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schaffen und' in den Unterricht mitzubringen/ Andernfalls Sie sich strafbar machen. Bevor wir Ihre Bestrafung veranlassen, weisen wir Sie biermit nochmals auf Ihre Pflichten hin und fordern Sie auf, sofort den getroffenen Anordnungen nachzukommen, andernfalls Ihre Bestrafung unnachsichtlich erfolgen wird." Da an der Schkeuditzer Fortbildungsschule ein Lesebuch bisher überhaupt noch nicht existiert Hätz, und eine politische Zeitung von der Qualität vonWir sind Deutschlands Jugend" schon aus diesem Grunde nicht alsLernmittel" im Sinne des Ortsstatuts für die Fortbildungsschule in Frage kommt, ist in dieser Sache noch nicht das letzte Wort gesprochen. Die Gerichte werden Gelegenheit haben, nachzuprüfen, ob diese famose Verordnung des Regierungspräsi- denten und die Strafandrohungen rechtsgültig sind. Klage des Reichstagsabgeordnetcn lheld gegen Kerr. Vor dem Schöffengericht Charlottenburg , unter dem Vorsitz des Reichsgerichtsrats Schmidt, wurde gestern der Beleidigungs- Prozeß des Neichstagsabgcordnetcn Held gegen den Herausgeber der ZeitschriftPan" Dr. Alfred Kerr fortgesetzt, der bereits am L3. April begonnen hatte und damals zur Vernehmung weiterer Zeugen vertagt wurde. Es handelt sich bei diesem Prozeß be- kanntlich um zwei Artikel Dr. Kerrs, worin das Verbleiben des 1Sl2 wieder in den Reichstag gewählten Abgeordneten Held im Reichstag und in der nationalliberalen Partei bekämpft und auf ein Urteil des Landgerichts Hannover Bezug genommen wird, das in einem Beleidigungsprozeß erging, den Held angestrengt hatte und das von Fälschungen und Erpressungen und von einer un- lauteren Ausbeutung des Reichstagsmandats spricht, die sich Held habe zuschulden kommen lassen. Die Verhandlung zog sich bis nach S Uhr abends hin. Aus dem zur Verlesung gelangten, Held belastenden Urteil ergibt sich, daß ihm als Erpressungsversuch zur Last gelegt wurde, daß er im Verlauf seiner Geschäfte mit dem Kohlensyndikat gegen einen seiner Teilhaber einen Entschädigungsanspruch für erlitte- nen Schaden erhoben und für den Fall der Nichterfüllung dieses Anspruches drohte, den Betreffenden beim Kohlensyndikat anzu- zeigen, daß er einem Dritten zur Beschaffung von Kapital behilf- lich gewesen wäre, welches dazu dienen sollte, ein außerhalb des Syndikats stehendes Kohlengeschäft zu begründen. Dies wird von der Strafkammer als Erpressung angesehen. Weiter findet sich in diesem Urteil die mehrfach zitierte Redewendung von der Herab- Würdigung des Reichstagsmandats zu niedrigen, privaten Geld- interessen, weil nämlich Held wieder einem andern Mann gegen- über, mit dem er in Geschäftsverbindung stand, gedroht habe, seinen Einfluß als Reichstagsabgeordneter zu dessen Nachteil zu verwenden. Der Vorsitzende erklärt, daß das Gericht einen Wahrheits-. beweis über die rechtskräftig entschiedenen Tatsachen nach§ 190 der Strafprozeßordnung nicht zulasse. Die Zeugen, unter denen sich die nationalliberalen Abgeord- neten Schiffer und Görck sowie der Generalsekretär der national- liberalen Partei Breithaupt und der fortschrittliche Parteisekretär Heile befanden, bekunden unter anderem: Die nationalliberale Braktion habe auf Grund des Urteils des zu der