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Vom beißen Sis. Nichts ist unbekannter als das Nächstliegende. Wer die Ge- schichte der Wissenschaften kennt, wird diesen Spruch nur zu berech- tigt finden. Luft und Wafier zwei Dinge, die uns auf Schritt und Tritt umgeben, sind in ihrer wahren Beschaffenheit erst spät, zum Teil sogar überhaupt noch nicht erkannt worden. Es vergeht ja kaum ein Jahr, ohne daß wir von der Entdeckung neuer Bestand- teile der Luft Kunde erhalten, und was das Wasser anbetrifft, so sind durch die neuesten Forschungen darüber wahre Wunderdinge zu- tage gefördert worden. Den Weisen der Antike galt das Wasser als ein Grundelement der Welt. Neben Erde, Luft und Feuer spielte es eine hervorragende Nolle in den kosmologischen Theorien der Naturphilosophie, wie auch später in den phantastischen 5konstruktionsn der mittelalterlichen Alchemisten. Erst mit dem Austreten der modernen Chemie gelang es, die Grundbeschaffenheit des Wassers dahin aufzuklären, daß es als ein zusammengesetzter Körper erkannt wurde, bestehend aus zwei Grundstoffen: Wasserstoff(H) und Sauerstoff(0). Diese beiden Grundstoffe sind gasförmig. Dem Gewichte nach kommt auf je ein Teilchen(Molekül) Wasser 8 mal mehr Sauerstoff als Wasser- stoff, während dem Umfange nach Wafferstoff 2 mal stärker vertreten ist als Sauerstoff. Die kurze Formel Il�O drückt die Wissenschaft von der Natur des Wassers aus, sofern sie durch die einfachen chemischen Untersuchungen gewonnen worden ist. Indes erweist sich diese Wissenschaft bei weitem nicht als aus- reichend, um alle Besonderheiten des Wassers aufzuklären. Und dieser Eigentümlichkeiten sind so viele, daß das Wasser als.ein ganz besonderer Saft' angesprochen werden muß. Da ist zunächst die allbekannte Tatsache zu nennen, daß das Wasser bei der Ab- kühlung unter 4 Grad sich nicht zusammenzieht, sondern ausdehnt. Das Eis ist leichter als das Wasser; es schwimmt an der Wasser- Oberfläche. Diese Eigenschaft, die beiläufig gesagt für die Oekonomie der Natur von höchster Wichtigkeit ist, da dadurch vollständige Ver- eisung unserer Seen und Flüsse im strengen Winter verhindert wird, paart sich mit einer Reihe von anderen ebenso merkwürdigen. Der Siedepunkt des Wassers liegt viel niedriger, als er nach den physikalischen Gesetzen, denen die anderen Flüssigkeiten sonst gehorchen, liegen müßte. Ebenso abnorm ist die Fähigkeit des Wassers, Wärme auf- zunehmen, ihre Wärmekapazität, die beinahe zweimal so groß ist als bei anderen uns bekannten Flüssigkeiten. Diese Abnormitäten und es könnten ihrer noch viel mehr genannt werden ließen vor etwa zwanzig Jahren den bekannten Physiker Röntgen die Hypothese aufstellen, daß das Wasser keine einheitliche, homogene Flüssigkeit ist. Er nahm an, daß im gewöhn- lichen Wasser nicht nur Wassermoleküle, sondern auch komplizierter gebaute Eismoleküle immer vorhanden seien, daß das Wasser mit einem Worte eine.Eislösung' sei. Durch eine Reihe von neueren Versuchen fand diese Annahme nicht nur eine Bestätigung, sondern auch eine unerwartete und höchst merkwürdige Ausdehnung. Je höher der Druck, unter dem man das Wasser gefrieren läßt, desto niedriger sein Gestierpunkt. Und da die Wassermoleküle falls solche wirklich vorhanden sein sollten schwerer als die Eismoleküle sind, so wäre das Eis, das unter hohem Druck gewonnen werden kann, kein gewöhnliches