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5t. 230. 30. Jahrgang i. Seiltzt des Joroirt!)" Kcrlim AldsM Freitag, 3. September l9lZ. vas erfurter Schreckensurteil vor dem Oberkriegsgericht. Erfurt  , t. September ISIS. Die Verhandlung gegen die vom Erfurter   Kriegsgericht ver urteilten fünf Reservisten wird heute bor dem OberlriegSgericht des Armeekorps Kassel   hier fortgesetzt. Im Auftrage deS Kriegsministeriums wohnt Geh. KriegSrat Mörler von der Justizabteilung des Kriegsministeriums der Verhandlung bei. Nach Eröffnung der Heu« tigen Sitzung stellt Verteidiger Rechtsanwalt B a rn a u« Berlin  noch eine Reihe von Beweisanträgen, darunter auch einen auf Ab- Haltung eines Lokaltermins in der Gastwirtschaft Riixleber- Zoll, in der sich die Vorgänge abgespielt haben, die zur Erhebung der Anklage wegen militärischen Aufruhrs führten. Das Gericht fetzt die Befchlutzfaffung aus und fährt in der Zeugenverneh- mung fort. Zunächst wird der Gemeindevorsieher von Wolkramshausen  Kofand üSrr den Leumund der Angeklagten vernommen. Er stellt sämtlichen Angeklagten ein günstiges Leumundszeugnis aus und bezeichnet sie als ruhige und besonnene Menschen, die hier offenbar nur unter dei� E i n- Wirkung deS Alkohols gehandelt hätten. Der Zeuge kann auch nicht sagen, daß die Angeklagten sich in hervorragender Weise politisch im sozialdemokratischen Sinne betätigt hätten. Zeuge Arbeiter Schulze ist als Entlastungszeuge geladen. Er war Zeuge der Vorgänge und bekundet, dah eigentlich alles flott und glatt gegangen sei. Verhandlungsführer Oberkriegs« gerichtsrat Platz: Das kann aber doch offenbar nicht stimmen, die Leute haben sich doch gewehrt und auf die Polizisten geschimpft. Zeuge: Das weist ich nicht mehr, ich kann nur sagen, dah die Leute weiter nichts wollten, als, nachdem sie hinausgebracht waren, wieder in das Lokal zu kommen, dabei gab cS natürlich Spektakel, aber er war nicht sonde-rlich groh. Erst als die Polizisten blank gezogen hatten, liefen die Leute weg. Zeuge Zuckerkocher Georges ist der Vater eines der An« geklagten und bekundet, dast sein Sohn an jenem Abend sehr betruntsn nach Hause kam. Verhandlungsführer: Haben Sie nicht gewutzt, was er getan hat? Zeuge: Das weist ich nicht mehr, jedenfalls ging ich am Sonntag nach der Kontrollversammlung zum Polizeisergeanten Müller und fragte ihn, ob mein Sohn irgend etwas Strafbares begangen habe. Müller sagte, dast er ihm nicht gehorcht hätte und er fügte hinzu, dast die Leute etwas in den Getränken gehabt haben mühten, sonst hätten sie nicht so betrunken sein können. Ver« handlungssührer: Dast die Leute sehr betrunken waren, glauben wir alle. Ist Ihr Sohn überhaupt ein Trinker! Zeuge: Nein. Zeuge Gastwirt Bock ist der Inhaber der Gastwirtsckaft RüxIeber«Zoll, wo sich die Ausschreitungen abspielten. Die Kneiperei, so gibt er an. hat schon am Vormittag unmittelbar nach Beendi« gung der�ontrollversammluna begonnen: diese Kneipereien gehdn alljährlich in seiner Wirtschaft nach den Kontrollversammlungen vor sich, denn die Reservisten und Landwehrmänner lege» ein Fast Bier auf und kneipen dann tüchtig. Verhandlungsführer: Der Gendarmeriewachtmeister Stock war ja schon auf der �ontroll« Versammlung selbst gewesen: haben Sie. als die Leute hmkamen, irgend etwas an ihnen gemerkt, dast sie von Mistftimmung gegen den Wachtmeister erfüllt waren? Zeuge: Nein. Die Leute tranken zunächst