Verhandlung nach annover entsandten ReichStagsabgeordneten Görck sich dahin ent- schieden, daß kein Grund zu einem Vorgehen gegen Held vorhanden sei. Held ist auch Lotteriekollekteur. Die Frage, ob ihm die Lotteriekollekte zu entziehen sei, ist bis nach Entscheidung des Prozesses Held gegen Kerr ausgesetzt. Das Urteil lautete auf 150 M. Geldstrafe und Publikationsbefugnis für den Privatkläger. In der Begründung wird ausgeführt, daß das Ge- richt nicht etwa dem Privatkläger eine Ehrenerklärung zu geben, sondern nur zu prüfen habe, ob nicht erweislich wahre Tatsachen, die ihn verächtlich zu machen geeignet sind, behauptet worden seien. Dies sei der Fall durch die nichtbewiesene Beschuldigung der Er- Pressung und der Täuschung der nationalliberalen Fraktion. Auf die bereits durch Gerichtsurteil entschiedene Sache könne nicht zu- rückgegriffcn werden. Für die Täuschung der Fraktion aber sei keinerlei Beweis erbracht worden. Es könne wohl dem Angeklagten zugebilligt werden, daß er auch eine gute Absicht gehabt habe, diese sei jedoch weitaus aufgehoben dadurch, daß er einfach dem Ber - liner Publikum eine geistreiche und amüsante Lektüre habe bieten wollen, wobei das Publikum sich sagt: Na, dem hat erS gut gegeben! Aus der ganzen, gewiß geistreichen Schreibweise der Artikel gehe diese rein beleidigende Absicht hervor, und es könne daher der 8 l93 ihm nicht zuerkannt werden, obgleich der Fall Wohl denkbar sei, daß die Presse in Wahlzeiten auch genötigt sein könne, einmal die Wähler vor einem Kandidaten zu warnen und das, was gegen die- sen Kandidaten vorliegt, den Wählern mitzuteilen. Davon könne aber hier keine Rede sein, denn die Angriffe erfolgten erst zehn Monate nachdem Held wieder dem Reichstage angehörte. Gegen das Urteil wird Dr. Kerr Berufung einlegen. Aus Imluftm und Randd. Deutsche Anleihen. Die schlechte Aufnahme, die deutsche An- leihen finden, hat nach derFrankfurter Ztg." dazu geführt, daß dem Konsortium für die deutsche Reichsanleihe und die preußischen Konsols� auf den Uebernahmelurs von 97 Proz. eine Extravcrgütung von 0,23 Proz. dafür bewilligt worden ist, daß noch größere Be- stände letzterer Anleihen sich in seinem Besitz befinden. Nach Informationen des genannten Blattes setzen sich die letzteren Be- stände des Konsortiums aus rund 80 Millionen Mark vierproz. Anleihen und 177 Millionen Mark preußischer Schatzanweisungen zu- sammen. Daß noch nachträglich den Banken vom Reich und Preußen Ent- schädigung gezahlt wird, weil sie sich in ihrer Beurteilung des Marktes geirrt haben, ist sehr merkwürdig und für die Macht der Banken bezeichnend. Es beweist, wie völlig risikolos das Anleihen- geschäft für die Finanz ist. Geht's gut, dann streicht sie den Gewinn ein, gehl s minder gut, dann lassen sie sich bei der nächsten Ge- legenheit Extravergütungen zahlen. Vom Ansfuhrprämienskaudal! Schon im vergangenen Jahre wurden in Rußland Forderungen laut, die Maßnahmen gegen die Einfuhr von Roggen aus Deutsch - land verlangten. Man erlebte nämlich das eigenartige Schauspiel, daß au? Deutschland große Mengen in das Roggenland Rußland gebracht wurden, die hier die Preise drückten. Das war nur möglich infolge unsere? bekannten Einfuhrscheinsystems. Für jede aus Deutsch- land