Eis, sondern eben das.gefrorene Wasser'. Und in der Tat ist es verschiedenen Forschern gelungen, eine Reihe von Eisformen zu gewinnen, die schwerer als das gewöhnliche Eis sind, und die im Unterschiede vom allbekannten.Eis I' als.Eis II",.Eis IH' und.Eis IV' be­nannt worden find- Sie exisfieren sämtlich unter sehr niedrigen Temperaturen und haben einen kristallischen Bau, der von dem Bau des gewöhnlichen Eises wesentlich verschieden ist. Dadurch sind aber die Besonderheiten des Wassers bei weitem nicht erschöpft. In der allerletzten Zeit ist es gelungen, noch zwei Formen von Eis»Eis V' und.Eis VI" zu gewinnen, die unsere landläufigen Begriffe gänzlich über den Haufen werfen. Diese Formen kommen unter exorbitant hohem Druck von 3000 6000 Atmosphären vor(S5006B00 Kilo auf einen Ouadratzentimeter). Und was das merkwürdigste ist die Temperatur dieses Eises steigt mit dem Steigen des Druckes. Bei 20 000 Atmosphären existiert das.Eis VI' unter einer Temperatur von 7 6 Grad C e l s i u s I Man kann also, wenn man ein Stück von diesem heißen Eise unvorsichtig anfaßt, sich Brandwunden holen, und doch ist es Eis, d. h. derselbe Körper, der in der Kälteindustrie sonst zur Ab- kühlung dient! Was Wunder, daß nach solchen überraschenden Entdeckungen, auch von besonderen.Dampsmolelüle' gesprochen wird, wonach also das Wasser ein Gemisch von drei verschiedenen Körpern wäre. Und' es ist durchaus möglich, daß sich bald der eiskalte Dampf zu heißem Eise gesellt. Der komplizierte Bau des Wassers kann übrigens eine Erklärung für Verschiedenheiten der Wasserfärbung abgeben. Es ist schon seit langem bekannt, daß der Ausdruck.farblose Flüssigkeit" in bezug auf das Wasser nur mehr eine poetische Metapher ist, da auch das reinste Wasser immer bläulich oder grünlich gefärbt ist. Nun ist fest- gestellt worden, daß die blaue Färbung desto mehr zunimmt, je mehr das Wasser abgekühlt wird. Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß die komplizierten Eismolekllle von blauer Farbe, die Wassermoleküle dagegen gelblich oder grünlich gefärbt sind. So erweist sich das simple Wasser als ein Ausbund von Eigen- tümlichkeiten, deren schließliche Erklärungen auch den schärfsten Mitteln der modernen chemisch-physikalischen Forschung nur mit vieler Mühe gelingen kann. Vom Jahrmarkt des Lebens* Die Badewanne als Luxusartikel und der GericbtsvoUzieber als Nervenarzt 1 Im Anfang Mai deS Jahres ISIS(nicht 1813) wurde einem Kaufmann in Düsseldorf   wegen eines nicht bezahlten Geldbetrages eine Badewanne gepfändet. Auf den Einspruch des Schuldners, daß die Badewanne für ihn und sein 7jähriges Töchterchen ein not- wendiger Gebrauchsgegenstand sei, erwiderte der Gerichtsvollzieher, .eine Badewanne sei ein Luxusgegenstand und als solcher Pfand- bar I" Auf den Einspruch des Schuldners bei dem Düsseldorfer   Amts- gerichts, daß er sehr nervös sei und aus diesem Grunde eine Kneip- kur und kalte Waschungen mache, daher die Badewanne unbedingt gebrauchen müsse, erwiderte das obengenannte Gericht: .daß nach Aussage des Gerichtsvollziehers der Schuldner gesund aussähe und nicht nervenleidend sei, die Pfändung der Badewanne demnach nicht aufgehoben werden könne.' Was wollt Ihr baden gehn, verwöhnte Bändel Der Schmutz hält warm und spart Euch dicke Kluft.> Kauft keine Badewannen! Hierzulande Ist dieses Luxus wie die stische Luft.   