Nr. 149. 30. Jahrgang.
Wilhelm II. und die geistig Armen.
Deutschlands Kaiser über alles, Ueber alles in der Welt!
Deutsche Jägerzeitung. In dem theatralischen Stile, der feit fünfundzwanzig Jahren für offizielle Feste Vorschrift ist, feiern die Patrioten das Regierungsjubiläum Wilhelms II. Schön! Habeant sibi! Mögen sie ihren Wilhelm ungeteilt für sich behalten! Wir würden ihnen nicht einmal die manchmal echte, öfter noch erheuchelte Festesfreude trüben, wenn sie dabei noch einen Rest von Scham bewahrten und sich nicht eine üble Schlammflut von Byzantinismus aus tausend aufgezogenen Schleusen über das Land ergösse. Oberlehrer, Hofprediger, sogar ein leibhaftiger Generalfeldmarschall in Gestalt des unbermeidlichen Freiherrn v. d. Golz, der doch eigentlich an seiner Blamagen Tanger Reihe genug haben sollte, haben es sich nicht nehmen lassen, bei dieser Gelegenheit in meist miserablem Deutsch zum Lobe ihres kaiserlichen Herrn als Schriftsteller zu paradieren. In jeder Beziehung dünne Broschürchen, schlanke Bücher, forpulente Folianten alles ist vertreten und fast alles ist illustriert: der kaiserliche Jubilar schaut uns streng und ernst in hundert Trachten und Stellungen entgegen, immer mit dem selben heroischen Zäsarenblick und dem. Schnurrbart, der sich stets mehr der Barttracht des großen Kurfürsten" annähert. Auch das ist vielleicht ein Sinnbild.
Nun wird einem schon ganz anders, wenn man in einer dieser Schriften etwa liest:„ Der Kaiser ist stolz auf den Eindruck, den diese einzig in der Welt dastehende Triumphstraße( Siegesallee ) auf alle Besucher der Reichshauptstadt macht. In der Reichshauptstadt zeugen Dom und Kaiser- Wilhelm- Gedächtniskirche von den Anregungen, die der Kaiser dem modernen Kirchenbau gegeben hat. Auch auf die Musik erstreckt sich sein bestimmender Einfluß." O ja! O ja! O ja! Er erstreckt sich schon...„ Einen helleuchtenden Beweis ausgeprägter Gerechtigkeitsliebe bedeutet der Empfang jener Arbeiterdeputation, die sich in einem Bergarbeiterstreit an das landesväterliche Herz des Raisers wendet." Sieh einer an! Wir bernehmen weiter, daß am 15. Juni 1913 ,, ein treues Volt alles Parteihaders vergißt und ihm in Dantbarkeit zujubelt als dem Schirmherrn des Friedens, dem Pfleger der Frömmigkeit und Gottesfurcht, dem Förderer der Reichswohlfahrt, dem Helfer der Armen und Bedrängten, dem Wächter des Rechts". Hm, hm!
Aber das ist, verzapft von dem fönigl. Hof und Domprediger Karl Dhly, fast Männerstolz vor Königsthronen, verglichen mit einem Werkchen, das sich furz und knapp" Unser Kaiser Wilhelm 2." nennt, einen( oder eine?)
Beilage des Vorwärts" Berliner Volksblatt.
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Montag, 16. Juni 1913.
Herrn drohte Gefängnisstrafe"
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scheint also ein recht massiver alter Herr gewesen zu sein. Aber er machte sich auf gen Berlin , erwirkte eine Audienz bei Wilhelm II. , und die Angelegenheit mit dem Amtsrichter wurde nach kurzer Zeit zur großen Freude des Herrn M. ohne Gefängnisstrafe erledigt". Sozialdemokraten aber brummen, ohne Eingriff der Kabinettsjustiz, wegen Beleidigung an Amtsrichtern.
Mit einigen Stellen aus dem Schlußtapitel„ Ein Arbeitstag unseres Kaisers" ziemt es, zu enden: Was umschließt ein einziger solcher Briefstoß nicht alles an Bitten, Hoffnungen, Entscheidungen! Die zwei Buchstaben„ ja" an den Rand geschrieben, wie können sie oft eine ganze Familie dem Elend entreißen! Ein einziger Namenszug, wie tann er ein ganzes Menschenleben in neue Bahnen Tenten! Alle diese Schriftstücke prüft der Kaiser mit Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit und entscheidet erst nach weiser Ueberlegung. Dafür sind zahlreiche Beispiele bekannt geworden.... Unser Staiser ist nicht nur der erste Diener des Staates, er ist auch der am meisten beschäftigte. Unten über den Schloßplak hasten die Menschen. Mancher, den, die Arbeit und Sorge treibt, schaut hinauf zu den kaiserlichen Fenstern und denkt: wohl im stillen: Der hat's leichter als ich. Ach, wenn sie's wüßten, was in solchen Beratungs- und Entscheidung- stunden durch Kopf und Herz unseriss Herrschers geht, sie würden anders denten. Nein, er hat's schwerer als wir."
