Die Gewinnung Berlins für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein. L-Ulgsam. nur sehr langsam vollzog sich die Gewinnung Ber lins für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein. Hier, wo schon vor dem Revolutionsjahr 1848 Sektionen des Bundes der Kom munisten gestanden hatten— hier, wo im Revolutionsjahr das von Mitgliedern des Kommuniftenbundes gegründete und geleitete „Zentralkountce für Arbeiter" den ersten allgemeinen deutschen Arbeiterkongreg einberufen und dieser in der„Deutschen Arbeiter Verbrüderung" die Grundlage einer selbständigen Partei der beut- schcn Arbeiter geschaffen hatte— hier, wo Lassalle am 12. April 1862 vor einem überwiegend aus Arbeitern bestehenden Publikum seinen wunderbar klaren und packenden Vortrag über den Beruf der Arbeiterklasse in der modernen Gesellschaft, das„Arbeiter Programm", gehalten hatte, gerade hier erwies sich der Boden un» gemein spröde für die Lassallesche Organisation. Auf dem Leip- zigcr Kongreß, der die Gründung des Allgemeinen Deutschen Ar- bcitervereins beschloß, war die Hauptstadt Preußens unvertreten. In der ersten Zeit machte man dafür besondere schlechte Eigen- schaften der Berliuer Arbeiterschaft verantwortlich.„Gleichgültig- kcit",„Vergnügungssucht",„Witzelei" der Arbeiter Berlins zählt Bernhard Becker, der erste Geschichtsschreiber der Lassalleschen Agitation, als Ursachen ihres Zurückbleibens auf. Das war aber böchst oberflächlich geurteilt. Es fehlte in Berlin damals durch aus nicht an geistig vorwärts strebenden Arbeitern. Wenn diese sich nicht ohne weiteres der neuen Bewegung anschlössen, so lag der Grund dafür tiefer. Nirgends hatte nach dein Niederschlagen der Märzrevolution die Reaktion in Deutschland so gewalttätig gewütet, wie in dem jahrelang von ihr in Belagerungszustand gehaltenen Berlin . Und zwar gerade auch gegen die Arbeiterbewegung. Alles, was nur entfernt nach Arbeiterorganisation aussah, wurde rücksichtslos unterdrückt, selbst den von der Arbeitervcrbrüderung ins Leben gerufenen Gesundheitspflcgeverein ereilte dies Schicksal. Und ebenso wurden alle Personen, die der Polizei als Vertrauens- männer der für ihre Befreiung opferbereiten Arbeiterschaft be- kannt waren, aus Berlin ausgewiesen. Allein im Mai 184g sollen über 1000 Personen von der Ausweisung betroffen worden sein. Es war geradezu eine politische Dezimierung des demokratischen Berlins . Die Arbeiter teilten durchaus, die Niederlage der klein- bürgerlichen Demokratie. Sie sahen sich als deren Leidensgenossen und die natürliche Folge blieb nicht aus. Hatten schon im Re- volutionSjahr gerade dtie aus der Kommunistenbewegung hervor- gegangenen Führer der Berliner Arbeiter wiederholt erklärt und es auch durch die Tat bekräftigt, daß sie im Kampf gegen die Reaktion hinter der bürgerlichen Demokratie stehen würden, hatten nainentlich die Maschinenbauer Berlins mit dem demokratischen Bürgertum gemeinsame Sache gemacht, so wurde die Bundes- gcuoffenschaft unter den Schlägen und dem Druck der Reaktion zu einer Parteigenossenschaft zusammengeschmiedet. Die Maschinenbauer, in deren Reihen wir einen Teil der Auslese der Berliner Arbeiterschaft zu suchen haben, wurden die Schutztruppe der demokratischen Partei und. nach deren Häutung, der Fort- schrittspartei. Nirgends war das mittlerweile gegründete Berliner Organ der kleinbürgerlichen Demokratie, die«Berliner Volks- zeitung", so beliebt, wie bei den Maschinenbauern Berlins . 