Standpunkt Jje3 aröeitS statistischen AmkeS gestellt, der die Hineinbeziehung von rund 600 000 Versicherten in die höheren, besonders prämiierten Klassen bedeutet, die für jeden in diesen Klassen geleisteten Jahresbeitrag einen absolut und relativ er- höhten Zuschuß aus öffentlichen Mitteln erhalten. Die Fraktion fordert weiter die Beseitigung der Ver- mögenSgrenze von 6000 Kronen, welche bisher von der Versicherung ausgeschlossen bleiben sollte. Dafür soll eine Ab- stufung der Einkommensgrenzen für die Erlangung der Rente vorgenommen werden. Die auf Grund der geleisteten Beiträge zu gewährende Rente soll ungekürzt gewährt werden bis zu einem Jahreseinkommen des RentenbezioherS von 1100 Kronen und darunter. Von da ab wird ein Abzug von je 10 Proz. für je 100 Kronen weiteres Einkommen bis zu 2000 Kronen vorgeschlagen. Wer über 2000 Kronen Jahreseinkommen hat, erhält keine Rente. Ferner soll eine Herabsetzung deS Staatszuschlages nicht statt- finden, wenn da? eigene Einkommen des Rentenbeziehers nicht mehr alz 100 Kronen beträgt. Der Fraktionsausschuh nimmt sodann die vom Genossen B r a n t i n g erhobene Forderung wieder auf, die teils die Waisen- rentcn, teils die Hineinbeziehung der gegenwärtigen Invaliden in die Versicherung bezwecken, sofern diese nicht schon eine ander- weitige ausreichende Versorgung erlangt haben. Die Regierung hatte ja schon, wie wir berichtet haben, dem Standpunkt Bran- tings gewisse Konzessionen gemacht, die aber nicht als ausreichend angesehen werden können. Die Fraktion wendet sich sodann den Anträgen und Wünschen zu, die in der Diskussion in den Vordergrund getreten find, und die sie als beachtenswert bezeichnet. Mehrere dieser Anträge müssen zurzeit jedoch zurückgestellt werden, weil ihr« Durchführung gegen- wärtig zu große Kosten verursachen würde. In zwei Fällen würde die Fraktion jedoch schon jetzt positive Aenderungen vor- geschlagen haben, wenn sie die Redaktion der Vorlage in der Hand gehabt hätte: 1. bezüglich der Beitragspflicht der Ar- beitgeber, 2, hinsichtlich invaliditätsvorbeugender Maßnahmen. Zu 1 wird da? Prinzip der Beitragspflicht der Unternehmer unterstrichen und ein Reichstagsbeschluß gefordert, der die Mitwirkung der Regierung zur Ergänzung des Gesetzes in dieser Richtung verlangt. Zu 2 begnügt man sich dagegen mit einer Prinzipienerklärung für solche Maßnahmen, die vorzeitige Jnva- lidität verhüten können, will die Durchführung aber erst in Ver- bindung mit der obligatorischen Krankenversicherung vornehmen. Die Notwendigkeit der letzteren wird in diesem Zusammenhang von der Fraktion scharf unterstrichen. ES ist bedauerlich, daß die Fraktion sich nicht zu positiven Anträgen auf sofortige Festlegung d«S Heilverfahrens im vor- liegenden Gesetzentwurfe entschließen konnte. DaS Heilverfahren gegenüber drohender Invalidität kann der obligatorischen Kranken- Versicherung nicht �aufgehalst werden, deren vorbeugende Maß- nahmen sich auf gewisse Krankheiten oder Krankheitsgefahren be- schränken müssen. Ferner bedeutet das Heilverfahren nicht ohne weiteres eine finanzielle Belastung der Invalidenversicherung, weil sein Erfolg daS Rentenkonto entlastet. Nachdem die Fraktion so vieles von der bisherigen Stellungnahme einzelner ihrer Mit- glieder preisgegeben hat, hätte sie ruhig auch in diesem so über- aus wichtigen Punkte den Schritt vollauS nehmen sollen. Im übrigen nehmen wir gern davon Notiz, daß die sozial. demokratische Reichstagsfraktion die vom„VorioärtS" und