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Das fehlte noch! In einer Betrachtung derPost" über die Behandlung der Militärvorlage im Reichstage finden sich die folgenden Sätze: Im allgemeinen ist es durchaus mit Freude zu begrüßen, wenn recht viele unserer Generale ins Parlament einziehen, um dort ihre militärische Sachkenntnis in den Dienst der nationalen Ausgaben zu stellen. So würde es zweifellos eine Bereicherung unseres parlamentarischen Lebens bedeuten, wenn z. B. General  v. Bernhardi, Generalleutnant v. Wrochem oder Generalmajor Keim das Hohe Haus am Königsplatz als erwählte Vertreter des deutschen   Volkes betreten würden und der Regierung manche wertvolle Anregung aus dem Schatze ihres militärischen Wissens und Könnens gäben. Hätte der Reichstag von jeher mehr Generale zu seinen Mitgliedern gezählt, so wäre vielleicht manche unzulängliche Heeresvorlage vermieden worden." Bor diesem Schicksal möge der Reichstag im Interesse der Steuerzahler bewahrt bleiben. Das Parlament darf kein Boden werden, auf dem tatendurstige Generale, auf deren fernere Dienste in der Armee verzichtet wurde, sich austoben können. Um den Reichsverbändler v. Wrochem oder gar den Wahlmacher des Fürsten Bülow, General   Keim in den Reichstag zu bringen, müßten die Konservativen schon ihre sichersten Kreise in Ostelbien zur Ber- fügung stellen. Forderungen zu stellen, ist Sache der Regierung, Aufgabe des Reichstages aber ist es, diese Forderungen in Ein- klang zu bringen mit den Interessen des Volkes. Die Prozent- Patrioten jedoch, die sich das kostspielige Vergnügen leisten, die Post" auszuhalten, möchten den Reichstag in eine militaristische Lmmierstube umgewandelt sehen. Ter antibachemitische Erzbischof. Am Mittwoch ist in Köln   der Nachfolger des Kardinals Fischer, der bisherige Bischof von Münster  , Dr. Felix v. Hartmann,inthronisiert" worden. DaS geschah mit dem üblichen Straßengepränge und den pomphaften Feierlich- leiten im Dom, aber auch mit den obligaten Straßen- absperrungen. Die Straße gehört dem Verkehr wenn es sich um Wahlrechtskundgebungen handelt! Uebrigens aber war die Anteilnahme der Einwohnerschaft weniger zahl- reich als bei den Vorgängern des neuen Kirchcnfürstcn. Die Zeiten und die Menschen sind ernster geworden. Hinzu aber kam, daß der neue Erzbischof in Köln   nur geringen Sympathien begegnet. Herr v. Hartmann ist dem Kölner   Metro- politankapitel aufgenötigt worden. Der bisherige Weih- bischof Dr. Müller sollte Kardinal Fischers Nachfolger werden; aber Dr. Müller ist bachemfreundlich, und deshalb hat Rom  befohlen, daß Felix v. Hartmann zu wählen sei. Die Frankfurter Zeitung  " schrieb auf Grund besonderer Jnfor- nmtionen nach der Erzbischofwahl, bei der Prokla- mation des Herrn v. Hartmann sei eineeisige Kälte" vorhanden gewesen:ein Knirschen ging durch die Reihen des Klerus; mit Murren, offenen Wrdcrreden empfing das Volk die Nachricht; man hatte den Eindruck, daß Köln   sich einer schweren Niederlage be- wüßt war." MitKöln  " meint das Blatt die Kölner   Richtung im Zentrum, deren Kandidat der Weihbischof war. Und in der Tat haben dieKölner  " in Herrn v. Hartmann einen ihrer un versöhnlich st en Widersacher, einen der schärfsten Moder nistenfeinde, einen Mann derer um Roeren und Oppersdorfs, auf die Nase gesetzt bekommen. HerrTrimborn gelobte bei dem Empfange dem neuen Erzbischofdas volle Maß des Gehorsams, den in dem lebendigen Organismus der Kirche die Glieder den Häuptern und Vorgesetzten schuldig sind". Dennoch werden die Bachemsten und M.'Gladbacher unter dem neuen Gebieter tun, was sie im Interesse