Einzelbild herunterladen
 

Kunschak hörte das Urteil, ohne eine Miene zu verziehen, an, und erklärte mit ruhiger Stimme,-daß er die Nichtigkeitsbeschwerde einlegen werde, Sei' Banfcdicb Brüning vor Gericht. Die gestrige Sitzung begann mit der Vernehmung der vierten Nngeklagten, der Plätterin Olga Kranich. Die Angeklagte bestreitet, im Gegensatz zu den Angaben Brünings, von diesem(3000 M. erhalten zu haben. Sie behauptete serner, daß sie Brüning überhaupt nicht kenne. Borsitzcnder: Es ist doch aber sehr auffällig, daß Sie ausgerechnet gerade zu der Zeit, zu welcher Ihnen Brüning das Geld gegeben haben will, über 5000 M. bei der Bank eingezahlt hatten. Woher stammt denn dieses Geld? Angeklagte: Das sind meine Ersparnisse. Ich hatte mir in meiner 20 jährigen Tätigkeit als Küchenstütze und Plätterin etwa 5000 M. gespart, die ich, als ich umzog, zur Bank brachte, da sie mir zu Hause nicht sicher genug waren. Bors.: Es ist aber doch sehr ausfällig, daß Sie als Plätterin zu derselben Zeit zu Tietz gehen und dort an einem Tage Kostüme, fünf Paar Schuhe und andere Sachen für zusammen 1200 M. kaufen. Angckl.: Das war mein Geld und ich kann doch wohl mit meinem Gelde machen, was ich will. Borsi; Selbstverständlich, das glaubt Ihnen aber kein ver- nünftiger Mensch, daß Sie als arme Plätterin plötzlich zu Tietz gehen und für 1200 M. zum Teil recht überflüssige Sachen kaufen, daß<S selbst dem betreffenden AbteiluugSchcf auffiel und er die Polizei benachrichtigte, daß in dem Geschäft ein Dienstmädchen, man sah das an Ihren Händen, wild drauflos kaufe. Es war dies die erste Spur, welche die Polizei aufnahm. Sie mußten damals wieder entlassen werden, da sich sonst nichts nachweisen ließ. Von da ab ist der größte Teil Ihrer angeblichen Ersparnisse verschwunden. Wo ist denn das Geld geblieben? Angekl.: Das habe ich verloren! Bors.: Hm, verloren haben Sie das Geld, wo denn und wie denn? Angekl.: Ob ich das Geld aus meiner Handtasche verloren habe oder ob eS mir gestohlen worden ist, weiß ich nicht mehr. Bors.: flrühcr haben Sie übrigens gesagt, Sie haben das Geld in der Lotterie gewonnen. Wieviel haben Sie denn gewonnen? An­gekl.: DaS weiß ich nicht mehr? Bors.: In welcher Lotterie war es denn? Angekl.: Das weiß ich auch nicht mehr. Bors.: Sie wollen uns also weismachen, daß eine arme Plätterin, die einen Lotteriegewinn gemacht hat, nicht mehr wissen sollte, in welcher Lotterie sie gewonnen hatte und wieviel. Sehr auffällig ist auch Ihr Verhalten, als einmal ein Kriminalschutzmann zu Ihnen kam. Sie haben dabei einen Hinterlegungsschein über 1000 M. zerrissen. Wie kommt denn das? Angekl.: Das habe ich in der Nervosität gemacht.' Bors.: Ach so, in der Nervosität haben Sie den Schein über Ihre in 20jähriger Arbeit gemachten Ersparnisse zerrissen? Angekl.: Na ja, er konnte doch wieder zusammen geklebt werden. Bors.: Sie haben dabei auch ganz merkwürdige Aeußerungen ge- macht. Sie sagten u. a. dabei:Dann will ich gar nichts mehr haben, wenn es so mit mir gemacht wird." Das sagt doch nicht jemand, der sich Geld gespart hat. Angekl.: Wenn man so von der Polizei behandelt wird, will man auch wirklich nichts mehr haben. Der Vorfitzende hält der Angeklagten weiter vor, daß bei ihr ein Brief ihres Bruders Hermann gefunden worden sei, in welcher zum Teil in der Zahlenschrift geschrieben worden war, welche Brüning angewendet hatte. In