dem.Correspondenzblatt der Generalkommission" zu allererst er- hobenen wesentlichen Einwände bei ihrer Stellungnahme zu berück- sichtigen gesucht hat. In ihrem Kampfe für eine weitere AuSgestal- tung der deutschen Sozialversicherung hat die deutsche Arbeiter» klasse auch ein großes Interesse an dem Ausbau der Gozialvev- sicherung des Auslandes. Wie fruchtbringend die Kritik an den Vorlagen gewesen ist, zeigt sich auch in der großen Zahl von Anträgen, die nicht zum min» besten von Mitgliedern der sozialdemokratischen Fraktion herrühren. So will Steffen die jetzige Borlag« nur provisorisch bis ISIS Gesetz werden lassen; bis dahin soll die Regierung eine ergänzende Novelle ausarbeiten, die eine Beitragspflicht der Arbeitgeber für die lohn» arbeitenden Versicherten bezwecken soll. Mehrere Gewerkschaften, darunter der Kassierer der gewerkschaftlichen Landesorganisation, Genosse Söderberg, beantragen die Vertagung der ganzen Ange- legenheit bis nächstes Jahr. Die Fraktion wird nun wohl ihre ganze Kraft auf die Durchdringung ihrer AbänderungSanträge kon. zentrieren, die vom Parteiborftand gutgeheißen worden find. Ge- lingt das aber nicht, ist zu hoffen, daß sie sich auf einen de; Ver- tagungSanträge einigt._ Der hsMsechttparggraph vor dem kelchzgerlcht. Leipzig , den 23. April. Heute wurde vor dem 2. Senat des Reichsgerichts unter Vor- sitz des Senatspräsidenten Menge der Prozeß gegen die Abgeord- neten Genossen Borchardt und Leinert verhandelt. Am 9. Mai 1912 hatte bekanntlich der inzwischen verstorbene Präsident des Abgeordnetenhauses Freiherr v. Erffa den Abgeord- neten Borchardt auf Grund des berüchtigten Paragraphen 64 der Geschäftsordnung, des sogenannten Hausknechtsparagraphen, aus der Sitzung gewiesen. Da Borchardt eS ablehnte, sein Mandat nicht Mlszuüben, ließ der Präsident den Polizeileutnant Kolb her- beirufen. Dieser entfernte den Abgeordneten Borchardt unter Protest desselben gewaltsam aus dem Sitzungssaal und hinderte ihn später am Wiedereintreten. Der Abgeordnete Leinert wurde von dem Leutnant aufgefordert, ihm Platz zu machen. Das lehnte der Abgeordnete Leinert ab. Er wurde darauf von den Beamten gewaltsam von seinem Sitz entfernt. Gegen den Abgeordneten Borchardt wurde Anklage wegen Hausfriedensbruchs und Wider- staudcS gegen die Staatsgewalt, ferner gegen den Abgeordneten Leinert Anklage wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt er- hoben. Borchardt wurde zu 100 M., Leinert zu 50 M. Geldstrafe am 28. September 1912 von der 1. Strafkammer des Landgerichts I Berlin verurteilt. Die gegen dieses Urteil eingelegte Revision wurde bor dem Reichsgericht von den Rechtsanwälten Dr. Hugo Haase, Dr. Hugo Heincmann und Wolfgang Heine , die Reichsanwaltschaft durch den Reichsanwalt Richter vertreten. Die Anwälte verlangten Freisprechung, eventuell Zurückver. Weisung der Sache an die erste Instanz. DaS Reichsgericht vertagte nach fünfeinhalbstündiger Verhandlung, um am 6. Mai um 12 Uhr die Entscheidung zu verkünden. Tie Verteidiger wiesen insbesondere auf folgende Punkt« hin: Ter 8 64 der Geschäftsordnung sei rechtsungültig, denn er verstoße gegen die preußische Verfassung, gegen die im z 11 des Strafgesetzbuches festgesetzte Immunität der Abgeordneten und gegen die 8S 105 und 106 des Strafgesetzbuchs, die die gewaltsame Entfernung eines Abgeordneten mik Zuchthaus bedrohen. Würde aber auch der Z 64 für gültig zu erachten sein, wie eS der Vorderrichter getan hatte, so hätte der Richter auch selbständig prüfen müssen, ob