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Beilage zumVorwärts" Berliner Volksblatt. Kr. 285. Dienstag, den 5. Dezember 1893. 10. Jahrg. Vnrlmtrenksverichke. Deutscher Reichstag . 12. Sitzung vom 4. Dezember 1833. 2 U Hr. Am Tische des Vundesraths: von Bötticher, von Heyden. Eingegangen sind die Uebersicht der Ergebnisse des Heeres- erganzungs-Geschäfts und ein Uebereinkominen mit der Schweiz , betr. den Patent», Marken- und Musterschutz. Auf der Tagesordnung steht zunächst die erste Berathung des Gesetzes betr. die Aenderung über den Unterstützungswohnsitz und die Ergänzung des Strafgesetzbuches. Abg. G reist(Z.) weist darauf hm, daß diese Vorlage bereits früher einer Koinmission überwiesen ist. welche darüber einen ausführlichen Bericht erstattet hat; Redner bespricht kurz die einzelnen Aenderungen, welche die Kommission vorgeiiommen habe, und weist darauf hin, daß die Vorlage sie meist berück- sichtigt habe. Er beantragt, die Vorlage wiederum einer Kom Mission von 2i Mitgliedern zu überweisen. Abg. Brühne(Soz.): Die sozialpolitische Gesetzgebung hat nicht in dem erwarteten Maße die aus sie gesetzten Hoffnungen erfüllt. Die Verwaltungskosten sind besonders bei der Unfall- Versicherung sehr groß. Nach der amtlichen Statistik wurden im Jahre IS9l zirka 26 026 000 M. als Entschädigung an die von Unfällen betroffenen Arbeiter gezahlt, die Berwaltungskosten be- trugen ca. S 333 000 M. Das weist dringend auf die Ver- besseruug des berufsgeuossenschastlichen Apparates hin, welche die Rerchsregierung bereits im vorigen Jahre versprochen hat, indem sie die Zusage machte, sich mit einer Abänderung des Beruss- genossenschastS-Gesetzes befassen zu wollen. Nach einer Statistik aus dem Jahre 1887 gab es in diesem einen Jahre 1 592 086 Personen, die gezwungen waren, die öffentliche Armenunterstützung in Anspruch zu nehmen. Es wurde» an sie ausbezahlt zirka 32 525 000 Mark. Wer mit der Armenpsiege zu thut hat, weiß, daß in dieser Beziehung niemals zu viel gezahlt wird, sondern meist zu wenig. Man kann auch sehr oft die Erfahrung machen, daß in vielen Fällen neben dem Arbeitslohn noch Armenunterstützung gezahlt werden muß. So wandte sich der Inhaber eines großen kauf- männischen Geschäftes in Frankfurt a. M. an den Vorsitzenden der Armenkommission mit der Bitte, seinem Auslaufer eine Armenunterstützung zu gewähren. Derselbe habe Familie, sechs kleine Kinder, und nur 16 M. Wochenlohn, womit er unmöglich auskommen könne. Diese Unverschämtheit ist in der That zu bewundern. Solche Fälle, welche durchaus nicht so vereinzelt vorkommen, müssen unmöglich gemacht werden. Mit dem Unter- stützungswohnsitz-Gesetz hat man sich im Reichstage schon mehrere Male beschäftigt, so 1886 aus Anlaß einer Petition, welche ver- langte, daß das Unterstützungsivohnsitz-Gesetz, wie es heute in Norddeutschland besteht, auch auf Elsaß -Lolhringen und Bayern ausgedehnt werde. Die elsässtschen Abgeordneten sprachen sich damals gegen diese Ausdehnung aus, weil die ganze Armenpflege in Elsaß- Lothringen durch Wohlthätigkeics� vereine in befriedigender Weise geregelt und kein Be dürfniß vorhanden sei, das Gesetz auf Elsaß-Lothringen aus� zudehnen. Ich weiß nicht, ob die Abgeordneten aus Elsaß > Lothringen noch dieselbe Meinung haben, denn die dortigen Verhältnisse sind in sozialer B-ziehung betrübend genug. Die- selben ungünstigen Verhältnisse haben wir auch in Bayern . In Bayern muß man erst das sogenannte Bürgergeld zahlen, ehe man heimathsberechtigt ist. und es dauert ost 56 Monate, ehe man das Geld erschwingen kann. Deshalb muß dieses Gesetz auch auf Bayern und