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goß man ferner an: D'ie reaktionäre Politik in Persien : das Ver- halten Sir Edward Grchs in dem Falle der Fräulein Malecke und dem des russischen GenossenArles "; die Haltung der Negierung beim Eisenbahner- und Bergarbeiterstreik: die Verfolgung der Änti- Militaristen; die Ablehnung des Antrags auf Abschaffung der Lebensmittelsteuern usw. Aber der Parteivorstand der Arbeiter- Partei lehnte es ab, den Kampf aufzunehmen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung waren nach den Aussagen des Partei- sekretärS Henderson folgende Erwägungen: Um die Trade Union- Akte, Home Rule und andere Gesetze nicht zu gefährden, ist es not- wendig, datz die liberale Regierung bis zum Januar am Ruder bleibt, Sollte die Arbeiterpartei diesmal in Leicester einen Kandi- baten aufstellen, so würde wahrscheinlich der konservativen Minder- heit das Rlandat zufallen(eine Stichwahl gibt es bekanntlich in England nicht). Das würde eine Parlamentsauflösung unter den obwaltenden Verhältnissen wahrscheinlich bedenklich näher rücken und die Arbeiterpartei ist auf allgemeine Parlamentswahlen nicht vorbereitet. Natürlich rief diese Ablehnung einer von der Parteiorganisa- tion Leicesters fast einstimmig beschlossenen Kandidatur in den Parteikreisen der Stadt den größten Unwillen hervor, und als gleich darauf die der Arbeiterpartei nicht angeschloffene Britische Soziali- stische Partei mit einem Kandidaten in der Person des Genoffen Hartley an die Oeffentlichket trat, beschloß man, den Kandidaten dieser Partei zu unterstützen, obwohl sich Arbeiterpartei und B. S. P. beständig in den Haaren liegen. Den Höhepunkt erreichte der Zwist zwischen der Parteileitung und den Parteimitgliedern Leicesters durch die Veröffentlichung eines ManifestS, das, wie die liberalen Blätter behaupten� der Regierung von dem Haupteinpeitscher der parlamentarischen Fraktion der Arbeiterpartei, Roberts, zugestellt sein soll. ES lautete: Die Handlungsweise der Arbeiterpavteiler Leicesters wird als ein so schweres Vergehen gegen die allgemeine Parteidisziplin und als eine so ungehörige Mißachtung der Lage des Herrn Ramsay MaeDonald betrachtet, daß sie unausbleiblich zu einer empfindlichen Spaltung in den Reihen der Arbeiterpartei führen und Herrn MacDonald zwingen mutz, seine Beziehungen zu Leicester aufzugeben. Schon stehen ihm andere Wahlkreise offey. Seine parlamentarische Laufbahn ist daher gesichert. Nichtsdesto- weniger sollte jeder Arbeitcrwähler. der um die Erhaltung der Parteidisziplin und Einverständnisse besorgt ist und der aner- kennt, daß es wünschenswert ist, Herrn MacDonald in Leicester zu behalten, die Kandidatur des Herrn Hartley nicht begünstigen, die von der offiziellen Arbeiterpartei nicht anerkannt wird." Möglicherweise ist dieses Manifest nur eine Erfindung der Liberalen, die große Angst haben, daß ihnen der Wahlkreis verloren geht. Sie beuten das Schriftstück nach allen Regeln der Kunst gegen den Sozialisten Hartley aus, dem auch die Vertreter des Vorstandes der Arbeiterpartei feindlich gegenüberstehen. Man erlebt hier das Schauspiel, daß Führer einer Arbeiter- Partei, die sich Sozialisten nennen, zugunsten eines Liberalen gegen einen Sozialisten auf- treten. Größer kann die Zerfahrenheit in der politischen Ar- beiterbewegung Englands kaum werden. Der Genosse Philipp Snowden, der sich ebenfalls die Vertretung einer Stadt(Blackburn) mit einem Liberalen teilt, schreibt zu der Krise in der laufenden Numuter desLabour Leader": Die I. st. P.