Die Werftarbeiterbewegung. Wolffs Telegraphenbureau meldet aus Hamburg : Auf der Bulkanwerft haben sämtliche Arbeiter und auf der Werft B l o h m u. V o ß hat ein Teil der Arbeiter die Arbeit niedergelegt. Dem Streik liegen Lohnforderungen zugrunde. Auf den anderen Secschiffswersten wird vorläufig weitergearbeitet Eine liberale Stadtverwaltung liefert Streikbrecher. In seltener Größe hat sich die Stadtverwaltung der Haupt- und Residenzstadt Oldenburg gezeigt. Bei der Firma Licke, die auch städtische Arbeiten auszuführen hat, streikten die Erdarbeiter, um die Eirma zuin Abschluß eines Tarifvertrages und zur Anerkennung der rganisation zu veranlassen. Am Sonnabend früh kommandierte nun die Stadt einfach städtische Arbeiter zu dem Unternehmer, die dann Strcikarbeit verrichten mußten. Auf die Beschwerde des Organisationsvcrtretcrs hin erklärte das Bauamt, seine Maßnahme sei„im Interesse des Verkehrs" geboten. Durch den Streik war eine gar nicht besonders verkehrsreiche in Pflasterung befindliche Straße in der Fertigstellung verzögert. Gediegen ist, daß zur Streikarbeit die Straßenreinigungskolonne kommandiert wurde.„Im Interesse des Verkehrs" unterbleibt— dem rückständigen Unternehmer zuliebe— also einfach die Reinigung der Straßen. Der Magistrat der Stadt Oldenburg tut sich sonst auf seine Liberalität allerlei zugute. Jetzt zwingt er städtische Arbeiter zu einer Tätigkeit, die von jedem aufrechten Arbeiter als unehrenhaft empfunden wird._ Stadtrat und Koalitionsrecht. Der Mannheimer Stadtrat hatte dem Fahrpersonal der städtischen Straßenbahn durch den Bürgermeister Ritter eröffnen lassen, daß die Straßenbahner nicht berechtigt seien,„öffentliche Versammlungen einzuberufen und darin als Ankläger ihrer vorgesetzten Behörde aufzu- treten". Die Straßenbahner haben sich die Beschränkung ihres Versammlungsrechtes durch ihren„Arbeitgeber" selbstverständ> lich nicht gefallen lassen und haben in einer späteren Versammlung gegen den stadträtlichen Beschluß, der durch die Beschränkung der Kritik auch eine Beschränkung des Koalitionsrechtes in schließt, Verwahrung eingelegt. Der Stadtrat hat nun daraufhin sich abermals mit der Frage befaßt und hat seinen früheren Beschluß nicht nur aufrecherhalten, sondern hat auch noch d en vergeblichen Versuch gemacht, nachzu- weisen, daß die Straßenbahner überhaupt keinKoalitions- recht besitzen. Die Berufung auf den Z 152 der Reichsgewerbe- ordnung, so wird ausgeführt, scheitere an dem Z S der Gewerbeordnung, weil dieser die Betriebe der Eisenbahimnternehmungen ausnehme. Der Gedanke, daß der Gesetzgeber, als im Jahre 1869 dieser das Koalitionsrecht einschränkende Paragraph geschaffen wurde, un- möglich eine Betriebsart im Auge haben konnte, die damals noch gar nicht existierte, scheint dem Herrn Stadtrechsrat, der dieses Gutachten auf dem Gewissen hat, nicht gekommen zu sein. Denn hätte er sich mit dem einschlägigen Material vertraut gemacht und hätte die damals im Norddeutschen Reichstag hierüber gepflogenen Verhandlungen nachgelesen, so würde er gefunden haben, daß weder in der Be- gründung noch im Bericht und auch in den stenographischen Berichten auch ein einziges Mal der Ausdruck Pferdebahner oder Straßenbahner vorkommt. Run, das Rechtsgutachten mußte so ausfallen, wie