Hus der Frauenbewegung.Das Problem der Sommerferlen.Die großen Schulferien rücken heran und Tausende von Kindern werden diese Wochen am Meere oder im Gebirge verleben.Geistig und körperlich erfrischt, mit braunroten, dicken Backenkehren sie in die Heimat zurück, wo sie ihren Schulkameraden nochwochenlang ihre Erlebnisse schildern. Eine Reihe von Stiftungenund die Ferienkolonien sorgen dafür, daß auch ärmeren, körperlichschwachen Kindern diese Sommerferien zur Quelle der Freudeund Gesundung werden. Was wird aber aus der großen Masseder Kinder, besonders in den Großstädten? Wo und in welcherWeise verbringen sie ihre Ferien? Die Antwort auf diese Fragelautet wenig tröstlich. Einige Familien besitzen auf dem Landenoch eine Großmutter oder Tante, die bereit ist, das eine Kindaufzunehmen. Wohnt die Familie in der Nähe eines großenGartens, so wird es auch möglich sein, daß die zurückgebliebenenGeschwister durch häufigen Besuch des Gartens aus den schulfreienWochen ihren Nutzen ziehen. Aber wie groß ist die Zahl derjenigen,die so weit von Gärten entfernt wohnen, daß sie ihre Kinder un-möglich allein dort hinschicken können! Vater und Mutter habenzu tun und können die Kinder unmöglich begleitet. So bleibt,da das Spielen auf den Höfen verboten ist, nur noch die Straßeübrig. Daß dieser Ausweg nicht nur ein schlechter, sondern auchein äußerst gefahrvoller ist, wissen die Eltern wohl, sehen aberkeine andere Möglichkeit, ihren Kindern ein wenig Luft und Sonnezu verschaffen. Verregnen gar die Ferien, so ist des Jammers keinEnde. Wohin nun mit der kleinen Gesellschaft? Die Wohnung istmeistens nur eine Unterkunft für die Nacht; selbst dafür reichtsie kaum aus, aber zur Not mag es gehen. Unmöglich wird aberdieser Zustand, wenn mehrere Kinder solch eine Wohnung zumSpiel- und Tummelplatz benutzen, müssen.„Wenn Ihr bloß wiederin dieSchule müßtet, dann wäre ich Euch los", hört man somanche Mutter klagen. Und wenn sich die Kinder am Nachmittagelangweilen, heißt es:„Nein, daß Ihr aber auch gar nichts fürdie Ferien aufbekommen habt."So kommt es, daß die so lang herbeigesehnten Schulferienfür Eltern und Kinder zur Qual werden. Auf welche Weisekönnte hier Abhilfe geschaffen werden? Was ist zu tun, um denKindern diese Schulferien nutz- und glückbringend zu gestalten?Unsere französischen Genossen haben sich schon vor mehrerenJahren diese Frage vorgelegt und sind zu dem Ergebnis gekommen,die ganze Angelegenheit von den Gewerkschaften aus ener-gisch in die Hand zu nehmen. Und so kommt es, daß wir heutein französischen Gewerkschaftsblättern häufig Berichte über dieKinderkolonien finden. Kinderkolonien nennen die fianzösischenGewerkschaftler diejenigen Ortschaften, in denen sie Kinder derMitglieder bei Bauern und Arbeitern in Pflege gegeben habenIn großen Scharen fahren diese Pariser Kinder, von ihrem Führerund seinem Helfer begleitet, gemeinsam in das schön gelegeneDorf, das von den Funktionären zu einem der Ferienaufenthalts-orte gewählt worden ist. Wie glücklich klingen die Briefe der Kin-der und ihrer Pflegemütter, die die ihnen anvertrauten Kleinenoft so liebgewinnen, daß sie sie kaum fortlassen wollen, und häufigkommt es vor, daß im folgenden Jahre ein Brief an das Pflegekindabgeht, in dem es als lieber Gast eingeladen, also unentgeltlichaufgenommen wird. Kehrt das Kind von diesem Aufenthalte ge-sund und fröhlich heim, so spricht es mit Liebe und Dankbarkeitvon VaterS Organisation, die ihm ermöglicht hat, dem Kinde soviel Gesundheit und Freude zu verschaffen. Und der Bater istdoppelt stolz auf diesen Erholungsaufenthalt feines Kindes, ver-dankt er ihn doch nicht irgendeinem bürgerlichen WohltätigkeitS-verein, sondern der Solidarität seiner Kollegen!