in der Tat der Abgeordnete Borchardt„in be- sonders grober, die Würde des Hanfes schädigender" Weise die Ordnung verletzte. Er habe aber eine Beweisaufnahme hierüber abgelehnt, weil die Entscheidung hierüber im Ermessen des Prä- sidenten liege. Rechtsirrtümlich sei es auch, daß der Präsident des Abgeordnetenhauses ein Recht zum Strafantrag« habe. Vor allem aber sei der Abgeordnete Borchardt nicht verpflichtet gewesen, der Aufforderung des Präsidenten, den Saal zu verlassen, nachzu» kommen. Sein Verweilen im Saale war kein unbefugtes, fondern ein pflichtmähigcs. Die Geschäftsordnung eines Parlaments ist insoweit rechtsungültig, als sie mit der Verfassung oder einem anderen Gesetz im Widerspruch steht. Die Autonomie der Kammern findet in bezug auf die Feststellung ihrer Bestimmungen ihre H Schranke in der Berfassungsurkunde und in den sonstigen Gesetzen. Der Widerspruch deS§ 64 mit der Verfassung gehe klar aus Artikel 78 Abs. 3 der preußischen Ver- fassung hervor. Dort ist festgelegt, unter welchen Voraussetzungen ein Abgeordneter Sitz und Stimme verliert. Liegen jene Voraus- setzungen nicht vor, so hat er eben Sitz und Stimme, und zwar auf Grund der Verfassung. Unhaltbar sei die Anficht des Vorder- richterS, dort seien nur die Fälle geregelt, in dem einem Abgeord- neten dauernd Sitz und Stimme entzogen werden, nicht aber die Fälle, in denen zeitweilig ihm Sitz und Stimme genommen werde. Ob die Entziehung des Rechte? auf Sitz und Stimme für Stauden, Tage, Wochen»der für eine ganze Session stattfindet, bilde nur einen quantitativen Unterschied, ändere aber juristisch nichts. Der § 64 der Geschäftsordnung beraubt dem ausgeschlossenen Abgeord- neten seiner Stimme und seines Sitzes. Der Versuch im Z 64, diesen offenbaren BersassungSbrüch dadurch zu heilen, daß nochmal eine Abstimmung vorgenommen werden könne, wenn von der einen Stimme die Mehrheit abhänge. sei völlig belanglos.§ 64 führe auch sonst zu ganz unhaltbaren staatsrechtlichen Konsequenzen, die des Ausführlichen dargelegt wurden. ES widerspreche auch der Verfassung, daß der Ausge- schlossene nachträglich seine Stimme abgeben soll, ohne die Debatte anhören oder seine Meinung mitteilen zu können. Der Paragraph führe sogar den dauernden Verlust der Stimme'herbei. Zu Unrecht berufe sich der Vorderrichter für die Rechtsgültig- keit deS§ 64 auf die Sätze des Artikel 78 Abs. 1 der Verfassung: »Jede Kammer prüft die Legitimation ihrer Mitglieder und entscheidet darüber. Sie regelt ihren Geschäftsgang und ihre Disziplin durch eine Geschäftsordnung." Die Prüfung der Legitimation, der Geschäftsgang und die Dis- ziplin müsse sich in den Rechtsnormen der Verfassung halten, nicht aber, wie der Z 64 es tue, dem Abgeordneten ein ihm durch die Verfassung und Wahl verliehenes Recht nehmen. Dieser Standpunkt werde von den hervorragendsten Rechtslehrern an- erkannt. In einem ganz gleichliegenden Falle in Oesterreich habe sich das höchste österreichische Gericht, das * Wiener Reichsgericht, auf denselben Standpunkt gestellt. Es habe dort wörtlich auSge- führt:.Jeder mit dem Wahlzertifikat versehene Abgeordnete hat Sitz und Stimme, solange das HauS dessen Wahl nicht für un- gültig erklärt. Der Kläger war daher als Abgeordneter zu Sitz und Stimme im Abgeordnetenhause... gesetzlich verpflichtet." Es wäre ja auch ein innerer Widerspruch, daß ein Haus, da» seine Be- rechtigung aus denselben Wahlen ableitet, wie der ausgeschlossene Abgeordnete, dessen Recht und Pflicht zeitweilig außer