Der Papierkäfer.Bon Wilhelm Tremer.Seit Jahren ärgerte sich Professor Viereck über die Unsitte derBerliner, die schönsten Waldpartien mit Stullenpapier zu besäen, und als er in einer naturwissenschaftlichen Zeitschrift voneinem neuentdeckten, merkwürdigen Käfer las, der leidenschaftlichPapier verzehrte, kam er auf eine Idee..Anotiium papyroedens,den papierverzehrenden Pochkäfer, hatte der Entdecker das Tierchengenannt, und er berichtete, wie auf der verlorenen kleinen Südsee-insel, wo er lebte, ihm ein Schwärm dieser Käfer in einer Nachteinen großen Teil seiner Manuskripte vernichtet hatte.„Man müßte sie als eine Art Forstpolizei in unseren Wäldernaussetzen," sagte sich Professor Viereck und schrieb sofort an denJnsektenforscher einen enthusiastischen Brief.Es war natürlich keine leichte Sache, eine genügende Anzahlder Tiere im lebenden Zustande nach Berlin zu transportieren,aber es gelang schließlich doch, und an einem schönen Frühlings-tage konnte der Professor im Grunewald an einer ausgesuchtenStelle, wo der ganze Boden mit Stullenpapier und weggeworfenenZeitungen bedeckt war, seine Schützlinge aussetzen. Ueber eineStunde lang blieb er an Ort und Stelle, beobachtete die Käfer undging nicht eher nach Hause, als bis er sich überzeugt hatte, daß siemit einem wahren Heißhunger die Papiervorräte verzehrten.Bisher hatte er keinen Menschen etwas von der Geschichte er-zählt, aber als er nach einigen Tagen sah, wie großartig das Ex-periment einschlug, hielt er in der naturwissenschaftlichen Gesell-schaft einen Vortrag, der ungeheures Aufsehen erregte. DieZeitungen brachten spaltenlange Berichte, die Regierung stellteGelder für weitere Versuche zur Verfügung, von überallher kamenBestellungen von Stadtverwaltungen und Berschönerungsvereinen,die Papierkörbe verschwanden aus den Astlagen, und ProfessorViereck, dem man Orden und wissenschaftliche Auszeichnungen ver-ehrte, war der Held des Tages.Die Berliner schwärmten für den Papierkäfer. Ueberall imGrunewald sah man Ausflügler, die große Zeitungsvorräte mit-gebracht hatten, um die kleinen, niedlichen Tiere zu füttern, undganz Praktische nahmen sich eine Anzahl Käfer mit nach Hause,um sie dort in ihrem Papierkorb anzusiedeln. Es passierten auchtragikomische Geschichten. So entdeckte ein junger Mann, der sichim Walde zum Schlafen hingelegt hatte, als er nach einer Stundeerwachte, daß sein Kragen verschwunden war. Die Käfer hattenihn vollständig aufgefressen, denn es war ein Papierkragen gewesen.Der Großschlächtermeister Pantz erzählte abends am Stammtisch,die Tiere hätten ihm zwei Tauscndmarkscheine und noch ein paarhundert Mark papierenes Kleingeld aus seinem Portemonnaieherausgefressen. Aber das war wohl nur Renommage. Und derOuartaner Neumann bekam wegen Frechheit einen Tadel imKlassenbuch, denn er log seinem Lehrer vor, die Käfer hätten ihmden deutschen Aufsatz verzehrt.Aber dann kam plötzlich eine merkwürdige Nachricht. AmAmtsgericht Charlottenburg fehlten bei einem Zivilprozeß plötzlichdie Akten, und der Bureaudiener behauptete, die Käfer hätten sieverzehrt, und es seien auch sonst schon eine Menge Akten spurlosverschwunden. Wirklich stellte sich bei der Untersuchung heraus, daßdie Aktenschränke des Amtsgerichts von Anobiumkäfern nur so Wim-melten. Zwar lachte man auch jetzt noch über die Geschichte undin Juristenkreisen wurde als witzige Anekdote erzählt, daß derAssessor Ruhleben, dem man einen schwierigen Prozeß zur Be-arbeitung gegeben hatte, einfach das umfangreiche Aktenmaterialden Käfern vorgesetzt und so die erfreuten Vorgesetzten von einerunangenehmen