit, sich zu organisiren da, aber wie wenige ge-hören der Organisation an? Auf wie vernichtende Weise wirdkonknrrirl und durch Unterbieten die Preise gedrückt. Undwarum? Weil die Ausbeutung nicht nur von Unternehmern,sondern von Kollegen selbst geschieht. Wohl hört man jedenKollegen über Hnngerlöhne klagen, doch nur ein Bruchlheil der-selben schließt sich der Organisation an. Kollegen, legt denSchlendrian ab. laßt alle Vorurtheile fallen und folgt demMahnruf„Proletarier aller Länder, vereinigt Euch."Kollegen, deshalb erscheint alle Mann für Mann in denVersammlungen(siehe heutige Annonce). Unterstutzt unsere Bestrebungen und die Organisation ivird eine Macht bilden.R. Ferdinand, Pankstr. 51.Die S. ordentliche Jahresversammlung der nor-wegischen Arbeiterpartei findet am 21. Januar 1694in S k i e n statt.lieber die Streiks, welche im Jahre 1892 in Deutsch-land stattgefunden haben, veröffentlicht das„Korrespondenz-blatt der Gewerkscha ten" eine Statistik, der wir folgendes ent-nehmen: Im Jahre 1892 kamen in 21 Zentralorganisationeu,ivelche Berichte einsandten, 73 Streiks vor, welche zusammen597 Wochen dauerten und eine Ausgabe von annähernd 110009 M.erforderten. In den Jahren 1890 und 91 waren die Lohnkämpfeviel größere als 92. Der Niedergang der Industrie in letzteremJahre zwang die Arbeiter, von jedem Aiigriffsstreik Abstand zunehmen und nur im äußersten Falle den Kamps mit dein Unter-nehmerthnm auszunehmen. Von den 226 Ausständen in denJahren 90 und 91 waren 79 Abwehr- und 147 Angriffsstreiks. Es er-giebt sich hieraus, daß die Arbeiter, sich stützend auf die Organisation,bestrebt waren, die Lohn- und Arbeitsbedingungen zu verbessern.Die Angriffsstreiks fallen aber hier zum größten Theil auf dasJahr 1890. Im Jahre 1891 waren die Arbeiter mit wenig Aus-nahmen genöthigt, sich ihrer Haut zu wehren. Im Jahre 1892war das Verhältniß für die Arbeiter noch ungünuiger. Esmußten 53 Abwehrstreiks inszenirt werden. Davon sollten 25eine Lohnreduzirung, 6 eine Verlängerung der Arbeitszeit ver-hindern, während 7 um die Erhaltung der Koalitionsfreiheit, 10wegen Maßregelung und 3 wegen Einführung einer die Arbeiterbedrückenden Fabrikordnung geführt wurden. Von den Abwehr-streiks waren 19 erfolgreich, während 9 theilweise erfolgreich und24 erfolglos verliefen. Diese Zahlen beweisen zur Genüge, daßdie Arbeiter während der Zeit der wirihschaftlichen Krisis nurschwer gegen die Macht des Kapitals anzukämpfen vermögen.Sie beweisen aber auch ferner, daß die deutschen Gewerkschafts-organifationen noch keineswegs so stark sind, um während derungünstigen Geschäftsperiode die Angriffe der Kapitalisten zurück-weisen zu können.So sehr viel die ganze Statistik noch zu wünschen übrigläßt, so sind doch die einzelnen Zahlen schon vielfach recht lehr-reich, und es ist zu hoffen, daß die deutsche Arbeiterschaft sichmehr und mehr daran gewöhnt, wie alle ihre Angelegenheiten,so auch ihre Lohnkümpse mit Interesse verfolgt und die Ergeb-niffe derselben registrirl.Aus einer Tabelle, welche der Statistik beigefügt ist, ersehenwir, inwieweit die einzelnen Berufe bei den Streiks bctheiligtwaren.Die meisten Lohnkämpfe führten die Schuhmacher, näm-lich 14, dann folgen die Handschuhmacher mit 8 und dieDrechsler und Brauer mit je 7. Zieht man jedoch dieZahl der dabei betheiliglen Personen in Betracht, so kommen inerster Linie die B r a u e r, bei denen 1015 Mann im Lohn-kämpf standen. �Sodann folgen die Schuhmacher mit 417.Ein Streik der Seiler wurde von 14, einer der Zigarren-sortirer gar nur von 2 Mann geführt. Die Gesammrausgabefür die 73 Streiks betrug 84 633 M. Die Generalkommissionknüpft hieran noch das Ersuchen an die Vereinsvorstände, ge-naue Auszeichnungen