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Nr. 286.

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Berliner   Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW.19, Beuth- Straße 2.

Das Schächten der Hubertussau.

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Mittwoch, den 6. Dezember 1893. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

des Schächtverbots gekommen sein, wir haben bei Prüfung Mit vegetarischer Rost, unter Zuhilfenahme von Giern, der Frage uns nur davon leiten zu laffen, ob wirklich Milch, Fischen und Geflügel könnten aber rechtgläubige fittliche Gründe gegen ein solches Schlachtverfahren sprechen Juden, die dem Genuß von geschächtetem Fleisch wider­und ob nicht andererseits dessen Verbot sich als eine schwere streben, sich vollauf ernähren. Sie würden allerdings Die Antisemiten des Deutschen Reichstages haben, an Ungerechtigkeit darstellt. Zur Beurtheilung der Frage, ob einen Genuß entbehren müssen, den sie glauben, geftachelt durch den Erfolg, den die Bewegung in der wirklich die jüdische Schlachtmethode grausamer ist, als das sich nur durch ein der Volksmoral als unsittlich geltendes Schweiz   gegen das Schächten erzielt hat, einen Antrag auf Schlachten mit der Schlachtmaste, fühlen wir uns nun aller- Mittel verschaffen zu dürfen. Regelung des Schlachtwesens eingebracht, deffen ausges dings ebensowig befähigt wie die Gesammtheit der Anti­Aber zu dieser Anschauung ist die Volksmoral ebenso­sprochener Zweck es ist, für die Zukunft das Schächten nach semiten des Reichstages, einschließlich des christlich- sozialen wenig gekommen, wie die Wissenschaft bisher festgestellt hat, jüdischem Ritus zu verhindern. Sie berufen sich darauf, Sofprebigers a. D. Stöder. Die einzigen Autoritäten, die wenig gekommen, wie die Wissenschaft bisher festgestellt hat, daß dieses Schlachtverfahren quälerischer ist, als dasjenige, wir zur Entscheidung dieser Frage anerkennen können, sind daß das Schächten schmerzerregender sei, als das Schlachten mit der Schlachtmaste. Der beste Beweis dafür liegt in das durch die Anwendung der Schlachtmaste ermöglicht wird. Männer der Wissenschaft, Mediziner, Anatomen. Aus diesem der Gleichgiltigkeit der öffentlichen Moral gegen das Ferkel­Es ist zweifellos eine Sache der Menschlichkeit, den Lager sind nun bisher immer noch verschiedenartige Ant stechen, Maleschinden und das Beßen von Hirschen, Hasen zu erleichtern. Die Menschen werden glücklicherweise von Schächtverbot abgegeben, andere, und das sehr gewichtige weit grausamer sind als das Schächten. Wenn deshalb sich Todestampf der zur Nahrung bestimmten Thiere möglichst worten ertheilt worden, einige haben ihr Gutachten für das stechen, Maleschinden und das Heßen von Hirschen, Hafen und Sauen, Tödtungsmethoden, die doch sammt und sonders Jahrhundert zu Jahrhundert feinfühliger in dieser Hinsicht. Autoritäten, erklären das Schächten für nicht schmerzreicher, die Antisemiten ein Recht erwerben wollen, gegen das Das Mitgefühl mit den Mitgeschöpfen, das in Indien   be- als das Tödten mit der Schlachtmaske. Für uns, wie für Schächten ein gesegliches Einschreiten zu veranlassen, so reits durch den Buddhismus   zu den äußersten Ronse   alle unbefangenen Leute erscheint deshalb die Frage noch mögen sie erst Gefeßentwürfe gegen jene quälerischen Thier­quenzen gekommen ist, so daß ein frommer Hindu es feineswegs spruchreif, und also ein Einschreiten des Staates mögen sie erst Gesezentwürfe gegen jene quälerischen Thier­tödtungsmethoden einbringen. Das Ferkelstechen wird zwar als Sünde betrachtet, ein Thier überhaupt zu nicht rechtfertigend. durch die Form der antisemitischen Schlachtregelung gleich­tödten, ist in Europa   bei Weitem noch nicht so Doch nehmen wir einmal an, es sei erwiesen, daß start entwickelt. Sehr verschieden in der Ausbildung das Schächten dem Thiere mehr Schmerzen verursacht, falls getroffen. Wie aber steht es z. B. mit der Sauhatz? des Mitgefühls mit Thieren zeigen sich da die ein also grausamer ist, als das Tödten mit der Schlachtmaste, Wird auch der antisemitische Antrag zum Gesetz er-. zelnen Länder. Weichherziger, dem Verständniß für Thier- oder auch irgend eine andere noch sicherer den Tod herbei hoben, so werden doch nach wie vor auch die Edelsten der leiden und Thierfreuden zugänglicher sind die Nord- führende Schlachtmethode, die später entdeckt werden könnte. Nation mit dem aus dem Mittelalter überkommenen bar­Europäer, empfindungsloser die Südländer. In weiten Wie liegt die