Last befreit habe.Aber schon kamen schlimmere Nachrichten. In der KöniglichenBibliothek tauchten die gefräßigen Tiere aus, Buchhandlungen muß-ten Bankerott ansagen, weil ihre Lagerbestände von den sich rapidvermehrten Käfern überfallen wurden, und eine große Papierfabrikstellte ihren Betrieb ein. Als zum erstenmal eine große Tages-zeitung nicht erscheinen konnte, wurde es den weitesten Kreisenklar, welcher Gefahr die ganze Kultur entgegenging. In der Pro-vinz und im Auslande machte man ähnliche Erfahrungen. DieFranzosen, die sich zuerst das Tier mit Begeisterung bestellt hatten,nannten es jetzt die deutsche Käferpest, und in Rußland entdeckteman, daß die ganzen Kriegsvorräte an Militärsticfeln statt Leder-sohlen Pappsohlen hätten, die Käfer fraßen sie einfach auf.Eine internationale Krise folgte; eine Verzweiflung, die insRiesenhafte anwuchs, und der Urheber des ganzen Unglücks, Pro-fcssor Viereck, der sich noch kurze Zeit vorher auf den NobelpreisHoffnung gemacht hatte, verfiel in unheilbaren Irrsinn.Nur eine merkwürdige, fast unbegreifliche Erscheinung zeigtesich, die der Menschheit einen Schimmer von Hoffnung brachte.In den Vereinigten Staaten von Amerika gab es keine Papier-käfer. Ganz Südamerika und auch Kanada, soweit es englische' Waren führte, waren von ihnen überschwemmt. Aber jeder FetzenPapier aus den Vereinigten Staaten wurde von ihnen hartnäckigverschmäht, und alle Versuche, die man anfangs gemacht hatte, dasTier in amerikanischen Parks einzubürgern, scheiterten vollständig.Die amerikanische Presse jubelte.„Ein Triumph der ameri-kanischen Industrie. Der Sieg des vorzüglichen amerikanischenPapiers über die Käferpest. Amerika als Retter der Welt!" Unddie Aktien des nordamerikanischen Papiertrusts, die durch Ver-Wässerung und andere Manöver rettungslos bis auf den zwanzig-sten Teil ihres Nennwertes gesunken waren, stiegen sprunghaft aufeine ungeheure Höhe. Für die ganze Welt war amerikanischesPapier eine einfache Notwendigkeit geworden, man mußte jedenPreis bezahlen oder untätig dem vollständigen Untergang jederKultur entgegensehen.Bis Professor White von der Universität Cambridge die Lösungdes Rätsels brachte. Das amerikanische Papier war nämlich garkein Papier, sondern ejjie Fälschung, ein elendes Surrogat. Unterder Leitung des Papiertrusts hatte man auch die letzten Restetierischer und pflanzlicher Bestandteile als zu teuer fallen gelassen,und die Käfer wiesen es einfach deswegen zurück, weil sie dabeiverhungerten.Europa war gerettet,' denn die Papierindustrie beeilte sich,überall dem amerikanischen Beispiel zu folgen. Alles kam wiederin das alte Geleise. Bald waren von dem Geschlecht des.AnoKiumpapyroedens nur noch in den Tropen einige Reste übrig, die sichkümmerlich von Pflanzen mit papicrähnlichen Fasern ernährten,und der amerikanische' Papiertrust sank noch tiefer als er je-mals gestanden hatte. Nur Professor Viereck fand seinen Verstandnicht wieder, und das war vielleicht gut.Denn im Grunewald lagen die Zeitungen und das Stullen-Papier schlimmer als je. Und wenn das echte Papier früher wenig-stens langsam durch atmosphärische Einflüsse zerstört worden war,das Surrogat faulte nicht einmal. Es schmückte noch nach Jahr-zehnten jede Stelle, an der einmal ein Mensch sein Frühstück ver-zehrt oder seine Lektüre gehalten hatte.Vom �akrmarkt des Lebene,�ebenläckUckkeiten.Wenn diesmal die Dreiklassenmänner zur Eröffnung desLandtages nach Berlin kommen, wartet ihrer eine arge Eni-täuschung. Bisher wurde die Eröffnung der preußischen Dumastets durch den König in feierlicher Weise im Schlosse