es der vorgesetzten Behörde genehmer und ihr in den Kram paßte. Geradezu unglaublich ist es, was der Mannheimer Stadtrat sich in bezug auf das Versammlungsrecht erlaubt. Denn das �Interessante stadträtliche Schriftstück schließt mit folgendem selbst- cherrlichen UkaS: _„„Dem Fahrbedienstetenpersonal ist hiernach zu eröffnen, daß der Stadtrat künftighin disziplinär gegen solche Fahrbedienstete einschreiten wird, die eine unbeschränkte öffentliche Versamm- ' lung einberufen, in welcher Beschlüsse des Stadtrats als der der vorgesetzten Behörde in unbeschränkter Oeffentlichkeit kritisiert und zur Diskussion gestellt werden. Der Vollzug ist anzuzeigen. Rr. 5824 I. gez. Ritter." Der Stadtrat bestimmt hier also, worüber nicht geredet werden soll. Er verbietet einfach, daß er öffentlich kritisiert wird. Und wenn der Stadtrat oder das städtische Straßenbahnamt noch so große Dummheiten macht, die Straßenbahner dürfen mit ihren Beschwerden nicht an die Oeffentlichkeit gehen. Ein wirklich verblüffend einfaches Mittel, deffen sich der Stadtrat hier bedient. Kritik ist erlaubt, aber die Oeffentlichkeit darf hiervon nichts erfahren. Soziales* Der Streik iei der Tiefbau-Aktiengesellschaft Julius Brrgcr-Berlin am Nordbahnhof in M ü l h a u s e n i. E l s. hat bei den Vermitte- lungSverhandlungen unter dem Vorsitze des Bürgermeisters zu einer Verständigung noch nicht geführt, da die Firma sich immer noch weigert, die tariflichen Löhne im ganzen Umfange(mit Zuschlägen) zu zahlen. Seit Freitag ist das M i l i t ä r a u S dem Streik- gebiet zurückgezogen und auch die„zum Schutze der Arbeitswilligen" aufgestellten Polizeiposten, die so blutig ihres Amtes walteten, sind auf ein Minimum reduziert. Eine ohne Zwischenfall verlaufene öffentliche Prote st versamm- lung, die von 6 bis 8gcX) Personen besucht war, forderte von der Generaldirektion der Eisenbahnen volle Durchführung des Tarifs. AusUnck. Glasarbeiterstreik in Kopenhagen . AuS Kopenhagen wird berichtet, daß die Glaser bei einem Teile der Unternehmer sich im Ausstand befinden, nachdem die übrigen Unternehmer einen Tarif abgeschlossen haben. Die Unternehmer sollen versuchen, Arbeitskräfte aus dem Auslande zu bekommen und wird deshalb um Fernhaltung des Zuzugs gebeten. Hus Itiduftne und Handel. Süstwestafrikanisches Gefrierfleisch auf dem Hamburger Markt. Die Firma Woermann Brock u. Co. hat versuchsweise eine An- zahl südwestafrikanischer Kälber in gefrorenem Zustande, die den ge« seylichen Vorschriften hinsichtlich des Zusammenhanges der inneren Teile mit dem Tierkörper entsprachen, in Deutschland eingeführt. DaS Kalbfleisch gelangte in Hamburg auf den Markt. Die gleiche Firma hat, um selbst die Güte des Fleisches der deutschen Kolonie zu erproben, in ihrer eigenen� Kantine auS dem eingeführten Gefrierfleisch Kalbsbraten und Kalbsteak herrichten lassen. Trotz- dem es sich unr gefrorenes Fleisch handelte, lautete das Urteil über die Qualität recht zufriedenstellend. Niemand in der Kantine würde es für eingeführtes Fleisch gehalten haben, wenn die Herkunft nicht vorher bekanntgegeben wäre.