(jn Leicesterj hat als Führer einige der er- fahrensten und nüchternsten Leute in der Partei. Wenn diese Männer eine Taktik unterstützen, die, wie klar ist und zugegeben wird, nicht einen unmittelbaren Gewinn für die Arbeiterbewegung oder einen'Zuwachs der Aebeitervertretung im Parlament brin- . gen würde, sondern im. Gegenteil der Arbeiterpgrtei.sicher den Verlust eines Mandats bei der nächsten allgemeinen.Wahl bringen und Gegenangriffe hervorrufen würde,, dte in vielen anderen Wahllreisen. die die �Arbeiterpartei, heute upter ähnlichen Ver- '"�hältnWn innehat, ein ähnliches Resultat zeitigen würde,'dann mutz irgendein starker Beweggrund für die Taktik vorhanden sein, die diese Männer zu befolgen wünschen. Jn klaren Worten: Was die Arbeiterparteiler Leicesters zu tun wünschten, als sie einen offiziellen Arbeitrrkandidaten verlangten, war, der Abmachung oder dem Einverständnis man nenne es, wie man will ein Ende zu machen, nach dem die Liberalen zu ihrem eigenen Vorteil in gewissen Wahlkreisen mit doppelter Vertretung e i N Mandat dem Arbeiterkandidaten überlassen haben. Wenn der Vorstand der Arbeiterpartei einen zweiten Arbeiterkandidaten für Leicester genehmigt hätte, würde er die Mandate von vier Fünfteln der vorhandenen Arbeitervertreter gefährdet haben. Es nützt nichts, jeden anderen Grund als den wahren vorzubringen. Die be- stehende Arbeitervertretung im Parlament ist dort hauptsächlich durch das Wohlwollen der Liberalen, und sie wird verschwinden, wenn dieses Wohlwollen in tätigen Unwillen umschlägt." Man wird aus den Worten Snowdens, der allgemein als einer der klügsten Arbeitervertreter in England angesehen wird, merken, welch stachlicheS Problem die englische Arbeiterpartei zu lösen hat. Bleibt sie auf dem alten Weg, so kommt sie nicht vom Fleck und enttäuscht ihre Mitglieder. Sucht sie aber Fühlung nach links und kündet sie den Liberalen die Fehde an, so kann es ihr passieren, daß sie viele Mandate verliert. Snowden meint, daß vier Fünftel der Arbeitervertreter ohne das Wohlwollen der Liberalen nicht ge- wählt werden würden. Das ist jedoch etwas?n pessimistisch gedacht. Jedenfalls wäre die Arbeiterpartei, wenn sie überall kämpfend auf- träte,, ein ganz anderer Machtfakior in der englischen Politik als sie heute ist. Konsequent durchgeführt würde die Kampftaktik alle jene proletarischen Elemente in ihre Reihen führen, die sie jetzt mit dem Einverständnis mit den Liberalen abstützt und die heute entweder politisch untätig bleiben oder in Ermangelung eines großen Kampfobjekts mit der Arbeiterpartei oder miteinander zanken. Nichts vertreibt die Schrullen so wirksam wie der Kampf. Eine wirklich unabhängige Arbeiterpartei könnte fordernd an die Liberalen herantreten, um die Nachteile gutzumachen, die ihr ein veraltetes Wahlsystem auferlegt. Dies etwa sind die Gedanken, die sich in Leicester und in anderen englischen Städten Bahn gebrochen haben. 6$ wird weiter gekämpft. Die gestrige Meldung von einer Feuerpause hat sich als falsch erwiesen. Der Kampf tobt vielmehr seit drei Tagen in Mazedonien , und keiner der Gegner ist gewillt, einen Fuß breit des von ihm besetzten Gebietes aufzugeben. Auch heute läßt sich nicht feststellen, wer mit den Feindseligkeiten an- gefangen hat. Aller Wahrscheinlichkeit nach steht aber die serbische Kriegspartei in engster Fühlung mit der Armeeleitung und hat diese zur Offensive getrieben. Von einer offiziellen Kriegserklärung und einem Abbruch der diplomatischen Be- Ziehungen ist noch nicht die Rede. Je mehr Truppen aber in die Kämpfe hineingezogen werden und je mehr Opfer fallen, desto schwerer wird sich der Streit zwischen den Balkanstaaten auf diplomatischem Wege beilegen lassen. Serbische Darstellung der Kämpfe. Belgrad , 2. Juli. Das Serbische