diesem Brief befindet sich u. a. in Zahlen- schrift der Passus:Borsicht bringt reichen Segen, deshalb dreimal: Schweige, schweige, schweige!" Ferner wird der Angeklagten vorgehalten, daß sie im Gefängnis zu einer gewissen Edel, die sich ihr angefreundet hatte, verschiedene verdächtige Aeuetzruugen getan habe. Sie habe immer von ihremkleinen Gustav", ihremkleinen Bankbeamten" ge- sprachen, mit dem sie Sektlage gefeiert und eine Automobil- fahrt nach Lux-- gemacht habe. Bei dem WortLux" habe sie plötzlich aufgehört weiterzureden, wie jemand, der sich verschnappt hat und dann gleich ein anderes Thema angefangen. Die Angeklagte bestreitet mit aller Entschiebenheit, daß über- Haupt ein derartiges Gespräch stattgesunden habe, ebenso sei es un>- richtig, daß sie, wie ihr der Vorsitzende vorhält, zu der Edel geäußert habe, sie habe vonihrem Kleinen" viel Geld erhalten, sich viele gute Kleider gekauft, da sie ausFamilienrücksichten" eine große Reise machen müsse. Der Angeklagte Hermann Kranich spricht mit einer so undeut- lichen, polternden Sprache, daß er fast völlig unverständlich bleibt. Auf die Ermahnung des Borsitzenden, deutlicher zu sprechen, erklärt Kranich : Er bekomme im Untersuchungsgefängnis nur trockenes Brot, da könne er nicht sprechen, wenn er besser zu essen bekomme, dann wird er auch besser sprechen können. Der Angeklagte erzählt dann eine etwas verworrene Geschichte von seinen Erlebnissen, die er auf einem Dampfer desNorddeutschen Lloyd " als Heizer ge- macht habe. Er äußert dabei, daß es gu: gewesen sei, daß die Offi- ziere keine Degen trugen, sonst hätten sie rhu aus purer Schneidia- keit erstochen. Der Vorsitzende hält ihm vor, daß es doch auffällig sei, daß er gerade am 27. Juni, dem Tage nach der Tat Brünings, feine Arbeit auf demVulkan" ohne jeden Grund niedergelegt habe. Kranich erklärt, daß er krank geworden sei. Der Vorsitzende hält ihm ferner vor, daß er, trotzdem er niemals im Besitze größerer Geldmittel war, in Hamburg Chaufieurunterricht genommen habe. Zu dieser Zeit habe er zu einem gewissen Münch geäußert, er habe für diesen Unterricht 300 M. bezahlt, wenn ihn, Münch, jemand frage, solle er angeben, er habe ihm das Geld geliehen. Der An­geklagte bestreitet dies, ebenso bestreitet er, daß ihn Brüning bei dem ersten Zusammentreffen mit den Worten:Einen schönen Gruß von Olga" begrüßt habe. Brüning habe sich ihm mit dem NamenZimmermann" vorgestellt und erzählt, er werde wegen eines Jagdvergehens von der Polizei verfolgt, außerdem wolle er ins Ausland, weil er Alimente zahlen solle. Einige Tage darauf, nach der Abreise Brünings, habe er erst gemerkt, daß dieser sich ohne sein Wissen seine Legitimationspapicre angeeignet hatte. Landgerichtsdirektor Dr. Karsten bringt hierauf mehrere Briefe, die Brüning an Kranich gerichtet hatte, zur Verlesung. In einem Briefe teilt Kranich dem Brüning mit, daßdie Sache mit Olga mieh sei". sDieser Passus soll sich auf die zu dieser Zeit er- folgte Verhaftung der Olga Kranich beziehen.) Ferner heißt es: Ich weiß, daß Olga von der Polizei scharf beobackstet wird". Auf eine Frage des Vorfitzenden hierzu erklärt Kranich :Es gibt doch mehr Mädchen, die Olga heißen". Vors.: Das schon, aber wie wollen Sie denn das mit der Polizei erklären? Angekl.: Na mit dem WortePolizei" kann doch auch etwas anderes gemeint sein, das kann ja auch aus bestimmten Gründen