Frage dann? Bon orthodox- jüdischer Seite barischen Vergnügen einer Sauhat sich verlustigen können. Kreisen, in deutschen   sowohl wie in anderen Kulturländern, wird geltend gemacht, daß das Schächtverbot auf eine Die Sauhat nimint im allgemeinen folgenden Verlauf: In hat der Abschen vor der Thiertödtung bereits dahin geführt, Religionsstörung, eine Gewissensbeeinträchtigung hinaus einem Gehege werden ein Dußend Wildsanen gehalten; naht daß die Thierfreunde sich aus ethischen, nicht aus Ge- kommen würde, daß es also unter feinen Umständen er die Zeit der Schweinehas, dann wird beim Futtern ein Keiler schmacksrücksichten, des Fleischgenusses völlig enthalten und lassen werden dürfte, auch dann nicht, wenn das eingefangen, gefesselt und auf den Rücken geworfen. Dann der vegetarischen Lebensweise sich zuwenden. Schächten schmerzerregender sei, als irgend eine andere werden ihm die beiden gefährlichen Haner abgesägt und Schlachtmethode. Dieses Argument geht indeß von einer rund gefeilt, was, wie jedermann bezeugen muß, der ein­falschen Voranssehung aus. Es seht voraus, daß das Schächten mal in die Hände von Zahnärzten gerieth, sicher nicht zu ein integrirender Bestandtheil der jüdischen Religion sei den Annehmlichke iten des Lebens zu rechnen ist, für unver­etwa wie das Abendmahl zu den Religionsübungen der nünftige Wildsch weine ebenso wenig, wie für vernünftige christlichen Kirchen gehöre. Nun schreiben aber nicht die Menschen. So der Möglichkeit beraubt, sich ernstlich zu jüdischen Religionsbücher vor, daß von Zeit zu Zeit, oder wehren und seinen hündischen und menschlichen Gegnern den Die Antisemiten wollen nun nicht dem Schlachten der bei bestimmten feierlichen Gelegenheiten, ein Thier ge- Bauch aufzuschlitzen, wird der Keiler bis zum Jagdtage in Thiere überhaupt, sondern nur einem bestimmten Schlacht schächtet werden muß, damit die ganze Gemeinde, die dieser engem Gewahrsam gehalten. Sind die Sportsleute verfahren ein Ende bereiten. Der Gedanke ist ihnen aus- erhebenden Handlung zuschaut, oder die einzelnen Gläubigen, Pferde und die buntscheckige Jagdmente zu Fuß erschienen, gesprochenermaßen gekommen während ihres Kampfes gegen welche von dem geschächteten Fleisch essen, einen dann läßt man den Keiler los ins Freie hinein; er erhält das Judenthum. Als sie nach allerhand Fehlern und Ver- größeren Anspruch auf Heiligkeit oder Seligkeit haben, einen kurzen Vorsprung und dann jagen Jäger und brechen der Juden eifrig Umschau hielten, stießen sie auch die jüdischen Religionsvorschriften besagen nur, der gläubige Meute hinter ihm her über Stock und Stein, durch Wasser, auf das Schächten, und da riefen sie: siehe da, das ist auch Jude solle kein anderes Fleisch essen, es sei denn geschächtetes. Wald und Feld, mit Hussassa und Horrido! bis er schließlich so ein luwesen, das dem Judenthum anhaftet, so ein Sie ge bieten ihm nicht das Essen von geschächtetem Fleisch, von der Meute gefaßt und gedeckt" wird. Die Hunde barbarischer Brauch, durch den es sich absondert von den sie ver bieten ihm nur den Genuß ungeschächteten Fleisches. verbeißen sich in ihm, so daß er sich nicht mehr von der germanischen Christen! Laßt uns suchen, ob wir nicht Es kann Jemand der rechtgläubigste, sittlichste Jude sein Stelle rühren kann. Wer nun von den Jägern zuerst wissenschaftliche oder fittliche Gründe dagegen zusammen sein lebelang, ohne je einen Happen geschächteten Fleisches am Blaze ist, hat dann die Ehre, sich an tlauben tönnen! Und da sie die wissenschaftlichen und fitt- in den Mund zu stecken. Würde deshalb unwiderleglich Schächtung des Wildschweins eigenhändig zu betheiligen, lichen Gründe gefunden zu haben glauben und noch nicht und wissenschaftlich erwiesen, daß die jüdische Schlacht- oder ihm den Fang" zu geben, wie es auf Jägerlateinisch start genug sind, um mit Aussicht auf Erfolg rufen zu methode grausam ist und der Boltsmoral widerspräche, so heißt. Der eine Schächtgesell hebt den Keiler aus, d. h. er tönnen: Fort mit den Juden!" rufen sie vorläufig:" fort ließe sich die Gewissensfreiheit nicht als Grund gegen den faßt ihn am Hinterlauf und zerrt ihn aus Leibeskräften mit dem Schächten!" Erlaß eines Schächtverbots geltend machen. Eine Beein- nach hinten in die Höhe; der zweite tritt mit dem Schächt­trächtigung der Gewissensfreiheit wäre es nur, wenn den messer, hier je nach der Form Saufeder oder Hirschfänger Juden geboten würde, ungeschächtetes Fleisch zu essen. genannt, vorn auf ihn zu und stößt ihm die Waffe in die

