Der Hbnberr* ffirofeeS Festspiel von Franz von Kriechebauch. DaS Erwachen deS EpimenideS ist in der dramatischen Literatur ein beliebtes Motiv: Jemand schläft beiläufig hundert Jahre und ist beim Erwachen sehr verdutzt über die Umänderung der Zustände und Sitten. Der Dichter des vorliegenden Festspiels hat nun dieses Motiv in einer neuen und zeitgemäßen Weise um» gedreht. Personen: Der Ahnherr aus dem 16. Jahrhundert. Ritter Theobald. Profesior Speichelsammler. Lakaien. Schauplatz: Ein Berliner Schloß. Aus einem heimlichen Gemach tritt eine reichgeschmückte Per- sönlichke.t: Der Ahnherr. Ja. ich bin es, bin der Ahnherr, Und mir scheint, ich Hab' geschlafen. Heda, Dienerl (Lakaien treten aus.) Bringt mir eilig Einen Humpen Grllneberger Und ein halbes Schwein zu essen. (Es geschieht.) Sagt, wie lang' Hab' ich geschlafen? Beinah' glaub' ich: vierzehn Stunden. Was ist heute für ein Tag? Ein Lakai. Majestät, wir haben Montag, Datum 16, Monat Juni, Anno neunzehnhundertdcelzehn. Der Ahnherr. Ha, Du bist verrückt mein Kind. Anno neunzehnhunderldreizehn? Weißt Du nicht. Du Lauiejunge, daß wir jetzo uns befinden noch im fünfzehnten Jahrhundert? Sprecht, Ihr andern, wie verhält sich'S? Chor der Lakaien. Majestät, wir haben Montag, Datum 16, Monat Juni Anno neunzehnhundertdreizehn. Der Ahnherr. Ha, wär'S wahr? Ich hält' geschlafen seit dem sllnfzehnten Jahrhundert? Auf, man ruse den Chronisten, Daß er meine Tat verzeichne In den Tafeln der Geschichte. An die fünfmalhundert Jahre Schlief der hochhochhochhochselige Ahnherr dieses hohen Hauses! Ja, das macht uns keiner nach l Eigentlich ist's fast unglaublich, Doch bei mir und meinesgleichen Ist so vieles ja unglaublich Und trotzdem ganz unbeslreiibar... Ha. wer ist der aalgewandte Schwarzberockte Glatzkopf da? L a l ai. Ew. Majestät geruheu Den Professor Speichelsammler Hier zu sehn, den Hofchronisten. Der Ahnherr. Schreibe, schwarzes SchlangenmännleiN, Was sich eben zugetragen. Wohlverstanden? Komm, kusch nieder, Leck' mir beide Füße ab! (ES geschieht, der Professor rpacht Anstalten, noch einen Schritt weiter zu gehen.) Oer böbere Deruf. Bon Dora Duncker . Herr Krauskopf war von seiner Gattin verlassen worden. Tr trug diesen �bchicksalsschlag weder mit Fassung, noch mit Ver- zweiflung. Gr fluchte der Stunde nicht, die ihm sein Weib ent- führt hatte, noch segnete er sie. Er fragte ganz einfach, fragt« sich Tag und«acht: warum ist sie gegangen? Der armftllige Zettel, den sie ihm hinterlassen hatte, sagte ihm nichts, gar nichts. In ihrer hübschen, flüchtigen Schrift stand nichts darauf, etls die paar rätselhaften Worte:»Lebe wohl. Ich mußt« gehn. Uch folge einem höheren Beruf." Weder der verlassene Gatte, noch seine Nächsten konnten sich einen L«rS auf diesen»höheren Beruf" machen. Mieze Kraus- köpf Halle nienmls Neigung für einen Beruf gezeigt— geschweige denn für einen höheren. Sie amüsierte sich für ihr Leben gern, zog sich gern hüblsch und fesch an, schwärmte für Theater und öffent- liche Bälle, war ein bisse! kokett, warf ein wenig leicht mit dem Geld umher, aller alle? in allem war Mieze KrauSkopf der beste Kerl von der Meli! Die Freunds nahmen sich des Verlassenen treulich an. Auf jede Art suchten sie ihn zu trösten und zu zerstreuen. Es war keine leichte Aufgpbe, denn Krauskopf hatte für nichts Sinn. End- lich kam einer von Krauskopfs Freunden auf eine Idee:»Der Kientopp"..M«>inetwegen", brummt« KrauSkopf. Mieze hatte ihn auch gemocht, de»„Kientopp", sehr gern sogar. Freilich war sie nie mit ihm zusammen dagewesen. Allein, oder mit einer