einen Mädchennamen bcventenl(Große Heiterkeit.) Bors.: Binden Sie uns doch hier nicht solche unglaublichen Märchen auf, denken Sie denn, wir sind hier alle Kinder, denen Sie solches Zeug vorschwatzen können. Es ist unglaublich, hier so etwas vorzubringen.. Angekl.: Ich kann Ihnen doch hier keine Liebesgeschichten erzählen, um die es sich in diesen Briefen handelt. Der Borsitzende hält dem Angeklagten eine Reihe weiterer Briefe vor, in denen die irgendwie verdächtigen Stellen in Zahlen- schrift geschrieben find. U. a. heißt es in Zahlcnschrift: Denn alle Länder liefern aus",Olga ist in Untersuchungshaft genommen worden",bw Hauptsache ist, daß Olga schweigt" usw. Der Ange- klagte versucht, alle diese an sich so leicht verständlichen Dinge in einer derartig unglaubwürdigen Weise zu erklären, daß sich wieder- holt mühsam unterdrückte Heiterkeitsausbrüche in dem Auditorium bemerkbar machen. Als Kranich u. a. erklärt, daß er von dem deutschen Konsul in Winnipeg übertölpelt worden sei, so daß er seiner Auslieferung törichterweise freiwillig zugestimmt habe, wäh- rend er sonst niemals habe ausgeliefert werden können, weist R.-A. Dr. Karl Liebknecht daraus hin, daß tatfächlich in den Akten ein Passus enthalten sei, nach welchem die kanadische Regierung selbst starke Zweifel geäußert habe, ob eine Auslieferung überhaupt möglich sei. Staatsanwaltschaftsrat Dr. Wcismann weist darauf hin. daß nach einer Rcichsgerichtsentscheidung. wenn die Ausliefe- rung erfolgt sei, eine Erörterung der Auslieferunosverhandlung vor dem Strafgericht nicht mehr zulässig sei. R.-A. Dr. Holpert erklärt, daß es ja nur als strafmilderndes Moment anzusehen sei, wenn die Auslieferung der Angeklagten nur infolge ihrer eigenen Zustimmung überhaupt möglich gewesen sei. Es folgt die Vernehmung der beide» medizinischen Sachverständigen über den Geisteszustand des Angeklagten Kranich . Der Oberarzt iu der Irrenanstalt Langenhorn , Dr. Brückner, bekundet an der Hand der Krankengeschichte der Irrenanstalt Friedrichsberg bei Hamburg , in welcher sich Kranich im Jahre 1W5 befunden hatte, daß dieser damals die Zeichen einer akuten Psychose aufgewiesen habe. Kranich habe damals angegeben, er sei ein Sohn Kaiser Wilhelms! der Herzog von Anhalt sei sein bester Freund usw. Er sei damals als völlig geheilt entlassen; heute jedenfalls liege kein Grund zu der Annahme vor, daß K. geisteskrank im Sinne des§ 51 sei. Jeden­falls sei er ein geistig minderwertiger Mensch. Kranich sei durch einen Menschen mit einem festen Willen sehr leicht zu beeinflussen. Medizinalrat Dr. Hoffmann bezeichnet den Angeklagten ebenfalls als einen geistig minderwertigen Menschen, dessen damals vorhan- dene akute Geistesstörung längst wieder abgeklungen sei. In der Beweisaufnahme wird als erster Zeuge der Kassenbote Voigt von der Dresdener Bank vernommen, der sich des längeren über die Anstellungs- und Ge- Haltsverhältnisse der Kassenboten bei der Dresdener Bank ausläßt. ES ergibt sich, daß die Kassenboten mit einem Gehalt von 1200 M anfangen, welches schon nach drei Jahren auf 1600 bezw. 1800 M steigt. Hierzu kommt noch eine Weihnachtsgratifikation von 200 bezw. 250 M., die nach acht Jahren auf 300 M. steigt. Der Zeuge bekundet fernes daß sich Brüning öfter beklagt habe, daß die Be> zahlung zu gering sei und daß ein verheirateter Mann mit diesem Gehalt nickst auskommen könne, lieber schlechte Behandlung, ins besondere durch den Kassendirektor Wollmann, habe sich Brüning jedenfalls ihm gegenüber nicht beklagt. Der Angeklagte erklärt, daß diese Vorfälle sich schon vor Eintritt des Zeugen abgespielt hätten. In der Nachmittagssitzung trat eine kleine interessante Wen dung«in. R.