— Die„Koloniale Korrespondenz" knüpft an die Mitteilung von diesem Einfuhrversuch die Bemerkung, daß nun den südwestafrikanischen Viehzüchtern die große Sorge um den Absatz ihrer wachsenden Rinderherden genommen sei. Wir glauben das nicht, da die Frachtbedingungen in Australien und Südamerika günstigere find als in Westafrika und trotzdem eine Einfuhr von Kühlfleisch in größeren Mengen infolge des § 12 des Fleischbeschaugesetzes wirtschaftlich unmöglich ist. Zum mindesten könnte man erwarten, daß die Vorbesichtigung des Viehs in den deutschen Kolonien durch beamtete Tierärzte die im§ 12 vorgesehenen Bestimmungen über die Beschau in Deutschland unnötig machte. Aber unsere Junker hemmen auch die geringe Entwicklungsmöglichkeit unserer Kolonien, wenn«s sich um ihren eigenen Profit handelt und darum wird auch der z 12 aufrechterhalten. Sersuchte Beseitigung einer Unfallrente. Der Macht der Berufsgenossenschaften, dem Drängen des Reichs aintes deS Innern und der wachsenden Geneigtheit des Reichs- Versicherungsamtes, die Wünsche der Berufsgenossenschaften zu be- friedigen, ist es bekanntlich gelungen, in vielen Fällen crwerbs- unfähige Arbeiter in erwerbsfähige umzumodeln. Niemand als der Arbeiter selbst wäre froher über eine l a t s ä ch l i ch e Wandlung einer Erwerbsunfähigkeit in eine Erwerbsfähigkeit. Diesen Weg schlägt die Praxis jedoch nicht ein, kann ihn nicht einschlagen, weil die ärztliche Kunst nicht allmächtig ist. Sie geht vielmehr den sonderbaren Weg, daß sie tatsächlich Erwerbsunfähige in Erwerbs- sähige durch Aerzte schreiben läßt und das fehlsame ärztliche Gutachten zum Rechtsspruch macht. S» kommt es. i�ß triele Tausende von Arbeitern, die voll invalide sind, in Nicht-Jnvalide umgeschrieben werden. Liegt der Fall gar zu kraß, so begnügt sich die Praxis mit der Zuschreibung einiger Prozente Erwerbs- fähigkeit an den Unfallverletzten. Dnrch solch Rezept ist zwar ein Arbeiter noch nie erwerbsfähiger geworden. Es hilft dem Arbeiter nicht, es schadet ihm. Aber Talmi- Wissenschaftler aus ärztlichen und naiionalökonomischen Kreisen— wir erinnern an Professor Bernhard— stellen sich dem Kapitalismus zu solcherHerabsetzung oder Tilgung der Rente zur Verfügung. Im Interesse des Kapitalismus werden die einfachsten naturwissenschaftlichen Tat- fachen und Erfahrungen in ihr Gegenteil gedeutet, wenn es sich um Arbeiter handelt. Erinnert sei an die Fälle, in denen Aerzte haar- scharf bewiesen, der Invalide sei noch erwerbsfähig oder der Unfall- rentner verstelle sich nur, und die Bescheide just eintrafen, als der Invalide an Entkräftung, der Unfallrentner an„Verstellung"'ge starben war. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft hat den Versuch gemacht, nun auch die Fiktion, daß das Gegenteil deffen, was ist, vorliege, auf Rechts begriffe zu übertragen. Das Reichsversicherungsamt ist diesem Versuch in einem Einzelfall ent- gegengetreten. Der Rechtsfall war folgender: Ein Landarbeiter erlitt am 7. August 1897 einen Betriebsunfall durch Verletzung seiner rechten Hand. Die Rente wurde ihm immer mehr herabgesetzt. Schließlich wurde sie auf 10 Proz. fest- gesetzt. Dem Arbeiter standen darnach jährlich ganze 20 M. Rente, zahlbar in vierteljährlichen Raten von 5 M. zu. Er suchte in- zwischen durch Schneiderei sich durchzuschlagen. Die„Rente" wird dem Arbeiter— im Gegensatz zu sonst Verunglückten— nicht zugesendet. Er muß sie sich vielmehr holen und hat dabei viele