11 Diese Popularität erklärt sich zudem aus der ganzen damaligen politischen Situation und der sozialen Verfassung der Arbeiter- schaft Berlins . Den Gedanken an einen baldigen Wiederausbruch der Revolution hatte man aufgegeben, vom Staat erwarteten die Ärbeitcr nichts, er war gerade den vorgeschrittenen Arbeitern, die ihn ja nur als Polizcistaat kannten, gründlich verhaßt. Was sie vielmehr zunächst brauchten, war Befreiung von politischer und bnreaukratischer Bevormundung. DaS stimmte nun durchaus mit dem Programm der kleinbürgerlichen Demokratie überein. Außer- dem fesselte die Arbeiter an die bürgerliche Demokratie deren Eifer für Bildungseinrichtungen. Die Lehrer dcS 18S9 wieder ins Leben gerufenen Berliner Handwcrkervereins waren Anhänger der Fort- schrittspartei, und was man der„Berliner Bolkszcitung" politisch auch vorwerfen konnte, durch ihre naturwissenschaftlichen Aufsätze, die an Volkstümlichkeit nicht übcrtroffcn werden konnten, hatte sie die Herzen gerade des bildungsfreudigsten Teils der Berliner Ar- beiterschaft gewonnen. Das Streben nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis ist ja dem modernen Arbeiter geradezu angeboren. Freilich hatte die bürgerliche Demokratie, als sie sich mit Teilen der Altliberalen und Konstitutionellen zur Fortschrittspartei ver schmolz, diesen zuliebe die Forderung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts aus dem neuen Programm fortgelassen. Aber das hatte die Arbeiter nicht sonderlich berührt. In den Reaktionsjahren waren sie der Wahlurne ferngeblieben, und zum Glauben an eine besondere politische Kraft des allgemeinen und gleichen Wahlrechts, fehlte ihnen das Vertrauen in die Reife der eigenen Klasse. Es erschien ihnen daher auch nicht alz eine drin- gende Forderung, und so verfehlten gerade die Ausführungen Lassalles im„Arbeiterprogramm" über die Bedeutung des Allge- meinen Wahlrechts die tiefere Wirkung. Prinzipiell hatten sich zudem auch die Schulze-Delitzsch und die anderen, in der Ar- beiterschaft wirkenden Vertreter der Fortschrittspartei fiir dieses Wahlrecht erklärt, die„Volkszeitung" es die„Kardinalforderung der Demokratie" genannt. Aber die Fortschrittler fanden zur Zeit auch beim Klassenwahlrecht ihre Rechnung, und den Arbeitern war die Aenderung des Wahlsystems noch kein Bedürfnis. Nun hatte Lassalle in den ersten Jahren seines Berliner Auf- cnthalts ausschließlich in de» Kreisen der geistigen Aristokratie des Bürgertums sich bewegt, dort Freunde und Verehrer erworben, war den Arbeitern dagegen unbekannt geblieben. Jetzt aber, wo er anfing, vor Arbeitern Vorträge zu halten, war sein persön- licheS Auftreten unglücklicherweise ein solches, daß er sie eher abstieß, als für sich einnahm. Er hatte nichts von den Bieder- mannsmanieren an sich, durch die ein Teil der Fortschrittler sich bei den Arbeitern beliebt machte, noch hatte er daS Aeußere und Wesen eines Gelehrten, dem man Zurückhaltung nachsieht. Wie wir heute aus seinen Briefen wissen, waren es sehr achtungs werte Eigenschaften, die ihn abhielten, in Arbeiterversammlungen sich anders zu geben, als vor seinen Bourgeoisbekannten. Aber die Wirkung war, daß der hochelegant gekleidete Mann nicht das per- önliche Vertrauen einflößte, wie sein Gegner Schulze-Delitzsch , dem der bessere„Volksmann" im Blute saß, und von dem die Arbeiter im Norden wußten, daß er in der Reaktionszeit zu ihnen gestanden hatte. Schulze-Delitzsch war in Berlin der Held der Arbeiter als der Leipziger Kongreß tagte. Unter seiner Leitung war am 18. Januar 1863 ein„Berliner Arbeiterverein" gegründet worden, in dessen Listen sich gegen 2000 Arbeiter einzeichnen ließen. Am 19. April 1863 hatte dieser Arbeiterverein einstimmig eine Resolution angenommen, in der er erklärte, daß„in Selbsthilfe und Selb st Verantwortlichkeit allein den Arbeitern die Mittel geboten" seien, eine ihrer würdige Stellung in der staat - lichen Gesellschaft einzunehmen, und daß die Aufforderung Lassalles, dem allgemeinen, gleichen, direkten Wahlrecht Geltung zu verschaffen,„für jetzt nicht