9,. i®. so.»« i. KtiilM des Lsmiilts" Kerliller Noldsdllltt. M«�o.?mi.s.3. Keickstag. ISS. Sitzung. Donnerstag, den 19. Juni 1913, nachmittags 2 Uhr. Am Bundesratstisch: v. Heeringen. S. Lesung der Wehrvorlage. 7. Tag. Vor Eintritt in die Tagesordnung erklärt Preußischer Kriegsminister v. Hccringcn: Die von dem Abg. Z u b e i l aufgestellte Behauptung, daß der verstorbene Major v. Roon seinen Burschen erschossen oder erstochen hätte, ist frei erfunden und gehört in das Gebiet der Fabel. <Hört! hört I rechts.) Es ist auch unwahr, daß Herr v. Roon wegen Menschenschinderei jemals im Avancement zurückgesetzt worden sei. Herr v. Roon hat weder seinen Burschen noch irgendeinen anderen Menschen erstochen, er« schössen oder auf irgendeine andere Art beseitigt. Mir fehlen die Worte dafür, daß ein Abgeordneter hier von der Tribüne des Reichstages Behauptungen über einen vor 23 Jahren verstorbenen Ehrenmann in die Welt schleudern kann, die jeder Begründung ent- kehren, und ohne sich der Mühe zu untei'ziehen, diese Behauptungen auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Ich überlasse das Urteil darüber dem Deutschen Reichstag. fBeifall rechts.) Abg. Zubcil<Soz.): Ich habe sowohl dem Kriegsminister als dem Abg. v. G r a e f e, der sich gegen meine Ausführungen wandte, das Mittel angegeben, die Wahrheit meiner Ausführungen fest- z u st e l l e n. Wenn dieses Mittel �Befragung der Soldaten, die 1871 unter dem Hauptmann v. Roon gedient haben) angewandt wird, dann werden diejenigen, die seinerzeit mit mir die Schießü bungen in Guben mitgemacht haben sLachen und Lärm rechts) bestätigen, daß das, was ich von dieser Stelle aus ausgeführt habe, richtig war. Ich kann die hentigen Angaben des Kriegsministers nicht nach- prüfen. Ich habe nur meine eigenen Erlebnisse und das, was in Guben jedermann wußte, mitgeteilt und nur die Person des Herrn v. Roon charakterisieren wollen.(Lärm rechts.) Kriegsminister v. Heeringen: Ich babe nur die Behauptungen des Abg. Z u b e i l zurückgewiesen, daß Herr v. Roon seineu Burschen ermordet habe und im Avancement wegen Soldatenschinderei zurück- gesetzt worden sei. lieber die anderen Klagen des Abg. Z u b e i l habe ich nichts gesagt. Auf den Vorschlag, eine Volks- abstimmung über das einzuleiten, was vor so vielen Jahren passiert sein soll, kann ich nicht eingehen. Wenn der Abg. Zubeil die Behandlung, die ihm und seinen Kameraden damals zuteil wurde, so empfunden hat, wie er es jetzt darstellt, dann muß ich mich wundern, daß er sich das hat gefallen lassen und nicht dagegen eingetreten ist.(Beifall rechts.— Abg. Zubeil: Ich konnte ja nichts dagegen tun!) Das Haus tritt in die T agesordnung ein. Zur Beratung steht der sozialdemokratische Antrag, folgenden Artikel 1 ck einzufügen: .Den Angehörigen der Armee wird die Freiheit der politischen und religiösen Gesinnung und ihrer außerdienstlichen Betätigung gewährleistet. Die Bekundung oder Betätigung der politischen und religiösen Gesinnung unterliegt nicht der militärischen Disziplin." In dem gleichen Sinne bewegt sich eine Resolution Ablaß (Vp.). Abg. Heine(Soz.: Wir beabsichtigen durchaus nicht eine Politisierung der Armee, im Gegenteil wir wollen den Mißbrauch der militärischen Autorität, der in der alltäglichen Beeinflussung der Soldaten in einem bestimmten politischen Sinn liegt, verhindern. Die jetzige Politisierung der Armee ist in Wahrheit geeignet, die Disziplin zu lockern.