Scherereien. Der Schneider erklärte nun der Polizei, die Rente sei ihm zu gering, durch die Abholung der Rente versäume er mehr Zeit, als die Rente ihm einbringe. Vom 1. Januar 1911 holte er die Rente nicht mehr ab. Er nahm an, die Berufsgenossenschaft würde sie ihm erhöhen oder zusenden. Darin täuschte er sich aber gewaltig. Die Berufsgenossenschaft erklärre, die Rente werde künftig n Fortfall gebracht, denn in dem Verhalten des früheren Landarbeiters liegen— ein Verzicht auf die Rente. Das S ch i e d S- gericht für Arbeiterversicherung in Königsberg , an das sich nunmehr der Arbeiter wendet, anerkannte: ein Verzicht liege nicht vor, auch habe die Berufsgenossenschaft, da mehr als 5 Jahre seit der Rentenfestsetzung verflossen waren, kein Recht, ein- eitig die Rente zu streeichen; das könne nach dem klaren Wortlaute des Gesetzes nur auf Antrag durch das Schiedsgericht erfolgen. Aber, erklärte das Schiedsgericht,„andererseits hatte das Schiedsgericht kein Bedenken, anzunehmen, da wieder eine längere Zeit seit der letzten Rentenkürzung verstrichen ist, daß nunmehr vollständige Gewöhnung an den Zustand eingetreten ist. Es erschien daher angemessen, die Rente einzustellen." Das Reichsversicherungsamt. bei dem der Unfall- verletzte Rekurs einlegte, hob diesen eigenartigen Spruch auf. Nach dem Gesetz sei ein ausdrücklicher Antrag der Berufsgenossenschaft auf Aufhebung der Rente erforderlich. Em solcher liege über weder in der eigenmächtigen Aufhebung der Rente durch die BerufSgenoffen- 'chaft, noch in ihrem Antrag auf Abweisung der Berufung. Die versuchten Rechtsfiktionen sind in diesem Falle daher nicht geglückt. Der Arbeiter hatte eS glücklicherweise nicht unterlassen, sich an ein Arbeitersekretariat zu wenden. Alkoholismus und Heer. Unter dieser Stichmarke macht jetzt eine Notiz die Runde durch die TageSblätter, nach welcher die Heeresverwaltung sich rühmt, gegen den Alkoholismus vorzugehen. Man schärfe den Soldaten vor dem Ausrücken ins Manöver ein, daß Alkohol gefährlich sei und daher Ersatzgetränke, Tee, kalter Kaffee usw. mitgeführt werden. Sehr gut und die Herren Offiziere werden sicher mit einem guten Beispiel vorangehen. Weiter heißt es in dem Artikel: Eine Statistik über den Einfluß des Alkohols auf die Wehr- fähigkeit der Mannschaften hat ergeben, daß sich mit dem zu- nehmenden Bierkonsum und dem zunehmenden Gebrauch anderer alkoholartiger Getränke im Heere die Zahl der wegen Herzleidens entlassenen Soldaten in 16 Jahren verzehnfacht hat. Während in den Jahren 1881 bis 1887 in der deutschen Armee auf 1000 Mann nur 1,5 Herzkranke kamen, hatte sich die Zahl der Kranken nach 16 Jahren schon auf 14,4 gesteigert. Man nimmt mit Recht an, daß diese Steigerung von Herzerkrankungen auf gesteigerten Alko - holverbrauch zurückgeführt werden muhte. Diese Auffassung wurde bestätigt durch den Rückgang in der Folgezeit, der durch die Alkohol- bekämpfung im Heere erzielt wurde. Schon im Jahre 1909 betrug die Zahl der Herzkranken auf 1000 nur noch 3,2." Diese Auftnachung stimmt aber nicht ganz. Man beachtet nicht, daß man vor 16 Jahren noch größere Anforderungen an die mili- tärische Tauglichkeit stellte als heute. Damals wurden alle Herz- kranken sorgfältig ausgeschieden, ja in vielen Fällen sogar gleich wieder