Kraft setze. Völlig verfehlt sei der Hinweis auf auswärtiges Recht. Wo das Ausland ein Ausschließungsrecht kennt, bestehe die? des- halb zu Recht, weil die Verfassung selbst dem Pgrlament eine Aus- Weisungsbefugnis zuweist. Als im Jahre 1879 versucht wurde, ein Gesetz zu schaften, daS dem Reichstage ein solches Recht geben wollte, wurde dies Gesetz vom Reichstag abgelehnt. In der Be- ratung ist von einer ganzen Reihe von Abgeordneten, so von dem späteren Kultusminister von Goßler und dem Frhrn. von Heere- man anerkannt, daß auf Grund der bisherigen Verfassung eine Ausweisung nur auf Grund der Geschäftsordnung nicht statt- finden könne. Unzulässig sei eS auch, sich für die Auslegung des Vorderrichters auf die Ansicht der Kommission von 1349 zu berufen. Die Kom- missionsmitglieder bildeten nicht den Landtag und haben außerdem ausdrücklich bewußt unterlassen, eine Ausschließung als Recht dem Hause zu geben. Der Ausschluß eines Herrenhausmitgliedes sei ja auch ausdrücklich durch Gesetz vom 12. Oktober 1854 geregelt. Mit Ausnahme von Württemberg spricht keine der außer- preußischen Bundesstaaten von einem Ausschließungsrecht. Da, wo es besteht, oder bestand, ist es ausdrücklich durch die Verfassung eingeführt. Anerkannt, daß die Rechtsgültigkeit der neueren Württemberger Verfassung recht streitig sei. Durch den Ausschluß habe der Angeklagte seine Abgeordneter»- eigenschaft nickt verloren. Er blieb kraft der Verfassung und kraft der Wahl Mitberechtigter an den Räumen, aus denen er verwiesen war. So wenig ein Miteigentümer aus. fernen Räumen, so wenig könne ein Abgeordneter aus dem Sitzungssaal rechtmäßig entfernt werden. Das angegriffene Urteil stehe auch im Widerspruch mit den 88 105 und 10« deS St.G.B. , die die gewaltsame Entfernung eines Abgeordneten mit schwerer Strafe bedrohen. DaS Vorgehen gegen die Abgeordneten sei eine krasse Verletzung der durch Z 11 des St.G.B. garantierten Immunität. Besonders stark tritt das im Falle Leinert hervor. Leinert habe auch nach den Feststellungen des Urteils vom Präsidenten keine Anordnung erhalten, er habe auch nicht die Ordnung verletzt. Auf Anweisung des Präsidenten habe er sich auf seinen Platz gesetzt. Angeklagt und verurteilt sei er, weil er es ablehnte, von diesem Platz sich durch die Polizei wegdrängen zu lassen. Er handelte als Abgeordneter und war vollberechtigt, Widerstand gegen den Angriff wider fein Recht zu leisten. Mit Unrecht habe das angegriffene Urteil den Dolus eventualis angewendet. ES gebe selbst zu, daß die Abgeordneten geglaubt haben, rechtmäßig zu handeln und daß sie der Ueberzeugung waren, daß der ß 64 der Geschäftsordnung rechtswidrig ist. sowie daß der Polizeileutnant gegen sie ein Verbrechen begehe, was sie ihm ja auch mitteilten. Unter diesen Umständen anzunehmen, daß sie mit der Möglichkeit rechnen konnten, andere Leute könnten das Vorgehen des Präsidenten oder der Polizei für rechtmäßig halten, ist an sich schon unzutreffend. Wie könne man hieraus aber einen Dolus eventualis konstruieren? DaS Reichsgericht habe in emem ähnlichen Fall angenommen, die Konstruktion emeS Dolus even- fualiS habe für die Fälle, wo eine feste Rcchtsüberzeugung, ja die Ueberzeugung von einer Rechtspflicht herrscht, keinen Platz. ES gehe nicht an zu sagen, der Betreffende habe auch mit einer anderen Rechtsanschauung rechnen müssen, also habe er mit dem Dolus eventualis gehandelt. Zu welch ungeheuerlichen Konse- quenzen würde man auch gelangen, wenn man eine solche Kon» struktion