(Infolge der andauernden Unruhe und der lauten Gespräche auf der Rechten macht der Redner eine lange Pause, bis sich die Konservativen beruhigt haben.) Man wird hoffentlich von mir nicht eine lange Reihe von Einzelfällen verlangen, um zu beweisen, was jeder von uns weiß und was den Reichstag in den letzten 10 bis IS Jahren unzählige Male beschäftigt hat. Ich erinnere nur an die Debatte über die politischen Ansprachen an die Kontrollversamm- l un gen. weiter an die Angelegenheit des Reservisten �Fri e s e. der wegen verbotener sozialdemokratischer Kundgebungen bestraft wurde, weil er als Zeuge gegen seinen Willen durch den vernehmenden Richter gezwungen worden war, unter seinem Eid auszusagen, daß er im Zivilverhältnis Sozialdemokrat sei. (HörtI hörtl bei den Sozialdemokraten.) Diesen Mißbrauch des militärischen Strafrechts hat auch der Abg. Gröber sehr scharf gerügt. Alle diese Rügen des Reichstages haben aber nicht das ge- ringfte erreicht. Das lächerliche und gesetzwidrige Verbot und seine Strafandrohung ist nicht aufgehoben worden. Ich erinnere weiter an die Drangsalierung der Offiziere des Be- urlaubtenstandes und a. D. Nicht nur die Sozialdemo« kratie, sondern alle oppositionellen Parteien, der Fortschritt ebenso wie das Z e n t r u m haben hier ihre Erfahrungen gemacht. Der Oberst G a e d k e ist seinerzeit ehrengerichtlich verurteilt, und es ist ihm die Offiziersqualität entzogen worden, weil er die M i l i t ä r- revolution von Belgrad als eine natürliche Folge der herrschenden Tyrannei zu erklären gesucht hatte. Nun vor einigen Tagen wurde in der .Deutschen Tageszeitung" der ermordete türkische Großwesir als ein Wohltäter seines Vaterlandes gefeiert; der Mann ist dreimal durch Revolutionen an die Spitze der Regierung ge- kommen. Ueber diesen Artikel ist aber ein patriotisches Gezeter nicht entstanden.(Hört I hört' links.) Wenn Gädke nicht liberal gewesen wäre, würde man ihm auch kein Haar gekrümmt haben, so wenig, wie den Goltzen und anderen Leuten, die die jung- türkische Militärrevolution in der Türkei begrüßt haben. Der General- arzt Prof. Czerny sollte ge maßregelt werden, weil er. auch nur bei der Stichwahl, ein Eintreten für die sozialdemo- kratischen Kandidaten für möglich erklärt hatte; und der frühere Rechtsanwalt und Stadtrat von Berlin , Dr. Kaufsmann, wurde als Hauptmann der Landwehr ehrengerichtlich gemaßregelt, weil er für die Fortschrittliche V o l k s p a r t e i als Politiker eingetreten war. Manchmal wirken diese Dinge recht lächerlich. Detlev v. Lilien cron hatte erlanbt, daß im .Hamburger Echo" seine„Adjutantenritte", die 10 Jahre vorher er- schienen waren, abgedruckt werden. Man hat ihm unter An- drohung der Entziehung der königlichen Gnadenpension die Zumutung gemacht, die Forlsetzung des Erscheinens der Novelle im .Hamburger Echo" zu untersagen.(Hört! hörtl links.) Er mußte sich zähneknirschend beugen, denn er konnte das Lumpengeld leider nicht entbehren. Anstatt� sich zu freuen, daß in einem sozial- demokratischen Blatt diese Erzählung erscheint, welche den Krieg noch von der besten und schönsten Seite feiert, nahm man Anstoß daran! Aber man hat ja sogar den Reservisten bestraft, dessen Frau ihm den Schmalztopf, den sie ihm ins Manöver mitgab, ohne daß er es wußte, in ein Blatt des„Vorwärts" eingewickelt hatte.