vollzogen.Diesmal ist es anders. Wilhelm II. hat, wie eine ofsiziöse Par-lamentskorrespondenz meldet, mit mancherlei wichtigeren Re-gierungsgeschäften alle Hände voll zu tun, daneben laufen dieVorbereitungen für das Regierungsjubiläum, das Schloß ist vollfürstlicher Gäste— kurz: Wilhelm II. hat für seine Erlauchten,Wohledlen und sehr geehrten Herren Mitgesetzgeber keine Zeitund keinen Platz übrig und läßt sie in schlichter Weise durchseinen Hausmeier Bethmann Hollweg im Abgeordneten-hause begrüßen. Da versprochen worden ist, daß das jetzt ausZeitmangel Versäumte im Herbst nachgeholt und dann auch eineThronrede— mit oder ohne Wahlrechtsversprechen?— vomStapel gelassen werden soll, wird Herr von Heydebrand vor-läusig von Repressalien absehen. Nur Herr von Oldenburg-Janu schau überlegt noch, ob er nicht doch den Leutnant unddie zehn Mann in Aktion treten lassen soll.Patriotismus zu zehn ProzentDen Kriegsveteranen kommt frohe Botschaft. Nachdem siejahrelang um Anerkennung ihrer Unterstützungsansprüche bettelnund petitionieren mußten, soll das in Zukunft anders werden.Eine soziale Tat ist in Vorbereitung, nur lumpige 200 000 M.'brauchen noch gesammelt zu werden, dann winkt den Veteranenein Aufenthalt in einer neuentdeckten Stammburg der Hohen-zollern. Eine Anzahl patriotisch empfindender Männer und Frauen,deren Herz voll heißem Mitleids für die Not der Veteranen schlägt,hat sich zusammengefunden, um gelegentlich des Regierungs-jubiläums des Kaisers die Burg Abenberg bei Nürnberg auf-zukaufen und zu einem Veteranenheim umzubauen.Das patriotische Werk, für das augenblicklich gesammelt wird, kannnicht fehlschlagen, denn die Namen der Spender werden SeinerMajestät bei Uebergabe der Burg in einem goldenen Buche über-reicht. Sollte aber doch die Geschichte schief gehen, werden die ein-gezahlten Beträge nach Abzug der anteilmäßigen Un-kosten zurückgezahlt werden.Also ein ganz sicheres Geschäft! Klappt die Sache, so ist esleicht möglich— um deutliche Namensschrift wird im Prospektgebeten— daß einem für hundert Mark ein Piepvogel ins Knopf-loch fliegt. Klappt die Sache aber nicht, so braucht man für jehundert Mark Spende nur 10 bis 15 M. auf Verlustkonto zubuchen. Wie gesagt, das Risiko ist gering, das Geschäft lohnt sich.Es lohnt sich auch für die„nationalen" Zeitungen, derenExpeditionen Sammelstellen für die Spenden sind. Denen darfman natürlich nicht mit eventuellen Verlusten kommen und so istdenn die Bestimmung vorgesehen, daß die Zeitungen, die in ihremredaktionellen Teil zum patriotischen Opfermut für die Jubiläum«»spende auffordern, von den in ihren Expeditionen gesammeltenGeldern zehn Prozent behalten dürfen und nur90 Proz. an den Rendanten, Rechtsanwalt Nicolaus in Berlin,abzuführen brauchen. Davon erfahren natürlich die Spender fürdie Kaiser-Wilhelm-Jubiläum-Stiftung Hohenzollernschloß Aben-berg nichts!Und das ist auch gut so! Denn wenn die Spender wüßten, daßihre Gaben mit dazu benutzt werden, um den Dalles ihres nationa-len Leib- und Magenblattes zu beheben, würden sie vieUeicht dan-kcnd verzichten.In treuer DutGeneralleutnant z. D. von Amman ist unter die Refor»mawre gegangen und hat das Glaubensbekennwis der Christeneiner Revision unterzogen. Nach der bisher üblichen Christen-lehre thronte Gottvater über allem Irdischen; er lenkte die Ge»schicke der Menschen nach seinem Willen. Die Schwachen nahmer in seinen Schutz und die Mächtigen ließ er erzittern vor seinemZorn. Jetzt aber mutz das anders geworden sein. Auch der liebeGott hat vor dem starken Deutschen Reiche, ohne dessen Mitwirkungbekanntlich kein