ihrer politischen Herrschaft für ge- boten halten. Ohne Zweifel wird Herr v. Hartmann seinen bachemfeindlichen Instinkten nicht rücksichtlos die Zügel schießen lassen; aber auf Wohlwollen werden die Herren von der herrschenden Zentrumsrichtung bei ihm nicht zu rechnen haben. Man wird gegenseitig miteinander auszukommen suchen, bis die vorhandenen Gegensätze eines Tages doch aufeinander platzen werden. Krieg und Itandrecht. In Chemnitz   ericheint eineEinkäufer-Zeitung", Fachblatt für die Textil- und Nebenbranchen, das dem löbliche» Zwecke dient, die Ver- Bindung zwischen der Industrie und den ausländischen Einkäufern zu erleichtern. Daneben macht daS Blatt auch in blödsinniger Scharf- macherci. Aus dem Bericht über die Konjunktur ergibt sich, daß die einzelnen Textilbranchen mit Aufträgen geradezu überhäuft sind; die dadurch geschaffene Möglichkeit, höhere Preise zu fordern, wird von den Unternehmern voll ausgenützt. Weil aber auch die Arbeiter aus dieser günstigen Konjunktur Vorteil ziehen wollen, versteigt sich das Blatt zu folgender Raserei: Ja, wenn die Arbeiter dabei nur ihre Lohnverbältnisse ver- bessern wollten in einer der Marktlage entsprechenden Ausdehnung. hätte niemand etwas dagegen einzuwenden. Es handelt sich jetzt aber immer um Machtftagen der sozialdemokratischen Partei- leitimg, gan� gleichgültig, ob ein ausbrechender Streik den Arbeitern auch wirklich Nutzen oder nur unsagbaren Schaden bringen kann. Hier kann nur die Regierung einmal Aenderung schaffen, und am schnellsten würde ein Krieg die Lage ändern. Mit der Mobil- machung tritt das Standrecht in Kraft und allen Heyern und Schreiern wäre mit einem Male der Mund gestopft. Hinterher tteßen sich auch die Gesetze leicht so verschärfen, daß mit dem Humanitätsdusel bei unS auf einmal auf­geräumt wäre. Zu dieser Unverschämtheit haben sich noch nicht einmal die an« erkannten scharfmacherorgane aufgeschwungen. Gehaltszulage von 320 000 M. Der König von Württemberg   kommt mit seiner jetzigen Zivil- liste nicht mehr aus. Diese beträgt nach Kürschners   Siaalshaiidbuch für 19l2 auSichlteßlich der Apanagen von 76 874 M. zusammen 2 14Q 418 M. Nunmehr ist den würitembergifchen Ständen l Ersten Kammer) ein Getetzentwurf zugegangen, nach dem die Zivillifte um 3Sl) 000 M. jährlich erhöht wird. Die Vorlage wird mit der Stei- gerung der GeHalter der königlichen Beamten begründet. In den Fraktionen des Landtages sind bereits in den letzten Tagen ver- trauliche Verhandlungen über die Erledigung der Frage gepflogen worden. Aljo wird die Gehaltserhöhung sehr glatt durchgehen. Gesinnungsschnüffelei gegen Ausländer. Wie jüngst berichtet,'st im Nürnberger Gemeindekollegium von einem Sozialdemokraten nachgewiesen worden, daß in Akten von Ausländern, die um die«laatsangehörigkeit nachsuchen, der ein- gestempelte Vermerk entHallen ist:Hat sich j» der volitifchen Be­wegung nicht bemerkbar gemacht. Daraus ist zu schließen, daß bei solchen Gelegenheiten über die politische Gesinnung der Geiuchsteller Erhebungen angestellt werden. Da im Landtage vom Minister ver- neint wurde, daß solche Nachforlchungen von der Regierung an­geordnet seien, blieb nur die Annahme, daß der freisimiige Nürnberger Magistrat diese Schnüffelei aus Eigenem betreibe. Nun stellt dieSchwab. Volkszeitung" fest, daß auch in Augsburg   ein ähnliches Verfahren eingeschlagen wird, und zwar geschehen die Nachforschungen durch Schutzleute, die in den Wohnungen der Be- treffenden erscheinen, alles ausfragen, sogar die Bilder an den Wänden aufmerksam mustern und alles säuberlich notieren. Da diese Gesinnungsschnüffelei gleichzeitig in Nürnberg   und Augsburg  betrieben wird� bat entweder die bayerische   Regierung, trotz der ministeriellen Erklärungen, diese Bespitzelung durch einen Geheim- erlaß angeordnet, oder die liberalen Magistrate erniedrigen sich freiwillig zu diensteifrigen Schergen der bayerischen Zentrums- regierung.