—Die französischen Gewerkschaften ermöglichen diese großenAusgaben durch Extrabeiträge für die Ferienkolonien, ähnlich derBeiträge für die Kranken- und Arbeitslosenunterstützungskassen.Nun wissen wir, daß die französischen Gewerkschaften unter ihrerZersplitterung außerordentlich zu leiden haben; auch sind sie infinanzieller Beziehung bei weitem nicht so gut fundiert wie unseredeutschen Gewerkschaften, die ein stattliches Vermögen�präsentieren. Nehmen wir noch unsere Genossenschaftendazu, so verfügen wir über ein Material an Menschen und Geld,mit dem sich auch nicht annähernd das Organisationsmaterial derfranzösischen Arbeiterschaft messen kann. Könnte man da nicht dieFrage aufwerfen, ob ein Zusammenarbeiten von Ge-werk- und Genossenschaften für die Kinder-sommerkolonien, also für die Gesundung ihrer künftigenMitarbeiter, nicht sehr am Platze wäre? Es ließe sich wohl er-wägen, ob Gewerk- und Genossenschaften die neue Organi-sation der Volksfürsorge für diese Zwecke mit ausbauten.Ein anderer Weg wäre, wenn die Volksfürsorge dieFericnversicherung für Arbeiterkinder in denKreiS ihrer Aufgaben mit einbeziehen würde. Beide Wege lassensich einschlagen, Sache der Beteiligten ist es, zu prüfen, welcherWeg am geeignetsten erscheint, um den erwünschten Erfolg zu ver-schaffen. Diese ganze Angelegenheit bedarf noch eingehender Be-sprechung und Ueberlegung.Bis dahin sei eS mir gestattet, für die jetzt beginnenden Schul-ferien einige Vorschläge zu machen, um den Großstadtkindern soviel Nutzen als nur möglich aus den Sommerferien zu bieten.Könnten nicht von den Frauenleseabenden aus für jedeGruppe eine oder zwei Frauen gewählt werden, die gewillt sind,an einigen Nachmittagen der Woche die Kinder des Bezirks zusammeln, um mit ihnen gemeinsam einen größeren Park aufzu-suchen? Die Eltern- und Hausarztvereine von Groß-Berlin machenseit Jahren gemeinsame Spaziergänge und Ausflüge. Die Kinderwürden ihr Abendbrot mitnehmen, um länger im Freien bleiben zukönnen und würden abends wieder gemeinsam an ihrem Ver-sammlungsort. in der Nähe ihrer Wohnung, ankommen. Beischlechtem Wetter könnten unsere Lokalbesitzer ein größeres Zimmerzur Verfügung stellen, damit die Kinder ihre freien Tage nichtallein in den engen Wohnungen zubringen, sondern bei gemein-samem Spiel in gut gelüfteten Räumen. Für die größeren Kinderwäre das schlechte Wetter für gelegentliche MuseumSführungenund gemeinsames Lesen zu benutzen.All dies sind natürlich nur Notbehelfe, die sich einemunwillkürlich aufdrängen, wenn man in den Schulferien in dieengen Arbeiterwohnungen kommt, wo ein Kind dem anderen imWege ist und alle zusammen der Mutter bei ihrer Arbeit keineMinute Ruhe lassen. ES gibt in Berlin Straßen, in denen manbeinahe auf Kindern herumtritt. Und kein grüner Baumweit und breit, kein Sandhaufen, keine Aufficht, nichts, garnichts, um die Kinder vor Schaden zu bewahren.Ich weiß wohl, armselige Notbehelfe, nichts weiter, sind dieseletzten Vorschläge, doch bedeuten sie, richtig angewandt, mehr, alsein Tropfen Wasser auf einem heißen Stein. Wir müssen nurdafür Sorge tragen, daß Millionen von Wassertropfen zusammen-lammen, dann wird auch der glühendste Stein einmal erkalten.Daß die Sommerferien unserer Arbeiterkinder ein Problemdarstellen, das dringend seiner Lösung harrt, wissen alle, die die�HSltnisse, besonders in den großen Städten, kennen. Die