Wenn diese Leute gegen das Schächten ebenso wie gegen das Schlachten überhaupt eifern, so steht das im Einklang mit ihrer ganzen Lebensführung. Gelänge es ihnen, die Menschheit von der Richtigkeit ihrer Ansichten zu über­zeugen, was wir allerdings stark bezweifelu, so wäre damit auch die Schächtfrage ein für allemal gelöst.

Doch Motive hin, Motive her; mögen die Antisemiten auch durch ihren unvernünftigen Judenhaß zur Forderung

Nachbruck verboten.]

Feuilleton. Skizzen

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hielt sie davon ab..... Es gab Augenblicke, wo sie bereit war ein Geständniß abzulegen, aber dann wurde sie wieder schwankend.

Ein Monat war vergangen, man schien sie ganz ver­geffen zu haben, sie war zu keinem Verhür mehr verlangt worden. Bücher hatte sie feine, auch wäre sie unfähig ge­wesen, irgend etwas zu lesen... sie konnte sich mit ihrem

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der

Nun habe ich alles eingestanden. Ich schwäre Ihnen, daß ich nichts verheimlicht habe!" sagte Frau Jsjumkin und erwartete weinend die Entscheidung des Staatsanwalts.

,, Vorläufig kann ich Ihnen nur versprechen, daß Sie morgen Ihre Kinder wiedersehen werden," sagte dieser und ging hinaus, um so rasch wie möglich Frau Jsjumkin's Aussagen auszunützen.

aus der sozialistischen   Bewegung Schiajal nicht aussöhnen, fie magerte ab und die Angen Nach einer Woche wurde sie gegen Bürgschaft befreit,

in Rußland  .

( Aus dem Russischen   überfekt.) Ich will ein Geständniß ablegen-dachte sie-man wird mir glauben, daß ich wirklich aus ganzer Seele mein Bergehen bereue."

fielen ihr ein.