-A. Dr. Karl Liebknecht gab die Erklärung ab, daß die Angeklagte Olga Kranich während der Mittagspause anderen Sinnes geworden sei und jetzt etwas sage» wolle. Bors.: Na, An­geklagte Kranich , haben Sie sich die Sache überlegt und wollen Sie jetzt eingestehen, daß Sie von Brüning die 6000 M. erhalten haben? Angekl.: Die Aussage, die Brüning gemacht hat, ist richtig. Ich habe aber nicht gewußt, woher das Geld kommt. ES wird sodann die Beweisaufnahme fortgesetzt. Als Zeuge wird der Student der Mathematik Pollok vernommen, der seineo zeit ein möbliertes Zimmer neben dem Zimmer des Brüning inne. gehabt hatte. Brüning habe sich ihm als Kaufmann vorgestellt und sei immer sehr einfach und bescheiden aufgetreten. Er habe be- obachtet, daß Brüning alle zwei, drei Tage Damenbesuch erhalten habe. gi.-A. Dr. Karl Liebknecht : Ich höre eben, daß die Olga Kranich noch eine Erklärung abgeben will. Angekl. Kranich : Ich will nur sagen, daß mein Bruder mich in Berlin besucht hatte, aber in Ham- bürg bin ich nicht gewesen. Diese Angabe wird jedoch sofort wider- legt durch das Zeugnis eines»n Hamburg wohnhaften Zeugen Münch, der u. a. bekundete, daß die Olga Kranich im Juli v. I. zweimal in Hamburg gewesen sei und ihn besucht habe. Der Zeuge erklärt aber schließlich nach vielfachen Kreuz, und Querfragen, daß er genaues über das Jahr nicht mehr sagen könne. Der Zeuge Kaufmann Attenhausen war früher Abteilungschef in dem Warenhause Tietz. Er hatte die Angeklagte bei ihre» Ein- kaufen beobachtet und war auf den Verdacht gekommen, daß die An- eklagte, die einen recht gewöhnlichen Eindruck machte, das Geld, aS sie mit vollen Händen um sich warf, nicht aus reelle Weise er warben habe. Als er sah, wie die K. ein Bündel Hundertmark- scheine, welche sie im Strumpf versteckt hatte, hervorholte, habe er die Polizei benachrichtigt. Staatsanwalt Dr. WeiSmann verzichtet auf die Vernehmung der sämtlichen übrigen Zeugen. Wo sind die 110 000 Mark? Der Vorfitzende redete dem Angeklagten Brüning nochmals eindringlich in das Gewissen, endlich anzugeben, wo sich die«och ehlenden 110 000 Mark befinde». Brüning bleibt dabei, daß er dem angeblichen Bergli etwa 50 000 Mark gegeben habe. Er habe dem Bergli den Rat gegeben, für den Fall, daß er(Brüning) der- haftet werden sollte, sich irgendwo in Sicherheit zu bringen. Er wisse ganz genau, daß er eventuell seine Situation ganz bedeutend verbessern konnte, wenn er jetzt sagen'könnte, das Geld befinde sich da und da. Er könne dies aber wirklich nicht sagen, denn er be- sitze wirklich nichts mehr von dem Gelde. R.