nach ihrer Einstellung entlassen. Anders heute. Tatsache ist, daß heute eine große Anzahl herzkranker Arbeiter in das Heer eingestellt werden und da sich die Zahl der Herzkranken von Jahr zu Jahr an sich schon steigert, die Nervosität eine Folgeerscheinung unserer wahnsinnigen Produktionsweise ist, so werden eben mehr Kranke dem Heere zugeführt. Wird nun nach der neuen Militär- vorläge auch noch die Hunderttausend neu ausgemustert, dann steigt die Zahl noch höher. Was ist dann die Folge? Leider versäumen viele Arbeiter, sich vor der Musterung ein Gutachten von einem Spezialarzt über ihren Zustand zu verschaffen. Sie werden dann einfach„gezogen" und in das Heer eingestellt. Man denke nur an einen Fabrikarbeiter, welcher herzkrank ist, seine gewohnte Tätig- keit in der Fabrik aber ruhig weiter ausführen konnte, welcher dann über den Kasernenhof gejagt, gehetzt wird, turnen mutz usw. In wenigen Wochen schon steigert sich sein Leiden, so daß er das Lazarett aufsuhen muß. Dann wird eine genauere Untersuchung vorgenommen. Es wird festgestellt, daß der Betreffende vor seiner Einstellung bereits„etwas herzkrank" gewesen sei. Er wird dann ohne Pension entlassen. Eine Dienstbeschädigung liegt ja nicht vor, weil der Mann ja schon vor seiner Einstellung nach eigener Angabe herzkrank war. Der Mann war arbeitsfähig, als er in die Kaserne eintrat und verläßt dann diese Ausbildungsanstalt als gebrochener Mensch ohne Rente und fällt dann seiner Krankenkasse zur Last. Verschlimmert hat man sein Leiden dort und kein Pfennig wird ihm gezahlt, kein Ersatz der Krankenkasse für die Aufwendungen erstattet. Ja es gibt sogar kranke Reservisten, verheiratete Männer, die es nicht wagen, durch ein Arztgutachten ihre Dienstunfähigkeit nachzuweisen. Entweder scheuen sie die Ausgaben für ein Arzt- gutachten, welches ja auch nicht gerne gegeben wird, oder sie glau- ben, daß ein Privatgutachten doch dem Militärarzte nicht impo- niert und treten ruhig die Uebung an. Die Folge ist dann auch eine erhebliche Verschlimmerung des Leidens und die Krankenkassen können den Mann dann 26 Wochen womöglich unterstützen. Die arme Familie hatte fast lein Brot während der Uebung des Er- nährers und mutz sich dann mit dem kargen Krankengeld viele Wochen begnügen. Dadurch wird die Notlage natürlich noch mehr erhöht. Die Krankenkassen können ein Liedchen davon singen, welche Belastung ihnen alljährlich durch die unsinnige Einstellung kranker Arbeiter in den Heeresdienst erwächst. Die Krankenkassen können sich hiergegen nicht schützen, wenn die Arbeiterschaft selbst nicht Maßnahmen ergreift. Herz- oder lungenkranke Arbeiter ge- hören nicht in den Heeresdienst und müssen sich dieselben eben selbst zu schützen suchen. Einerlei, wie man auch diese Schutzmaß-! nahmen seitens der Hurrapatrioten aufnimmt. Bon der sozialen inneren Kolonisation. Die Kultnrarbeitsstätte Reppen ist vom Verein für soziale Kolonisation Deutschlands fertig kultiviert worden. Vierzig Morgen Oedland sind in Kulturland umgewandelt, mit Obstbäumen, Beeren. obst, Gemüse, Spargel und Kartoffeln bepflanzt, mit Straßen ver. sehen und mit Zäunen umzogen. Sieben Ansiedlerfamilien leben bereits auf dem Gelände, sie scheinen gut vorwärts zu kommen, ernteten reichlich Erdbeeren, Salat, Frühgemüse