des Dolus eventualis auf andere Fälle, etwa auf Be» amte, anwende. DaS Plädoyer beS Reichsanwalts Richter war eine außerordentliche lange Vorlesung. Es stellte eine Ancin» anderreihung seltsamer Anschauungen und verlegener Ausflüchte zur Begründung des Antrags auf Verwerfung der Revision bar. Sein Hanptargument bestand in der Konstruktion einer neuen Ge- schichte der Rechtsentwicklung und des Staatsrechts. Sie ging im wesentlichen dahin: Bis zum Jahre 1848 habe man geglaubt, den Volksvertretungen das Recht zur Strafgewalt nur auf Grund eines Gesetzes geben zu dürfen. Dann habe aber das glorreiche Jahr 1848 die Völker reis gemacht und zur vollen Autonomie der Volks- Vertretungen geführt. Man habe diesen nun selbständig volle Strasgewalt— soll heißen Disziplin— gegeben. Deshalb sei auch der Z 64 durchaus zu Recht bestehend. Nach diesen wundersamen geschichtlichen Deduktionen des Reichsanwalts würde das Parla- ment— wenngleich der Reichsanwalt das nicht ausdrücklich be- tonte— sogar das Recht haben, auf Geldstrafe, Haftstrafe, Ge- fängnis, Zuchthaus, dielleicht auch auf Todesstrafe zu erkennen! Die Verteidiger stellten die vom Reichsanwalt auf den Kopf ge» stellte Rechtsentwickelung wieder auf die Beine. Besonders gespannt durfte man sein, wie der ReichSanwalt seine wunderbar« Theorie mit dem Urteil des österreichischru Reichs- gerichtS» das unter dem Vorsitz eines der hervorragendsten Juristen, llnger, gefällt wurde, in Einklang bringen würde. Er tat es in überraschender Weise. Er meinte nämlich, dies Urteil— habe mit der vorliegenden Materie nicht das geringste zu tun. Denn in dem Urteil seien in der Ueberschrift nur drei Rcchtsgrundsätze aufgestellt. Darüber, daß in den Gründen selbst die von uns wi-edergegcbcne enffcheidende Stelle steht und daß in ihr deduziert wird: Der Abgeordnete hat ein Recht auf Eitz und Stimme, kein Beschluß des Hauses kann ihm das nehmen und deshalb hat er auch einen Anspruch auf Diäten. Ebenso ließ er den springenden Punkt der ganzen Frage völlig unberührt, ob die Geschäfts- ordnung mit der Verfassung im Widerspruch stehe. Das wäre auch ein gar zu heikles Thema, weil darüber eigentlich kaum ein Zweifel sein kann. Unter.Disziplin" versteht der Reichsanwalt.Straf- gewalt". Gehört nicht vielmehr zum Begriff der Disziplin, daß der, gegen den vorgegangen werden soll, zu seiner Pflicht, der Abge- ordnete also dazu angehalten werden soll, seinen Sitz einzunchnic« und seine Stimme abzugeben? Aber gar sonderbar malt sich im Kopf des ReichSanwaltS die Welt, wenn es sich um einen sozial- demokratischen Abgeordneten handelt. Tann heißt Disziplin: daS Recht, den Abgeordneten zu hindern, seine Pflicht zu tun. Nach dem Verlauf der Verhandlung ist anzunehmen, daß daS Reichsgericht am 6. Mai ebenso wie das österreichische Reichs- gericht anerkennen wird, daß der Abgeordnete das Siecht und die Pflicht auf Teilnahme an den Sitzungen hat und daß eine Ge- schäftSordnung, die die Ausübung dieses Rechts und dieser Pflicht hindert, ein krasser Bruch der Verfassung ist. Die Lanlltagz-Aahlbemgung. Achter Wahlbezirk. Zu einem schneidigen Auftakt deS LandtagSwahlkampfeS im 8. Berliner LandtagSwahlkreiS gestaltete sich eine überfüllte Ver- fammlung in der Brauerei K ö n i g st a d t. DaS Thema:.Die Volkserhebung von 1913" verstand der jdandidat Genosse Wilhelm D ü w« l l den Versammelten trefflich zu interpretieren. Den inneren sowie äußeren preußisch-deutschen Zustänoen ließ DLwell in Ilb stund iger Rede ätzende Kritik angedeihen. Der Redner schloß seine wuchtigen Ausführungen mit dem Hinweis, den Wahlkampf zu einer lvahren Volkserhebung zu gestalten, so der Freiheit eine Gasse zu bahnen. DaS häufig von Beifall unterbrochene Referat löste stürmische Zustimmung aus.