Elsaß- Lothringen ausgedehnt werden. Durch die Vorlage wird ja eine bedeutende Besserung geschaffen, da jeder vom 13. Lebensjahre ab Unterstützungswohnsitz haben soll. Bedenklich ist uns der in der Vorlage enthaltene Zusatz zu Z 361 des Strafgesetzbuchs, wonach jeder, der sich der Unter- haltunßspflicht seiner Angehörigen entzieht und dadurch die öffentliche Unterstützung nölhig macht, ohne weitres strafbar sein soll. Hier muß jedenfalls eine bestimmte Grenze gezogen werden. Prinzipiell sind wir der Ansicht, daß die Lasten der Armenpflege aus das Reich zu übernehmen sind. In der Kommission werden wir unsere Grundsätze in dieser Sache vertreten. Abg. Osann(ntl.) schließt sich der letzteren Anregung an, weil die jetzigen Verhältnisse nicht mehr erträglich seien, da zeder Unterstützungswohnsitzbedürslige von Elsaß-Lothringen schleunigst abgeschoben und seinem Schicksal überlassen werde. Auf die einzelnen Fragen könnte man wohl am besten in der Kommission eingehen. Staatssekretär v. Bötticher: Der Wunsch, daß das Gesetz auch auf Elsaß-Lothringen ausgedehnt werde, wird von ver- schiedenen Seiten getheilt, auch von den verbündeten Regierunge». Prinzipielle Bedenken stehen dieser Ausdehnung nicht entgegen, aber die Regierung der Reichslande wünschte diesen Schritt erst iihne. G e r h a r t Haupti Frei« Volksbühne. T erhart Haupt in ann's vieb unlstrittenes SchauspielDie Weber " ist am Sonntag Nach mittag endlich auch in derFreien Volksbühne " gegeben worden. Im Februar dieses Jahres wurde es zuerst m dem VereinFreie Bühne" aufgeführt, der wieder einmal den Ver- mittler zwischen Dichter und Publikum machen mußte, weil die Zensur die vomDeutschen Theater" geplante Aufführung des Stückes verboten halte. Auf diesen kleinen Kreis, der zumeist aus Literaten und Literatursreunden, daneben aus des Nerven- kitzels bedürfenden Geldprotzen und allerlei anderen Mitmachern männlichen und weiblichen Geschlechts besteht und daher nicht eigentlich gut alsPublikum" gelten kann, hat das Stück damals einen starken Eindruck gemacht. Nachher ist, mieden meisten Lesern noch erinnerlich sein wird, in einem durch mehrere I»- stanzen getriebenen Streit dem Dichter des alsvrdnungsgefähr- lich" erachteten Schauspiels das Recht erkämpft worden, wenig- stens zum Publikum desDeutschen Theaters" zu sprechen. Das Berwallungsgericht hatte seine Bestätigung des vom Polizei- Präsidenten erlassenen Verbotes mit den Worten begründet:Da hier in Berlin die Zahl der Arbeitslosen ständig zu- nimmt, da ferner notorisch hier viele Sozialdemokraten und viele mit ihrem Schicksale zerfallenen Menschen leben, so liegt die'Gefahr der Aufreizung bei einer Aufführung derWeber" ans einem hiesigen Theater nahe, denn vor einem Publikum von der erwähnten Art genügt es, daß das Stück einen deutlichen Hinweis aus Gewalt und Thät- lichkeiten als Mittel zur Beseitigung der Nöthe des Lebens ent­hält." Vor deni Oberverwaltungsgericht(vgl.Vorwärts" Nr. 232, 3. Oktober 1833, Gerichts-Zeitung) wies"der Vertreter Haupt- mann's, der Rechtsanwalt Grelling, unter anderm darauf hin, daß die Arbeitslosen nicht in dasDeutsche Theater", in welchem der billigste Platz eine Mark kostet, zu gehen pflegten, und daß die Sozialdemokraten die Borstellung ernes solchen Stückes in ihren der Zensur der Polizei nicht unterstehendenFreien Volks- kühnen" bequemer hätten. Und das Gericht entschied, daß die Weber" für dasDeutsche Theater" in Rücksicht auf das Publikum dieses Theaters freizugeben seien. Das Oberverwaltungsgericht und derVerlheidiger" des nach Erledigung der Verwaltungs-Organisation und der Steuer­gesetzgebung