(Stürmische Heiterkeit.) Das entspricht dem großzügigen, er- habenen Geist, oer in der Armee herrscht! Unduldsamkeit und Bcrsolgung herrschen in der Armee. Der Walderseesche Leitfaden verlangt, daß von den Soldaten auch nach ihrer Entlassung die Agitation gegen die Sozialdemokratie als Dien st Pflicht gefordert werde. Das ist um so alberner, als c-Z gar kein Mittel gibt, so etwas zu erzwingen. Man hat Soldaten als Sozialdemokraten bestraft, weil sie im Zivilvcrhältnis dem Metallarbeiterverband angehörten. Bekannt ist ja der Fall Düwell, wo dieser junge Mann wegen Zugehörigkeit zu einem Jugendverein, der mit Unrecht als sozialdemokratisch erklärt wurde, unwürdig sein sollte zum Einjährig-Freiwilligen; später wurde er für dienstuntauglich erklärt. Auch in anderen Fällen hat man die Söhne bekannter Sozialdemokraten zum Er- staunen aller ihrer Angehörigen wegen allgemeiner Körper- schwäche, von der man an den jungen Leuten früher nie etwas bemerkt hatte, dienstuntauglich erklärt. Das ist wenigstens der Anfang der einzig richtigen Konsequenz des Militarismus.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wenn die Sozialdemokraten wegen ihrer Gesinnung unwürdig sind, der Armee anzugehören, so darf eine Armee, die auf ihre Ehre etwas hält, sie nicht ein- stellen.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Würde das übrigens Gesetz, daß alle Sozialdemokraten als unwürdig zum Heeresdienst befreit werden, dann sollten Sie einmal sehen, wie viele Spießbürger ihre Söhne veranlassen würden, sich als S o z i a l- demokraten auszugeben.(Große Heiterkeit.) Aber diese er- bärmliche Gesinnung, die sich vom Militär unter einem solchen Vor- wand drücken will, lehnen wir natürlich ab. Ich selbst kenne sehr genau den Fall eines Premierleutnants der Landwehr, der mit Lust und Liebe Offizier war, aber zugleich auch Sozialdemokrat. Er wußte natürlich, welches Ende dies einmal nehmen würde. Man hätte es gern gesehen, wenn er auf bequemeWeise seinen Abschied genommen hätte. Aber er wollte nicht anerkennen, daß man als Sozialdemokrat seine militärische Pflicht nicht auch als Offizier erfüllen kann. Er wollte auf sein Recht und seine staatsbürgerliche Pflicht, auch als Soldat seine Schuldigkeit gegenüber dem Vater- land zu tun, nicht Verzicht leisten, ebensowenig aber auf seine anderen staatsbürgerlichen Rechte, denn das wäre ebenso feige und pflichtvergeffen gewesen, wie sich vom Militärdienst zu drücken. Wenn die Armee erklärt, es vertrüge sich nicht mit ihren Ehrbegriffen, daß ein Mann mit solchem Pflichtgefühl in ihr wäre,_ dann ist das schlimm für die Armee.(Sehr wahr I bei den Sozial- demokraten.) So sehr wir den Krieg verwünschen und jede Politik, die leichtfertig mit dem Kriege spielt, kriegerische Instinkte ausnutzt oder gar hervorruft, verurteilen, fo sicher stehen wir auf dem Standpunkt, daß es ein Recht des ehrenhaften, freien Staats- bürgers ist, seine Freiheit in der Stunde der Gefahr selb st zu verteidigen. Wir wissen aber auch. daß es neben der Pflicht zur Wehr für das Vaterland noch andere Pflichten des Staatsbürgers gibt. Dazu gehört vor allem die politische Pflicht, daß man seiner Neberzeugung gemäß das Beste für das Vaterland vertritt und