Rot-behelfe der Kinderführungen könnten den Beginn einer umfassen-den Volksfürsorge für die Kinder bilden. Sollten einige der Mei-nung sein, daß diese neuen Maßnahmen nur eine neue Ausgaben-last für die moderne Arbeiterschaft bedeute, so möchte ich daraufhinweisen, daß eine kränkliche, arbeits- und denkunfähige Nach-kommenschaft gerade für die moderne Arbeiterschaft ein fressendesKapital darstellt, während das Kapital, das für die geistige undkörperliche Gesunderhaltung ihrer Nachkommenschaft ausgegebenwird, ein Kapital darstellt, das notwendigerweise sehr hohe Zinsenbringen mutz. Toni Sutzmann.vag ßegräbms der JVIiß Davlfon.London, 14. Juni.(Eig. Ber.) Ein Leichenzug von wunder-barer Erhabenheit und Feierlichkeit bewegte sich heute nachmittagdurch die mit Menschen dicht gefüllten Straßen Londons. Manbrachte die Leiche der ersten Toten der englischen Frauenrechts-bewegung von Epsom durch London nach der Familiengruft der Ver-storbenen in Morpeth in der Grafschaft Northumberland. KeineFürstin hat je ein solches Begräbnis gefunden wie diese Frau, die,was man auch immer über die Agitationsmethod« der Suffragettendenken mag, für ihr Ideal in den Tod gegangen ist und sich ihrenMitmenschen in unselbstsüchtiger Weise geopfert hat. Diese Wahr-heit empfanden alle Anwesenden. Wohl wagte sich hier und da inder hunderttausendköpfigen Menge ein Spötter hervor; doch seineWorte erftarben auf seinen Lippen inmitten der ehrfurchtsvollenMenge, die vor der Toten stumm die Hüte abnahmen. Es war einergreifender Anblick, dieser lange Zug von weiß und schwarz undviolett gekleideten Frauen, der sich von der Station Victoria, wodie Leiche von Epsom ankam, nach der Station King's Croß bewegte,von wo sie nach Nordengland transportiert wurde. Mit zehn Ka.pellen waren die Frauen unter den Klängen der Marseillaise nachder Station Victoria gezogen, und nun brachten sie ihre teure Totemit feierlichem Trauermarsch zur letzten Ruhe. Die Kapellenspielten HändelS Trauermarsch, jene erschütternde Komposition,die einen so deutlich an den Klageruf einer von unendlichem Leidzerrissenen menschlichen Seele mahnt. Und wenn dann bei demdritten Viertel jedes zweiten MteS der dumpf« Trommelschlagertönt«, ging ein Schauern durch die Menge, wie wenn sich etwasGroßes, Unbegreifliches zugetragen hätte. Nie zuvor ist unsHändelS Trauermarsch so groß und so erhaben vorgekommen.Hinter den Zugführerinnen schritt die Geistlichkeit. Dannkamen drei Reihen weißgekleideter Mädchen, die Lorbeerkränzetrugen. Ihnen folgte ein violettfarbiges Banner mit der Inschrift:„Kämpfet weiter, und Gott wird den Sieg geben." Wieder kamenlang« Reihen weißgekleideter Mädchen mit Lorbeerkränzen. Hinterihnen schritten die Londoner Mitglieder der SozialpolitischenUnion. Der erste Teil von ihnen ging schwarz gekleidet; jede Frautrug veilchenblaue Schwertlilien in der Hand. Der zweite Teilhatte violettfarbige Kleider an und trug Pfingstrosen, und in derdritten Sektion marschierten weißgekleidete Frauen, die großeweiß« Lilien vor sich trugen. In derselben Ordnung, in der gleichenKleidung und mit denselben Blumen folgte die lange Reihe derMitglieder ans der Provinz hinter der Leiche. Der Sarg stand aufeinem einfachen Wagen und war mit einem violettfarbigen Tuchebedeckt. Vor und hinter dem Leichenwagen wurden je zwei Bannergetragen. Auf denen, die vorangetragen wurden, war zu lesen:„Gedanken haben sich verbreitet, deren Macht nicht wieder ein-schlummern kann. Sieg! Sieg!" mti>:„Größere Liebe hat keinMensch als der, der sein Leben