nach dem Auslande gebrachte Tonne Roggen erhalten unsere Ex- porteure aus der Reichskasse eine Prämie in Höhe von 50 M. Für die JnlandSkonsumenten, die die Ausfuhrprämie in Gestalt von Zöllen aufbringen müssen, wird diese Steuer zu einen, Hebel, der den Inlands- preis mächtig hiuaufdruckt. Je mehr Roggen, dessen Einfuhr der bestehende Zoll erschwert, ,nS Ausland geworfen wird, je mehr Ausfuhrprämien das Volkk aufbringen muß, umsomehr schwächt auch daS Angebot auf dem Inlandsmarkte ab und die Preise steigen. blun haben sich die Verhältnisse in diesem Jahre noch weiter zu un- Künsten der inländischen Verbraucher verschlechtert. Es betrug näm- »ch die Ausfuhr in den ersten 4 Monaten der Jahre: �2: Roggen 2 562 207 Dz. j 1913: Roggen 2 836 860 Dz. lbl2: Roggenmehl 350 297,|1913: Roggenmehl 652 092 Diese gewaltige Ausfuhrsteigerung macht sich natürlich auch in f** Höhe der Ausfuhrprämien bemerkbar. Sie ergaben für die �sten 4 Monate der Jahre 1911... 36 857 230 Mark 1912... 41 964 296 1918... 51173 670 Diese Entwickelung der Dinge hat nun wieder mächtig Ruß- land verschnupft. Man will ihr durch Einführung von entsprechenden Zöllen auch in Finnland begegnen. Eine Delegiertenkonferenz Wirt- schaftlicher Körperschaften beschäftigte sich mit der Frage von Maß- nahmen zur Verhinderung ausländischer Getreidezufuhr nach Finn- land. Die meisten Teilnehmer vertraten den Standpunkt, daß die Einführung besonderer Zölle auf das nach Finnland importierte Getreide und Mehl ohne Rücksicht auf Deutschland jederzeit geschehen könne, da nur für eine allgemeine Abänderung des finnländischen Zoll- tarifes die im geltenden Handelsvertrage vereinbarte vorherige Be- nachrichtigung Deutschlands mit längerer Ansagefrist obligatorisch sei. Diese Mitteilung stößt in Deutschland auf Widerspruch. Jene Absicht soll mit den getrossenen Vereinbarungen nicht im Einklang stehen. Der Streit darüber wäre Deutschland erspart, hätte man mit dem skandalösen Einfuhrscheinsystem nach den Forderungen der Sozialdemokratie aufgeräumt. Die Agrarier allerdings wollen es lieber auf einen Zollkrieg ankommen lassen. Dabei würde ihr Weizen blühen, dem Volke aber der Brotkorb noch höher gezogen werden. Das sind die Segnungen unserer glorreichen nationalen Wirtschaftspolitik nach ulttamontan-nationalliberal-konservativen Rezepten! Thyssens Geschäfte! Thyssen senior ist als smarter Geschäftsmann bekannt. Er brachte Millionen zusammen. Seines Sohnes Talente scheinen mehr negativer Art zu sein. Das gilt wenigstens soweit der Mammon und was mit ihm zusammenhängt in Betracht kommt. Eine Riesen- pleite, bei der Millionen den Gläubigern verloren gehen, zeugt davon. Seine Versuche auf den verschiedensten Gebieten führten ihm eine große Gläubigerzahl zu, deren Hoffnung der Reichtum des Vaters und das für den Junior zu erwartende Erbe war. Der Erwerb des Rittergutes Rüdersdorf führte schließlich zum Konkurse Thyssens junior. Natürlich griff sein Vater ein: aber wie? Nicht zum Entzücken der Gläubiger, ganz im Gegenteil. Er verlangte schmerzliche Abstriche. Wie man nun erfährt, wandelt sich der Konkurs des Sohnes vielleicht zu einem netten Geschäft für den Vater um. Darauf deuten Mitteilungen hin, die in der letzten