nicht kriecherisch und feige das verleugnet, was man für richtig hält. Diese fundamentalen Pflichten des Staatsbürgers, die Wehrpflicht und dir politische Pflicht, sind vollkommen gleichwertig, und nur die Praxis ist staats« erhaltend, welche die Erfüllung beider Pflichten miteinander zu ver- einigen ermöglicht. Wir wollen beide Pflichten erfüllen, aber unsere Ehre nicht dadurch opfern, daß wir unsere politische Pflicht verleugnen. Wir wollen unsere militärische Ehrenpflicht erfüllen, dann aber protestieren wir dagegen, daß man uns bei der Er- füllung der Wehrpflicht als ehrlos und minderwertig be« handelt.(Lebhafte Zustimmuug links.) Deshalb verlangen wir, daß die Annee jeder politischen Ueberzeugung offen- stehe und daß alle ehrenwerten, pflichttreuen Staatsbürger, ohne Rücksicht auf ihre politische Ueberzeugung, gleich behandelt werden. Dieser Grundsatz folgt aus dem Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht. Die Antwort, die der Reichskanzler und der Kriegsministcr auf unser Verlangen schon gegeben haben, hat uns bewiesen, daß der Militarismus vollkommen unbelehrbar ist. Der Reichs- kanzler hat nichts weiter zu sagen gewußt, als daß seine Ver- pflichtung wäre, die Armee zu erhalten in der Treue zum Kaiser, in fester Disziplin und in unbeugsanier Organisation, die durch nichts Fremdes durchbrochen wir�. Und der Kriegsminister hat als seine Pflicht erklärt, vor allem die Kommandogewalt aufrechtzuerhalten und die direkten Be- Ziehungen zwischen den Offizierkorps und dem König und Kaiser, welche deren richtigen Geist sichern. Das' war die Antwort auf die gewiß nicht revolutionäre Forderung Dr. Müller-Meiningens, daß die� Armee doch etwas Vertrauen zum Volk haben solle. Die Antwort war ein glattes rundcS Stein. Wir aber, das Volk(Lachen rechts), haben zu einem solchen System auch kein Vertrauen!(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Der Geist der Armee, wie ihn der Reichskanzler darstellt, ist nicht der Geist eines auf allgemeiner Wehrpflicht beruhenden Heeres, sondern einfach der Geist einer Prätorianergarde. Wo kommt in dem Programm des Reichskanzlers etwas vor von Treue gegen das Volk, dessen erster Diener doch der Monarch sein soll? Die Kommando- gewalt aber findet ihre Grenzen an dem geschriebenen Gesetz und auch an den ungeschriebenen Gesetzen, die sich aus dem Wesen des Staatsbürgertums, der Verfassung und der allgemeinen Wehrpflicht ergeben. Bismarck hätte die Rede des KciegSministers als Tronpier- Politik bezeichnet.(Heiterkeit links.) Kein Mensch hat bestritten, daß in der Armee Disziplin herrschen muß, aber der Kriegsminister scheint nicht zu wissen, was die Schulmeister schon seit ComeniuS wissen, daß eine Disziplin um so stärker ist. je mehr sie getragen wird von dem Bewußtsein des Gehorchenden, daß er sich und sein Leben freiwillig für seine eigene Sache und nicht ge- zwangen für die Sache eines Fremden in die Schanze schlägt. Freilich, der freudige Gehorsam, der in der entscheidenden Stunde, ohne nach rechts oder links zu blicken, in den Tod geht, wird nicht erzeugt durch die Methode, die das, was der ehrenhafte Staatsbürger als sein Heiligstes besitzt, seine religiöse oder politische Ueberzeugung, beschimpft.