niederlegt für seine Freunde.Die, die dem Sarge folgten, trugen die Inschriften:„Duke etdecorum est pro patria mori"(Süß und ehrenvoll ist es, für da?Vaterland zu sterben) und„Wer sein Leben verliert, soll es wiedergewinnen." Unmittelbar vor dem Leichenwagen marschiert« dieFahnenträgerin. Ihr folgten Frauen, die den Hungerstreik mibgemacht haben, Geistliche und persönliche Freunde. Hinter derLeiche schritten die Verwandten, eine zweite Partie Hunger-streikender, etwa 100 Mitglieder der freien Beruf« in ihren akade-mischen Gewändern. Eine Reihe mit Kränzen beladener Wagenbewegte sich im Zuge. Wir bemerkten eine aus weißen Nelkenbestehende Blumenspende in Gestalt eines Gefängnisgitters. DenSchluß de? Zuges bildeten die Mitglieder anderer FrauenstimmrechtSorganifationen und einiger Ostlondoner Gewerkschaften mitihren Fahnen und Bannern.Auffallend groß war die Zahl der Frauen, die sich heran-drängten, um das Begräbnis zu sehen. Mindestens die Hälfte derungeheuren Zuschauermeng« bestand aus Frauen und Mädchen, diefür die Verstorbene wirklich tiefe Sympathie fühlten. Wir sahenmehrere weinen. Wir hörten eine Arbeiterfrau sagen:„ArmeSHerz! Aus tiefer Liebe für ihre Sache ist sie in den Tod gegangen.Wäre sie verheiratet gewesen, so wäre sie sicher eine liebevolleGattin und Mutter gewesen."„Arme Miß Dlvison" konnte mandie Kinder sagen hören, die dies gewiß ihren Müttern abgelauschthatten.Die Polizei tat ihr Möglichstes, um den ordnungsmäßigenVerlauf der Feierlichkeit zu stören. Sie hatte vorher bekannt-gegeben, daß sie es nicht erlauben werde, daß sich der Sarg durchdie belebten Straßen bewege. Schließlich hat sie es doch erlaubenmüssen. Aber die Folge ihrer Verordnung war, daß sich dieMenschenmengen, die den Leichenzug von allen Seiten erwarteten,von einer Verkehrsader in die andere wälzten und so den ganzenVerkehr in Westlondon zum Stillstand brachten. Auch erlaubte sichdie Polizei eine Handlung von empörender Brutalität: FrauPankhurst, die zweimal aus dem Gefängnis entlassen worden ist,damit sie am Leben bleibe, sollt« in einem Wagen dem Sargefolgen. MS sie Ihr Haus verlassen wollt«, um am Begräbnis der'Miß Davison teilzunehmen, wurde sie wieder verhastet und insGefängnis transportiert. Dieses Polizeimanöver sieht aus wieein Akt kleinlicher Rache. In einem Londoner Blatte heißt es, daßein Teil der Zuschauer die Mitglieder der Sozialpolitischen Unionausgezischt habe. Wir haben davon nicht? bemerkt. Nur diePolizei wurde ausgezischt, als sie die Volksmenge vor der Kirch«,in die der Sarg auf dem Wege gebracht wurde, auseinandertreibenwollte. Um ein Haar hätte sie Prügel bekommen; sie wählte jedochrechtzeitig den besseren Teil der Tapferkeit.DaS Begräbnis der Miß Davison bat auf da? Londoner Volkeinen fiesen Eindruck gemacht. Niemand, der ihr beigewohnt, wirddiese letzte Demonstration der ersten Märtyrerin deS Frauen-stimmrechts leicht vergessen. Auf ihre Weise gab sie ihr Leben fürden Fortschritt und die Freiheit der Menschheit, und alle Freundeder menschlichen Freiheit werden vor ihrer Bahre ehrfurchtsvoll denHut ziehen.Mutter und Kind.Wöchnerinnen in Frankreich. Die französische Deputierten-kammer hat am 12. Juni ein Gesetz über den Schutz schwan-gcrer Arbeitte rinnen angenommen, das nachstehende Be-stimmungen enthält: Frauen, die sich im Zustand offenbarerSchwangerschaft befinden, haben das Recht, die Arbeit zu ver-lassen, ohne daß sie sich deS Kontraktbruches schuldig machen. JedeArbeiterin, Angestellte oder Hausbedienstete, die keine Einkünfte,hat, kann während der letzten vier Wochen SS? und der ersten vierWochen nach der Entbindung eine tägliche Unter st ützungbeanspruchen, wofern sie für sich und sür ihr Kind alle not-wendigen hygienischen Borschriften befolgt. Die Durchführungdes Gesetzes kann durch die freien Wöchnerinnen-Unterstützungs-fassen besorgt werden. Das Finanzgesetz wird die notwendigenMittel, die auf mehrere Millionen veranschlagt sind, festsetzen.