geraten" erscheine, weil„da» ganze Volk zu dem Prinzipiellkampfe, in dem es sich mit der Regierung befinde, fest zusammenstehen" müsse. So dachten die Arbeiter da- mal» wirklich. Der einzige Redner, der in jener Versammlung gegen Schulze-Delitzsch gesprochen hatte, war der der Polizeispitzelei verdächtig gewordene Arbeiter Eichler, dem man mit dem Rufe: „haut ihnl" antwortete. Einen Gegner, der auf die Arbeiter Ein- druck machen konnte, fand Schulze nicht. Lassalles Freund und Verehrer Ludwig Löwe beschränkte sich darauf, Lassalle 'persönlich zu verteidigen, ging aber auf dessen Programm nicht ein. So wenig Anklang fand daher die neue Bewegung in Berlin , daß als am 1. Juli 1863 die ex sie Berliner Gemeinde des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins ins Leben trat, sie aus dem von Leipzig nach Berlin übersiedelten Sekretär des Verein», Julius Bohl- t e i ch, den beiden Altgesellen des Schuhmachergewerks, Theodor M e tz n e r und Fr. Arndt, sowie noch gerade zwei Personen bestandl Bis zltNl Herbst vernlehrte sich die Zahl durch persönliche Werbung auf gegen 50, darunter de» soeben au» dem Exil nach Deutschland übersiedelte Wilhelm Liebknecht , sowie noch eine Anzahl von Angehörigen literarischer Berufe. Aber die meisten Beigetretenen waren nur halbgewonnene, mehr durch Neugierde wie durch Ueberzeugung angezogen. Im Herbst 1863 nahm Lassalle selbst die Agitation in Berlin auf. Er veröffentlichte eine„Ansprache an die Arbeiter Berlins ", in der er den Vorwurf, reaktionär zu sein, sehr geschickt zurück- wies. Weniger geschickt war wiederum sein persönliches Austreten. Er zeigte sich ungeduldig gegen Einwände und Gegenvorschläge und verursachte dadurch in seinen ersten Versammlungen Szenen, die den Spott der gegnerischen Presse hervorriefen. Die ersten Versammlungen wurden als Vereinsversammlungen einberufen mit der Bestimmung, daß nur Mitglieder oder Personen, die sich einzeichnen wollten, Zutritt hätten. Da es nun eine ziemliche Anzahl Leute gab, welche die Neugierde antrieb, Lassalle zu hören, fehlte es in der Tat nicht an Einzeichnungen, aber unter den Ein- gezeichneten sah es um so bunter aus. Am 22. November 1863 hielt Laffalle im damaligen Maschinen- bauerviertel Berlins seine erste öffentliche Versammlung ab. Das Lokal, wo sie stattfand, hieß„Eldorado" und befand sich Ecke der Bergstraße und der jetzigen Elsässer Straße— damals noch außerhalb der Stadtmauer Berlins . Obwohl die Fortschrittspresse vom Besuch der Lassalleschen Versammlungen abgemahnt hatte, war der mäßig große Saal reichlich gefüllt, und längere Zeit verlief die Versammlung ohne erhebliche Störung. Als aber Lassalle immer schärfer gegen die Fyrtschrittsführer und speziell Schulze-Delitzsch loszog, unterbrach ihn schließlich die Masse der Anwesenden durch stürmische Hochrufe auf Schulze-Delitzsch . Dann brach die Polizei ein, erklärte die Versammlung für aufgelöst und Lassalle für ver- haftet. In der Erregung ließ ein Teil der Anwesenden sich dazu hinreißen, dem brutalen Polizeiakt zu applaudieren. Die Verhaftung galt nicht dem Vortrag, sondern der vorer- wähnten Ansprache. In einem Aufruf, in welchem er das Bravo- klatschen gegen die Fortschrittspartei ins Feld führte, kündigte Laffalle Fortsetzung des Vortrags auf den 6. Dezember 1863 an. Die Fortschrittspresse forderte noch eindringlicher als vorher ihre Anhänger auft aus den Lassalleschen Versammlungen fortzubleiben, und in der Tat fiel der Besuch nun erheblich schwächer aus. Da- mit fiel aber auch das Interesse am Verein und mit seiner Mit- gliederzahl ging es schrittweise rückwärts. Von gegen 200 um das Ende November 1863, schmolz sie bis zum Frühjahr 1864 auf einige 30 zusammen, um sich bis zu Lassalles Tode nicht mehr zu heben. In einem kleinen Lokal