Freundin, nachmittag? von fünf bis sieben, während er noch im Bureau arbeitete. Der gute Frelsnd, der sich in Kientöppen auskannte, hatte einen gewählt, in dem man die neusten Schlager zuerst zu sehen bekam. Also ging man hin und nahm auf dem teuersten Platz, der Terrasse, seinen Sitz ein. DaS Publikum lachte laut, als die fünf eintraten, wieder mal auf Kosten einer geplagten Schwiegermutter, di« au» einer unver- dienten Not in die andere geriet. Krauskopfs Freunde lachten mit. Er verzog keine Mlene. Was interessierten ihn Schwiegermütter I Er hatte nie eine gehabtl Mieze war Waise gewesen, als er sie geheiratet hatte! Ach, Mieze, wo bist du!? Ein neuer Film aus dem Rokoko. Ein junger Marquis führt eine ältere Marquise, seine Mutter, mit zierlichen c ritten auf der Schlohterrasse spazieren, während eine schlanke wunderschöne Frau, vor der zwei Lakaien sich tief devot verneigen, hochmütig davonrauscht. Die alte Dame stuft in einen Sessel, der junge Mann steigt die Stufen zum Park hinunter, er trifft in einer verschwiegenen Allee das Kammerkätzchen seiner Gattin, das mit Weiler nichts! Genug für heute! Ihr da ruft mir meinen ersten HauSbeamten, denn ich will Jetzt ein wenig noch regieren. Sonst am Ende nahm' das ganze Brandenburger Land noch Schaden. Seht, da ist er schon, der Brave. Euern Namen, Ritter, sagt mir, Bon der traurigen Gestalt. Theobald? Ein hübscher Name! Also los, wir woll'n selbander Jetzt regieren, daß eS kracht! Theobald. Wie Gott will, ich halte still. Wollen Majestät geruhen, Erst einmal auf Dero Heer Respektive einen Bruchteil Einen Blick zu werfen. Bitte! Der Ahnherr (am Fenster). Diese Reiter da in Panzern Sollt' ich kennen, will mich dünkm. Ja, sie scheinen mir dieselben, Die man vor ö(X> Jahren Brauchte, wenn man Krieg führte. DaS beweist mir, daß das gute Alte gute Mittelalter Immer noch in Anseh'n steht. Meine höchste Anerkennung» Ritter Theobald! Theobald. Ersterbend Küss' ich Eurer Majestät den — wolll's erlauben— Saum des RockeS . Ferner leg ich hier devolest Bor ein kleines Todesurteil, DaS zu unterzeichnen Eure Majestät geruhen möchten. Der Ahnherr. Todesutteil? Aber gerne. So was bin ich ja gewöhnt. Nett, daß diese alte Sitte AuS dem schönen Mittelalter Immer noch sich hat erhalten. Weiter, Theo, das Regieren Macht mir mächllg Spaß, auf Ehre! Ganz wie früher! Also weiter. Theobald. Ew. Majestät, der Glaube Unsrer Väter nimmt im Lande Tag für Tag und stündlich ab. Der Ahnherr. O verflucht! WaS muß ich hören! Frömmigkeit geht über alles! Wer nicht Christum usw.... Kommt nicht auf die Himmelsleiter. Er versteht mich, denk' ich, schon. Doch ich hoffe, die Behörden Sind noch fromm und gottergeben? Theobald. Fromm wie Abraham, jawohl. Fromm sind sie, von vorn bis hinten, Der Beamte überhaupt Glaubt fast mehr, als wie erlaubt. Der Ahnherr. Ist daS Volk auch brav und bieder? Theobald. Leider kann man das nicht sagen, Doch wir haben eine gute Polizei... dem Rücken zu dem heranstürmenden Marquis steht unv Stern- blümchen auszupft. „Reizender kleiner Käfer", bemerkte Krauskopfs Nebenmann. Jetzt wendet die Kleine den zierlichen Kops mit kokettem Augen- aufschlag und geht d«m Liebhaber graz.ös ein paar Schritte entgegen. Die Balustrade der Terrasse im Zuschauerraum kracht. Krauskopf hat sich halben Leibes darüber hingeworfen, um dem Film näher zu sein, ihn mit den Augen zu verschlingen. Mit den Fingern hat er sich in den Rockörmel des neben ihm sitzenden Freundes fest verankert.