—Eine beantragte Zusatzbestimmung, die die Einbeziehung derHeimarbeiterinnen forderte, wurde in eine Resolution um-gewandelt, die die Regierung auffordert, im Finanzgesetz von 1910die dazu notwendigen Mittel vorzusehen. Angenommen wurde einVorschlag, der den Arbeiterinnen industrieller Unternehmungentvährend eines Jahres nach der Entbindung eine Arbeitsstundetäglich ohne Verminderung des Lohnes zur Säugung ihresKindes bewilligt.Der Geburtenrückgang in Frankreich. Der Leiter des PariserStatistischen Amtes. Bertillon, teilte mit, daß im Jahre 1912 dieZiffer der Geburten in ganz Frankreich(750 681) die Ziffer derTodesfälle(692 740) nur um S7 911 übersfiegen habe. Die Jahre1911 und 1912 seien in dieser Hinsicht die schlechtesten seitdem Jahre 1800 gewesen.Die Kindersterblichkeit in Rußland. Durch einen kaiserlichenErlaß, der sich mit der Kindersterblichkeit in Rußland befaßt, sollin Petersburg eine besondere Anstalt geschaffen werden, in dieKinder mit ihren sie stillenden Mütter n aufge-n o m m e n werden sollen. Die von den Privatbanken in Peters-bürg und Moskau aus Anlaß deS dreihundertjährigen Jubiläumsder Dynasfie Romanow gestiftete Million Rubel ist für die Unter-Haltung dieser Anstalt bestimmt worden, die unter das Patronatder Kaiserin Alexandra Feodorowna gestellt tvorden ist. �ebered)tIn Oesterreich ist die Wiederverheiratung katholischer Ge-schiedener verboten. Die Folge ist außer unendlich vielem Herzeleideine Menge wilder Ehen geschiedener Personen, die nicht einen:sinnlosen Gesetzparagraphen zuliebe auf ein neues Familienlebe:verzichten wollen. Um solchen Personen, die sich noch nicht vonüberlieferten religiösen Bedenken befreit zu haben, Gewissenskämpfezu ersparen, hat der frühere katholische Geistliche, jetzige anti-klerikale Schriftsteller Kirch st eiger eine Ersatz-Eheschliehungeingeführt, die unter Vermeidung des kirchlichen Rituals in würdig-ster Weise nach dem Brauche der alten christlichen Kirche die neueEhe weihen soll. Er erklärt dabei, nicht im Namen des Papstesoder des Staates— sondern im Namen Gottes zu handeln, läßtsich von dem � Paare gegenseitige Liebe und Treu« versprechen unddas Versprechen abgeben, daß sie im Falle einer Reform desGesetzes die staatliche oder kirchliche Eheschließung nachholenwollen. Also eine durchaus ernst« Feier, die dabei keinen Anscheinobrigkeitlicher Befugnis zu erwecken sucht. Trotzdem wurde Kirch-steiger im vorigen Jahre der Herabwürdigung der Einrichtung derEhe angeklagt, aber vom Landgericht Salzburg freigesprochen.Das Gericht stellte nicht nur den ernsten Charakter des Aktes fest,sondern erklärte auch, daß K., wenngleich nicht mehr aktiver Geist-licher, dennoch wegen seines unverlierbaren Priestercharakters zurErteilung des Segens befugt sei.Seitdem hat K. weiter zahlreiche Weihen vorgenommen. Nunhat eine geschiedene Frau gegen ihren früheren Mann, der einesolche„Salzburger Ehe" eingegangen ist, Anzeig« wegen B i g a m i lerstattet: eine Sinnlosigkeit, da ja gar keine legale Ehe geschlosserworden ist. Das aber hat zu einem neuen Vorgehen gegen Kirch-steiger geführt. Zweifellos auf Antrieb der