über die Ursachen, Wirkungen, Ausgaben rc.der Streiks zu machen und ihr einzusenden.Die Frage, ob die Polizei in Preußen wirklichberechtigt ist, Mitgliederverzeichnisse vonGesangvereinen einzufordern beziehentlich Einsichtdavon zu nehmen, dürfte wohl wichtig genug sein, durch dasGericht entschieden zu werden. Vor Kurzem berichteten wir voneinem sächsischen Genieindevorstand, der den Anspruch erhob, dieMitglieder eines Arbeitervereins kennen zu lernen, heute sindwir in der Lage, ein Gleiches von einer preußischen Polizei-behörde mittheilen zu können. In Staßfurt hatte sich einGesaugverein„Grüne Eiche" gegründet. Auf das Verlangen derder Vorsitzende des Vereins Beschwerde beff dem königlichenRegierungspräsidenten eingelegt, worauf er folgende Antworterhielt:Der Regierungs-Präsident.I. Pr. P. Nr. 5714.Magdeburg, den 3. November 1893.Auf die Beschwerde vom 24. August d. Js. eröffne ichIhnen, daß der Anspruch der dortigen Polizeiverwaltung, indas Mitgliederverzeichniß des Gesangvereins �„Grüne Eiche"Einsicht zu nehmen, in den Gesetzen begründet ist. Die Geltend-machung dieses Anspruchs enthält keinen Eingriff in die Rechts-sphäre des Vereins, sondern bietet der Polizeiverwaltung lediglicheine Handhabe, um festzustellen, ob die als Vereinszweck an-gegebenen Bestrebungen in Wirklichkeit auch gepflegt werden,und nicht blos als Deckmantel für andere Zwecke dienen. DiePolizeiverwaltung ist zu dieser Feststellung berechtigt, weil siedie Interessen der öffentlichen Ruhe und Ordnung zu schützenhat. Ihre Beschwerde wird daher, was hiermit geschieht, alsunbegründet zurückgewiesen.Der Regierungs-Präsident.In Vertretung:(Name unleserlich.)An Herrn Wilh. Schumacherin Staßfurt, Hecklingerstr. 10.Aus dem Mitgliederverzeichniß will also die Polizei schonerkennen können,„ob die als Vereinszweck angegebenen Be-strebungen in Wirklichkeit auch gepflegt werden und nicht blosals Deckmantel für andere Zwecke dienen". So sehr wir nunauch in dem Gefühl unserer eigenen Nichtigkeit als gewöhnlicheSteuerzahler von der Findigkeit unserer Polizeibehörden über-zeugt sind, so möchten wir denn doch bezweifeln, daß das vomRegierungspräsidenten erwartete Resultat erreicht wird— essei denn, daß die Polizei schon aus der Thatsache allein, daßeinzelne Mitglieder eines Gefangvereins politisch thätijje Männersind, sich für berechtigt hält, den Schluß ziehen zu dürfen: Indiesem Verein wird Politik getrieben, weil jc.—„Die heutige Steuerlast ist nicht drückend." Dieseneueste Entdeckung hat der sächsische Landtags- AbgeordneteM e h n e r l gemacht. Nur infolge der sozialdemokratischen Er-ziehuug„glaubten" die Massen, die Steuern seien drückend. DieArbeiter werden gewiß sehr erfreut fein über diese konservativeBelehrung und sich dieser sozialdemokratischen Einflüsterung, durchdie sie zu dem Glauben gebracht worden, sie seien durch die Steuernbedrückt, entziehen.Die Bescheinigung, daß sie, vorbehaltlich der Höhe desKrankengeldes, den' Anforderungen des§ 75 des Kranken-versicherungs-Gesetzes genügen, ist nachstehenden Kassen ertheiltworden: der Steinbecker Krankenlade(E. H.) zu Sreinbeck,sowie von neuem der Haus- Zimmergesellen- Krankenkasse zuAltona.Zur Arbeitseinstellung der Maurer am Theaterba«zu Harburg» von dem wir kürzlich berichteten, ist das„Hamb.Ecko" in der Lage mitzutheileu, daß der Bau jetzt durch Lehr-linge, welche die dortigen Unternehmer zur Verfügung stellten,weitergeführt wird. Von den Maurern hat bis jetzt keiner wiederangefangen. Einige von ihnen, die bei einem anderen Unter-nehmer Arbeit gesunden hatten, wurden geniaßregelt. Ueberdie Ausständigen fcheint demnach seitens der Unternehmer derBoykott verhängt worden zu fein. Das ist die