Der patriotische Stammtisch Leickpenwagen mit Troddeln" erhebt sich zu et hem dreimaligen Hurra und der Leiermann ( s. a. der Kaiser und der Leiermann) intoniert die Melodie:
Deutschlands Raiser über alles, SAUeber alles in der Welt!
spilste
feft- freuden.
Wie ich fürzlich auf ein paar Tage in Berlin war, fand ich eines Morgens die Königgräger Straße gedrängt voll flenschen. Ich glaubte in einem Augenblick von Geistesverwirrung, das sei die Bewegung der preußischen Landtagswahlen; aber als is mich zu vergewissern suchte, ergab sich, da. niemand der bewegten Menschen wußte, wat das für ein Ding sei: Landtagswahlen. Du gegen em pörte man sich über meine Unbildung;: Der Zar tommt doch! Bald darauf schrieb ich in das Tagebuch meines Mißvergnügens: In Berlin erwedt das Spizenhöschen eine Prinzessin mehr innere echte Teilnahme, abs irgendein politisches Ereignis".
Gewiß, das ist das Berlin der Parasiten, das de tein Opfer für seine Schauluft scheut. Aber diese Parafi ten entwickeln doch eine zähe Hingebung an thre Sache, und fie wimmel n
Der Kaiser und der pflichtgetreue Untertan.[ und gewaltig, daß die Millionen der anderen für ih ice Angelegen( Hände an die Hosennaht!)
Es fehlt nur die bekannte Anekdote vom alten Fritz und
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heiten sich ein Beispiel nehmen fönnten. Man sieht die Schaulust eindringlicher als die Politik.
K. Dorenwell zum Verfasser( oder Verfasserin?) hat und bei Franz Borgmeyer in Hildesheim erschienen ist.„ Es gibt," sagt Treitschke , viele Arten, Geschichte zu schreiben, und jede ist berechtigt, wenn sie nur ihren Stil rein und dem Bahnwärter. streng einhält." Dorenwell schreibt in der Art der Das Buch enthält 162 Seiten= 162 Brechpulver. Wie Stammtischanekdote Geschichte und versteht, man muß es ihm Weltgeschichte für die Armen im Geiste das Buch sollte in lassen, diesen Stil rein und streng bis zum bitteren Ende ein- allen diotenanstalten am 16. Juni gratis verteilt werden die hohen Herren gar nicht so leicht, sich das Wohlgefallen ihrer zuhalten. Es ist der sentimentalisierte, für die patriotischen geschrieben wird, dafür ein paar Beispiele. Nirgends war bei Tränendrüsen zurecht gemachte, fleinbürgerlich frisierte den groß angelegten Unternehmungen des letzten VierteljahrWilhelm II., der uns aus diesem Wert gewinnend entgegen- hunderts die Blamage so offensichtlich, als, mit Vorschußlächeltein Potpourri aus Heil Dir im Siegertranz" und Lorbeeren über- und überschüttet, Graf Waldersee als WeltUeb' immer Treu und Redlichkeit". Schon die Stapitel- marschall" nach China gesandt wurde: als er anfam, fand er überschriften lassen das Herz jedes Gendarmeriewachtmeisters nichts mehr zu tun, und irrte als ein rechter Operettengeneral hüpfen. Da wären zu nennen:
Erste Jugend.
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Das Wunderbare aber der Entwidelung ist, daß in Deutschland die Gaffer höfischen Schaugepränged immer anspruchsvoller werden. In der guten alten Zeit hatten cs geliebten Untertanen zu sichern, und die Untertanen ihrerseits legten Wert darauf, daß sie auch etwas Reelles brin den höfischen Lustbarkeiten hätten. Sie fühlten sich als Gäste thret allergnädigsten Landesväter und erhoben danach ihre Forderungen. Da gab es auf offenem Markt gebratene Ochsen, Brunnen sprudelten ohne Unterlag roten und weißen Wein, und es regnete Kupfer- oder unter fremdem Striegsvolk umher, das ihn geringschäßig gar Silberstücke. Man tanzte, sang, soff, buhlte alles in der lächelnd musterte. Der Oberbefehl über die gesamte nächsten Nähe der Gottesgnadenherrschaften. Die Monarchie hatte Truppenmacht wurde dem Generalfeldmarschall v. Waldersee einen greifbaren Wert. well aus,„ vortreffliches geleistet. Ihm gelang es nach mehrfachen Kämpfen und unter schweren Opfern, den Aufstand zu unterdrücken".