Gläubigerversammlung gemacht wurden. Man machte hier die über- raschende Tatsache bekannt, daß Thyssen senior Forderungen an seinen Sohn in Höhe von 7% Mill. Mark erworben habe. Diese Summe sei von der Niederländischen Bank Stellingen auf die Thyssensche. Maschinenfabrik übernommen. Der Vertreter der Commerz- und Diskontobank bestritt die Rechtmäßigkeit dieser Forderung, da nach seiner Kenntnis diese Summe noch gar nicht von jener Bank an Thyssen jr. bezahlt worden sei. Der Konkurs- Verwalter erklärte, daß er die Forderung wenigstens vorläufig in Höhe von 4� Mill. Mark anerkennen müsse. Sein Rechts- beistand gab noch bekannt, daß deswegen noch ein Sireitverfahren schwebe. Dr. Borchard erhob gegen die Zusammensetzung des Gläubigerausschusses, insbesondere dagegen, daß die Niederländische Bank ein Stimmrecht habe, Einspruch. Bei den Vorschlägen zur Er- gänzung stellte die Minderheit das Verlangen, entweder gar keine neuen Ausschußmitglieder zuzuwählen oder nur solche Personen, die nicht unter irgendwelchem Einfluß von Thyssen sen. ständen. Sie drang aber mit ihren Vorschlägen nicht durch. Auch Konkurse haben oft eine interessante, das kapitalistische System trefflich beleuchtende Geschichte. Wer den Rummel versieht, kann mit einer Pleite ein reicher Mann werden I Soziales. Zahnärztlicher Arbeitgebcrverbanb. Unter der UeberschristTaubstumme als Zahnarztgehilfen" be­richteten wir am Sonnabend von einer neuen Taktik der Zahnärzte, sich die Konkurrenz vom Halse zu halten und die Löhne ihrer Ange- stellten systematisch zu drücken. Wie wir denZahnärztlichen Mit- teilungen", dem offiziellen Organ des Wirtschaftlichen Verbandes deutscher Zahnärzte, entnehmen, ist diesegroßzügige" Organisation zum Schutze des eigenen Portemonnaies recht raffiniert erdacht. Da ist ein Arbeitsnachweis vorgesehen, der die berüchtigsten noch übertrifft. Es existieren ein Zeugnisarchiv, um zu gute Zeugnisse zu verhindern, ferner schwarze Listen im größten Umfange. Die Lohnskala, einzig und allein vom Arbeitgeberverband festgesetzt, enthält Höchstlöhne, die trotz alledem noch nicht die Minimallöhne anderer Berufe erreichen. Sie sind gleichmäßig für ganz Deutsch. land ohne Unterschied zwischen Groß- und Kleinstädten oder dem flachen Lande. Kein Zahnarzt darf seinem Techniker mehr zahlen als die Skala vorschreibt. Nicht nur die Techniker sollen Hinsort für Hungerlöhne arbeiten müssen. Selbst die approbierten Zahn- ärzte, die gezwungen sind, Assistentenstellen anzunehmen, werden künftig den Arbeitsnachweis zu benützen haben. Nach vollendetem siebcnsemestrigen Studium soll der 24jährige Zahnarzt höchstens nach dem Willen seiner selbständigen Kollegen 120 M. monatlich verdienen dürfen. Ihm mehr zu zahlen, ist vom Arbeitgeber- verband verboten. Es ist wohl das erste Mal, daß ein akademischer Stand so brutal durch, seine Handlungen beweist, daß Geschäft eben Geschäft ist. Wie steht es demgegenüber mit dem Gerede der Akademiker, ihre Arbeit sei Qualitätsarbeit und könne nicht nach einer be- stimmten Skala bezahlt werden, es komme auf die persönliche Tüchtigkeit an? Die Zahnärzte haben diese Legende gründlich zerstört Werden Aerzte und Apotheker durch das gute Beispiel ihrer Kollegen bewogen werden, die gleichen