Schützt Euren Körper vor dem frischen Wasser, Damit die Fettschicht nicht herunter geht! Tragt Jägerhemden wie die Licht-Lufthasser Und den Effekt Ihr dann auch sehr bald seht. Doch wenn Ihr stolz im Glänze frischen Linnen? Und rein gewaschen vor dem Richter steht, So schilt Euch der ob solchen keck' Beginnens Wer Schulden hat nicht m die Badwann' geht!> Ihr seid nervös? Der Herr Gerichtsvollzieher, Er attestiert Euch bald das Gegenteil.-- Und Kneippsche Kuren? Lachendes Gewieher. Nicht baden gehn ist mehr zu Eurem Heil. Wer Schulden hat, braucht keine Badewannen, So dekretiert die hohe Obrigkeit. Habt Ihr kein Geld nehmt Nachttöpfe und Kannen! Nervosität ist nichts für arme Leut'l-- zwischen Männer- und Frauenäbteilung, benutzt. In diesem näherte sich derGeisteskranke" einer verwahrlosten Patientin Wärter überraschten das Paar» aber Abwehrmaßregeln wurden seitens der Anstaltsleitung nicht getroffen. Vielmehr gelang es dem geisteskranken Verbrecher, auch eine in Anstaltspflege gegebene hochbegabte junge Lehrerin aus guter Familie zu betören. Die Folge des Verkehrs beider in dem unverschlossenen unter- irdischen Gang war die Geburt eines lebensfähigen Kindes. So mußte die bald nach diesem folgenschweren Verkehr aus der An- staltspflege entlassene und ihrem Schuldienst zurückgegebene Lehre- rin in Pension treten. Wegen der sich daraus ergebenden Eni- schädigungsansprüche gegen die Stadt Bamberg   erbat die Be- dauernswerte zunächst gemäß des bayerischen Rechtes die Vor entscheidung des Verwaltungsgerichtshofcs. Letzterer pflog sasl zwei Jahr Erhebungen und verhandelte über deren Ergebnis siebe Stunden in der öffentlichen Sitzung vom 25. Juni 1918. Der Ük neralstaatsanwalt persönlich begutachtete den Antrag, indem er r.~ scharfen Worten betonte, daß bei noch so freier Behandlung der Kranken in den modernen Irrenanstalten diese Freiheit für mann- liche Insassen ihre Grenze unbedingt an den Türen der Frauen- abteilungen finden müsse und daher der unterirdische Verbindungs- gang in jedem Falle hätte geschlossen werden müssen. Trotzdem erkannte der Verwaltungsgerichtshof in seiner am S. Juli ver­kündeten Entscheidung, daß die Anstaltsleitung sich einer Amts- Pflichtverletzung nicht schuldig gemacht habe. Dem Eingeweihten ist bekannt, daß in geschlechtlicher Hinsicht in den modernen Irrenanstalten noch ganz andere, viel schwerer: Ausschreitungen vorkommen, die von den Verwaltungen und der Irrenärzten gewöhnlich abgeleugnet oder vertuscht werden. Hie. liegt wohl der erste derartige Fall vor, der gerichtlich festgenagelt worden ist. Der unterirdische Gang im Irrenbaufe. Ueberaus bedauerliche Ereignisse aus der städtischen Heil- und Pflegeanstalt St. Getreu in Bamberg   waren kürzlich Gegenstand öffentlicher Verhandlung in der Sitzung des königlich bayerischen Verwaltungsgerichtshofes in München  . Aus der Strafanstalt Preungesheim   bei Frankfurt   a. M. wurde ein in der Strafvoll- streckung angeblich geisteskrank gewordener Zuhälter und sexueller Erpresser zunächst der städtischen Irrenanstalt Frankfurt   a. M. und von dort mit dem Gutachten, daß dieser geisteskranke Verbrecher dauernder Anstaltspslege bedürfe, seiner heimatlichen Irrenanstalt St. Getreu in Bamberg   überwiesen. Hier genoß dieserGeistes- kranke" bald alle erdenklichen Freiheiten. Er erhielt oft die Er- laubnis zu freiem Stadtausgang ohne Begleitung und fand