ruhig ihr Bier aus und erst als viel getrunken war, wurden sie lauter. BerhandlungSführer: Wurde lehr viel ge- trunken? Zeuge: Jawohl, sehr viel Bier und noch mehr Schnaps. BerhandlungSführer: ES war also«ine allge« mein« Bezechtheit. Zeuge: Ist, die Leute waren angeheitert. Der Zeuge schildert dann, wie es zu dem Spektakel zwischen einem WollramShausener und einem Heinroder wegen eines Mädchen« kam, diese vertrugen fich aber wieder und eS wurde wieder ruhig, bis der Polizeisergeant Müller kam. Ver« Handlungsführer: Das ist doch nicht aufgeklärt, wer hat denn eigent« lich den Polizeisergeanten geholt T Zeuge: Das weih ich nicht, ich nicht, auch niemand von meinem Personal. Zeuge Polizeisergeant Müller: Ich bin von drei Gästen herbeigeholt worden. Zeuge Gastwirt Bock: Ich wunderte mich, dast die Polizei kam. Müller forderte inich auf. den Leuten mein Lokal zu ver« bieten. Ich schlost mein Geschäft ab und ermahnte die Leute, ruhig nach Hause zu gehen; die Leute gingen aber nicht und nun holte der Polizeisergeant den Gendarmeriewachtmeister zu Hilfe. BerhandlungSführer: Haben Sie gehört, dast auf dir Polizisten ge« schimpft wurde, z. B., dast die Polizei die Schnauze hallen solle und anderes mehr? Zeuge: Das weist ich nicht mehr, ich habe mich um die Borgänge selbst nicht mehr gekümmert, nachdem die Polizei da war. Müller istsonstsehrintimmit denLeuten und da iveist ich nicht, wie er die Leute zuerst angeredet hat. Ver« handlungssührer: Es muh doch ein ziemlicher Tumult geherrscht haben. Zeuge: Jawohl, und gerade deshalb weist ich über die Einzelheiten nichts mehr. Ich weist nur, dast die Polizei« beamten vorschriftSmähig vorgegangen sind. Verhandlung«» führer: Sie wollen als Gastwirt recht zurückhaltend sein: e« ist begreiflich, dast Ihnen diese Vorgänge unangenehm sind, aber jedenfalls find doch Schimpfworte gefallen, wie JLuntemann, Lumpenspinner' und ähnliches V Zeug«: Da­rüber kann ich nichts sagen. BerhandlungSführer: Auf der einen Seite haben sich die Angeklagten auf ihre Eigenschaft als Soldaten berufen upd erklärt, die Polizisten hätten ihnen nichts zu sagen, und das andere Mal wieder haben sie gesagt, sie seien freie Arbeiter und Sozialdemokraten und als solche hätte ihnen überhaupt niemand etwas zu sagen. Zeuge Gastwirt Bock: Ich habe nicht genau hin« gehört. BerhandlungSführer: Einer der Angeklagten soll auch Ihre Mutter festgehalten haben und inzwischen sollen sich die andern Bier eingeschenkt haben. Zeuge: Ich habe g est acht, das fei ein Spatz. Meine Mutter aber meinte, sie könnte solche Spätze aber nicht vertragen. Zeuge Postbeamter H a g e m e i e r, ein Bruder deS Angeklagten, macht von denr Recht der Zeugnisverweigerung Gebrauch. Zeuge Eisendreher Otto« S ch i l l i n g hat gesehen, wie der Wachtmeister mit gezogenem Säbel auf die Leute losging. Ver­handlungsführer: Haben Sie auch gesehen, was die Leute gemacht haben? Zeuge: Rein. BerhandlungSführer: DaS ist sehr auffällig; Sie wollen nur gesehen haben, was die Polizei tat und nicht, dah die Leute räsonnierten und schimpften.. Zeuge Schilling: Ich habe wohl gehört, dast die Leute etwa? sagten, aber waS sie sagten, da« konnte ich nicht verstehen. Zeuge Arbeiter Fischer hat gesehen, dast einer der Angeklagten a n ver Hand blutete. Verhandlungsführer: Als Sie hinzu« kamen, war die Sache also offenbar schon vorbei. Zeuge Schmied Franz Schulze will gesehen