Wege zu beschreiten? Ein Gutes hat immerhin diese ganze den zahnärztlichen Stand schwer diskreditierende Sache. Der Weg zur Verstaatlichung deS gesamten Heilberufs wird hierdurch gangbar gemacht Sericbts- Rettung. Unteroffiziers-Beleidignng. Gegen vermeintliche Beleidigungen der Unteroffiziere den Schutz der Gerichte anzurufen, ist der Kriegsminister rasch bereit. Vor dem Landgericht Berlin III kStrafkammer 1 unter Vorsitz des LaudgerichtSdirektorS Bahr) mutzte gesterv der Arzt Dr. Moses sich verantworten, gegen den auf Strafantrag des Äriegsministers eme Anklage wegen Unteroffiziersbeleidignng erhoben worden war. Genosse Moses wurde beschuldigt, am 22. Juli 1912 in einer zu Rosenthal unter fteiem Himmel abgehaltenen Versammlung die Unteroffiziere des deutschen Heeres in Beziehung auf ihren Beruf beleidigt zu haben, durch Aeußerungen wie:Dir Unter- offiziere, diese Schufte, diese Halunken, die müßten ins Zuchthaus. Ihre Bildung haben sie nur im Pferdestall gelernt." Die Anklage stützte sich im wesentlichen auf die Auffassung, die ein die Ver- sammlung überwachender Polizeibeamtcr von dem Vortrag des Genossen Moses gehabt hatte. Der Angeklagte erklärte vor Gericht, eine der ihm zur Last gelegten Aeußerungen habe gerade der Auf- fassungsgabe von Polizeibeamten gegolten. Es seien hier zwei Aeußerungen zusammengezogen worden, die zwar beide in ähnlicher Form in seiner Rede vorkamen, aber etwa% Stunde auseinander lagen. Er habe von Soldatenmihhandlungen gesprochen und im Anschluß daran etwa gesagt:Was geschieht nun mit solchen Schuften? So ftage nicht ich, so fragt ein Generalleutnant Lieb- mann. Ilnd er gibt die Antwort: Sie gehören ins Zuchthans!" Nicht nach dieser Acußcrung, sondern schon sehr viel früher und an einer ganz anderen Stelle seines Vortrages habe er im Hinblick auf die in Deutschland übliche Versammlungsüberwachung durch Polizei gesagt, daß die Polizcibeamtcn aus dem Militär hervor- gegangen seien und ihre Bildung weder in der Kaserne«och im Pferdestall vervollkommnet haben kvnnten, so daß die manchmal von ihnen gelieferten finnlosen Berichte über Versammlungen nicht verwunderlich seien. Die Beweiserhebung drehte sich hauptsächlich um die Frage, an welcher Stell? des Vortrages das Wort von der Pferdestall-Vil- dung vorgekommen sei, und ob es den llntcroffizicrcn als solchen oder den aus ihren Reihen hervorgegangenen Polizeiücamten ge- gölten habe. Daß mit den Schuften, die man ins Zuchthaus stecken solle, nur die Soldatenschinder gemeint waren und cS sich hierbei um ein Zitat handelte, erschien von vornherein kaum zweifelhaft. Der Angeklagte legte ein Buch vom Freiherru von Grotthutz vor, in dem jene Aeußerung stand und als vom Militärschriststellcr Generalleutnant Lietzmann herrührend zitiert war. Von der Pferdestall-Bildung soll Moses im unmittelbaren Anschluß hieran und mit Bezug auf die Unteroffiziere gesprochen haben, behauptete der als Zeuge vernommene Polizeiscrgcant Schalt, der sich auf seine in der Versammlung gemachten Notizen berief. Die Vor- lesung der Notizen ergab einen so eigenartigenExtrakt" auS dem Vortrag des Angeklagten, baß nachher der Verteidiger, Rechts- anwalt Gronemann, in seinem Plaidoyer sagte, Dr. Moses müßte verrückt gewesen