— „Seht Ihr denn nicht?" ächzte er,„Mieze! mein« Mieze!" Dunnerlittchen, sie warS, wie sie leibt und lebt, KrauskopfS entlaufene Gattin! Ter zierliche Wuchs, der graziöse wiegende Gang, der leicht übergcpuderte Blondkopf— nichts fehlte. Aber wie kam sie in die Arme des französischen Marquis? Wie in das Rokokokostüm? Wie auf den Film? Krauskopf stürzte laut stöhnend die kleine Holztreppe der Terasse hinunter, überrannte die Barmaid und verlangte aus rauh zusammengeschnürter Kehle von dem ersten besten Angestellten im Parkettraum, den Herrn des Hauses zu sprechen. T'er war nicht anwesend, aber sein Stellvertreter, eiiv-smarter junger Mensch. Der gekränkte, bis zum Zerspringen aufgeregte Gatte verlangte Genugtuung dafür, daß man seine Frau hier in den Armen eines französischen Marquis öffentlich zur Schau stellte. Man zog den Schwerbcleidigten aus dem Parkettraum fort, in d«n langen schmalen Gang hinaus, der bis auf die Straße lief. Der Freund, der Krauskopf hergebracht und der ihm jetzt auf dem Fuß gefolgt war, brachte so etwa? wie Ordnung in die hitzige Debatte, indem er mit einiger Mühe zu erkunden versuchte, wo der Film mutmaßlich aufgenommen sei. „Von unserm Hause nicht," erklärte der mehr und mehr zu- geknöpfte smarte junge Mensch. —»In Frankreich etwa?" stöhnte KrauSkopf.»Sicher, sie ist nach einem Schloß bei Paris entführt worden! Gewaltsame Verführung—I" Der stellvertretende Direktor zuckte mitleidig mit den Achseln. Himmel, war daS ein Rhinozeros! »Bitte, meine Herren, gehen Sie auf Ihre Plätze. Ich werde telephonisch Erkundigung einziehen und Ihnen Bescheid sagen." Mit schlotternden Knien ließ Krauskops sich zurückführen. Die drei auf der Terrasse waren aus dem Häuschen vor Vergnügen. „Wo steckt Ihr denn! Ihr habt viel versäumt! Deine Frau als junges Bauernmädel, einen Säugling auf dem Arm, von den Eltern grausam verstoßen— einfach Puppe sag' ich Dir!" Krauskopf war wie erschlagen. Er ächzte nur noch. Ein Säugling— in den paar Tagen— es war das Letzte! Ein« Viertelstunde später erfuhren sie, daß die Films mit dem Rokoko- kammerkätzchen und dem verstoßenen Baucrnmädel in nächster Um- Der Ahnherr. Mit Spieß und Schwerten? Haut sie tüchtig drein, wie früher, Um dem Volk daS Maul zu stopfen? Theobald. Ganz genau so, Majestät. Der Ahnherr. Zahlt das Pack auch tüchtig Steuern? Theobald. Ganz gehörig, kann man sagen. Der Ahnherr. Wieviel zahlt es denn dem Fürsten? Theobald. Runde 20 Millionen! Der Ahnherr. Dunnerlitzchen, halt mich fest! Dies, mein braver Hausverwalter, Geht noch über's Mittelalter. Na, ich sehe zur Genüge, Alles, alles blieb beim Alten, Und so soll es Gott erhalten Abermals fünfhundert Jahr! Uäh— wie ich gähnen muß! Kinder, jetzo bin ich müde. Das Regieren greift mich an. Will mich wieder schlafen lege? In dem heimlichen Gemache Dieses mittelalterlichen Wenig restaurierten Schlosses. Swön war's doch, so zu erwachen Anno neunzehnhundertdreizehn Und befriedigt anzusehen, Wie die Leute hier noch steh'n Bei dem fünfzehnten Jahrhundert. D'rum.Feh ich mich schlafen lege, Weift Euch alle aus die Knie, Mit mir rufend: Hie, hi, hi, Hohenzollern allewege! �iibälter, Sozlaldernohraten und Dirnen. Zwei kleine Geschichtchen. l. Leutnant von Zizewitz war ein preußischer Offizier wie sie nur noch in Märchen oder in Reden des Kriegsministers vorkommen. Er war von einem Kavallerie-Regiment an der russischen Grenze in die Garde versetzt worden und erregte dort ein ungeheures Auf- sehen. Und das mit Recht: denn er spielte nicht, soff nicht und hatte weder eine Choristin noch eine Balletelevin zum Verhältnis, sondern war im geheimen verlobt mit einer ganz blonden, ganz runden, ganz