leicht die Möglichkeit, nicht nur sämtliche Räume der Männerabteilungen, sondern auch der Frauenabteilungen zu betreten. So war auch, wie durch beeidigte Zeugen festgestellt ist, die Gelegenheit gegeben, sogar innerhalb der Anstaltsmauern den Geschlechtstrieb zu be- friedigen. Hierzu wurde ein unterirdischer Gang, die Verbindung Hlkobol und JVIonarcbenbegeifteruncf. Wie stimulierend der Alkohol auf unseren teutschen Patriotismus einwirkt, ist hinlängluh bekannt. Wenn das Bier in Strömen fließt, schlägt in der deutschen Mannesbrust das Herz doppelt begeistert für Thron und Altar, für Vater- land und angestammtes Fürstenhaus. Ja man könnte fast soweit gehen, zu behaupten, daß ohne Alkohol bei uns keine echte rechte Monarchenbegeisterung aufzubringen sei. Daß wir kaum übertreiben, zeigen folgende Fälle, die uns ein Freund unseres Blattes mitteilt: Als man in Dresden   zum Kaiserjubiläum rüstete. ließen die Dresdener   Korporationen der Kgl. Sächsischen Technischen Hochschuleoffiziell" erklären, daß sie an jeder Kaiserjubiläums- oder Jahrhundertfeier, die kein Kommers sei, nurgezwungen" teilnehmen würden. Ohne komment- gemäße Alkoholvertilgung schien es also für die Herren Hoch- schüler keinewürdige" Jubiliäumsfeier zu geben. Dabei kommen doch die akademischen Korporationen in ihrem Patriotismus noch vor den Kriegervereinen! Aber auch sonst schien man in deutschen   Akademiker- kreisen der Meinung zu sein, daß Patriottsmus und reich- licher Bierkonsum schwer voneinander zu trennende Begriffe sind. So wurden auch in Berlin   beim Regierungsjubiläunr des Kaisers jedem Festteilnehmer 6 schreibe sechs Frei- biermarken ausgehändigt, die aus dem allgemeinen Studentenfonds bezahlt wurden. Im ganzen wurden 24000 Freibiermarken ausgegeben. Da der Fonds unter anderem auch zur Unterstützung hilfsbedürftiger" Studenten dient, scheint man diese Be- stimmung so ausgelegt zu haben. In Greifswald   gar hat ein Student vom Rektor einen Verweis erhalten, weil er nicht etwa gegen die offizielle Jubiläumsbegeisterung protestiert hatte, nein weil er es gewagt hatte, durch Flugblätter darauf auf-- merksam zu machen, daß es doch eigentlich ein Widersinn sei. den Kaiser durch Kommerse zu feiern, da Wilhelm II.   doch ein Gegner des Kommersiercns sei. Und derweilen diese Flugblätter die Wirkung hatten, daß der Kommers nicht die vom Rektor gewünschte Beteiligung fand, wurde vom Rektor und den Stadtbehörden noch ein allgemeinerFrühschoppen" auf offenem Markt arrangiert! Auch ein Greifswalder Blatt sah sich veranlaßt, zu dem Vorgehen der Studenten Stellung zu nehmen aber natürlich im Sinne des Rektors und der Behörden. Wie konnte auch ein deutscher Student so un- studentisch und unpatriotisch handeln!_ Man kann sagen, daß eine Frau, die sich unanständig zu kleiden pflegt, die mächtigste Hilfstruppe des Teufels bildet, um die Seelen ins Verderben zu ziehen.... Denselben Kunstgriff den die Moabiter   und Ma- dianiter durch ihre versührcrischcn Töchter nach der Bibel gegen die streitbaren Juden anwandten wendet der Teufel bei so vielen Christen unserer Tage an.