(Lebhafte Zustimmung b. d. Sozial- demokraten.) Die freiwillige Hingabe, die Disziplin im besten Sinn kann man nicht erzeugen, bei Soldaten, die man als„Fremde" im Heer bezeichnet I Die Aechtung jedes Andersdenkenden sprach aus den Worten des Reichskanzlers von dem Fremden, das die Armee fernhalten müsse. Und diese Mißachtung äußert sich hundertmal. In der Armee, wie in ihren Anhängseln, den Krieger- vereinen usw. wird jeder Sozialdemokrat nur mit Verachtung erwähnt, unsere Gesinnung wird verachtet, beschimpft und geächtet, und dadurch werden alle die moralisch ins Gesicht geschlagen, die sozialdemokratisch denken oder auch nur sozialdemokratische Eltern und Geschwister haben. Das aber ist ein nicht geringer Teil unseres Volkes und so entehrt die Armee einen großen Bruchteil ihrer Soldaten, indem sie sie m o r a l i s ch ohrfeigt.(Lebhaftes Sehr wahr! links.) Dieser Mißbrauch der Autorität gegenüber den Unter- gebenen, die sich nicht wehren können, ist alles eher als ehrenhaft und eine Armee, die so auf ihre unantastbare Ehrenhaftigkeit pocht, kann nicht renommieren damit I Das ist eine schwere Verletzung der einfachsten Anstandspflicht, die jeder Staatsbürger als selbstverständ- lich empfindet. Diefe Art, die Soldaten zu behandeln, ist aber auch sehr unklug. Denn wie werden diejenigen, die jahrelang die Ent- rüstung darüber in sich hineinfressen müssen, die Armee verlassen? Sicherlich als um so schärfere Feinde des Heeres. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Und alle Ihre politisierende Agitation gegen die Sozialdemokratie vor den Rekruten, Mann- schaflen, Reservisten und Landwehrleuten ist nur geeignet, der Sozial- demokratie nicht nur neue, sondern auch immer erbittertere Anhänger zuzuführen. Man sagt, die Armee müsse den Staat erhalten helfen. Das ist ja der verhängnisvolle Denkfehler, daß man einen so riesigen Teil des Volkes außerhalb des Staates zu stellen versucht, iveil er über die Organisation des Staates, feine Gesetze und Einrichtungen, anders denkt, als die herrschenden Klassen I Daß die Junker in der Armee vielleicht bei dieser oder jener Gelegenheit mit großem Schneid und mit Todesverachtung ihren Truppenteil zum Siege geführt haben, wollen wir gern anerkennen. Aber daß aus diesen Waffenerfolgen heraus das Deutsche Reich emporgewachsen ist, das geben wir nicht zu. Das hat auch Kaiser Friedrich anerkannt, der erklärt hat, daß die Junker noch 1870 Gegner des Reichsgedankens waren, ja sogar noch später.(Zuruf links: Noch heute!) Man muß sich auch daran erinnern, daß Bismarck gesagt hat, die Junker seien Ochsen teilweise von Geburt, teilweise auS Prinzip. (Heiterkeit.) Der Neichsgedanke ist keine junkerliche, sondern eine bürgerliche Idee. Bürgerlicher Idealismus und— ich gebe es zu— teilweise auch bürgerlicher Geschäftssinn haben das Deutsche Reich gegründet. Der Zustand vor 1870, dieser Längsschnitt durch das deutsche Volk, war gegenüber jeder nationalen Gesinnung etwas ganz Unmögliches. Aber dieser Querschnitt, den Sie jetzt vornehmen wollen, indem Sie das Volk in einen„gutgesinnten" und in einen „nichtgutgesinnten" Teil einteilen wollen, schlägt dem nationalen Gedanken ebenso ins Gesicht.(Sehr richtig! bei den Sozialdemo« traten.) Die Menschen, die Sie außerhalb der Verfassung stellen wollen, bilden einen so großen Teil des deutschen Volkes, daß Ihr Vorhaben nichts anderes bedeutet, als wenn Sie die süd- deutschen Bundesstaaten wiederum aus dem Reich ausschalten wollten.