-A. Dr. Karl Lieb- ! necht erklärte, daß er als früherer Verteidiger Brünings mit ihm tundenlang konferiert und ihm klargemacht habe, daß er auch nach der Verbüßung der Strafe von der Dresdener Bank auf Schritt und Tritt verfolgt und niemals in den ungestörten Genuß der, wie behauptet, beiseite geschafften 110 000 Mark kompien werde. Brüning habe auch ihm stets erklärt, er besitze tatsächlich nichts mehr von dem Gelde. Plaidoycrs. Staatsanwaltschaftsrat Dr. Weismann kommt nach längerem Plaidoyer zu folgenden Strafanträgen: Gegen Brüning die höchstzulässtge Strafe von ö Jahren Ge- fängnis, 5 Jahre Ehrverlust,, gegen Hermann Kranich 3 Jahre Gefängnis, 5 Jahre Ehrverlust, gegen Olga Kranich 2 Jahre Ge- fängnis 6 Jahre Ehrverlust, gegen den Ehemann Hatte 1 Jahr 3 Monate Gefängnis und gegen Frau Hatte 9 Monate Gefängnis. Der Staatsanwalt stellte anHeim, den Angeklagten bis zu V?er Monaten die erlittene Untersuchungshaft auf die Strafe anzu rechnen. Rechtsanwalt Dr. Holpert wandt« sich in erster Linie gegen die Anwendung des höchst zulässigen Strafmaßes von 5 Jahren. Von den Rechtsanwälten Dr. Karl Liebknecht , Dr. Alfr. Ballien und Dr. Max Kantorowicz wurde für die üläigen Angeklagten geltend gemacht, daß diese offenbar unter dem Einfluß des Brüning zestanden und sich lediglich durch dessen Versprechungen und d!e Aussicht auf eine bessere Zukunft hätten verleiten lassen, von' dem eae des Ehrlichen abzuweichen. Jedenfalls sei Brüning seinen Helfershelfern geistig weit überlegen und was diese dann später getan hatten, sei lediglich die Folge, weil sie einmalA" gesagt und nun auchB" sagen mußten. Da diese Angeklagten außerdem ür ihre Beteiligung so gut wie nichts erhalten hatten, müsse ihre Berfehlung in einem weit milderen Licht erscheinen. R.-A. Dr. Liebknecht wies insbesondere darauf hin, daß die Angeklagten Hatte durch ihre Beteiligung völlig ruiniert worden seien und jetzt an dem Bettelstabe ständen. Der Angeklagte Brüning erklärt, zumletzten Wort" verstattet: Wenn ich mir eine Bitte erlauben darf an die Herren Richter, so will ich sagen, daß meine Tat furchtbar auf mir lastet, daß ich viel Unheil angerichtet habe und nun bitte, wenigstens die Leute, die ich unglücklich gemacht habe, milde zu behandeln." Um ki Uhr abends verkündete der Borsitzende, Landgerichts- direktor Dr. Karsten folgendes Urteil: Es werden verurteilt Brüning zu 4 Jahren und 6 Monaten Gefängnis, 5 Jahren Ehr­verlust, der Ehemann Hatte zu 1 Jahr und 6 Monaten Gefängnis, die Frau Hatte zu 1 Jahr vlefänguis<de« Eheleuten Hatte werde« je 5 Monate der Untersuchungshaft als verbüßt angerechnet), Olga Kranich zu 1 Jahr und 9 Monaten Gefängnis, 3 Jahren Ehrver- lust, Hermann Kranich zu 2 Jahren Olefängnis und 3 Jahren Ehrverlust. Die Angeklagte Ehefrau Hatte wurde auS der Haft entlassen, sämtliche Angcllagtcu verzichteten auf Einlegung der Re- Vision. Soziales. Die ivürttembergischen Konsumvrttine- Auf der am Sonnlag in Eßlingen abgehaltenen Landes» Versammlung konnte Verbands sekretär Feuerstem mitteilen, daß der Landesverband württembergischer Konsumverewe nun» mehr 95 Vereine mit über 100 000 Familien(im Vorjahr 84 000) als Mitglieder umfaßt und im Jahre 1912 einen: Umsatz von mehr als 30 Millionen Mark aufzuweisen hatte. Der Vorteil für die Mitglieder betrug nahezu drei Millionen Mark. Unter den Mitgliedern wurden neben 61 985 gewerblichen, und landwirtschaftlichen Arbeitern(im Vorfahr 56 143) mich 9402(8481) selbständige Gewerbetreibende, 4002(3040) selbständige Landwirte, 13 691(12 032) Beamte aller Art, Lehrer usw., 4684(4196) Pri-> vatiers, Witwen usw. gezählt. Die im Jahre 1912 in eigenen Be- trieben hergestellten Waren repräsentteren einen Wert Ha 4 624 000 (i. V. 3 986 000 M.) Der Umsatz im eigenen Geschäft betrug 26 Millionen(i. V. 22?L Millionen.) Von Landwirten direkt wurden für nahezu 2 Millionen Mark Waren