verliebten ostpreußischen Pfarrerstochter, die beim Abschied zu ihm gesagt hatte:„Mein Allerbaster, vergaß mich nich!" Die Garde stand vor einem Rätsel und ihr Ruf auf dem Spiel. Die Kameraden beschlossen daher, Zizewitz in das standesgemäße Leben einzuführen und nahmen ihn zu dem Zweck mit in die Friedrichstadt . ES war Sonnabendabend und das Portal des.,Palace of dancing" strahlte im festlichen Glanz. Zizewitz wurde vor all der Pracht ganz verlegen und meinte, er könne doch hier nicht mit, da»i bei den Herrschaften noch gar keinen Besuch gemacht habe und außerdem in Zivil sei. Kamerad Bredow beruhigte ihn lachend und deutete zart an, daß ein AnstandSbesuch gerade hier gänzlich unangebracht sei und nur gut bezahlte Unanständigteitsbesuch« ge- wünscht würden. Die Herren stiegen also die Freitreppe hinauf, wobei die Kameraden einigen ihnen begegnenden Damen Groschen- stücke in den Taillenausschnitt warfen, was Zizewitz nur für eine originelle Art von Wohltätigkeitsfest halten konnte. Dann betraten sie den Saal. gebung von Berlin aufgenommen seien, wahrscheinlich in Potsdam , Wannsee oder Steglitz . Die befreundete Firma habe einen unge- wöhnlich talentvollen Menschen aus die Fahrt geschickt. Möglich auch, ein Teil der Aufnahmen sei im Atelier der Firma, in Frie- denau gemacht worden. Beim Morgengrauen fuhr Krauskopf mit dem Freund nach Potsdam , wohin der Rokokosilm wieS. Von da nach Wannsee , Steglitz — nirgends eine Spur. „Der smarte junge Mensch ist mit im Komplott. Wir werden genasführt. Sie ist in Paris — mit dem Marquis und dem Säugling— verlasse Dich darauf!" „Unsinn! Auf nach Friodenau!" Mit geringer Mühe erforschten sie daS Atelier der bekannten Firma. „Drüben, linker Hand, das Eckhaus. Hinterhaus vierter Stock." Je höher sie kamen, um so stärker duftete es nach Staub, Leim, frischem Holz und Sackleinwand. Die Tür zum Allerheiligsten stand offen. Der große Raum mit der offenen Bühne und dem photographischen Apparat war augenblicklich leer. Aus den Nebenräumcn klang ein lautes Durcheinander, Lachen, Schwatzen und dazwischen eine feste Kommandostimme, die im Unteroffizierston knappe Befehle uno Rügen erteilte. „Wie sitzt die Perücke, Junge— Du sollst doch keinen„August" markieren!— Fräulein, mit hängenden Schuhbändern werden Sie schwerlich eine vornehme Dame darstellen können.— Menschens- kind, wenn Sie den Brief so überreichen, wird man ihn für eine eingewickelte Erbswurst halten. Nun aber loS, Kinder— eins, zwei, drei— ruff aufs Trapez." Eine Schar kostümierter Männlein, Weiblein und Kindlein, teils in Bauerntracht, teils in vornehm sein sollender Herrschafts- garderobe, stürmten an Krauskopf und dein Freund vorbei auf die Bühne. Auch der Kommandierende, ein hübscher junger Mensch — italienischer Typus— wurde sichtbar. Krauskopf wollte hinter den großen Beleuchtungsapparat für Mondnächte, in dessen Schutz sie Posta gefaßt, hervorstürzen, aber der andere hielt ihn wie mit eisernen Klammern fest „Halt! Noch ein bißchen! Ist das amüsant! Vielleicht tritt Deine Frau gleich auf, dann kannst Du sie in flaeranli ertappen!" flüsterte er. Auf der Bühne wurde eine ländliche Szene zur Aufnahme vorbereitet. Der Kommanoierende sah in den Apparat und rief dann den Photographen herbei, der die Kurbel in die Hand nahm. „Wenn ich„los" rufe, fangen Sie an, Kellermann. Gruppe rechts weiter vor. Willy, nicht so stumpfsinnig. So ist'S gut. Allans, los!" Der Photograph drehte, die Maschine schnurrte. DaS Genie, Fabian genannt, kommandiert die Handlung:
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