Pressebureau meldet über die Kämpfe, die sich bis gestern abspielten: Bulgarische Truppen der regulären Armee, in Stärke von 100 000 Mann, überschritten am 30. Juni Z Uhr mittags die Demarlativnslinie bei den Orten Djevdjelia, Retki, Bukvi, ebenso bei de« Flüssen Beregaluiza, Sletowa, wo die bulgarischen Angriffe de« ganze» Tag andauerten. Obwohl von serbischer Seite nur Truppe» der Avantgarde beteiligt waren, die an Zahl den Bulgaren bei weitem unterlegen waren, hatten sie doch an« Abend die Stellungen behauptet, die sie am Morgen innegehabt hatten. 20 bulgarische Offiziere, 58 Unteroffiziere und über 700 Mann wurden gefangen genommen; unsere Verluste sind noch nicht belannt. Die Bulgare» wurde» vis zu den Flüsse» Bere- galniza und Sletowa zurückgetrieben. Gestern wurde der Kampf auf der ganzen Linie fortgesetzt. Rückzug der Bulgaren ? Belgrad , 2. Juli. (Meldung des Serbischen Pressebureaus.) Nach erbitterten Kämpfen während zweier Tage haben sich die Bulgaren auf der ganzen Front zurückgezogen, verfolgt von serbischen Truppen, die die Bulgaren zwangen, über die Flüsse Beregalniza und Sletowa sich zurückzuziehen, aus derepl linken Ufern sie Verteidigungsstellungen einnahmen. Ihre Verluste sind sehr groß. Nach den letzten Meldungen haben die Serben. 30 Offiziere, 120 Unteroffiziere und über 1000 Soldaten gefangen genommen, 10 Schnellfeuerkanonen und 12 Munitionswagen erbeutet. Die serbischen Truppen rücken weiter vor. Die serbischen Verluste. Belgrad , 2. Juli. Nach Meldungen der Blätter belaufen sich die Verluste der Serben in den vorgestrigen Kämpfen an Toten auf 17 Offiziere und 1400 Mann, an Verwundeten auf 40 Offiziere und eine große Zahl von Sol- daten, bisher sind drei Sanitätszüge mit insgesamt 1300 Ver- Mündeten angemeldet. Privatberichten zufolge hätten die Bulgaren ungeheure Verluste erlitten. Die Haltung Bulgariens . Wien , 2. Juli. DiePolifische Korrespondenz" meldet auS Sofia : Ministerpräsident D a n c w erklärte gestern den einzelnen Gesandten, die bulgarische Regierung sei entschieden gegen eine kriegerische Lösung der bestehenden Konflikte und wolle solche Läsung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern. Der Ministerpräsident bestritt, daß die bisherigen Kämpfe eine größere Tragweite hätten, ihre Er- Neuerung sei auf Grund von Weisungen aus Sofia nur dann zu befürchten, wenn die Abwehr einer von der gegnerischen Seite erfolgten Herausforderung notwendig werde. Vertagung der serbischen Skupschtina. Belgrad , 2. Juli. Wegen der Kriegsereignisse, die die ganze Aufmerksamkeit der Regierung in Anspruch nehmen, ist die Skup- schtina bis aus weiteres vertagt worden. Die Sitzungen werden wieder ausgenommen werden, sobald die Lage sich geklärt haben wird. Vor Aufhebung der heutigen Sitzung hielt der Präsident eine Lobrede auf die siegreiche serbische Armee, die mit begeistertem Bei- fall aufgenommen wurde. Rumänien wartet ab. Bukarest , 2. Juli. DieAgence Roumaine" bestätigt, datz Rumänien bezüglich der Mobilisierung abwartet, bis der Krieg effektiv ausgebrochen und von den Kriegführenden, wenn auch ohne formelle Erklärung, als solcher festgestellt sein wird. pol'tilcke ClebeflicKt. Nationalliberale Anpassungsfähigkeit. In der Provinz Hannover stehen sich die Nattonakliberalen und die Wolfen einander aüherordentlich scharf gegenüber.. Im An- schluß an die jüngsten Vorgänge im Kaiserhause gingen die Wogen des Kampfes besonders hoch, und bei jeder Gelegenheit mutzten sich die Welsen sagen lassen, daß sie durch die Fortführung ihre« ProtestlertumS den Bestand und die Ehre Preußens gefährdeten. Da ist nun interessant, Einblick in zwei von der