geihan zu sehen. Was die Ausdehnung auf Bayern anlangt, so kommen hier die prinzipiellen Gegensätze zum Aus- druck. Da Bayern im Besitz eines Reservalrechts ist und also ein entscheidendes Wort mitzusprechen hat, kann ich nicht in Aussicht stellen, daß in Bälde das Gesetz auf Bayern ausgedehnt wird. Daß die Heimathgemeinde einen Unterstützten übernimmt, ist nicht blos bayerische Gesetzgebung, sondern kommt auch im Geltungsbereich des Unterstützungswohnsitzes vor; eine solche Be- stiimnung liegt im Interesse der Gemeinde, welche die Unter- stützung zu zahlen hat; eine Landgemeinde kommt besser weg, wenn sie selbst die Armenversorgung übernimmt, als wenn sie einer Stadt die hohen Unterstützungsgelder vergütet. Daß der- jenige, der zum Unterhalt seiner Angehörigen im stände ist, auch dazu angehalten wird, sollte selbst bei der Sozialdemokratie keinen Widerstand finden. Abg. v. Holleuffer(Dk.) erklärt das Einverständniß seiner Freunde mit der Vorlage, welche die markantesten Schäden be- seitige. Eine grundsätzliche Aenderung des Unterstützungswohnsitz- Gesetzes werde von keiner Seite jetzt gewünscht. Die Vorlage will die Erwerbung des Unterstützungswohnsitz-Gesetzes niit dem vollendeten 13. Lebensjahre beginnen; den wirklichen Verhält- nissen entsprechend würde es sein, wenn man dafür das 16. Lebensjahr setzte(Zustimmung rechts), denn die wirthschaft- liche Selbständigkeit beginne eigentlich schon mit der Kon- firmation. Abg. Dr. Bockel(Antis.) spricht die Zustimmung seiner Freunde zur Vorlage aus. Auf die Wirksamkeit der Arbeiter- Versicherung lege ich keinen so großen Werth, wie die Regierung; sie erfüllt durchaus nicht ihre Aufgabe, weil sie viel zu sehr bureaukratisch gchandhabt wird. Meine Freunde sind der Mei- nnng, daß mit den liberalen Traditionen endgiltig gebrochen werden muß, namentlich mit der Freizügigkeit. Die Arbeiter in den Städten schreien nach Arbeit, die Arbeitgeber auf dem Laude schreien nach Arbeitern. Diese Zustände können nicht erhalten werden; es muß an die Stelle der schrankenlosen wirthschaft- lichen Freiheit die wirthschaftliche Ordnung gesetzt werden. Abg. Gamp(3ip.) hofft, daß das Gesetz baldigst mit großer Mehrheit zur Annahme gelangen wird; erwünscht, daß die von der Kommission beschlossene Bestimmung, wonach nach vollende- lem 60. Lebensjahr ein neuer Unterstützungswohnsitz nicht mehr erworben werden kann, wieder aufgenommen wird, weil dadurch den ländlichen Gemeinden eine große Wohlthat er- wiesen wird. Staatssekretär v. Bötticher: Dieser Wunsch des Vorredners wird doch nicht überall in den ländlichen Kreisen getheilt wer- den. Wann hört die Arbeitsfähigkeit auf? Dieser Zeitpunkt tritt zu sehr verschiedenen Zeiten ei». Man müßte einen Unterschied inachen zwischen ländlichen und Fabrikarbeitern; die elfteren be- halten ihre Arbeitskrast viel länger als die letzteren. Man würde durch die Festsetzung einer solchen Grenze das Abschieben der dieser Grenze sich nähernden Personen befördern; gerade die Arbeiter aus den Städten würden auf das Land abgeschoben werden, sobald sie alt und arbeitsunfähig werden. Abg. Schröder(srs. Vg.): Alle Parteien des Hauses sind darüber einverstanden, daß die Vorlage nur die greisbarsten Mißstände beseitigen soll. Abg. v. Marqnardsen(natl.) Ich bedauere, daß der frühere wackere Vertheidiger der bayerischen Reservatrechte, Herr v. Psetten nicht mehr den, Reichstage angehört; dieses Reservat- recht muß unangetastet bleiben. Abg. Winterer(Elsasser): Die Vorbedingungen für die Ausdehnung des Unterstützungswohnsitz- Gesetzes auf Elsaß- Lothringen , die Verwaltungsorganisation und Steuergesetzgebung sind noch nicht gegeben. 