Schwertstreich irgendwo auf dem Erdball ge-führt werden darf, gewaltigen Respekt bekommen und sich unterdem Schutz Ihrer Majestät der deutschen Kaiserin gestellt. Dennes heißt in einem alleruntertänigsten Telegramm, das der Vor-sitzende des Evangelisch-Kirchlichen Hilfsvereins, Generalleut-nant z. D. von Amman, dieser Tage der Kaiserin sandte:„Unterdem sicheren Schutz Euerer Majestät hat Gott derHerr nunmehr 25 Jahre lang den Evangelisch-Kirchlichen HilfS-verein zu machtvoller EntWickelung auf den Arbeitsgebieten christ»licher Nächstenliebe geführt."Hoffen wir, daß im Interesse der göttlichen Weltordnung auchfernerhin Deutschlands Kaiserin dem lieben Gott ihren aller-gnädigsten Schutz angedeihen läßt.Ver Streik der Ratsmannen.In dem westpreutzischen Städtchen C h r i st b u r g ist derMagistrat in den Ausstand getreten und auch der Bürgermeisterhat sich der Bewegung angeschlossen, so daß die Stadt zurzeit keinerechtsverbindlichen Handlungen vornehmen kann. Der Sturm imGlase Wasser soll, wie die„Elbinger Ztg." schreibt, auf dasschneidige Vorgehen des Bürgermeisters Hol».stein zurückzuführe»"sein, der es bald nach seinem Amts»antritt vor eineinhalb Jahren mit der Christburger Bürgerschaftverdarb. Mehrere Magistratsmitglieder erhielten vom Bürger-meister Verweise zudiktiert; ein Ratsmann und Hauptmannder Landwehr bekam einenVerweis, weil erSeineGna-den den Herrn Bürgermeister auf der Straßenich.t gegrüßt haben soll. Dem Faß den Boden schlug es aus,als sämtliche zwölf Christburger Wahlmännerwahlen kassiertwurden, weil der Bürgermeister das ordnungsmäßige Ausliegen derWählerlisten zur Landtagswahl mit seinem Namen bescheinigthaben soll, obwohl die Listen erst am Abend vor der Wahl imBureau des Bürgermeisters fertiggestellt sein sollen. Der Streikder Ratsmannen wird jedoch voraussichtlich erfolglos enden, daVerhandlungen im Gange sind, die Streikenden durch Arbeit«-willige, die der Titel Ratsmann lockt, zu ersetzen.Vie enthüllte CClahrheit.In Pro-to in Toskana, einem wegen seiner zahlreichenAnarchisten bekannten Städtchen, hat unlängst die Enthüllung einerGedenktafel für drei in Lhbien gefallene Soldaten den Nationalisteneine recht bittere Enttäuschung gebracht. Mit Musik und allemmöglichen Klimbim waren die Ordnungsleute erschienen. Nicht ebenbesonders erbaut waren sie, als sie an Stell« des patriotischenSchwulstes die folgenden Worte fanden, mit denen man dieMarmortafel überklebt hatte:„Von Lissa bis Scharal'chatt, von Abba Garima bl§ Ettangigab es für Dich, o Volk Italiens, nur ein einziges blutigesMärtyrertum. für die Regierung eine einzige Ge-schichte der Niedertracht, für die Nationalisten eine u n-unterbrochene Orgie des Verbrechens! Möge dieseGedenktafel der tapfer in Lybien Gefallenen daS Volk Italiens zurRache aufrufen!"Die Festversammlung soll sehr bekniffen auseinander ge-gangen sein._Mach Maß!Ulster— Paletot— Anzügegute Zutaten auf Rosthaarvon M. 40.— antadelloser Sist garantiert.Wer Stoff hatvon Z5 M. an.Beachten Sie genau Nr.»3.teppSeckenkaust man am besten und' billigsten nur direktFabriku. HauptgeschäftBerlin, W a 1 1 8« r. 78Bernhard Strohmandel.Filialen:Spittelmarkt, vis-a-vis Leipzig. 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Nur durch seinen hochfeinen Geschmack fii der„Kapitän-Tabak" so allgemein beliebt.Niederlagen(Priemdosen daselbst gratis) gibt gern an:Lo Kücker, Kerlin, Grüner Weg 119- k'lÄi.).Verantwortlicher Redakteul': Hans Weber. Berlin. Für den Inseratenteil verantw.; Tb.Gl-cke.»erlin. Druck u. Verlag. Äorwärt, Buchdrudecei u. VerlagSanitalt Paul Singer u. To-. iöetl,n S*