und Frühkar- toffeln. Die Kinder, die in Berlin stets kränklich waren, haben sich sehr gut erholt. Der Verein ist bereit, noch weitere Rentengüter zum Preise von 5000 bis 6000 Mk. bei einer Anzahlung von einigen 100 M. und einer Jahresmiete von ungefähr 200 M. einzurichten. Zum Herbst soll in Beeskow eine Kulturarbeitsstätte errichtet und wahrscheinlich auch im Nauener Kreise die Arbeit aufgenommen und Arbeitslose bei ausreichendem Lohn beschäftigt werden. Der Verein für soziale Kolonisation Deutschlands kann die Ursachen der Not nicht beseitigen. Aber er kann im Rahmen der heutigen Gesellschaftsordnung manche Unterlassungen des Reichs, des Staates, der Gemeinden und Provinzialverbände reparieren. Seine praktische Arbeit ist die beste Widerlegung des Gefasels, daß Arbeitslose nicht arbeiten wollen. Sie kann naturgemäß nur ein kleiner Notbehelf für einzelne Fälle sein. Es verdient das Bestre- ben des Vereins, soweit es auf Gewährung von Arbeitsgelegenheit abzielt, trotzdem Anerkennung, wenngleich der Verein Pflichten erfüllt, die öffentlichen Korporationen eigentlich obliegen. Die Hoff- nung freilich erscheint utopisch, daß die Vereinsarbeit Lohnarbeiter in erheblicher Anzahl zu selbständigen Ansiedlern machen und dauernd in wesentlichem Umfang der Arbeitslosigkeit steuern könne._ 6encht9- Zeltung. Die Tragödie einer Arbeiterin. Ihr laßt den Armen schuldig werden, Dann überlaßt ihr ihn der Pein. Ein erschütterndes Elendsbild wurde dieser Tage am Schwur« gerichte zu Amberg i. O. aufgerollt. Die verwitwete Fabrikarbeiterin Elise Franz hatte sich wegen des Berbrechcns des Totschlags zu verantworten. Die Arbeiterin hatte einen dem Alkoholteufel verfallenen Mann, der sie auf das brutalste mißhandelte. Im letzten Frühjahr ließ der Trunkenbold die Frau einmal eine Nacht hindurch im bloßen Hemd vor seiner Wohnungstüre kauern. Hierauf trennte sich die Gequälte von ihrem Manne, der sich inzwischen aufhängte. Mit ihrem dreijährigen Kinde fuhr die Arbeiterin Ansang April von ihrem Wohnort Hof nach Amberg , ihrem früheren Do- mizil, um dort in einer Fabrik Arbeit zu nehmen. Nachts gegen 12 Uhr kam die Frau mit ihrem dreijährigen Kinde in Amberg an. Sie ging von Gasthaus zu Gasthaus und suchte mit bittenden Worten und gegen gutes Geld um ein Nachtquartier nach. Irr- dessen, so wurde am Amberger Schwurgericht konstatiert, im from- mrn, schwarzen Amberg , fand sich kein Gastwirt, der der Frn» und dem Kinde Obdach bot. Die Arme mußte nebst ihrem drei. jährigen Töchterlein die rauhe Aprilnacht im Freien, in einer An. läge zubringen. Am frühen Morgen wollte die Frau Verwandte aufsuchen, mußte aber erfahren, daß diese längst von Amberg weg. gezogen sind. Nun suchte die Gequälte mit ihrem halberstarrten Kinde eine Kaffeeschänke auf und stärkt« da? Kind mit einem war» men Getränk. Nach Verlassen dieser Schänke merkte die Arbeiterin mit Schrecken, daß ihr die Geldbörse mit etwa 11 M. Inhalt— ihrer ganzen Habe— abhanden gekomme« war. Alles Suchen und Fragen um das Verlorene war ohne Erfolg, das Geld fand sich nicht mehr. Mittel, und heimatlos, ohne Obdach, anzüglichen Fragen und mißtrauischen Blicken ausgesetzt, entschloß sich die Verzweifelte, mit ihrem Kinde zu Fuß nach Oberfranken zu wandern. Außer- halb der