welfischenDeutschen VolkSzeitung' veröffentlichte Briefe zu gewinnen, die nationalliberale Führer vor der ReichstagSstichwahl im 13. hannoverschen Wahlkreise GoSlar ) an welfische Vertrauensleute richteten, um die Stimmen der Welsen zu gewinnen. Jn dem ersten dieser Briefe, der von dem Borsitzenden der nationalliberalen WahllreiSorganisation, Amts- gerichtsrat Frank, herrührt, heißt es unter anderem, daß die Behauptung, die Nationalliberalen legten auf d i e w elfisch en S ti mm en kein Gewicht,zu keiner Zeit die Ansicht der nationalliberalen Partei- leitung oder der nationalliberalen Wähler gewesen" sei; die Nationalliberalen fühlten sich vielmehr als Angehörige derselben Provinz in sehr vielen Punkten eins mit den Welsen. Noch weitgehendere Zugeständnisse an die welfischen Be- strebungen aber enthält der zweite von dem jetzigen national- liberalen Abgeordneten Vötting geschriebene Brief. Nachdem Götting zunächst angeführt hat, daß die Gegensätze zwischen den Nationalliberalen und Weifen durch unrichtige historische Nachrichten übertrieben seien, fährt er wörtlich fort: Ich... habe in allen Wahlkämpfen, auch schon 1903 gegen das Zentrum in Hildesheim , das Fe st halten an heimischer Kultur, am besseren alten Recht gegen altpreutzische Bevormundung hervorgehoben. Als stellvertretender Bor - sitzender im hannoverschen Sparkassenverbande habe ich bis zur Stunde die Freiheit der Sparkasse in der Verwendung der Ueber- schüsse gegen preußisches Schema verteidigt.... Auf allen Gebieten habe ich positiv gearbeitet für b o d e n st ä n d i g e h a n- noversche Kultur.... Ich achte die Anhänglich- keit der Althannoveraner an ihr altes Königs- hauS als germanische, niedersächsische Vasallen- treue...." Man ist ja manches von den Nationalliberalen gewöhnt; datz ihre Führer aber, um die Stimmen der so gehatzten Welsen zu er- gattern, zu solchen Mitteln greifen würden, wird doch noch manchen überraschen. Die Ausführungen der beiden nationalliberalen Herren widersprechen so scharf der bisher von ihrer Partei beobachteten offiziellen Haltung gegenüber dem Welfentum, daß die national- liberale Parteileitung wohl nicht vermeiden kann, sich zu dieser Sache zu äußern. Bis jetzt hat allerding« derHannoversche Courier", der Rufer im Streit gegen die welfischenReichsfeinde", noch kein Wort der Erwiderung auf die Veröffentlichung der Deutschen Volkszeitung" gebracht. Der Balkankrieg nnd die deutsche Heeresverstärkung. DieFrankfurter Zeitung " verspottet in einem Leitartikel, in welchem sie sich mit dem neuen Balkankriege befaßt, ihre eigenen Parteifreunde im Deutschen Reiche, die eben der Heeresvorlage zu« gestimmt haben. Sie schreibt: An manchen Stellen der Triple-Entente scheint man diese Zu- verficht(die Zuversicht auf die Einigkeit der Balkanstaaten) ernst genommen zu haben, und besonders in Frankreich machte man sich in dieser Richtung Illusionen auf Gewinnung eines neuen Bundesgenossen gegen Deutschland . Das Merkwürdigste aber war, daß auch der deutsche Reichskanzler sich solchen Illusionen hingab und die große Wehrvorlage wesentlich damit begründete, datz durch den Balkankrieg die Machtverhältnisse im Südosten stark zu unseren Ungunsten sich verschoben hätten. Leider ist dieFrankfurter Zeitung " in diesem letzten Halbjahr das einzige bürgerliche Blatt gewesen, das von Anfang an dauernd auf die vollständige Un- richtigkeit dieser Begründung hingewiesen und sie nachgewiesen hat. Wir möchten heute nicht in der Haut eines Staatsmannes stecken, der im Winter und Frühjahr hindurch so harmlos ge- Wesen ist, die siegreichen Balkanstaaten für die Zukunft als ein- heitlichen Machtfaktor in seine