— Einige Redner sprachen im Sinne des Referats. Mit emem Hoch auf die Sozialdemokratie gingen die Versammelten auseinander. Im neunten Berliner Landtagswahlbezirk wurden am Dienstag drei Wähler-Bersammlungen abgehalten, die sämtlich überfüllt waren. Die Versammlung der 5. Abteilung tagte in den.M i l a» s ä l e n", Schönhauser Allee 130. Der große Saal vermochte kaum alle zu fassen, die gekommen waren, das Referat des Kandidaten des neunten Berliner Landtagswahlbezirks des Abgeordneten aeinrich Ströbel, zu hören. Viele mußten sich mit einem tehplatz begnügen. Genosse Ströbel ging unter anderm scharf mit den Liberalen inS Gericht, der Partei, die sich zu einem Bund- nis mit der Sozialdemokratie auf gegenseitige Unterstützung nicht aufzuschwingen vermochte; die sich mit den Nationalliberalen ver- brüderte, aber nicht zu haben war für ein« ehrliche Waffenbrüder- schaft mit den aufrichtigen und ehrlichen Anhcmgern deS allgc- meinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts, mit den So- zialdemokraten. Sein Aufruf zu energischer Agitation fand stür- mischen Beifall. In Süßmilchs Festsälen. Bornholmer Str. 5, wo die Versammlung für die 6. Abteilung stattfand, war der Andrang ebenfalls ein außerordentlicher. Jeder Winkel war besetzt. Ge- nosse Redakteur Hans Weber erzielte mit seinen Darlegungen über die Bedeutung des preußischen Lairdtcgs und der Wahlbe» weg iing, sowie des Wahlrechtötampfes die begeisterte Zustimmung der zahlreichen Hörerschaft. Die frische Kampfesstimmung steigerte sich noch, als Genosse Ströbel noch seinem Vortrage in den „Milasälen" erschien und eine Ansprache hielt. Für die 17. und 18. Abteilung war die dritte Versammlung nach Frankes F e st s ä l e n. in der Badstratzc. einberufen worden. ES bot sich hier das,«lbe Bild: kein Plätzchen mehr fre, und viele standen in drangvoll fürchterlicher Enge. Trotz der im Saale herrschenden beinahe tropische Hitze hielt man tapfer auS. Ein Zeichen des großen Interesses am Wahlkampf und am Wahl. rechtskampf, über den hier Landtagsabgeordneter Julian Bor- ch a r d t unter großem Beifall referierte. Später erschien dann auch hier nock der Kandidat Genosse Ströbel. auf das leb- basteste begrüßt. Als Ströbel in seiner begeisternden Ai� spracke mit einfließen ließ, daß wir, die wir auf die eigene Kraft angewiesen seien, in Preußen vielleicht auch einmal wuroen .belgisch reden" müssen, löste dies starken Beifall auS. Der zehnte Landtagswahlbezirk stellte am Dienstag in sieben Versammlungen die Wahlmanne»- kandidaten auf. Außerdem wurden Vorträge gehalten, die zu» Kampf für die Forderungen des Proletariats uiw zur Eroberung des freien Wahlrechts aufriefen. t. Im überfüllten ,.B o r u s s i a s a l e", in der Ackerstraße, sprach Genosse Weiße. Anknüpfend an den-patriotischen" Rummel der Jahrhundertfeier zeigte er, wie das prcutziicke Volk nach 181» um die Früchte seines Sieges betrogen worden ist. wie auch später nach der siegreichen Revolution von 1843 die Reaktion wieder die Oberhand gewonnen und dem Volke das Unrecht der Dreiklafseu. wähl aufzwang, unter dem wir jetzt noch die Wahl zu vollziehe haben. Die Liberalen denken ptz nicht daran, einen ernsthaften
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