- Um die Seelen in seine Netze zu ziehen, bedient er sich heutzutage zahlreicher Mittel, aber kaum ist eines verhängnisvollcr und verderblicher als die in unfern Tagen vielfach übliche unanständige Kleidertracht. Die Frau, die in Kleidung und Haltung unehrbar durch die Straßen geht, säet Veftwrben. Die Jugend flieht sie und entbrennt in unreinen Begierden, wälzt sich im Schmutze einer verdorbenen Phantasie und endigt im Abgrund aller Liederlichkeit. Auch die Männer in reiferenJahr e n sehen sie an, machen unan- ständige Witze darüber� und auch in der Kälte der vorge- rückleren Jahre fühlen sie, wie im Herzen sich die Flamme der Sinnlichkeit entzündet." Diese Litanei richtet sich nicht nur gegen die Moderver­rücktheiten unserer Tage, sie ist auch ein Beitrag zu dem Kampfe der Kirche gegen moderne �ebensregungen der Frauen. Den gedrechselten Modepuppen der hochnoblen Ge- sellschast ins Gewissen zu reden, dazu haben die katholischen Priester und ihre evangelischen Bruder nicht minder hinreichend Gelegenheit in den Kreisen ihrer gläubigen Ge- rneinden, und ob der Teufel der Sinnlichkeit und der Begehr- lichkeit allemal hinter den herausgeschnürten Busen dieser Gesellschaftspüppchen lauert, das kann allerdings der zölibatäre Geistliche selber am besten feststellen. Womit aber nicht gesagt ist, daß jeden anderen Menschen, wenn er bloße Mädchenarme und einen freien Frauenhals üeht, gleich die­selben Empfindungen beschleichen müssen, die der Teufel Bitru durch die Modepuppen bei Asketen auslösen mag. Oer Kondor* Bon Wilhelm Scharrelmann  . In einem elenden Menageriekäfig, zwischen einem Brüllaffen und einem Paar abgemagerter Hyänen, saß ein Kondor gefangen. Es war noch ein junges Tier. Seine Flügel hatten noch nicht die volle Große, und ,n den Kielen der Schwungfedern befand sich noch Wnt. Bor Monaten hatten ihn die Hände eines Jägers aus dem «bewachten Nest genommen. Nun faß et hinter den rostigen Ws»>ftSbe» fcineS Äöfiga ynd dachte an die Heimat... Stunden- lang saß er da und starrte mit trübem Blick in die halbdunkle Bude hinein, in der es nach Pferdefleisch roch und alle Gegenstände den scharfen Geruch der Raubtiere angenommen hatten, die ruhelos hinter den Stäben ihrer Gefängnisse auf und ab schlichen. Seine Federn waren struppig und unordentlich, so jung sein Gefieder noch war, seine Bewegungen matt und lässig; nur in Augenblicken, wo ihm ein Traum die einsame Größe seiner Heimat zeigte, die blauen Berge und die schroffen Felsen Perus   und die wilden Täler, die sich dort zwischen den Bergen hinziehen, leuchtete sein Auge auf, und mit wilden Flügelschlägen versuchte er sich zu erheben, von Sehnsucht gequält.... Aber die kurze, harte Kette über den Zehen des linken Fußes mahnte ihn an sein Schicksal und zog ihn wieder auf sein Sprungholz zurück, auf dem er einen Tag nach dem anderen verbrachte. Dann legte er wieder die Flügel zusammen, zog den Kopf zwischen die Schultern und schaute mit trüben Blicken auf die Leute, die vor seinem Käfig standen und ihn neugierig betrachteten. Er war einer der Hauptanziehungspunkte für die Besucher der Tierbude und wurde alsechter Felsenadler aus den Cordilleren Amerikas  " im Verzeichnis geführt, einem kleinen, schmutzigen, ge- druckten Stück Papier  , auf dem in dicker, schwarzer Schrift das Wort Katalog zu lesen war und das nach Pferdefleisch roch, wie alles, was zur Bude gehörte. Dabei war es ein Glück, daß es in der Bude nach Pferdefleisch roch, wenigstens für die Tiere, die man darin eingesperrt hielt, denn Pferdefleisch war für sie die einzige Wonne ihres Lebens, ihre Morgen- und Abendandacht. Wenn es aber zuweilen fehlte und man erst auf