'Abg. Schädler(Z.) erhebt Widerspruch dagegen, daß an die Beseitigung des bayerischen Reservatrechts gedacht wird. Abg. v. Gültliuaeil(R.-P.): Es ist ein Jrrthum, daß die Vorlage im vorigen Reichstage auf alle» Seiten Anklang ge- funden hat; der leider verstorbene Abg. v. Hornstein hat leb- haften Widerspruch dagegen erhoben. Die Vorlage bringt manche Verbesserungen, aber sie werden alle aufgehoben durch die Herab- setzung der Altersgrenze für die Erwerbung des Unterstüyungs- Wohnsitzes. Für die Süddeutschen ist das Gesetz unannehmbar. Abg. Atolkenbuhr(Soz.): Es ist eine seltsame Er- scheinung, daß gerade dieses Gesetz von allen Seiten als ab- änderungsbedürftig erkannt wird; namentlich die Herren aus den östlichen Provinzen wollen dadurch die armen Landgemeinden entlasten Aber diese Entlastung kann doch nur dadurch er- folgen, daß man die oft auch sehr armen Jndustriegemeinden belastet. Daher müssen wir erwägen, ob nicht die Lasten gleich- mäßig vertheilt werden können, nicht nur auf Land- und Jndustriegemeinden, sondern auch auf die Gemeinden, die so gut wie gar keine Armenlast haben. Das ist nur durch eine voll- ständige Reform des Armenwesens durchzuführen. Merkwürdiger Stückes hatten Recht. Zu den Besuchern desDeutschen Theaters" können weder die Arbeitslosen noch überhaupt die Arbeiter- bcvölkerung ein großes Kontingent stellen. Demjenigen Publikum, auf das allein die Dichtung auch durch ihren Stoff wirken kann, blieb sie daher nach wie vor versagt. Zwischen dem Dichter und diesem Publikum mußten also in der That dieFreien Bolls- bühnen" den Vermittler machen. Ter VereinNeue Freie Volksbühne" hat dieWeber" vor kurzem bereits gegeben; aber die Wirkung soll dort, bürgerlichen Blättern zufolge, nur gering gewesen sein. Wir sind nicht in der Lage, zu beurthcilen, ob und wie weit diese Behauptung zutrifft. Viel- leicht verdankt sie ihre Entstehung nur dem Umstände, daß die bürgerliche Klasse, durch das Verbot des Stückes veranlaßt, einen tobenden Ausbruch leidenschaftlicher Begeisterung, einen tumult- artigen, wüsten Beifallssturm, eine Art Theaterfkandal erwartet halte. Davon ist natürlich auch bei der vorgestrigen ersten Auf- führung in derFreien Volksbühne " nichts zu merken gewesen. Ein Narr auch, wer etwa dergleichen erwartet hatte! Aber nach dem persönlichen Empfinden des Schreibers dieser Zeilen hat das Hauptmaun'sche Schauspiel vom Weberelend an dieser Ställe einen Erfolg davongetragen, wie bisher kein anderes Stück in derFreien Volksbühne ". DieFreie Volksbühne " hat am Sonntag ihren größen Ehrentag gehabt, und die Bemerkung der Vereins-MonatsfchriftDie Volksbühne", daß schon um dieses einen Stückes willen die Gründung des Vereins sich gelohnt haben würde, ist durch die Aufführung in vollem Maße bestätigt worden. Die Handlung des Stückes ist bald erzählt. In dem üblichen Sinne des Wortes hat das Stück eigentlich kaum eine rechte .Handlung". Die darbenden schlesischen Weber das Stück .pieltin den vierziger Jahren", genauer: 1844 gelangen zum Bewußtsein ihrer elenden Lage, erheben sich gegen die sie aus- beutenden Fabrikanten, verjagen diese, demoliren ihre Wohnungen und Fabriken und werden durch die Flintenkugeln des zu Hilfe gerufenen Militärs in ihre Hungerlöcher zurückgeschreckt. Wenn man den BegriffHandlung" in dem weiteren Sinne faßt, den uns die moderne Dramenliteratur und vor allem Hauptmann gelehrt hat, dann hat das Stück«ine Handlung, die so reich und !