eingekauft. Die Geschäfts» anteile beliefen sich auf 2 069 106 M., der Reingewinn auf 914 536 Mark. Die Rabatte der Mitglieder betrugen 1 509 549 M. An Stenern wurden im letzten Geschäftsjahr ausgegeben 390 971 M. 42,7 Proz. des Reingewinns; eine verhältnismäßig höhere Summe als von Aktiengesellschaften oder gewerblichen Unter- nehmungen irgendwelcher Art gezahlt wird. Ueber dieVolksfürsorge" hielt Gen. v. Elm, ein Vertreter des Zentralverbandcs, einen instrukttven Vortrag. Zum Jnternattonalen Genossenschastskongreß, der in diesem Jahre in Glasgow tagt, wurden 5 Vertreter gewählt. Neben dem bestehenden Vorstand wurde dann noch ein Verbandsausschuß von 7 Mitgliedern eingefetzt. Die Regierung, ebenso die städtischen und die Bezirksbehörden, hatten je einen Vertreter entsandt. SencKts- Zeitung Hohe Strafen gegen Chauffeure. Gegen die übertriebene Härte, mit der manche Gerichte schon kleine Verfehlungen angeklagter Chauffeure ahnden, haben wir uns vor einiger Zeit an dieser Stelle ausgesprochen. Gestern hatte das Landgericht Berlin II durch Strafkammer 5 zwei Urteile des Schöffengerichts Berlia-Tempelhof nachzuprüfen, die in zwei ver- fchiedenen Stvaffachen gegen Chauffeure ergangen waren und beide durch ihr hohes Strafmaß sowie durch die fast wörtlich über- einstimmende Begründung auffielen. Ein Chauffeur Nicolai war zu 50 M. Geldstrafe verurteilt worden, weil er aus der Camphaufenstratze in die Grimmstraße un- vorschriftsmäßig eingebogen war und dabei auch kein Warnungs- zeichen gegeben hatte. Nicolai bestritt nicht die ihm zur Last ge- legten Uebertretungen, er hatte aber Berufung wegen der Höhe der Strafe eingelegt und erwartete nun ein milderes Urteil. Vor der Strafkammer entschuldigte er sich damit, daß er nur deshalb vor« schriftswidrig gefahren sei, Iveil er die auf dem Straßendamm arbeitenden Schneeschipper(es war Anfang Februar) nicht ge- fährden wollte. Ein Schutzmann bekundete, daß Nicolai dabei einen Passanten gefährdet habe, so daß dieser habe beiseite springen müssen. Der Verteidiger, Rechtsanwalt Kurt Roseafeld, hob hervor, daß das Schöffengericht selber die Strafe als hoch bezeichnet habe. Die dem Urteil beigegebene Begründung, daß die Chauffeuremit brutaler Rücksichtslosigkeit durch die Straßen fahren", sei in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend und passe auch nicht auf die Ueber- tretung des Angeklagten. Zu ihrer Geringfügigkeit stehe die ihm zudiktierte Strafe, die den Angeklagten bei seinem geringen Ein- kommen hart treffe, in argem Mißverhältnis. Nach dem Antrag des Staatsanwalts entschied das Gericht, die Berufung sei zu ver» werfen. Das Publikum sollegegen Ausschreitungen der Chauffeure geschützt" werden, darum müsse die Geldstrafe von 50 M. aufrecht, erhalten werden. Nachher hatte bor derselben Strafkammer sich ein Chauffeur Löffler zu verantworten, der gleichfalls vom Schöffengericht Berlin- Tempelhof verurteilt worden war, weil er zu schnell gefahren fein sollte. Auch er hatte Berufung nur wegen der Höhe der Strafe eingelegt, indes auch er fand kein« Gnade vor der Strafkammer. Das Schöffengerichtsurteil begründete das Strafmaß wieder mit derbrutalen Rücksichtslosigkeit" der Chauffeure, ober in der Be- rufungsverhandlung wurde nicht ersichtlich, daß Löffler sich besonders rücksichtslos und brutal benommen hätte. DaS behauptete selbst der Schutzmann nicht, der mit