in der Mauerstrahe kam man im Sommer 1864 zusammen und pflegte Debatten, die starke Meinungsver» schiedenheiten über die Lassallesche Taktik zutage treten ließen. Während andere Mitgliedschaften des Vereins auf die Kunde von Lassalles Ableben eine Trauerfeier zu seinen Ehren veranstalteten« ist es in Berlin nicht dazu gekommen. Erst nach Lassalles Tode ist eS dessen Nachfolger, I. B. von Schweitzer, in langsamer Arbeit gelungen, die Berliner Mit» gliedschaft in die Höhe zu bringen. Ueber so außerordentliche Gaben Schweitzer verfügte, so kann man ihn doch in bezug auf Wissen, Genialität und philosophische Tiefe nicht Lassalle an die Seite stellen. Ihm fehlte auch das leidenschaftliche Feuer, welches in Lassalle glühte. Aber als Taktiker war er unzweifelhaft ihm über- legen. Er verstand es, durch Anknüpfung an Tagesereignisse, durch Veranstaltung von Disputationen, durch kluge Heranziehung von Rednern, Interesse an seinen Versammlungen zu erregen, trat, bei unausgesetzter scharfer Kritik der Fortschrittspartei, doch wiederholt dieser im Kampf gegen die Regierung zur Seite, zeigte in allen Diskussionen, sei es mit Fortschrittlern oder sonstigen Lokalgrößen, darunter der von 1848 her bekannte Demagoge F. W. Held, seinen Gegnern den Meister, und brachte es auf diese Weise schließlich dahin» daß der Verein wirklich große Volksversammlungen ab- halten konnte. Es kam sogar dazu, daß fortschrittliche Bezirks- vereine sich von Schweitzer Vorträge halten ließen. Daneben kamen der Entwickelung des Verein» in Berlin die Lohnbewegungen der Arbeiter zugute, die sich von 186S an immer stärker einstellten. Die Koalitionsverbote waren, noch ehe sie durch die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes aufge- hoben wurden, schon im Jahre 1865 hinfällig geworden. Immer stärker machte sich der Koalttionsdrang in der Arbeiterschaft gel- tend, und wenn auch die„Berliner Volkszeitung" bei den Lohn- an; andere hielten fest zu Becker, allein seine Rolle war ausge- spielt. Der Verein spaltete sich. Becker war 1865 aus Preußen ausgewiesen, was übrigens Liebknecht, auch widerfuhr. Becker ging nach Wien , wo er an seinem Feinde Schweitzer eine eigenartige Rache nahm. Dieser hatte seinen Freund Hofstetten nach Wien geschickt, um die Wiener Arbeiter in einer großen Ver» sammlnng für den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein zu ge- Winnen. Hofstetten geriet in Geldmangel und ging zu Becker in seiner Not. Becker riet ihm, den Grafen Plate», den Agenten des inzwischen vertriebenen Königs von Hannover in Wien , sowie den Pater G r e u l e r. einen Führer der klerikalen Partei, um Unterstützung anzugehen. Hofstetten tat dies auch, aber ohne Er- folg. Am Tage, bevdr die angekündigte große Arbeiterversamm- lung stattfand, enthüllte Becker in einem Wiener Blatte, daß Hofstetten bei dem Grafen Plate» und dem Pater Greuler gewesen. Der arme Hosstetten mußte also belastet vor die Versammlung treten und fiel natürlich bei dieser fürchterlich ab. Becker ging nach Paris , von wo er als Deutscher während des Krieges von 1870 ausgewiesen wurde. Er kam in kläglichem Zu, stand nach Deutschland , wo er sich an die inzwischen entstandene Eisenacher Richtung der Sozialdemokratie anschloß. Er stieß an- fangs auf großes Mißtrauen, aber man war nicht so kleinlich, ihm seine Vergangenheit dauernd nachzutragen; ohnedies erklärte sich alles aus der nach LassalleS Tode eingerissenen Verwirrung. Man war auch froh, bei dem damaligen Mangel an brauchbaren Journa- listen Beckers Kenntnisse verwerten zu können, und da er seiner sozialdemokratischen Gesinnung stets treu geblieben war, übersah man seine persönlichen Entgleisungen um so leichter. Er ward 1871 erst an der„Chemnitzer Freien Presse", dann an