>ewegt ist, wie die irgend eines anderen Dramas. Der Spektakel, den die tumultuirmden Weber verüben, macht die Handlung aller- Weise wollen die Herren auf der Rechten heute gesetzlich an- erkannt wissen, daß die wirthschaftliche Selbständigkeit der Ar- beiter bereits mit dem 13. Lebensjahre eintritt; vor wenigen Jahren bei der Gewerbe-Ordnung begann für sie die wrrlh- schaftliche Selbständigkeit der Arbeiter erst mit dem 21. Lebens- jähr. Es ist ein Uebelstand, daß Arbeiter nur deshalb abge- schoben werden, weil sie eventuell einmal verarmen und den Unterstützungswohnsitz erwerben könnten. Auch Dienstboten läßt man deshalb nicht zwei Jahre lang an einem und dem- selben Ort. In Baden soll die Verwaltung des Fürsten von Fürstenberg diese Praxis gegen die Dienstboten verfolgen. Dadurch kommen die Leute gerade recht bald dazu, die Armen- pflege in Anspruch nehmen zu müssen, die sonst noch auf Jahre hinaus davor bewahrt wären. Man will erst die volle Wwk- samkeit der Versicherungsgesetzgebung abwarten, ehe man das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz völlig revidirt. Hätte man beim Kranken- und beim Unfallversicherungs-Gesetz nach unseren Anträgen die Versicherung bedeutend weiter ausgedehnt und die Unterstlltzungsdauer auf ein ganzes Jahr erstreckt, so wäre die Armenpflege wesentlich entlastet worden. Die Armenpflege muß auf breitere Schultern gelegt werden, es ist zu erwägen, ob nicht eine staatliche oder Reichsorganisation eintreten soll. Für die Abänderung des Strafgesetzbuches in Verbindung mit diesem Gesetz können wir uns nicht erwärmen. Zwar versuchte der Staatssekretär uns zu belehren, daß wir eigentlich für diese Be- stimmung eintreten müßten, aber so wohlgemeint dieser Rath war, wir können ihn nicht befolgen; was wir thun wollen, setzen wir auf unseren Parteitagen fest.(Abg. Singer: Herr v. Bötticher kann ja mal hinkommen!) Der Z 361 Str.- G.- B. bestraft bereits den, der durch Spiel, Trunksucht«. seine Familie der öffentlichen Unterstützung anheimfallen läßt, und solche Spieler können in das Korrektionshans gesperrt werden. Jetzt soll diese Einsperrung auch erfolgen können, wenn jemand seine Anverwandten nicht unterstützt, nachdem er dazu aufgefordert ist; es heißt zwar:obwohl er dazu in der Lage ist", aber das ist doch ein sehr dehnbarer Begriff. Ein Handwerker, der im Sommer gut verdient, kann z. B. augenblicklich in der Lage sein, seine Eltern zu unterstützen, gäbe er aber das Geld dafür aus, so würde er im Winter mit seiner eigenen Familie die Armen- pflege in Anspruch nehmen müssen. Solchen Kautschuk- Paragraphen können wir niemals zustimmen. Und wie weit geht denn die Alimentationspflicht? Das wird in verschiedenen Landestheilen ganz verschieden beurtheilt und steht gesetzlich keineswegs fest. Auf so dehnbare Begriffe hin darf man Nie- wanden zur Korrektionshaft verurtheilen, zumal das Korrektions- Haus nicht dazu angethan ist, die Leute zu bessern. Wer dort gewesen ist, ist in den meisten Fällen nicht mehr zu gebrauchen; die Leute werden dort erst zu Vagabunden und sinken mehr und mehr herab. Wir werden also gegen diese Bestimmung stimmen. Damit schließt die Diskussion; die Vorlage wird einer Kom- Mission von 21 Mitgliedern überwiesen. Es folgt die erste Berathung der Novelle zum Gesetz über die Abwehr und Unterdrückung von Vieh- se u ch en. Abg. Pinge»(Z.) glaubt, daß die bestehenden gesetzlichen Vorschriften, wenn sie nur strenge durchgeführt würden, aus- reichend seien. Abg. Kruse(ntl.) spricht seine Befriedigung darüber aus, daß die Ausführung des Gesetzes in Zukunft der Ueberwachung des Reichskanzlers unterliegen soll. Abg. Conrad(Z.) hält es für zweckmäßig, daß die Nach- richten über die Ausdehnung der