__ Ter empffudlichc Reichsverbaudsgeneral. DasBerliner Tageblatt" hatte Dienstag abend aus Anlaß der Bemerkungen, die Generalleutnant z. D. v..Liebert im Reichs­tage über das Eindringen vonFremdkörpern" in das Osfizierkorps gemacht hatte, ihm ein wenig den Text gelesen. Darüber scheint sich v. Liebert beleidigt zu fühlen, denn die ihm nahestehendePost" und dieTägliche Rundschau" berichten, daß Herr v. Liebert gegen dasTageblatt" die Beleidigungsklage anstrengen werde. DaSTageblatt" bemerkt dazu, daß es diesem Prozeß mit ganz besonderem Interesse engegensehe. Zum Schluß bemerkt das Blatt: Die beiden Blätter, die für Herrn v. Liebert eine so unbe- grenzte Sympathie hegen, behaupten, wir hätten Herrn v. Liebert verleumdet" und wir hätten eineFlut von Beichimpfungen" gegen ihn vorgebracht. Herr v. Liebert selbst wird gewiß gerechter empfinden er wird wissen, daß wir dieFlut" möglichst ein- gedämmt haben und schonend, rücksichtsvoll, diskret gewesen sind. Wir hätten, um nur eines zu erwähnen, auch sagen können, daß v. Liebert, Exzellenz und Mitglied der Reichspartei, am 1. Juni 1912 in seiner Eigenschaft als Aufsichtsraisvorsitzender der Afrika  - nischen Comvagme zur Herauszahlung zu viel er- haltener Tantiemen verurteilt worden ist, nachdem er sich in der Generalversammlung geweigert hatte, diese Tantiemen zurückzuerstatten. Aber wir haben diesen kleinen Borfall gar nicht erwähnt, weil wir nicht mehr als nötig eine Persönlichkeit kränken wollten, die einen so hohen militärischen Rang bekleidet, das Vertrauen der Reichspartei besitzt und bei allen, Patriotismen" undnationalen" Bestrebungen eine hervor- ragende Rolle spielt." Nach diesen Ausführungen darf man annehmen, daß der Prozeß ganz interessant wird.'_ Belgien  . Der friedliche Streik und die Vorbereitungen der Behörden. Unser Brüsseler Korrespondent meldet uns unterm 9. April: Wir haben wiederholt auf die Maßnahmen der Arbeiterpartei in Brüssel   und in den Industriezentren hingewiesen, die alle von den Sorgen und Bemühungen der Genössen zeugen, die Kongreßbeschlüsse, die einen friedlichen Streik gebieten, getreulich und mit dem Aufgebot aller Kräfte zu erfüllen. Wir haben neulich gemeldet, daß Unternehmer des Borinage, wo die temperamentvollen wallonischen Bergarbeiter hausen, militärischen Schutz für ihre Etablissements ablehnten. Heute bringt derPeuple  " die Nachricht, daß der Bürgermeister von C h a r l e r o i, das gleichfalls Sitz einer vieltausendköpfigen durch ihr forsches wallonisches Temperament bekannten Arbeiter- schaft ist, dem Gouverneur deS Hennegau   erklärt hat, daß er Vertraue  » in die Ordnungsmaßregeln des Streik- komitees habe und auf Gendarmerie, Militär und Bürgergarde derzeit verzichte. Der Bürgermeister hatte vorher Rücksprache mit den beiden an der Spitze stehenden Vertrauensmännern genommen und aus ihren Zusicherungen wie aus dem was er vor sich sieht sein Vertrauen geschöpft. Und der Bürgermeister einer Arbeiterstadt wird wohl einigermaßen seine Leute kennen. Trotzdem so auf jede Weise deullich wird, daß alle in mensch- licher Berechnung liegenden Garantien für eine friedliche Abwickelung des Streiks gegeben sind und Unruhen nur von außerhalb der Arbeiterschaft liegenden Elementen zu fürchten sind, die sich die Streikkomitees schon