der Stoppuhr festgestellt hatte, daß Löffler in der Aorckstraße zwischen Bautzener Straße und Katzbach» straße zu schnell gefahren war. Der Angeklagte, der sich selber ver- teidigte, führte zu seiner Entschuldigung an. daß sei» Wagen nicht in Ordnung gewesen sei. Bei dem Versuch, festzustellen, ob der Wagen noch leistungsfähig sei, habe er ein zu rasches Tempo ge- nommen. Dem Antrag des Staatsanwalts entsprechend urteilte das Gericht, die Berufung sei verworfen und es bleibe bei 40 M. Geldstrafe. Die Straße sei nicht dazu da, auf ihr den Motor eines Automobils auszuproben. Hohe Strafen wegen unerheblicher Kleinigkeiten sind, wie wir schon neulich ausführten, völlig ungeeignet, dem Schutz des Publi- kums zu dienen. Im Gegenteil: die durch Tatsachen nicht gerecht- fertigte fummarische Annahme,die Chauffeure seien brutal rück- sichtslos", ist geeignet, auch bei sehr besonnenen Chauffeuren eine Unruhe hervorzurufen, die die Sicherheit des Verkehrs erheblich zu gefährden geeignet sind. Ein nächtlicher Raubüberfall auf ein« 72jährige Greisin lag einer Verhandlung zugrunde, die gestern unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Dr. Seligmann das Schwurgericht des Land- jerichtS II beschäftigte. Aus der Untersuchungshaft wurden die Arbeiter Josef Blocznk und Stanislaus Szezepaniak vorgeführt, um sich wegen eines gemeinschaftlichen zur Nachtzeit mittels Ein- schleichcns in bewohnt« Gebäude begangenen schweren Raubes zu verantworten. In der Nacht zum 1. März d. I. wurde die in der Noonstraße 10 zu Johannisthal wohnhafte 72jährige Haus- besitzerin Wichelmine Brischke das Opfer eines nächtlichen Raub- Überfalles. Die alte Frau hatte an jenem Tage die Miete ein- kassiert und saß am Abend gegen IL Uhr in der Küche, um daS ein- genommene Geld nachzuzahlen. Plötzlich hörte sie im Neben- zimmer ein Geräusch. Kaum hatte sie dieses Zimmer betreten, als ein Mann auf sie zusprang, ihr eine Decke ünd ein Kissen ins Gesicht warf und beides fest auf ihren Mund drückte, um sie am Schreien zu hindern. Gleichzeitig packte der Unbekannte die alle Zrau am Halse, warf sie zu Boden und würgt« sie längere Zeit. ütDp die Greisin am Boden lag, erkannte sie in dem Räuber einen rüheren Mieter, den jetzigen Angeklagten Szezepaniak. Sie rief ihn mit seinem Namen an und bat ihn, sie nicht mehr zu schlagen, er solle die Tasche mit dem Geld ruhig nehmen. Der Täter nahm die Tasche, welche 390 M. enthielt, auch sofort an sich und reichte sie durch das offenstehende Fenster einem draußen stehenden Manne zu. Dies soll der jetzige Angeklagte Bloczyk gewesen sein. In der gestrigen Verhandlung bestritten beide Angeklagte, als Täter in Frage zu kommen und ließen durch die ihnen als Offizial­verteidiger gestellte n Rechtsanwälte Dr. Hamburger und Dr. Joachimczhk einen Beweis dafür antreten, daß sie zur Zeit der Be- gehung der Tat sich gar nicht in der Nähe des Tatortes befunden hatten. Di« Verhandlung zog sich vom frühen Morgen bis 6 Uhr nachmittags hin. Dem Wahrspruch der Geschworenen gemäß wurden die Anae- Nagten verurteilt: Bloczyk zu 4 Jahren Gefängnis, Szezepaniak zu 5 Jahren Gefängnis. Revision im Prozeß Sternickel. Das Reichsgericht hat gestern die Revision der drei Gawssen Sternickels. Willi Kersten, der als Jugendlicher zu 15 Jahre« Ge» ängnis, Georg Kersten und Franz Schlirveuz, die zum Tode der- urteilt worden waren, vertuorseu.