sein, wenn er dieses Zeug zusammengeredet hätte, wie man es aus den Notizen folgern könnte. In den Notizen stand das Wort vomPferdestall" unmittelbar hinter den Aeußerungen über die Soldatenschindcr, die als Schufte ins Zuchthaus zu stecken seien. Der Angeklagte bestritt immer wieder den Zusammenhang, aber der Polizeiscrgcant hielt seine Angaben aufrecht. Sie wurden unterstützt von einem Polizeiwachtmeister Wittner und einem Gcndarmcriewachtmeister Wegener. Letzterer bekundete, er habe den Anfang des Vortrages gar nicht mitangehört, erst später sei dann die Aeußerung in der von Schalt notierten Form vor- gekommen. Die teils von der Staatsanwaltschaft, teils von der Verteidigung geladenen Zeugen Hecht Krätke, Meyer, RchlS, Wendel, Schulwitz, die an der Versammlung teilgenommen hatten, erinnerten sich der Vorgänge nur unvollständig. Ihre Vernehmung ergab, daß Moses beim Reden ein Manuskript und ZeitungSaus- schnitte vor sich hatte und öfters Zitate vorlas, darunter auch das Zitat über die Soldatenschinder. Das WortPferdestall" war keinem dieser Zeugen aufgefallen, wohl aber war einem Zeugen erinnerlich, daß Redner von der geringen Vorbildung der auS dem Militär hervorgegangenen Polizribeamten sprach. Staatsanwalt Michaelis hielt für zweifelsfrei, daß nur die Beamten richtig gehört hatten und daß im besonderen das Notizen- gekritzel des Polizeisergeanten beweiskräftig sei. Von den drei Beamten hatte er sich bestätigen lassen, daß sie, wenn nach ihrem Empfinden diePferdestall"-Bildung auf Polizeibeamte gemünzt gewesen wäre, selber sich beleidigt gefühlt und ihre Dienstbehörde um Strafantrag ersucht hätten. Hiernach könne auch dieses Wort nur den Unteroffizieren gegolten haben, die Mosesin gemeinster Weise" beleidigt habe. An diesen Beleidigungen erkenne man seine ganze Gesinnung, die übrigens auch aus einer in dem Vortrag gefallenen Aeußerung über den Kaiser hervorgehe. Eine Geldstrafe werde den Angeklagten nicht treffen, da sie so meint der Staats. anwalt nur von der sozialdemokratischen Partei bezahlt würde. Zwei Monate Gefängnis seien angemessene Sühne. Der Verteidiger Rechtsanwalt Gronemann wies darauf hin, eS liege darin eine gewisse Komik, daß Moses , der die Fähigkeit mancher Polizei- beamten zur Wiedergabe von VersammlungSvorträgen angezweifelt habe, gerade auf Grund der Notizen eines überwachenden Polizei- beamten abgeurteilt werden solle. Die Notizen deS Beamten feien offenbar unzuverlässig, darum müsse der Angeklagte freigesprochen werden. Der Angeklagte selber erklärte noch, er müßte betrunken gewesen sein(er trinke aber nicht) oder in Geistesverwirrung gehandelt haben, wenn er vor drei auf jede? Wort aufpassenden Beamten sich so geäußert hätte, wie diese von ihm behaupteten. Auf den Vorwurf gemeiner Gesinnung erwiderte er, daß man selbst vom nationalen Standpunkt es als eine gute Tat an- sehen müsse, wenn einer die Soldatenschindereien geißele. Wer Soldatenschinder als Schufte bezeichne und ihnen das Zuchthaus wünsche, beleidige nicht die Unteroffiziere überhaupt, sondern er- weise ihnen einen Dienst. Das Gericht sprach den Angeklagten schuldig der Unteroffiziers- beleidigung und erkannte auf 100 M. Geldstrafe. Bezüglich der Kennzeichnung von Solbatenschindern