Rechnung zu setzen und seine ganze Politik auf diese Rechnung zu basieren. Es ist aber auch charakteristisch für den ganz unbegründeten Respekt vor den gc- Heimen und vertraulichen Informationen und Kenntnissen von allem, was sichDiplomat" undAuswärtiges Amt " titulieren, daß in Deutschland die öffentliche Meinung und leider auch die Volksvertretung davor zurückscheucht, ein selbständiges Urteil in Fragen der internationalen Politik sich zu bilden und durch- zuhalten. Dabei war im Oktober v. I., als der Balkankrieg gegen die Türkei begann, die Meinung allgemein, daß die Einigkeit zwischen den Verbündeten nicht von Dauer sein werde. Nur haben die braven Leute, die der Geheimwissenschaft titulierter Po- litiker mchr_ vertrauten, als ihrem eigenen Wissen und Verstand, inzwischen sich das wieder ausreden, lassen und stehen vor einer ganz überraschenden Situation." Noch eine Stimme zu den Wehr- und De «kuugs- vorlagen. In denPreußischen Jahrbüchern " nimmt deren Herausgeber, Hans Delbrück das Wort zu den neuen Gesetzen iWK»r die Heeres­verstärkung. Wir registrieren diese Stimme noch, weil Delbrück den Konservativen eine sehr schlechte Note ausstellt. Mit der Armee- und Steuervermehrung, wie sie der Reichstag beschlossen hat. ist Delbrück sehr zufrieden. Dann bemerkt er: Eine merkwürdige und höchst bedauerliche Rolle bei der Her- stellung des großen Werkes hat leider die konservative Partei gc- spielt. Das Verdienst hat das Zentrum mit den beiden liberalen Parteien. Im besonderen ist es dem Zentrum sehr hoch anzu- rechnen, daß es sich von den Konservativen getrennt hat aber- mals die Fabel vom schwarzblauen Block Lügen strafend und die lange bekämpfte Erbschaftssteuer akzeptiert hat, während die Libc- ralen wiederum die Selbstentsagung geübt haben, das Zuwachs- Prinzip anzunehmen, das im allgemeinen der Landwirtschaft günstiger ist als den städtischen Gewerben. Weshalb die Konser- vativen sich unter solchen Umständen schmollend in die Ecke gestellt haben, statt an dem vaterländischen Werk mitzuarbeiten, ist schwer zu verstehen. War es der allerkleinlichfte Standesegoismus? War es Doktrinarismus? Ich habe schon sagen hören, Herr von Heydc- brand werde mit seiner Unentwegtheit die Konservativen ruinieren, wie einst Eugen Richter den Liberalismus. Werden die konserva- tiven Abgeordneten etwa gar sich vor den Wählern, die unzufrieden sind, weil sie zahlen sollen, rühmen, daß sie gegen diese Steuer ge- stimmt hätten? Daß sie sich damit bei vielen Wählern liebes Kind machen könnten, ist wohl wahr, aber nicht einmal Eugen Richter hat mit solchen Tricks dauernden Erfolg gehabt für eine konser­vative Partei müßten sie tödlich werden. Die nächste Rückwirkung des so unpolitischen wie unpatriotischen Gebarens der konservativen Partei muß sich im preußischen Abgcordnetenhause zeigen. Die- selbe Partcikombination, die die Finanzreform im Reich gemacht hat, kann auch die Wahlreform in Preußen machen." Die Attentatslüge. München , 2. Juli 1013.(Eig. Ber.) Am 13. Mai d. I. um die Mittagsstunde knallte ein mit der Menschheit Zerfallener auf dem Rondell vor dem Friedensdenkmal in München einen preußischen Offizier und einen Schutzmann, der dem Ucberfallenen zu Hilfe eilte, nieder. Ein paar Arbeiter, die die Schüsse gehört hatten, liefen hinzu, sahen den getroffenen Offizier wanken, den Schutzmann bereits am Boden liegen. Ein kurzer Blick auf die mit dem Tode Stingenden sagte den Leuten alles utid iht'erstes wär. sich des Mörders zu versichern. Die Opfer des Tollhäuslers waren der Militärattache dev preußischen Gesandtschast Major von LftK i n S k i und der Polizeioberwachtmeister Christian B o