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Dieser Stand- Punkt der gehässigen Unduldsamkeit ist freilich die fast unvermeidliche Konsequenz einer' Staatsordnung, die einigen wenigen Privi- legierten alle Vorteile gewährt. Aber für diese Zwei« teilung des deutschen Volks sollte sich gerade die Armee der all« gemeinen Wehrpflicht nicht hergeben. Vielleicht ahnen Sie, Herr Kriegsmini st er, nunmehr etwas von dem Zusammenhang in dem das allgemeine Wahlrecht, die allgemeine Wehrpflicht und unsere Anträge stehen. Die Konsequenz Ihrer Anschauungen wäre eine g e w o r b e n e T r up p e, also eine Soldateska. Tatsächlich erschien noch vor kurzem in der reaktionären Presse ein Aufsatz, in welchem ausgeführt wurde, daß wenigstens e i-n Teil des Heeres aus einer geworbenen Truppe bestehen sollte, die den Kaiser unter allen Umständen zu schützen habe. Das ist von Ihrem Standpunkte aus ganz logisch. Ein Heer, das nur auf die Kommandogewalt des obersten Kriegsherrn verpflichtet wird, ein Heer, dem gelehrt wird, daß ein Teil des Volkes außer- halb des Retchsgedankcns, außerhalb aller Gleichberechtigung stehen soll, ist ein Prätorianerheer.(Sehr gut I bei den Sozialdemokraten.) Aber unser Heer ist keine geworbene Soldateska, ist kein Priätorianerheer. es soll aber auch nicht dazu gemacht werden und dazu sollen unsere Anträge dienen. Nicht wir sind es, die das Heer dem Gedanken der Vaterlands- Verteidigung entfremden, sondern Sie sind es, Sie alle sollten daher unseren Anträgen zustimmen, Sie alle, denen es ernst ist mit dem Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht und der all« gemeinen Vaterlandsverteidigung. Wir sind hier � die Staatserhaltenden, nicht Sie.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten. Vereinzeltes Lachen bei den Konservativen.) Abg. Quarck(natl.): Der borliegende Antrag ist der Höhe« Punkt der sozialdemokratischen Anschauung, trotz der Ausführungen des Abg. Heine. Heine hat allerdings erklärt, der Antrag beziehe sich nicht auf die Betätigung der sozialdemokratischen Gesinnung innerhalb des Dienstes, aber davon steht im Antrag nicht«. Auch der Satz wegen der religiösen Freiheit ist nur ein Mäntelchen. Sie wollen einfach Agitationsfreiheit innerhalb der Armee. Vielleicht wollen Sie dem von Stadthagen beklagten Abonnc« mentsschwund des„Vorwärts"(Oho I bei den Sozialdemokraten) dadurch entgegenarbeiten, daß in der Putzstunde für den„Vorwärts" agittert wird.(Lachen bei den Sozialdemokraten.) Durch Ihre Zurufe in den letzten Sitzungen haben Sie zugegeben, daß die Demo- kratisierung der Armee Ihr letztes Ziel sei. Je näher der Partei» t a g heranrückt, desto mehr fühlen Sie das Bedürfnis, mit wildem Donner und rot zuckenden Blitzen Stimmung zu machen.(Zuruf bei den Sozialdemokraten: Fauler Quarck!— Heiterkeit.) Abg. Bogtherr(Soz.): Ich muß es als eine Nichtachtuug unserer Anträge bezeichnen, daß die uatioualliberale Partei keinen anderen Redner vorgeschickt hat, als den Abg. Quarck. dessen hilfloses Gestammel wir hier gehört haben.(Zuruf eines Nationalliberalen: Frechheit!) Präs. Kaempf: Das ist eine Beleidigung eine? Abgeordneten. Ich rufe Sie zur Ordnung.