Viehseuchen möglichst allgemein hekannt gemacht werden, damit die Viehhändler in solchen Gegenden, wo die Seuche herrscht, nicht einkaufen. Die Seuche ist von auswärts gekommen. Besonders groß ist die Gefahr gegen Rußland , wo immer Seuchen vorhanden sind; darauf wird beim Abschluß eines Handelsvertrages mit Rußland besonders geachtet werden.. Abg. Klose(Z.) wünscht, daß die Versicherungs- und Ent- schädigungspsticht für Schweine und Rindvieh, bei letzteren auch gegen Tuberkulose in diesem Gesetze durchgeführt wird. Preußischer Landwirthschaftsminister v. Heyden: Der Maul- und Klauenseuche wird dadurch vorgebeugt werden können, daß auch die Viehställe der Viehhändler unter Kontrolle gestellt werden. Eine Zwangsversicherung einzuführen, könnte man ruhig der Landesgesetzgebung überlassen. Die Versicherung gegen Tuber- kulose des Rindviehs ist noch nicht spruchreif. Ich hoffe, daß das Gesetz möglichst rasch verabschiedet wird, denn es zeigen sich Anzeichen, daß in Oberschlesien und in den östlichen Theilen Preußens ein erneuter Ausbruch der Maul- und Klauenseuche bevorsteht.. Abg. Humann(Z.) bemängelt die gnmge Zahl der Thierärzte., Abg. Böckel(Antis.): Die Vorlage enthält manches Brauck bare» aber auch manches Bedenkliche. Man sollte sich in«rsi dings nicht ans. Wenn dieser erplosionsähnlich ausflamme' Ausstand überhaupt den NamenRevolution" verdient, so ka »ur von einer geistigen Revolution die Rede sein. Wie die in der dumpf und stumpf hinbrütenden Weberbevölkerung er. langsam anglimmt und dann rasch zu Heller Lohe entfacht wird, diese Handlung läßt der Dichter in einer Fülle seelischen Ge- schehens vor uns sich aufrollen. Er unterscheidet im Personenverzcichniß des 1. Aktes eine Fabrikantengruppe" und eineWebergruppe". Diese Scheidung geht deutlich durch das ganze Stück. Zur Fabri- kantengruppe, in deren Mittelpunkt der Parchend- Fabrikant Dreißiger steht, sind auch diejenigen zu rechnen, welche zwar selber nicht viel zu beißen haben, aber doch mit dem Fabrikanten- thum marschiren, also vor allem die nach oben hin demüthigen, nach unten hin hochmüthigen Angestellten Dreißiger's, ferner alle, die sonst irgendwie von der be- sitzenden Klasse wirthschaftlich abhängig sind, weiter selbst- verständlich der Pastor und endlich, ebenso selbstverständlich, auch die Polizei. Zur Webergruppe, in deren Mittelpunkt der alteWebermeister" Baumert steht, gehören alle, welche darben müssen, oder richtiger: alle, welche einsehen, daß und warum sie und andere darben müssen. Der Dichter hat nämlich zwischen diese beiden Gruppen zahlreiche Zwischen- glieder gestellt. Nicht zur Webergruppe gehört z. B. der alte, fromme Weber Hilfe, der mit Gott für König und Vaterland hungert und sich im Jenseits reichen Ersatz für die Leiden deö Diesseits erhofft. Nicht zur Fabrikantengruppe gehört der Haus- lehrer von Dreißiger's Jungen, Kandidat W e i n h o l d, der in all dem Glanz des Fabrikantenhauses das Verständniß für die elenden Tage der Wever nicht eingebüßt hat und auch den Muth besitzt, dem Brotherrn gegenüber seinen Standpunkt zu vertreten. Zur Webergruppe gehört der ehemalige Weber, der jetzt eben vom Militärdienst in Berlin in sein Heimathsdors zurückkehrende Moritz Jäger, dem es selber augenblicklich gut geht, der aber die Weber über Umfang und Ursache ihres Elendes aus- klärt. Zur Fabrikantengruppe gehört der ehemalige Weber und jetzige Expedient Pfeifer, der nun, da es ihm besser geht. dem Dreißiger die Weber schinden hilft. Diese mannigsachen Fäden, welche sich zwischen den beiden Gruppen hinüber und herüber schlingen, gestalten das Gesammtbild ungemein