h l e n d e r, der bei der Friedens- säule Dienst getan hatte. Der Mörder war der 34 jährige Zinn« gießer Johann S t r a s s e r Von Niederaltcich in Niederbayern . Für die Tat fehlte es zunächst an jedem Motiv und man neigte anfäng- lich dem Gedanken zu, daß ein armer Narr auf diese wahnsinnige Weise zwei Menschenleben vernichtet hatte. Diese Auffassung wurde zerstört durch die Erklärung deS Täters, daß er wenigstens den Offizier mit voller Ueberlegung niedergeschossen habe. Jn diesem Augenblick war daS Feld für die politischen Hyänen bestellt. Die bürgerliche Presse hatte schon knapp 24 Stunden nach der Tat die politischeTriebfeder entdeckt. Plötzlich waren sozialistische und anarchistische Erziehung und Propaganda der Boden, auf dem der Mord gediehen war. Es half nichts, daß die Polizei diese Gerüchte selbst dementierte, daß man betonte, eS habe bei der Tat jedes politische Agens auszuscheiden; mit dem Heißhunger, mit dem die sozialisten- feindliche Presse sich aus solchen Anlässen in die politische Ver- unglimpfung des Gegners verbeißt, sollte der Mörder den Umstürzlern" an die Rockschöße gehängt werden. Daß die christlichen Organe mit einer gewissen Hast nach politischen Motiven fahndeten, war erklärlich: daS mußte ja das schönste Pendant zu der Kunfschak-Affäre abgeben! Heute, am Vor- abend der Schwurgerichtsverhandlung gegen Straff er, ist von alledem, was oie bürgerlichen Blätter mit soviel Liebe an politischen Motiven für Strassers Tat zusammengelogen hatten, auch nicht ein Jota übrig geblieb en. Der 1370 geborene Zinngießer Johann Strasser verließ als 18 jähriger Mensch daS ihm verhaßt gewordene Haus seines Snes- Vaters und trieb sich in der Welt herum. Sein auf 4000 M. ge- wertetes väterliches Erbteil hatte er nach erreichter Grotzjährigkeit in unsicheren Grundstücksspekulationen angelegt und war ins AuS- land ausgewandert. Einer geordneten Tätigkeit hatte sich Straffer nie zugewendet und so kam er mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt. Jn die Heimat zurückgekehrt, ließ er sich, um wenigstens einen Teil seines Erbes zu retten, von dem Mit- besitzer seines Grundstückes mit 1000 Mark abfinden. Seit Jahren hatte er nichts mehr rechtes gearbeitet. Der Mißerfolg mit seinem Erbteil hatte ihn de« letzten Restes an sittlichem Halt beraubt. Nach einer neuerlichen Reise nach Italien kehrte Strasser, mit der ganzen Welt zerfallen und mit tiefem Haß gegen die menschliche Gesellschaft erfüllt, mit dem Plane nach München zurück, sein verpfuschtes Leben durch irgendeine aufsehen- erregende Tat zu rächen. Am 13. Mai begegnete er LewinSki, den er schon einige Tage beobachtet hatte, wiederum in der Nähe der preußischen Gesandtschast und streckte ihn mit mehreren Kugeln aus seinem Browning nieder. Dem herbeieilenden Wachtmeister Bohlender lief er entgegen und tötete ihn durch 2 Schüsse ins Herz. Während Bohlender am Platze blieb, verstarb der Offizier auf dem Wege zum Kranken- hause. Nach seiner Festnahme gestand Strasser ein. daß er den Major mit Ueberlegung getötet habe; an der Absicht, sich selbst zu entleiben, sei er gehindert worden. Nach seiner politischen Ueberzeugung bestagt, gab Strasser an. daß er keiner politischen Partei angehöre; er sei weder Anarchist, noch Sozialdemokrat, noch Republikaner, sondern einAnhänger der Monarchie, an der er allerdings viel auszusetzen habe, ins- besondere sei ihm die bayerische Regierung nicht genug selbständig. Er wollte verhüten, daß die bayerische Krone an Preußen verkaust oder verschachert werde. Preußenallein trage die Schuld an den gegenwärtigen unhaltbaren Zuständen. Straffer gab weiter an. daß er ursprünglich