haben, dast der Schutzmann auf die Angeklagten mit einem Säbel einhieb. BerhandlungSführer: Da» haben ja aber nun die Angeklagten selbst nicht behauptet. Zeuge: Ob die Angeklagten getroffen worden sind, weih ich nicht. Vertreter Rechtsanwalt B a r n a u« Berlin  : Die Angeklagten sogen übereinstimmend, dast auf sie eingeschlagen .»»d dast Leute getroffen worden sind, die nachher Locher in ihren Kleidern hatten. BerhandlungSführer t DaS ist aber ganz neu! U denn überhaupt jemand getroffen worden? Zeug«: Der »ng, klagt« See ist ganz'vestimmt getroffen worden, da«c an der Hand blutete. Verhandlungsführer: Was haben Sie noch gesehen? Zeuge: Dast der Gendarm den Mantel selbst abnahm. Zeuge Gendarmeriewachtmeister Stock: DaS ist nicht richtig, der Mantel ist mir heruntergerissen worden. Verhandlungsführer: WaS weih der Zeuge noch? Zeuge: Ich habe gesehen, dah der Angeklagte See seinen Spazierstock zerbrach, weshalb, weist ich nicht. Verhandlungsführer: Der Gendarm aber behauptet, dast See mit diesem Stock nach ihm geschlagen hätte.- Zeuge: Das habe ich nicht gesehen. Zeuge Schmied Un behauen hat gesehen, dast der Gendarm seinen Mantel selbst abgenommen und ihn der Mutter des Wirts zurAufbewahrung gegebenhat. Er hat ferner gesehen, dast die Leute stark betrunken waren. Sie waren nicht allzu laut, aber sie räsonnierten. Der nächste Zeuge ist der in der ersten Instanz mit verurteilte Angeklagte R o p t e. der gegenwärtig im MilitärstrafgefängniS T o r g a u die über ihn verhängte Gefängnisstrafe von sieben Monaten verbüstt. Er hat auf die Berufung verzichtet. Er ist wefjen Widerstand gegen die Staatsgewalt, wegen Bedrohung und Bcleidi« gung eines militärischen Vorgesetzten verurteilt und erscheint in der Uniform der Militärsftäflinge. BerhandlungSführer: Weshalb sind Sie bestraft worden, was haben Sie gemacht? Zeuge Ropte: Der Polizeisergeant Müller will mich gewaltsam aus dem Lokal gebracht haben, das ist nicht wahr. Verhandlungsführer: Da nimmt man doch nicht eine C fängnisstrafe von sieben Monaten anl Zeuge: Ich habe eS getan, weil meine sämtliche« Zeugen abgelehnt wurden und weil ich dachte, eS käme doch dabei nichts heraus. Verhandlungsführer: Habep Sie auch geschimpft? Zeuge: Nein. VerhandlungS« sührer: Dann sind Sie also der Unschuldigste! Haben Sie die Beamten nicht auch bedroht? Zeuge: Ach, d a S ist nicht wahr! Verhandlungsführer: Sie und die heutigen Angeklagten sollen militärischen Aufruhr begangen haben dadurch, daß Sie mit Gewalt wieder in das Lokal eindringen wollten. Sie selbst sind ja von der Anklage deS Aufruhrs freigesprochen. WaS wissen Sie von den anderen Angeklagten? Zeuge: Ich kann nur sagen, dast ich mit dem Angeklagten Kolbe ganz abseits gestanden habe. Zeuge Architekt Klaus aus Wolkramshausen   ist der Ar« beitgeber der Angeklagten Hagemeier und See. Er schildert den Angeklagten See als einen guten, fleistigen und ruhigen Arbeiter. Wenn gröstere Bauten aufgerichtet werden, so findet ein Richtschmaus statt, bei dem sehr viel Alkohol getrunken wird. Trotzdem ist See nie malS ausgeartet.- Verhandlungsführer: Haben Sie ein Urteil darüber, ob See von austen leicht zu beeinflussen ist und dann töricht handelt? See ist offenbar auch hier der Geschobene. Zeuge: Das kann ich auf Gruud meiner Erfahrungen bestätigen. Verhand lungsfübrer: Sie meinen also, dast See sich leicht aufhetzen und ver« führen lästt. Zeuge: Ja. