Das fehlte noch!In einer Betrachtung der„Post" über die Behandlung derMilitärvorlage im Reichstage finden sich die folgenden Sätze:„Im allgemeinen ist es durchaus mit Freude zu begrüßen,wenn recht viele unserer Generale ins Parlament einziehen, umdort ihre militärische Sachkenntnis in den Dienst der nationalenAusgaben zu stellen. So würde es zweifellos eine Bereicherungunseres parlamentarischen Lebens bedeuten, wenn z. B. Generalv. Bernhardi, Generalleutnant v. Wrochem oder GeneralmajorKeim das Hohe Haus am Königsplatz als erwählte Vertreter desdeutschen Volkes betreten würden und der Regierung manchewertvolle Anregung aus dem Schatze ihres militärischen Wissensund Könnens gäben. Hätte der Reichstag von jeher mehrGenerale zu seinen Mitgliedern gezählt, so wäre vielleicht mancheunzulängliche Heeresvorlage vermieden worden."Bor diesem Schicksal möge der Reichstag im Interesse derSteuerzahler bewahrt bleiben. Das Parlament darf kein Bodenwerden, auf dem tatendurstige Generale, auf deren fernere Dienstein der Armee verzichtet wurde, sich austoben können. Um denReichsverbändler v. Wrochem oder gar den Wahlmacher des FürstenBülow, General Keim in den Reichstag zu bringen, müßten dieKonservativen schon ihre sichersten Kreise in Ostelbien zur Ber-fügung stellen. Forderungen zu stellen, ist Sache der Regierung,Aufgabe des Reichstages aber ist es, diese Forderungen in Ein-klang zu bringen mit den Interessen des Volkes. Die Prozent-Patrioten jedoch, die sich das kostspielige Vergnügen leisten, die„Post" auszuhalten, möchten den Reichstag in eine militaristischeLmmierstube umgewandelt sehen.Ter antibachemitische Erzbischof.Am Mittwoch ist in Köln der Nachfolger des KardinalsFischer, der bisherige Bischof von Münster, Dr. Felixv. Hartmann,„inthronisiert" worden. DaS geschah mitdem üblichen Straßengepränge und den pomphaften Feierlich-leiten im Dom, aber auch mit den obligaten Straßen-absperrungen. Die Straße gehört dem Verkehr— wenn essich um Wahlrechtskundgebungen handelt! Uebrigens aberwar die Anteilnahme der Einwohnerschaft weniger zahl-reich als bei den Vorgängern des neuen Kirchcnfürstcn.Die Zeiten und die Menschen sind ernster geworden.Hinzu aber kam, daß der neue Erzbischof in Köln nur geringenSympathien begegnet. Herr v. Hartmann ist dem Kölner Metro-politankapitel aufgenötigt worden. Der bisherige Weih-bischof Dr. Müller sollte Kardinal Fischers Nachfolger werden;aber Dr. Müller ist bachemfreundlich, und deshalb hat Rombefohlen, daß Felix v. Hartmann zu wählen sei. Die„Frankfurter Zeitung" schrieb auf Grund besonderer Jnfor-nmtionen nach der Erzbischofwahl, bei der Prokla-mation des Herrn v. Hartmann sei eine„eisige Kälte"vorhanden gewesen:„ein Knirschen ging durch dieReihen des Klerus; mit Murren, offenenWrdcrreden empfing das Volk die Nachricht; man hatteden Eindruck, daß Köln sich einer schweren Niederlage be-wüßt war."Mit„Köln" meint das Blatt die Kölner Richtungim Zentrum, deren Kandidat der Weihbischof war. Undin der Tat haben die„Kölner" in Herrn v. Hartmann einenihrer un versöhnlich st en Widersacher, einen derschärfsten Moder nistenfeinde, einen Mann dererum Roeren und Oppersdorfs, auf die Nase gesetzt bekommen.HerrTrimborn gelobte bei dem Empfange dem neuenErzbischof„das volle Maß des Gehorsams, den in demlebendigen Organismus der Kirche die Glieder den Häupternund Vorgesetzten schuldig sind". Dennoch werden dieBachemsten und M.'Gladbacher unter dem neuen Gebietertun, was sie im Interesse ihrer politischen Herrschaft für ge-boten halten. Ohne Zweifel wird Herr v. Hartmann seinenbachemfeindlichen Instinkten nicht rücksichtlos die Zügel schießenlassen; aber auf Wohlwollen werden die Herren von derherrschenden Zentrumsrichtung bei ihm nicht zu rechnen haben.Man wird gegenseitig miteinander auszukommen suchen, bisdie vorhandenen Gegensätze eines Tages doch aufeinanderplatzen werden.Krieg und Itandrecht.In Chemnitz ericheint eine„Einkäufer-Zeitung", Fachblatt fürdie Textil- und Nebenbranchen, das dem löbliche» Zwecke dient, die Ver-Bindung zwischen der Industrie und den ausländischen Einkäufern zuerleichtern. Daneben macht daS Blatt auch in blödsinniger Scharf-macherci. Aus dem Bericht über die Konjunktur ergibt sich, daß dieeinzelnen Textilbranchen mit Aufträgen geradezu überhäuft sind; diedadurch geschaffene Möglichkeit, höhere Preise zu fordern, wird vonden Unternehmern voll ausgenützt. Weil aber auch die Arbeiter ausdieser günstigen Konjunktur Vorteil ziehen wollen, versteigt sich dasBlatt zu folgender Raserei:Ja, wenn die Arbeiter dabei nur ihre Lohnverbältnisse ver-bessern wollten in einer der Marktlage entsprechenden Ausdehnung.hätte niemand etwas dagegen einzuwenden. Es handelt sich jetztaber immer um Machtftagen der sozialdemokratischen Partei-leitimg, gan� gleichgültig, ob ein ausbrechender Streik den Arbeiternauch wirklich Nutzen oder nur unsagbaren Schaden bringen kann.Hier kann nur die Regierung einmal Aenderung schaffen, und amschnellsten würde ein Krieg die Lage ändern. Mit der Mobil-machung tritt das Standrecht in Kraft und allen Heyernund Schreiern wäre mit einem Male der Mund gestopft. Hinterhertteßen sich auch die Gesetze leicht so verschärfen, daß mit demHumanitätsdusel bei unS auf einmal aufgeräumt wäre.Zu dieser Unverschämtheit haben sich noch nicht einmal die an«erkannten scharfmacherorgane aufgeschwungen.Gehaltszulage von 320 000 M.Der König von Württemberg kommt mit seiner jetzigen Zivil-liste nicht mehr aus. Diese beträgt nach Kürschners Siaalshaiidbuchfür 19l2 auSichlteßlich der Apanagen von 76 874 M. zusammen2 14Q 418 M. Nunmehr ist den würitembergifchen Ständen l ErstenKammer) ein Getetzentwurf zugegangen, nach dem die Zivillifte um3Sl) 000 M. jährlich erhöht wird. Die Vorlage wird mit der Stei-gerung der GeHalter der königlichen Beamten begründet. In denFraktionen des Landtages � sind bereits in den letzten Tagen ver-trauliche Verhandlungen über die Erledigung der Frage gepflogenworden. Aljo wird die Gehaltserhöhung sehr glatt durchgehen.Gesinnungsschnüffelei gegen Ausländer.Wie jüngst berichtet,'st im Nürnberger Gemeindekollegium voneinem Sozialdemokraten nachgewiesen worden, daß in Akten vonAusländern, die um die«laatsangehörigkeit nachsuchen, der ein-gestempelte Vermerk entHallen ist:„Hat sich j» der volitifchen Bewegung nicht bemerkbar gemacht. Daraus ist zu schließen, daß beisolchen Gelegenheiten über die politische Gesinnung der GeiuchstellerErhebungen angestellt werden. Da im Landtage vom Minister ver-neint wurde, daß solche Nachforlchungen von der Regierung angeordnet seien, blieb nur die Annahme, daß der freisimiigeNürnberger Magistrat diese Schnüffelei aus Eigenem betreibe.Nun stellt die„Schwab. Volkszeitung" fest, daß auch in Augsburg einähnliches Verfahren eingeschlagen wird, und zwar geschehen dieNachforschungen durch Schutzleute, die in den Wohnungen der Be-treffenden erscheinen, alles ausfragen, sogar die Bilder an denWänden aufmerksam mustern und alles säuberlich notieren. Dadiese Gesinnungsschnüffelei gleichzeitig in Nürnberg und Augsburgbetrieben wird� bat entweder die bayerische Regierung, trotz derministeriellen Erklärungen, diese Bespitzelung durch einen Geheim-erlaß angeordnet, oder die liberalen Magistrate erniedrigen sichfreiwillig zu diensteifrigen Schergen der bayerischen Zentrums-regierung.__Ter empffudlichc Reichsverbaudsgeneral.Das„Berliner Tageblatt" hatte Dienstag abend aus Anlaßder Bemerkungen, die Generalleutnant z. D. v..Liebert im Reichstage über das Eindringen von„Fremdkörpern" in das Osfizierkorpsgemacht hatte, ihm ein wenig den Text gelesen. Darüber scheint sichv. Liebert beleidigt zu fühlen, denn die ihm nahestehende„Post"und die„Tägliche Rundschau" berichten, daß Herr v. Liebert gegendas„Tageblatt" die Beleidigungsklage anstrengen werde.DaS„Tageblatt" bemerkt dazu, daß es diesem Prozeß mitganz besonderem Interesse engegensehe. Zum Schluß bemerkt dasBlatt:„Die beiden Blätter, die für Herrn v. Liebert eine so unbe-grenzte Sympathie hegen, behaupten, wir hätten Herrn v. Liebert„verleumdet" und wir hätten eine„Flut von Beichimpfungen"gegen ihn vorgebracht. Herr v. Liebert selbst wird gewiß gerechterempfinden— er wird wissen, daß wir die„Flut" möglichst ein-gedämmt haben und schonend, rücksichtsvoll, diskret gewesen sind.Wir hätten, um nur eines zu erwähnen, auch sagen können, daßv. Liebert, Exzellenz und Mitglied der Reichspartei, am 1. Juni1912 in seiner Eigenschaft als Aufsichtsraisvorsitzender der Afrika-nischen Comvagme zur Herauszahlung zu viel er-haltener Tantiemen verurteilt worden ist, nachdemer sich in der Generalversammlung geweigert hatte,diese Tantiemen zurückzuerstatten. Aber wir haben diesen kleinenBorfall gar nicht erwähnt, weil wir nicht mehr als nötig einePersönlichkeit kränken wollten, die einen so hohen militärischenRang bekleidet, das Vertrauen der Reichspartei besitzt und beiallen, Patriotismen" und„nationalen" Bestrebungen eine hervor-ragende Rolle spielt."Nach diesen Ausführungen darf man annehmen, daß der Prozeßganz interessant wird.'_Belgien.Der friedliche Streik und die Vorbereitungen der Behörden.Unser Brüsseler Korrespondent meldet uns unterm 9. April:Wir haben wiederholt auf die Maßnahmen der Arbeiterpartei inBrüssel und in den Industriezentren hingewiesen, die alle von denSorgen und Bemühungen der Genössen zeugen, die Kongreßbeschlüsse,die einen friedlichen Streik gebieten, getreulich und mit demAufgebot aller Kräfte zu erfüllen. Wir haben neulich gemeldet, daßUnternehmer des Borinage, wo die temperamentvollenwallonischen Bergarbeiter hausen, militärischenSchutz für ihre Etablissements ablehnten. Heute bringtder„Peuple" die Nachricht, daß der Bürgermeister vonC h a r l e r o i, das gleichfalls Sitz einer vieltausendköpfigendurch ihr forsches wallonisches Temperament bekannten Arbeiter-schaft ist, dem Gouverneur deS Hennegau erklärt hat, daßer Vertraue» in die Ordnungsmaßregeln des Streik-komitees habe und auf Gendarmerie, Militärund Bürgergarde derzeit verzichte. Der Bürgermeisterhatte vorher Rücksprache mit den beiden an der Spitze stehendenVertrauensmännern genommen und aus ihren Zusicherungen wieaus dem was er vor sich sieht sein Vertrauen geschöpft. Und derBürgermeister einer Arbeiterstadt wird wohl einigermaßen seineLeute kennen.Trotzdem so auf jede Weise deullich wird, daß alle in mensch-licher Berechnung liegenden Garantien für eine friedliche Abwickelungdes Streiks gegeben sind und Unruhen nur von außerhalb derArbeiterschaft liegenden Elementen zu fürchten sind, die sich dieStreikkomitees schon vom Halse zu halten wissen werden, zeigengewisse Behörden eine außerordentliche Aengstlichkeit undBesorgnis. Sie mutet diesmal um so seltsamer an, weil eS sichnicht um einen Kampf gegen daS Unternehmertum handelt— das ja sonst immer zu beschützen ist— und dieses auch keineBesorgnis zeigt. Einzelne Industrielle, Bürgerliche werden imGegenteil für die Unterstützung des Streiks insofern sorgen, als siedie Kinder der Streikenden versorgen oder für deren UnterhaltSummen spenden. ES gibt liberale Streikkomitees und liberaleVereinigungen, und diese gut bürgerlichen Organisationensorgen in verschiedener Weiie für die künftigen Streikenden, die zuihrer Partei gehören. Der ehemalige BürgermeisterBrüssels, Charles B u l s, ein aufrechter Mann und bekannterKämpfer für den obligatorischen Schulunterricht, hat dem Streik-komitee eine größere Summe zugeschickt, ebenso wie Solvay, der fürKultur« und BildungSzwccke immer eine offene Hand hat. Einliberales bürgerliches Blatt spendet 100 000 Fr. wöchentlich fürden Streik.ES scheint nach all dem, daß eS sich bei der großen Arbeits-niederlegung vom 14. April nicht um eine Revolution, um einenKamps gegen die Gesellschaftsordnung an und für sich, nicht umeinen Coup gegen das Baterland und die Monarchie, sondern ebenganz einfach um einen gesetzlichen, friedlichen, minutiösvorbereiteten, wohlorgamsierten Generalstreik, und um den Kampffür das g l e i ch e politische Recht handelt. Dieses gleicheRecht wird aber von der eben herrschenden klerikalenPartei verweigert, aii deren Spitze der— Kriegs-minister v. B r o q u e v i l l e steht. Es ist also der—Klerikalismus z u schützen, und daher die Nervosität derHerren, ihr Eifer, Belgien bei diesem friedlichetr Streik mitGendarmerie, Militär und Biirgergarde zu durchsetzen, in einenförmlichen Belagerungszustand zu versetzen. Heutige ZeitungS-Nachrichten melden von diesen Absichten, Truppen nachallen Seiten zu senden. Da sollen je zweiKompagnien nach Marchiennes und Jumet, eine nach Roux,Courcelles, Chatelineau, Gilly, Couillet u. a. in derProvinz Hennegau abmarschieren. Für Gent soll„Gwds civique',Bürgergarde, für Montag einberufen werden. Nach La LouviäreCentre sollen Sonnlag Truppen abgehen, überhaupt sollen fürfür den Centre strenge Maßnohmen der Regierung in Vorbereitungsein. Di« Eisenbahnen sind schon angewiesen, um die Truppenraschest zu befördern. Für Limal sollen einer Meldung zufolge 3000Soldaten und SOO Pferde in Aussicht genommen sein.Das sind so einige Maßnahmen der Behörden, um auf ihreWeise die Bevölkerung z»—„beruhigen".England.Die Wahlrechtsvorlage.London, 9. April. sEig. Ber.) Einen elenden Wechselbalgnannte ein konservativer Redner die Wahlrechtsvorlage, die gesternvon der Regierung eingebracht und in erster Lesung mit 303 gegen177 Stimmen angenommen wurde. Die Vorlage, die die Plural-Wähler abschaffen wird, ist alles, was von der großen Wahlrechts-vorläge des letzten Jahres, deren Annahme einigen Millionen Ar-beitern das Wahlrecht verschafft haben würde, übrig geblieben ist.Sie ist ftüh genug eingebracht worden, um den Schutz des Parla-mettisgesetzes zu genießen und über die Köpfe der Lords hinwegin zwei Jahren Gesetzeskraft zu erlangen. Die weitere Wahl-reform werden sich die Liberalen als Köder für die nächsten all-gemeinen Parlameniswahleir aufbewahren. Wie erinnerlich seinwird, mußte die große Wablrcform Ende Januar aufgegeben wer-den, weil der Speaker die Frauenstimmrechtsamendements und ge-wisse Rcgierungsamendements für unzulässig erklärte. Die fetzigeVorlage bezweckt nur, den Wählern, die auf Grund ihres Eigen-iums in verschiedenen Wahlkreisen wählen können, die Ausübungihres Wahlrechts bei einer allgemeinen ParlamfcUstoahl in mehrals einem Wahlkreis bei Strafe zu verbieten. Als Höchstmaß derStrafe ist eine Geldbuße von 200 Pfund Sterling oder zwei JahreGefängnis mit Verlust des Wählrechtes auf sieben Jahre und desRechts, ösfentliche Aemter zu bekleiden, festgesetzt.Die Pluralwähler spielen in der englischen Politik eine wich-tige Rolle. Da in Großbritannien die Wahlen nicht alle am selbenTage stattfinden, ist es unter Umständen einem reichen Manne,dessen Name in zwanzig oder mehr Wahlkreisen auf d« Wählerliste steht, möglich, in ebenso vielen Kreisen seine Stimme abzu-geben. Den Pluralwählern sollen die Konservativen in 80 oder40 Kreisen den Sieg verdanken. Die liberale Partei, die nachgroße Arbcitermassen hinter sich hat, hat weit mehr Nachteile alsVorteile von dem bestehenden System. Am schwersten aber trifftdie Ungerechtigkeit der Einrichtung die Arbeiterpartei, die in einigenKreisen nur wegen der importierten Pluralivähler stets einenharten Stand hat und nach de Abschaffung der Pluralwähler eineReihe industrieller Wahlkreise holen könnte. Es ist daher begreiflich, daß die große Mehrheit der Arbeiterparteiler für die Regie-rungsvorlage stimmte, obwohl der letzte Parteitag der Arbeiter-Partei, wie der der I. L. P., eine Resolution angenommen hat, inder die parlamentarischen Vertreter der Arbeiter aufgefordertwerden, gegen jede Wahlreform zu stimmen, die die Frauen nichteinschließt. Nur drei Arbeiterparteiler, die Genossen Keir Hardie,Snowden und O'Grady, stimmten gegen die erste Lesung. Es istgenau so gekommen, wie wir in einem früheren Bericht voraus-gesagt haben. Die Parlamentsmitglieder haben sich um die ineiner ritterlichen Stimmung gefaßten Resolution nicht gekümmert,ohne jedoch deshalb die Interessen der Arbeiterschaft und derFrauen insbesondere zu verletzen. Denn es ist nicht einzusehen,welchen Nachteil dem Fraucnstimmrecht dadurch erwachsen soll, daßman für ein Gesetz stimmt, das die dem Fraucnstimmrecht meistfeindlich gesinnten Kreise zugunsten derer schivächt, auf die sich dieFrauen verlassen können.Huö der Partei.Aus den Organisationen.Ter Sozialdemokratische Verein für den Bezirk Lübeckhielt am Dienstag seine Generalversammlung ab, in' welcherder Jahresbericht für das 9 Monate umfassende Geschäfts-jähr 1912/13 erstattet wurde. Dem Bericht ist zu entnehmen, daßsich die Mitglicderzahl von 0440 aus 5801, also um 3bö, erhöht hat.Die Zahl der weiblichen Mitglieder betrug 720. Die Zabl derAbonnenten des„Lübecker Volksboten" stieg um 900. Der Agita-tion dienten 32 Volksversammlungen sowie die Verbreitung desmonatlich erscheinenden„Landarbeiters" in insgesamt 25 000Exemplaren, 4500 Agitationskalendern, 71 000 Flugblättern und8000 Broschüren. Eine erfreuliche EntWickelung hat die freieJugendbewegung genommen, der im verflossenen Jahre in Lübeckein eigenes Heim geschaffen wurde. Auf dem Gebiete des Bil-dungstvesens, das durch einen besonderen Arbeirerbildungsvereinund den Bezirksbildungsausschuß für Mecklenburg-Lübeck, dessenSitz Lübeck ist, gepflegt wird, sind gleichfalls schöne Erfolge erzieltworden. Die von der Partei und dem GewerkschastSkartell gemein-sam ins Leben gerufene Kinderschutzkommission hat zur Abstellungmancherlei Mißstände beigetragen, welche die BeschäftigungJugendlicher im Gefolge hatte. Die Einnahmen beliefen sich aus26 601,10 M., die Ausgaben auf 15 823,71 M.. so daß am Schlußdes Geschäftsjahres