Besucher wakten mußte, um von neuem einkaufen zu können, knurrten die Tiere ungeduldig hinter ihren Gitterstäben und warfen tückische Blicke auf die Leute, die satt und zufrieden die Bude betraten, um die Tiere zu betrachten. Jede Vorstellung begann damit, daß der.Tierbändiger", der am Schluß die Wölfe über die Schnur springen ließ, ihnen glühende Reifen vorhielt und sie mit der Peitsche zwang hindurch- zuschlüpfen, den Kondor vorführte. Er wurde dann mit der Sitz- stange aus dem Käfig genommen, man breitete seine Flügel aus und zeigte, wie weit sie klafterten, und dann liebkoste der Wärter ihn und gab ihm ein Stückchen Fleisch. Meistens ließ das Tier alles ruhig mit sich geschehen. Matt und schläfrig, bewegte es sich kaum auf seiner Stange. Aber zuweilen leuchtete es in seinen Augen auf. als zöge ein königlicher Traum an ihnen vorüber, ein Traum, von einem Fing über Berggipfel hinweg, von der Jagd auf lebendige Beute und dem freien Horste auf schwindelnden Felsenwänden. Es war nur ein kurzes Aufleuchten: ein Auf- flackern, eine vorüberhuschende Erinnerung. Aber wer diese fun- kelnden, königlichen Blicke auffing, voll tückischen Haffes auf die, die ihn quälten, erschrak und trat unwillkürlich einen Schritt zurück..... Nach einigen Monaten wußte es der Besitzer:Cäsar" hatte die Schwindsucht. Es war ein ewiges Kreuz, daß die besten Tiere seiner Bude nach einiger Zeit an der Schwindsucht eingingen. Daran hatte er den Schimpansen verloren, den er im vorigen Jahre für teures Geld erstanden hatte, den großen Amazonen- papagei und den Ära, der alle Besucher durch die Pracht seiner Federn fesselte. Langsam, allmählich begannen die Tiere zu krän- kein und gingen trotz der aufmerksamsten Pflege nach einiger Zeit ein., Eines Tages wurde der Kondor wiedervorgeführt". Der Wärter strich ihm mit der Hand über den Rücken und zog die Flügel auseinander, wie er es sonst tat. Aber welche Fieber- Phantasie mochte dem königlichen Tiere plötzlich den Blick blenden, ihm das Blut ins Gehirn treiben und dem Blick seiner Augen den Ausdruck maßloser blinder Wut geben? War es die Krankheit? War eS der Ingrimm über die langsame Todesmarter, die ihn: zuteil geworden war, war es die Wut darüber, daß man ihn ein- gesperrt hielt und nun langsam das Mar? seines Lebens dahin- schwand. Unaufhaltsam? Wütend hatte er sich plötzlich aus den Wärter gestürzt, dem er sonst nie zu nahe gekommen war. Mit einem einzigen Schnabelhieb hatte das von einer Vision auf- gestachelte Tier seinem Pfleger das eine Auge ausgehackt und die beiden Füße mit den Krallen in seine Wangen eingeschlagen. Ein Schrei des Entsetzens erfüllte den Raum; man eilte herbei und warf sich auf das wilde, mit den Flügeln schlagende Tier, in dem der Geist seiner Rasse mit einem einzigen Schlage erwacht schien. Und dann verging der Wutanfall so plötzlich wie er gekommen. Mit unbewegter Ruhe hockte das Tier wieder auf seiner Stange und ließ sich in seinen Käfig zurückbringen. Dort saß es, als fei nichts geschehen und starrte mit dem müden Blick ins Leere, den es vom ersten Tage an gehabt hatte, als es in diesen Raum gebracht wor- den war.. Am folgenden Morgen fand man den Kondor tot in seinem Käfig. In seinem Todeskampfe hatte daS gefesselte Tier sich in die Kette verstrickt, und nun lag es da, als wenn es die eiserne Fessel im letzten Augenblick noch hätte zerbreche» wolle»