Humanität desKapitals.Die Errichtung des städtischen Arbeitsamtes in Mainzscheint jetzt nahe bevorzustehen. Dr. Gaßner, der Vorsitzendedes Gewerbegerichts, hat ein Statut ausgearbeitet, das die Grund-läge bilden soll.Danach hat das Arbeitsamt den Zweck, zwischen Arbeit-gebern und Arbeitnehmern(gewerblichen Arbeitern, Dienstbotenund Lehrlingen) Arbeit zu vermilteln und über alle die Arbeitenund Arbeitsverhältnisse berührende Fragen Auskunft zu er-theilen; außerdem ist das Arbeitsamt verpflichtet, dem städtischenstatistischen Bureau für Zwecke der Statistik über die Bewegungdes Arbeilsangebots und der Arbeitsnachfrage in den ver-schiedenen Gewerben und Jahreszeiten die gewünschten Mit-theilungen zu machen. Das Arbeitsamt soll unter der Leitungund Aussicht einer Kommission stehen, ivelche aus einem Vor-sitzenden, sechs Mitgliedern und vier Stellvertretern besteht. Fürjede Sitzung der Kommission erhalten die Mitglieder eine Ent-schädigung von 3 M. Das Arbeitsamt selbst besteht aus einermännlichen und einer weiblichen Abtheilung, der erfteren stehtein männlicher, der letzteren ein weiblicher Beamter vor. DieKosren der Errichtung und Unterhaltung des Arbeitsamtes sindvon der Stadt Mainz zu tragen, während die Arbeitsvermittlungunentgeltlich erfolgen soll.Staatliche Arbeiterfürsorge.„Ich kann Euch nicht ge-brauchen, Ihr seid mir zu alt."'Mit diesen Worten empfing einWerkmeister der k ö n i g l. Werft in W i l h e l m s h a v e n dieihm zugewiesenen Arbeiter. Wenn dergleichen in privatkapita-listischen Betrieben vorkommt, so ist das schon zu verurtheilen,wie vielmehr, wenn solche Harle Worte Arbeitern in Staatsbetriebenentgcgengeschleudert werden.Tie Arbeiter der Wild'schen Möbelfabrik in Neu-stadt a. d. Orla sind am 15. d. Mls. ausgesperrt worden,nachdem ihnen, wie wir bereits berichtet haben, am l. Novembergekündigt worden ist. Es sind 20 Mann, die sich nach wie voriveigern, eine Fabrikordnung zu unterschreiben, die ihre Rechteals Arbeiter beeinträchtigt. Sämmtliche Ausgesperrten gehörender Organisation an und ist deshalb nicht zu befürchten, daß siein ihrer Stellungnahme wankend werden. Wenn dafür gesorgtwird, daß Zuzug von Holzarbeitern von Neustadl a. d. Orlaferngehalten wird, so dürsten die Arbeiter es dahin bringeix, daßder Fabrikant der Fabrikordnung eine Fassung giebt, durchwelche die Arbeiter in ihren Freiheiten nicht beschränkt werden.Adresse: H. H o h l. Neustadt a. d. Orla, Orlagasse 121.Ein haarsträubender Fall von Nnternehmerwillkürwird von der„Sächsischen Arbeiter-Zeitung" erzählt, der sich inden Dresdener Glashüttenwerken vorm. Fr. Siemens zu-getragen hat: Mehreren Arbeiterinnen wurde neulich aufgetragen,sich Krankenscheine zu holen, und als sie erklärten, sie seien jagaruicht krank, wurde ihnen gesagt, sie hätten einfach zu thun,was ihnen befohlen würde. Gleich daraus wurden sie in dasKrankenkassenzimmer gerufen und was geschah hier? DieMädchen mußten sich vor dem Kassenarzte Dr. W. völlig entkleiden und sich von ihm auf angebliche Geschlechtskrankheitenuntersuchen lassen. Der Arzt führte zu seiner Entschuldigung an,die Vornahme der Untersuchung sei ihm befohlen worden. DieMädchen mußten gehorchen, so sehr sie sich auch dagegensträubten, und obwohl das eine erklärte, es befinde sich eben imUnwohlsein.„Ich bitte, machen Sie kein Aufhebens und lassenSie auch nach außen meinen Namen außer Spiel", sagte derHerr Doktor zu seiner Entschuldigung und wohl im Gefühl derUnzulässigkeit eines solchen Verfahrens.Angesichts dieser Notiz muß man sich fragen, ob man denneigentlich noch in D e u t s ch l a n d sich hefindct, oder ob wirnicht vielmehr in einem Lande lebe», wo die absoluteste Leib-eigenschaft herrscht.