war auch das Gericht der Meinung, daß hierdurch nicht die Unteroffiziere überhaupt beleidigt sein können. Beleidigt seien sie aber durch den Vorwurf, daß sie ihre Bildung im Pferdestall gelernt" hätten. Dieser Vorwurf habe nicht den Polizeibeamten, sondern den Unteroffizieren ge- gölten, das sei erwiesen durch die Bekundungen der Beamten. Bei der Strafzumessung wurde als mildernd die Erregung berücksichtig� in die der Angeklagte bei seinen Ausführungen über die Soldaten- Mißhandlungen geraten sein möge. Abermals das Streikpoftenstehen vor dem Kammergeiricht. Die Firma Rosenbcrg in der Reichenberger Straße zu Berlick hatte sich, als bei ihr gestreikt wurde, wegen angeblicher Belästi- gungen Arbeitswilliger durch Streikende an die Polizei gewandt. Nun begann die übliche Jagd auf Streikposten. Ein Polizei- beamter wies die Arbeiterin Niessalla, die vor dem Betriebshause auf und ab ging, aus der Nähe des Hauses weg. Sie entfernte sich auch. Einige Tage später, am 9. Januar 1913, sah er sie wieder dort, ging auf sie zu und sagte:Fräulein, ich habe Sie doch schon neulich verwarnt." Unmittelbar darauf wurde sie ststiert, weil sie stehen blieb. Das Landgericht I als Berufungsinstanz verurteilte das Mädchen auf Grund der bekannten Bestimmung aller Straßen- polizeiverordnungen zu einer Geldstrafe, weil eS einer polizeilichen Anordnung nicht gefolgt sei, die zur Erhaltung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlicher Straße ergangen wäre. Das Landgericht meinte, der Hinweis auf die einige Tage vorher ergangene Anordnung, die eine Wegweisung bis zur Beendigung des Streiks gewesen sei, hätte am 9. Januar genügen müssen, die Angeklagte zu veranlassen, sofort die Nähe des Hauses zu ver- lassen. Eine erneute Aufforderung, sich da nicht aufzustellen, wäre am 9. Januar nicht notwendig gewesen. Die Angeklagte legte Revision ein. In der Verhandlung am Montag vor dem Kammergericht vertrat sie Rechtsanwalt Dr. Kurt Nosenfrld. Er führte aus: Die Wegweisung für jenen früheren Tag könne keine Wirkung ausüben für den 9. Januar. Wenn es aber eine allgemeine Wegweisung fürdie Dauer des Streiks" gewesen wäre, dann hätte sie gleichfalls für den 9. Januar keine Wirkung haben können, denn Unordnungen auf Grund der frag. lichen Bestimmungen der Straßenpolizeiverordnungen könnten niemals derartige allgemeine Wegweisungen sein. Eine Auf. forderung im Sinne der Straßenpolizeiverordnung könne, wenn sie berechtigt wäre, höchstens für den Fall berechtigt sein, für den sie ergehe. Auf keinen Fall könne sie über einen engbegrenzten Zeitraum hinaus wirken. Am 9. Januar aber sei überhaupt keine Wegweisung ausgesprochen worden, sondern nur ein Hinweis auf die einige Tage früher ergangene Anordnung. Das Kammergcricht hob das Urteil auf und verwies die Sachs zu nochmaliger Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück. Gründe: Ein Gesetz, das das Strcrkpostenstehen verbiete, hätten wir nicht. Es könne also nur bestraft werden, wer gegen andere Gesetze verstoße. Hier sollte nun verstoßen sein gegen die Straßenpolizeiverordnung. Dagegen habe aber nur verstoßen sein können, wenn eine auS VerkehrSrücksichten ergangene Auf­forderung, wegzugchen, nicht befolgt worden wir«, DaS Verbot