ein Kassenbestand von 10 777,45 M. vorhandenwar. Im Bezirk bestanden 9 Ortsgruppen. Ter bisherige Bezirks-vorstand wurde wiedergewählt. Vorsitzender ist Genosse P. L ö w i g t,Kassierer und Parteisekretär Genosse W. Bramme.Opfer der Pharisäermorak.Am Freitag und Sonnabend fand vor der Strafkammer inKarlsruhe ein Prozeß gegen den Genossen Arbeitersekretär undLandtagsabgeordneten Willi und dessen Frau wegen Kuppeleistatt. Beiden wurde zur Last gelegt, es geduldet zu haben, daßihre minderjährige Tochter Klara von August 1909 bis Juni 1912mit dem Vcrsicherungsbcamten Jung, ihrem jetzigen Manne, inder elterlichen Wohnung intimen Verkehr unterhielt; daß fernerihr Sohn Ludwig, ebenfalls in der Wohnung der Familie Willi,längere Zeit vor seiner im Juli 1910 eingetretenen Volljährigkeitund noch später mit einein jungen Mädchen in nahe Beziehungentrat.— Das Gericht erkannte gegen Willi auf drei Monate,gegen dessen Ehefrau auf fünf Monate Gefängnis. Ander Strafe der Eheftau Willi kommen vier Monate Untcrsuchungs-Haft in Abzug.Abgeordneter Willi, der in der-Zweiten Kammer den KreisKarlsruhe Stadt II vertritt, war, als vor einigen Wochen dasStrafverfahren gegen ihn eingeleitet wurde, vom Landesvorstandder badischen Sozialdemokratie aufgefordert worden, sein Mandatals Landtagsabgeordnetcr für alle Fälle niederzulegen, hatte sichaber geweigert, dieser Aufforderung Folge zu leisten, da er jedeSchuld an den ihm zur Last gelegten Dingen bestritt. AuS denZeugenaussagen ging hervor, daß Genosse Willi mehrfach euer-aisch wegen der Vorkommnisse, die seine Frau auf die Bitten derKinder immer wieder duldete, seiner Familie aufgetreten istund mehrfach mit Verlassen des Hauses und mit Scheidung gedrohthat. Willi war durch seine vielseitige Tätigkeit als Arbeitersekretär,Abgeordneter, Mitglied des Bürgeransschusses und Versammlungs-redner naturgemäß sehr oft bis spät in der Nacht von Hause ab-wesend und deshalb nicht in der Lage, seinen eindringlichen Mäh-nungen an Frau und Kindern jenen Nachdruck verleihen zu können,c>en er selbst gewünscht hat.Unserem Mannheilster Parteiblatt wird zu der Angelegenheitnoch geschrieben, daß gegen den Spruch der dortigen StrafkammerRevision eingelegt worden ist. Nach Lage der Sache war selbst injuristischen Kreisen allgemein die Freisprechung deS Angeklagtenerwartet wordeK, Willj hatte sich ursprünglich, obwohl er sich keines-Wegs schuldig fühlte, auch bereit erklärt, sein Landtagsmandatniederzulegen, nachdem die Anklage gegen sein« Frau auf ihn au�gedehnt worden war. hatte es dann aber in Uebereinstimmung mitder Auffassung der Karlsruher Parteileitung unterlassen, als dieservon juristischer Seite bestätigt wurde, daß keinerlei belastendesMaterial gegen ihn vorliege. Die Verhandlung vor der Straf-kammer ergab in allen Punkten die Richtigkeit der DarstellungWillis, dessen Verurteilung auch in juristischen Kreisen allaemeinüberraschte,Wir möchten dem noch hinzufügen, daß der Kuppeleiparagravh,auf Grund dessen hier die Verurteilung erfolgte, der juristischeNiederschlag einer durch und durch pharisäischen Gesevschaftsmoralist. Das gleiche gilt auch von der Anwendung des Paragraphen.Eine bürgerliche Gesellschaft, die die Prostitlitian gleichsam als..gottgewollte" Einridstung hinnimmt; eine Gesellschaft, auf derenMoralkonto zahllose Kindermorde. Selbstmorde und Verbrechen usw.fällen, versteckt sich hinter eine Buchstabengerechtigkeit, die einzelnearme Schacher hart angreist, zahllose andere aber, besonders aufden Höhen des Lebens, frei laufen läßt-