dem„Braun- schiveiger Volksfreund" als Redakteur angestellt und leistete als solcher treffliche Dienste. Der von Schweitzer geleitete Allgemeine deutsche Arbeiterverein wurde von ihm heftig bekämpft, was im Sinne der Eisenacher Richtung war. 1872 mußte er in» Gefängnis wandern und ich wurde nach Braunschweig berufen, um ihn zu ver- treten. Wir wurden in der Folge, als wir zusammen wohnten. intime Freund«. Wenn man sich in seine Sonderbarkeiten fand. konnte man sich leicht mit ihm vertragen, und er war dann liebens- würdig, gefällig und ein hochinteressanter Gesellschafter; er wußte namentlich aus seinem Flüchtlingsleben in England fesselnd zu erzählen. Er arbeitet« damals an seinen historischen Werken. Wir standen früh auf und während ich meinen täglichen Leitartikel schrieb, kochte er Kaffee und diente mir mit seinem umfassenden Wissen zugleich als Univerfal-Lexikon. Wie seiner Gesinnung blieb er auch seinen Sonderbarkeiten irr». Ich bemerkte einst, daß er unter den Kleidern einen Strick mit einem eisernen Haken um den Leib tricg. Auf meine ver- wunderte Frage antwortete er, man könne nie wissen, ob es nicht zu einem Barrikadenkampf komme. Mit diesem Strick könne man sich ans den Hinterfcnstern der Häuser hinablassen, wenn sie vom Feinde von vorn eingenommen würden. So sehr lebte er in den Voejtcttungcn von 1843. Beckers Schriften von damals fanden eine vortreffliche Auf- nähme, namentlich„Die Jesuiten und die Freimaurer " sowie„Die Reaktion in Deutschland " und„Die Arbeitcr-Agitation Ferdinand Lassalles". Diese Werke sind heute nur noch antiquarisch zu haben. 1872 war er noch Delegierter für Braunschlveig auf dem Haager Kongreß; einige Zeit nachher ging er wegen eines ver- meintlich ihm drohenden PrehprozesseS in die Schweiz . Er schrieb dort noch einige historische Werke, zuletzt ein sehr gehässiges gegen die Pariser Kommune . Ich hatte noch einige Briefe von ihm erhalten, dann hörte man lange nichts mehr von ihm. Aeußerlich erschien er als ein Typ des deutschen Professors resp. Sprachlehrers. In England hatte er sich angewöhnt, stets schwarzen Zylinder und schwarzen Gehrock zu tragen. Sein run- deS, meist freundliches glattes Gesicht mit dem kleinen blonden Schnurrbärtchen ließ nicht den Revolutionär ahnen, der schon als Schüler seinen Lehrern Schrecken eingeflöht hatte. Beim Kneipen war er sehr ausdauernd. Er hatte immer gesagt, daß er sich erschießen werde, wenn das Alter käme. 1882 hat er sich tatsächlich in Lützen , wo sein Schwager wohnte, erschossen. Sein Tod ward so geheim gehalten, haß man in der Partei erst zehn Jahre nachher davon erfuhr. Friedrich Wilhelm F r i tz s ch e, geb. 1325 in Leipzig , wurde Ztgarrenarbeiter und warf sich als solcher mit allem Eifer in die Bewegung von 1843. Im Mai 1849 kämpfte er auf den Dresde - ner Barrikaden und wurde von den Preußen gefangen genommen. Wie er hinterher der Justiz entging, ist mir nicht bekannt. Er gehörte zu dem Komitee, welches 1863 an Lassalle eine Deputation sandte, und war auch bei dieser. Erst beim Allgemeinen deutschen Arbeiterverein , den er als Delegierter von Leipzig mit begründen half, schwankte er längere Zeit zwischen„Eisenachern" und „Lassalleemern" hin und her. Auf dem Gothaer VereinigungZ- kongreß setzte er die Ausnahme deS bekannten Lassalleschen Satzes von der„reaktionären Masse" in» Programm durch. Er gründete 1865 den Deutschen Tabakarbeiterverein und berief 1368 mit Schweitzer den Allgemeinen deutschen Gewerkschaftskongreß. Er wurde 1863 für Lennep-Metimann in den Norddeutschen Reichstag gewählt; ebenso 1877 und 1878 für Berlin IV in den Deutschen Reichstag. Wir lernten uns 1877 im Reichstage näher kennen und schloffen uns bald enger aneinander an. Als wir dort den großen Arbeiterschutzantrag ausarbeiteten, leistete