- Abg. Vogtherr(fortfahrend): Der Abg. Quarck hat aus unserem Antrag das gerade Gegenteil gemacht, was er ist. Der Abg. Quarck hat erklärt, daß wir uns als Outsider für unsere Stellungnahme durch Befreiung von der allgemeinen Dienstpflicht belohnen lassen wollen. Genau das Gegenteil hat der Abg. Heine ausgeführt. Herr Quarck sollte wenigstens so gut zuhören, wie er reden kann.(Heiterkeit.) Es gehört doch ein besonderes— sagen wir ll ebermaß von M u t dazu, einem Redner nach fünf Minuten das Gegenteil seiner Rede in den Mund zu legen. Quarck behauptet, wir stellten uns außerhalb aller vernünftigen Tradition. Aber gerade die Nationalliberalen haben sich, allerdings einige Generationen früher, nämlich 1818, außerhalb aller Tradition gestellt. Das haben sie heute vergessen. Wenn Abg. Quarck gemeint hat, es sei uns nicht ernst mit unserem Antrag bezüglich der religiösen Frei« heit, so irrt er sich auch darin vollkommen. Wir sind der Meinung daß gerade die Religiosität ein Gebiet aller Persönlichen Freiheit sein muß. Keinerlei Zwang, wie er beim militärischen Kirchgang nsiv. herrscht, dürfte hier Platz greifen. Man darf den dienenden Soldaten nicht in einen sogenannten Gottesdienst führen, wenn er selbst nicht das Bedürfnis empfindet. Wir' können es nicht für richtig halten, daß die Militärpflicht dazu mißbraucht wird, die Mann« schaften wie eine Herde zun: Kirchgang zu kommandieren. Religion darf keine Angelegenheit der militärischen Disziplin sein (Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten), es ist eine ganz persönliche Angelegenheit, deren Wert für sich selbst nur der einzelne bemessen kann. Aber wir haben es ja z. B. in dem bekannten Fall Kraatz erlebt, wie da ein Offizier, der an der liberalen Auffassung de? Pfarrers Kraatz Anstoß nahm, sich erhob und seine Soldaten zwang, auf höheren Befehl ebenfalls Anstoß zu nehmen und die Kirche zu verlassen. Die Religionspflege im Heere steht auch im Widerspruch mit den aus dem Zivilstandsgefetz folgenden Rechten. Ein Unteroffizier wird gezwungen, sich unter allen Umständen kirchlich trauen zu lassen, unter allen Umständen seine Kinder taufen zu lassen. Das sind alles sogenannte Pflichten, bei denen da« Zivilstandsgesetz das Recht der Enthaltung gibt. Dissidenten werden gezwungen, an dem offiziellen Gottesdienst teilzunehmen. Es ist mir nur ein einzelner Fall bekannt— natürlich nicht in der preußischen, sondern in der sächsischen Arm»— daß einem Ein- jährigen nachgelassen wurde, die übliche religiöse Eidesformel aus- zufprechen und wo er auch vom Kirchgang befreit wurde, weil er sich als Moni st bekannte. Bekannt ist ja das Wort eines Offiziers zu einem Einjährigen, der seine Religion als Dissident bezeichnet hatte: „Ach was, Dissident, das gibt es bei uns nicht, Sie werden sich innerhalb drei Tagen eine anständige Religion anschaffen". (Heiterkeit links.) Vor einigen Tagen ist erst ein Fall aus Stettin bekannt geworden, wo eS sich wieder um die Benachteiligung eines Dissi- deuten handelte. Ein Soldat, der als Schneider beschäftigt war, wurde seiner religiösen Anschauungen wegen von gewissen Stellen drangsaliert. In einem Klagebriefe teilte er mit, daß er die Sonntagsruhe, die er als Schneider hätte, nie genießen könne, weil er jeden Sonntag in der Schuhmacherwerkstatt Zwick» nägeldraht habe klopfen müffen.(Hört I hört l bei den Sozialdemo-
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