Eines Abends, als ihre Verzweiflung den höchsten Grad erreicht hatte, vernahm sie auf dem Korridor Schritte, die sich ihrer Belle näherten; jetzt blieb jemand vor ihrer Thür stehen und diese wurde geöffnet.

da man keinen Grund hatte, an ihrer Aufrichtigkeit zu zweifeln. Nach einem halben Jahre erhielt sie folgendes Urtheil:

In anbetracht der Dienste, die sie durch ihr offenes Geständniß geleistet habe und wodurch es gelungen ist, vier Staatsverbrecher zu arretiren, und ferner, weil sie nicht als Anhängerin, sondern aus Leichtsinn gestattet hatte, daß in ihrer Wohnung sich die Verschwörer versammelten, wird dahin entschieden, daß Frau Jsjumkin auf administrativem Wege zur Verbannung in die weniger entlegenen Gegenden Sibiriens   verurtheilt wird.

Der Egoist.

Der Staatsanwalt trat ein, grüßte und fragte sie: Dann kam ihr der Gedanke, daß man sie auffordern Haben Sie mir nichts zu sagen?" Seine Stimme würde, die Namen aller derer zu nennen, die sie besucht tlang ihr so wohlwollend, so theilnehmend. hatten. Das regte sie auf. Dja!" rief fie in voller Ekstase- hören Sie " Ja, aber sie sind doch alle schon arretirt fiel ihr mich an, lassen Sie mich zu meinen Kindern gehen! Ich freudig ein ich kann ihnen nicht mehr schaden, wenn sie sterbe hier.... Ich will Alles eingestehen, ich bin keine cs auch nicht gesagt haben sollten, daß sie mit mir bekannt Sozialistin... ich bin mur verführt worden... mir ge­waren, und so kann ich sie auch nicht dadurch kompro- fielen diese Versammlungen. In meiner Wohnung ver­mittiren, daß ich mit ihnen bekannt gewesen bin." jammelten sich die Verschwörer." Bei der Berathung der Verschwörer, die in der Der Gedante, ein offenes Geständniß abzulegen, als Die Augen des Staatsanwalts blickten vor Wohnung der Frau Jsjumkin stattgefunden hatte und von einziges Mittel, die Freiheit wieder zu erlangen, befestigte Freude wie bei einem Jäger, der auf ein seltenes der im vorhergehenden Abschnitt die Rede war, hat der Leser sich immer mehr in ihr, doch konnte sich Frau Jsjumkin Thier gestoßen ist. Er hörte aufmerksam zu, lund   Ardaljon kennen gelernt. noch nicht sofort dazu entschließen, und obgleich sie sich sie beichtete so aufrichtig, als ob ein Geistlicher vor vorredete, daß das ihren Bekannten nicht schaden könnte, ihr stünde, welcher, nachdem er ihre Beichte angehört hatte, und diese sich als ihre Feinde erwiesen hätten, hielt sie ihr sagen würde:" Deine Sünden sind Dir vergeben, ziche immer noch ein instinktives Gefühl davon ab. Unterdessen in Frieden zu Deinen Kindern." Frau Jsjumkin nannte wurde ihr die Gefängnißhaft immer unerträglicher; ihre die Namen ihrer Gäste, und der Staatsanwalt zog schnell Verzweiflung war schon so groß geworden, daß sie daran aus seiner Tasche das Notizbuch heraus und schrieb sie alle dachte, aus dem Bettuch eine Schlinge zu machen und sich auf, ohne die Erzählerin auch nur mit einem Worte zu zu erhängen, und nur der Gedanke an ihre Kinder unterbrechen.

Er war der Sohn eines kleinen Beamten und von Kind auf daran gewöhnt, sich als einen kleinen Gott zu be trachten, weil sein Vater ihn unter den den übrigen zehn Kindern besondern bevorzugte. Als er in das Gymnasium eintrat, beachtete er mit allen Kräften danach, daß sein Name auch auf die goldene Tafel käme, auf der die Namen der Schüler, die besonders befähigt waren prangten. Aber Ardaljons Fähigkeiten waren nur schwache: In allen