vom Halse zu halten wissen werden, zeigen gewisse Behörden eine außerordentliche Aengstlichkeit und Besorgnis. Sie mutet diesmal um so seltsamer an, weil eS sich nicht um einen Kampf gegen daS Unternehmertum handelt das ja sonst immer zu beschützen ist und dieses auch keine Besorgnis zeigt. Einzelne Industrielle, Bürgerliche   werden im Gegenteil für die Unterstützung des Streiks insofern sorgen, als sie die Kinder der Streikenden versorgen oder für deren Unterhalt Summen spenden. ES gibt liberale Streikkomitees und liberale Vereinigungen, und diese gut bürgerlichen Organisationen sorgen in verschiedener Weiie für die künftigen Streikenden, die zu ihrer Partei gehören. Der ehemalige Bürgermeister Brüssels  , Charles B u l s, ein aufrechter Mann und bekannter Kämpfer für den obligatorischen Schulunterricht, hat dem Streik- komitee eine größere Summe zugeschickt, ebenso wie Solvay  , der für Kultur« und BildungSzwccke immer eine offene Hand hat. Ein liberales bürgerliches Blatt spendet 100 000 Fr. wöchentlich für den Streik. ES scheint nach all dem, daß eS sich bei der großen Arbeits- niederlegung vom 14. April nicht um eine Revolution, um einen Kamps gegen die Gesellschaftsordnung an und für sich, nicht um einen Coup gegen das Baterland und die Monarchie, sondern eben ganz einfach um einen gesetzlichen, friedlichen, minutiös vorbereiteten, wohlorgamsierten Generalstreik, und um den Kampf für das g l e i ch e politische Recht handelt. Dieses gleiche Recht wird aber von der eben herrschenden klerikalen Partei verweigert, aii deren Spitze der Kriegs- minister v. B r o q u e v i l l e steht. Es ist also der Klerikalismus z u schützen, und daher die Nervosität der Herren, ihr Eifer, Belgien   bei diesem friedlichetr Streik mit Gendarmerie, Militär und Biirgergarde zu durchsetzen, in einen förmlichen Belagerungszustand zu versetzen. Heutige ZeitungS- Nachrichten melden von diesen Absichten, Truppen nach allen Seiten zu senden. Da sollen je zwei Kompagnien nach Marchiennes und Jumet, eine nach Roux, Courcelles, Chatelineau, Gilly, Couillet   u. a. in der Provinz Hennegau   abmarschieren. Für Gent   sollGwds civique', Bürgergarde, für Montag einberufen werden. Nach La Louviäre Centre sollen Sonnlag Truppen abgehen, überhaupt sollen für für den Centre strenge Maßnohmen der Regierung in Vorbereitung sein. Di« Eisenbahnen sind schon angewiesen, um die Truppen raschest zu befördern. Für Limal sollen einer Meldung zufolge 3000 Soldaten und SOO Pferde in Aussicht genommen sein. Das sind so einige Maßnahmen der Behörden, um auf ihre Weise die Bevölkerung z»beruhigen". England. Die Wahlrechtsvorlage. London  , 9. April. sEig. Ber.) Einen elenden Wechselbalg nannte ein konservativer Redner die Wahlrechtsvorlage, die gestern von der Regierung eingebracht und in erster Lesung mit 303 gegen 177 Stimmen angenommen wurde. Die Vorlage, die die Plural- Wähler abschaffen wird, ist alles, was von der großen Wahlrechts- vorläge des letzten Jahres, deren Annahme einigen Millionen Ar- beitern das Wahlrecht verschafft haben würde, übrig geblieben ist. Sie ist ftüh genug eingebracht worden, um den Schutz des Parla- mettisgesetzes zu genießen und über die Köpfe der Lords hinweg in zwei Jahren Gesetzeskraft zu erlangen. Die weitere Wahl- reform werden sich die Liberalen als Köder für die nächsten all- gemeinen Parlameniswahleir aufbewahren. Wie erinnerlich sein wird, mußte die große Wablrcform Ende Januar aufgegeben wer- den, weil der Speaker die Frauenstimmrechtsamendements und ge- wisse Rcgierungsamendements für unzulässig erklärte. Die fetzige Vorlage