Klerikalen, die ja imgelobten Kirchenstaate Oesterreich nicht dulden können, daß auchnur ein Schlupfwinkelchen vor ihrer Gewaltherrschaft schützt, hatdie Staatsanwaltschaft Salzburg eine neue Voruntersuchung an-geordnet. Es wirb interessant sein, zu sehen, wie lange es dauernwird, bis die Frommen die Justiz mürbe gemacht haben. Ewiggewiß nicht. �ßefundbeitepflege des Kindes-Die Weiterentwickclung frühgeborener Kinder behandelt Dr.Btax W a l l- Breslau in der„Monatsschrift für Geburtshilfe".Der Verfasser geht von 691 Fällen aus und konnte über 183 Kin-der, von denen 87 noch am Leben waren, Nachricht erhalten. DieUntersuchungen ergaben, daß die Behauptung, frühgeborene Kinderseien in höherem Maße als reift zu Idiotie und Epilepsie diS-paniert, sich nicht aufrechterhalten läßt. Ein großer Teil derfrühgeborenen Kinder entwickelte sich in durchaus normaler Weise.Bei einem anderen Teile machte sich eine gewisse Verzögerungder körperlichen, geistigen und seelischen EntWickelung bemerkbar.Diese Kinder liefen mit Verspätung, neigten zu Sprachstörungen,blieben längere Zeit als normale Kinder Bettnässer uno konntenin der Schule zuerst nicht recht mitkommen. Diese EnttvickelungS-Verzögerung war aber nicht anhaltend. Der Ausgleich erfolgteallmählich. Es hatte somit den Anschein, alS ob diese Kinderlängere Zeit dazu brauchten, daS durch diese vorzeitige Geburtentstandene EntwickelungSdefizit nachzuholen.Tuberkulose im Säuglings- und KinbeSalter. Auf Grundder Literaturangabcn und eigener pathologisch-anatomischerUntersuchungen vertritt Dr. Lubarsch- Ittel im„Neichsrned.Sinz." die Anschauung, daß die Behringschc Hypothese von derAnsteckung durch die Nahrung im frühen Kindesalter wenig Wahr-scheinlichkeit besitzt. Andererseits bestätigt Dr. Lubarsch die Tat-fache, daß die Tuberkulose mit zunehmendem Alter sehr vielhäufiger wird und dann eine viel geringere Neigung zumFortschreiten aufweist.Ueber die Säuglingssterblichkeit in Abhängigkeit von der be-nutzten Ernährungsweise macht Dr. Schweizer- Moskau im„Medizirrkoje Obosrenije" interessante Angaben«, Die Rund»frage erstreckte sich auf 101 Fabrikarbeiterinnen, die 369 Kindergeboren hatten und ergab folgendes: Von den befragten Mütternhaben nur etwa 40 Proz. chre Kinder an der Brust allein gestilltund auch diese nur eine äußerst kurze Zeit(bis zu 3 Monaten).Von diesem Zeitpunkte an sinkt der Prozentsatz der Stillendenschon bedeutend. Die enorme Säuglingssterblichkeit m den ersten3 Monaten und insbesondere im zweiten LobenSmonat erklärtsich eben durch die frühe Darreichung von gemischter Nahrung.Von den verstorbenen Kindern entfällt fast die Hälfte auf die-jenigen, die in einem Alter bis zu 3 Monaten neben der Brustauch mit Brei gefüttert wurden. Von diesen gemischt genährtenKindern starben zwei Drittel innerhalb der ersten beidenLebensjahre. An den Ueberlebenden werde eine hochgradige Ab-zehrung beobachtet. Manchmal wiesen die Kinder allerdings aucheine beträchtliche Gewichtszunahme auf, aber nur nn Anfang.Je früher die Breifütterung begonnen hat, desto weiter bliebdaS Gewicht htttter dem normalen zurück.Einen Beitrag zur Statistik der Tuberkulosesterblichkeit inBaden bringt Dr. E. G. Dresel- Heidelberg in der„Deutschenmediz. Wochenschrift". Seine statistische Zusammenstellung zeigt,daß in Baden in den Jahren 1906/10 die Tuberkulosesterblichkcitin allen Altersklassen erheblich geringer war als in den Jahren1881/88. Insbesondere war bei der Säuglingssterblichkeit<raTuberkulose ein Abfall bis auf die Hälfte zu verzeichnen.