frommen Stadt Amberg kam die Heimatlos« am Friedhof vorbei. Sie geht dort auf und ab, überblickt Kreuze und Gräber und wird von Berzweiflung und Schwermut befallen. Sie wird mutlos und entschloß sich, mit ihrem Kinde in den Tod zu gehen. Unweit des Friedhofes ist ein großer Weiher. Knaben badeten darin. Als sich die fröhlichen Buben entfernt hatten, wirst die Un- glückliche ihr Kind ins Wasser und sprang selbst nach. Arbeiter, die vorübergingen, sahen die Frau bewußtlos im tiefen Wasser treiben und zogen sie heraus. Auch das Kind wurde gefunden. Es war tot. Die Mutter wurde ins Leben zurückgerufen, kam ins Krankenhaus und von dort ins Untersuchungsgefängnis. Vor dem Schwurgerichte klagte sich die völlig gebrochene Mutter als Vernichterin des Lebens ihres Kindes an. Tie Geschworeneu verneinten die Schuldfrage. Di« Unglückliche mußte freigesprochen iverden. Einsam und elend in größter Not verließ die Arme den Schwurgerichtssaal— sie ist„frei", mit Recht freigesprochen. Denn die Tat kann der verzweifelten unglücklichen Mutter nicht zuge» rechnet werden. Schuld an ihrer Verzweiflung war im letzten Grunde die erbarmungslose Gesellschaftsordnung, die noch weit ab von dem Wahlspruch:„Alle für Einen, Einer für Alle", handelt. Ihr laßt den Armen schuldig werden, dann überlaßt ihr ihn der Pein: denn alle Schuld rächt sich auf Erden. Stadtbahnfledderei. Ein Abenteuer auf der Stadtbahn, welches ihn netto 1000 M. kostete, hat der Kaufmann P. zu bestehen gehabt, der gestern in einer Strafsache vor der 1. Strafkammer des Landgerichts I als Zeuge erscheinen mußle. Aus der Untersuchungshaft wurdew die Gelegenheitsarbeiter Emil Becke und Albert Lauenburg vorgeführt, um sich wegen gemeinschaftlichen Diebstahls, Berke auch im Rück- falle, zu verantworten. � � � Eines Tages. Anfang Juni d. J-. hatte der tn Charlottenburg wohnhafte Kaufmann P in Berlin ver,ch, ebene geschäftliche An- gelegenheiten zu erledigen gehabt. Als er ermüdet den Nordring. Zug bestieg, um nach dem Bahnhos Charlottenburg zu fahren. dauerte es nicht lange und er war fest cingeichlafen. Als er wieder erwachte, befand er sich in einem tollen Zustande.� Seine Bein- kleidcr waren auf beiden Seiten ausgeschnitten, cben,o war aus dem Jackett ein aroßes Stück herausgeschnitten und zwar an der Stell e, an w eiche r sich bisher.die Brieftasche befunden hatte. Die.e sowohl, wie das Portemonnaie mit insgesamt über 2000 2K. Inhalt waren verschwunden, ebenso Uhr und Kette, �le setzigen beiden Angeklagten wurden als die„Leichenfledderer verhaftei. Berke war schon wiederholt wegen derartiger Stadtbahnraubereien vor- bestraf? Von dem gestohlenen Gelde wurden nur noch 1000 M. vorgefunden, wo daS übrige Geld'" der kurzen Zeit geblieben war. ließ sich nicht"Mitteln.— Mit Rücksicht darauf, daß Berke an- scheinend ein unverbesserlicher Dieb ist, erkannte die Strafkammer gegen ihn auf 2'/-- Jahre Zuchthaus und 5 Jahre Ehrverlust, gegen Laucnburg lautete das Urteil aus 1 Jahr Gefängnis und 3 Jahre Ehrverlust. _ B„teilen von Druckschriften aus Anlaß einer öffentlichen«er« sammlung unter freiem Himmel. Eine sozialdemokratische öffentliche Versammlung unter freie« Himmel fand am p. Oktober 1912 mit Zustinmmng eines Land-
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