bezweckt nur, den Wählern, die auf Grund ihres Eigen- iums in verschiedenen Wahlkreisen wählen können, die Ausübung ihres Wahlrechts bei einer allgemeinen ParlamfcUstoahl in mehr als einem Wahlkreis bei Strafe zu verbieten. Als Höchstmaß der Strafe ist eine Geldbuße von 200 Pfund Sterling oder zwei Jahre Gefängnis mit Verlust des Wählrechtes auf sieben Jahre und des Rechts, ösfentliche Aemter zu bekleiden, festgesetzt. Die Pluralwähler spielen in der englischen Politik eine wich- tige Rolle. Da in Großbritannien   die Wahlen nicht alle am selben Tage stattfinden, ist es unter Umständen einem reichen Manne, dessen Name in zwanzig oder mehr Wahlkreisen auf d« Wähler­liste steht, möglich, in ebenso vielen Kreisen seine Stimme abzu- geben. Den Pluralwählern sollen die Konservativen in 80 oder 40 Kreisen den Sieg verdanken. Die liberale Partei, die nach große Arbcitermassen hinter sich hat, hat weit mehr Nachteile als Vorteile von dem bestehenden System. Am schwersten aber trifft die Ungerechtigkeit der Einrichtung die Arbeiterpartei, die in einigen Kreisen nur wegen der importierten Pluralivähler stets einen harten Stand hat und nach de Abschaffung der Pluralwähler eine Reihe industrieller Wahlkreise holen könnte. Es ist daher begreif­lich, daß die große Mehrheit der Arbeiterparteiler für die Regie- rungsvorlage stimmte, obwohl der letzte Parteitag der Arbeiter- Partei, wie der der I. L. P., eine Resolution angenommen hat, in der die parlamentarischen Vertreter der Arbeiter aufgefordert werden, gegen jede Wahlreform zu stimmen, die die Frauen nicht einschließt. Nur drei Arbeiterparteiler, die Genossen Keir Hardie  , Snowden und O'Grady, stimmten gegen die erste Lesung. Es ist genau so gekommen, wie wir in einem früheren Bericht voraus- gesagt haben. Die Parlamentsmitglieder haben sich um die in einer ritterlichen Stimmung gefaßten Resolution nicht gekümmert, ohne jedoch deshalb die Interessen der Arbeiterschaft und der Frauen insbesondere zu verletzen. Denn es ist nicht einzusehen, welchen Nachteil dem Fraucnstimmrecht dadurch erwachsen soll, daß man für ein Gesetz stimmt, das die dem Fraucnstimmrecht meist feindlich gesinnten Kreise zugunsten derer schivächt, auf die sich die Frauen verlassen können. Huö der Partei. Aus den Organisationen. Ter Sozialdemokratische Verein für den Bezirk Lübeck  hielt am Dienstag seine Generalversammlung ab, in' welcher der Jahresbericht für das 9 Monate umfassende Geschäfts- jähr 1912/13 erstattet wurde. Dem Bericht ist zu entnehmen, daß sich die Mitglicderzahl von 0440 aus 5801, also um 3bö, erhöht hat. Die Zahl der weiblichen Mitglieder betrug 720. Die Zabl der Abonnenten desLübecker Volksboten" stieg um 900. Der Agita- tion dienten 32 Volksversammlungen sowie die Verbreitung des monatlich erscheinendenLandarbeiters" in insgesamt 25 000 Exemplaren, 4500 Agitationskalendern, 71 000 Flugblättern und 8000 Broschüren. Eine erfreuliche EntWickelung hat die freie Jugendbewegung genommen, der im verflossenen Jahre in Lübeck  ein eigenes Heim geschaffen wurde. Auf dem Gebiete des Bil- dungstvesens, das durch einen besonderen Arbeirerbildungsverein und den Bezirksbildungsausschuß für Mecklenburg  -Lübeck  , dessen Sitz Lübeck   ist, gepflegt wird, sind gleichfalls schöne Erfolge erzielt worden. Die von der Partei und dem GewerkschastSkartell gemein- sam ins Leben gerufene Kinderschutzkommission hat zur Abstellung mancherlei Mißstände beigetragen, welche die Beschäftigung Jugendlicher im Gefolge hatte. Die Einnahmen beliefen sich aus 26 601,10 M., die Ausgaben auf 15 823,71 M.. so daß am Schluß des