Fröhliches Leben und Treiben im Neuen übertragen. Und er hat", so sieht die Sache bei Doren
Palais.
Prinz Wilhelm und der Matrose.
Ein edler Charakterzug.
Wie innig Prinz Wilhelm seine Watter liebte.
Eine fröhliche Wanderfahrt.
Heute gibt es feine unmündige Untertanen mehr, sondern nichts als politisch berechtigte Staatsbürger. Elieht man aber näher zu, so, scheint es, hat man in Deutschland zwar nicht sowohl die Rechte des Monarchen wesentlich eingeschränkt, als vielmehr Aber manchmal erweist der Verfasser dem Verhimmelten seine Verantwortlichkeit und seine Pflichten. Wie ihm die deutsche auch einen rechten Bärendienst. Da wird unter anderem er- Sorte von Verfassung gütigst alle persönlichen Finanzforgen und zählt, wie der Kaiser das Alter ehrt: bei zwei Gelegenheiten auch die Haftung für seine monarchische Politik abgenommen Prinz Wilhelm als Stompagnie che f. ließ er sich nämlich einen Hundertjährigen und einen Zwei- hat, so findet man auch keine höfischen Festleistungen mehr. Wenn Hochschäzung der Armee seitens des Kaisers. undneunzigjährigen vorstellen, wechselte ein paar gleichgültige der Hof feiert und jubiliert, so begnügt sich der deutsche loyale Wie dankbar der Kaiser ist.( Hier wird als Beispiel Worte mit ihnen und drückte ihnen fräftig die Hand. Nicht Bürger und die noch loyalere Bürgerin, durch Vermittelung der für Wilhelms II. Dankbarkeit ausgerechnet- Bismarck recht dazu passen will die Geschichte vom Staiser und Schußleute die Herrlichkeiten der majestätischen Welt au angeführt!) der Exzellenz mit der Serviette". Als nämlich Wilhelm II. a hnen. Er schmaust nicht mit, er trinkt nicht mit, er ist nicht Der Kaiser auf der„ Hohenzollern " als bei der kaiserlichen Tafel eine alte Exzellenz be- Gast, sondern Zuschauer, fostenloser Zuschauer, Gr drängt sich Schiffs prediger. merkte, die nach Altvätersitte die Serviette am auf den Straßen in stinkend schwißender Enge( sofern er nicht vom Der Raiser als barmherziger Samariter. Salse befestigt hatte, redete er sie an: Sagen Regen gewaschen wird), läßt geduldig Sufen von Schußmanns
Es wird dann immer filmhafter:
Kaiser und Letermann.
Der Kaiser als liebenswürdiger Ritter. Wie der Kaiser das Alter ehrt. Wie der Kaiser einer alten Waschfrau eine unverhoffte Freude machte.( Die patriotischen Tränen fließen.)
Der Kaiser im Kreise einer Arbeiterfamilie. ( Nieder mit der Sozialdemokratie!)
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Sie, lieber X., wollen Sie sich denn noch jetzt rasieren lassen?" gäulen seine Zehen polieren, harrt stundenlang, nimmt Beschimp„ Eine brausende Heiterfeit," setzt der Chronist hinzu, wurde fungen und Büffe auf sich, fällt mit Wonne bor Erschöpfung in durch diese Worte ausgelöst." Wir als eingeschworene Antimonarchisten trauen dem Wionarchen doch mehr Tattgefühl zut, als daß er einen harmlofen alten Herrn wegen eines harmlofen Verstoßes gegen die augenblicklichen Tischsitten dem beschämenden Gelächter einer übermütigen Tafelrunde preisgeben sollte.
Ohnmacht, nur um den erhabenen Eindruck eine halbe Sekunde zu genießen, daß ein oder einige Automobile zwischen den Menschen. horden auftauchen und entschwinden. Daran begeistert sich das Selbstgefühl der Staffagen.
Niemals ist die monarchische Gesinnung so bescheiden gewesen, wie im Deutschen Reich des 20. Jahrhunderts, und niemals war Erbaulich ist auch und ein Seitenstück zur Geschichte vom es so bequem dem„ Volke" höfische Feste zu spenden. Es fordert alten Fritz und dem Müller Arnold die Geschichte vom Kaiser gar nichts als unter Lebensgefahr zuschauen zu dürfen, wie es Wie der Kaiser einmal Weihnachtsmann ge- und dem Ritter des Eisernen Kreuzes .„ Ein Herr M., Ritter von allem ausgesperrt ist. wesen ist.( Mit dem Weihnachtsbaum wird das re- des Eisernen Kreuzes , war wegen Beleidigung eines Amtspublikanische Prinzip glatt erschlagen.) richters in gewisse Ungelegenheiten geraten und dem alten
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