Fritzsche durch seine Kenntnisse in dieser Materie der Fraktion treffliche Dienste. Wir gingen viel zusammen aus, und es war fiir ihn ein Ver- gnügen, mir das alte Berlin , namentlich die Schauplätze der März- revolution. zu zeigen. Ich erinnere mich einer sehr schönen Judi- läumSfeier in seiner Wohnung, wo er den liebenswürdigsten Wirt machte. Liebknecht taufte ihn damals„den noblen Proletarier". Er sah mit seiner hohen Gestalt, seinem charakteristischen Antlitz und seinem langen weißen Kart wie sin»nckermärktscher Grande" aus. Er besaß ein nicht unbedeutendes poetisches Talent, und in seinen„Blutrosen" befinden sich schöne revolutionäre Gedichte. Das Sozialistengesetz trieb ihn über den Ozean; als er durch Bremen kam, wo ich damals mich aufhielt, nahmen wir, zwei Aus- gewiesene, bewegt voneinander Abschied. Er starb vor einigen Jahren in hohem Alter in Philadelphia . Der dritte Achtundvierziger unter den mir persönlich bekannten Delegierten war Hugo Hill mann aus Elberfeld , den ich 1873 auf dem Kongreß zu Eisenach kennen lernte. Eine hohe Gestalt mit kahlem Haupt und scharfen Gesichtszügen. Bernhard Becker sagte von ihm. er habe genau so ausgesehen wie jener H e n r i o t, der 1194 während der Diktatur Robesplerres die Pariser Nationalgarde befehligte und mit Robespierre hingerichtet wurde. Hillmann hatte 1849 am Aufstand in Elberfeld teilgenommen und war dann nach Nordamerika ausgewandert. Ob er drüben wirklich solche romantischen Abenteuer bestanden hat. wie sie der berüchtigte ,.Kreuzzeitungs"-G ö d s ch e— Pseudonym Sir Job» Retclifse in- seinem Schauerroman„Nena Sahib" beschreibt, sei dahingestellt. Als er in den sechziger Jahren zurückkam, schloß er sich Lassalle an und war, wie Fritzsche, eine Zeitlang Vizepräsident des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins . Er trat später zu den Eisenacher« über. Hillman», der einen schweren Kampf um» Dasein zu führen hatte, ist schon lange gestorben. Theodor U o r ck, geboren 1830 zu Breslau , war unter den Delegierten in Leipzig der einzige, der gegen die Präsidentschaft Lassalles stimmte, weil«r dessen Ehrgeiz fürchtete. Dagegen hielt er die Organisation des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins stets für die beste. Er trat zu den Eisenachern über und kam bald in deren Parteileitung. 1870 wurde er auf kurze Zeit verhaftet. Tischler von Beruf, erwarb er sich große Verdienste um die Gewerk- schaft der Holzarbeiter. Wir lernten uns 1873 auf einem Arbeiter. tage in Braunschweig kennen. In dieser kleinen, Halbverkrüppelton Gestalt mit einem stet» mürrisch aussehenden Antlitz— eine Wir- lung harten Kampfes ums Dasein � lebte eine Feuerseele, die sich flammend ausströmte, wenn er von der großen Zukunft sprach, welche die von ihm auSgedachte Gewerkschafts-Union den Arbeitern bringen sollte. Seinem Einflüsse war es zuzuschreiben. daß ich 1373 an den„Volksstaat", das Zentralorgan der Eisenachtirs berufen wurde, denn er liebte meine, wie er sagte, populAro Schreibweise. Wir sahen uns zuletzt in Erfurt , wo wir in dw Saal, der einst das„Parterre der Könige" gesehen, zusammen ein- große Arbeiterversammlung abhielten. Kurze Zeit darauf, am 1. Januar 1875, starb er. Partei und Gewerkschaften haben aa diesem Manne gleich viel verloren. Jakob A u d o r f, der Dichter der Arbeitermarseillaise, war 183S als Sohn eines Haartuchwebcrs zu Hamburg geboren. Dev Vater, mit dem ich auch oft zusammengekommen bin, hatte olss sechsjähriger Knabe die grausame Austreibung der Hamburger? durch Da von st mitmachen müssen; in der Folge war er An� Hänger de» Sozialismus und Mitglied des alten KonVmumsten- bunö«». Wofür es drei Monate eingekerkert wurde. Kr war«wch
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