Geschäftsjahres ein Kassenbestand von 10 777,45 M. vorhanden war. Im Bezirk bestanden 9 Ortsgruppen. Ter bisherige Bezirks- vorstand wurde wiedergewählt. Vorsitzender ist Genosse P. L   ö w i g t, Kassierer und Parteisekretär Genosse W. Bramme. Opfer der Pharisäermorak. Am Freitag und Sonnabend fand vor der Strafkammer in Karlsruhe   ein Prozeß gegen den Genossen Arbeitersekretär und Landtagsabgeordneten Willi und dessen Frau wegen Kuppelei statt. Beiden wurde zur Last gelegt, es geduldet zu haben, daß ihre minderjährige Tochter Klara von August 1909 bis Juni 1912 mit dem Vcrsicherungsbcamten Jung, ihrem jetzigen Manne, in der elterlichen Wohnung intimen Verkehr unterhielt; daß ferner ihr Sohn Ludwig, ebenfalls in der Wohnung der Familie Willi, längere Zeit vor seiner im Juli 1910 eingetretenen Volljährigkeit und noch später mit einein jungen Mädchen in nahe Beziehungen trat. Das Gericht erkannte gegen Willi auf drei Monate, gegen dessen Ehefrau auf fünf Monate Gefängnis. An der Strafe der Eheftau Willi kommen vier Monate Untcrsuchungs- Haft in Abzug. Abgeordneter Willi, der in der-Zweiten Kammer den Kreis Karlsruhe Stadt II vertritt, war, als vor einigen Wochen das Strafverfahren gegen ihn eingeleitet wurde, vom Landesvorstand der badischen Sozialdemokratie aufgefordert worden, sein Mandat als Landtagsabgeordnetcr für alle Fälle niederzulegen, hatte sich aber geweigert, dieser Aufforderung Folge zu leisten, da er jede Schuld an den ihm zur Last gelegten Dingen bestritt. AuS den Zeugenaussagen ging hervor, daß Genosse Willi mehrfach euer- aisch wegen der Vorkommnisse, die seine Frau auf die Bitten der Kinder immer wieder duldete, seiner Familie aufgetreten ist und mehrfach mit Verlassen des Hauses und mit Scheidung gedroht hat. Willi war durch seine vielseitige Tätigkeit als Arbeitersekretär, Abgeordneter, Mitglied des Bürgeransschusses und Versammlungs- redner naturgemäß sehr oft bis spät in der Nacht von Hause ab- wesend und deshalb nicht in der Lage, seinen eindringlichen Mäh- nungen an Frau und Kindern jenen Nachdruck verleihen zu können, c>en er selbst gewünscht hat. Unserem Mannheilster Parteiblatt wird zu der Angelegenheit noch geschrieben, daß gegen den Spruch der dortigen Strafkammer Revision eingelegt worden ist. Nach Lage der Sache war selbst in juristischen Kreisen allgemein die Freisprechung deS Angeklagten erwartet wordeK, Willj hatte sich ursprünglich, obwohl er sich keines- Wegs schuldig fühlte, auch bereit erklärt, sein Landtagsmandat niederzulegen, nachdem die Anklage gegen sein« Frau auf ihn au� gedehnt worden war. hatte es dann aber in Uebereinstimmung mit der Auffassung der Karlsruher   Parteileitung unterlassen, als dieser von juristischer Seite bestätigt wurde, daß keinerlei belastendes Material gegen ihn vorliege. Die Verhandlung vor der Straf- kammer ergab in allen Punkten die Richtigkeit der Darstellung Willis, dessen Verurteilung auch in juristischen Kreisen allaemein überraschte, Wir möchten dem noch hinzufügen, daß der Kuppeleiparagravh, auf Grund dessen hier die Verurteilung erfolgte, der juristische Niederschlag einer durch und durch pharisäischen Gesevschaftsmoral ist. Das gleiche gilt auch von der Anwendung des Paragraphen. Eine bürgerliche Gesellschaft, die die Prostitlitian gleichsam als ..gottgewollte" Einridstung hinnimmt; eine Gesellschaft, auf deren Moralkonto zahllose Kindermorde. Selbstmorde und Verbrechen usw. fällen, versteckt sich hinter eine Buchstabengerechtigkeit, die einzelne arme Schacher hart angreist, zahllose andere aber, besonders auf den Höhen des Lebens, frei laufen läßt-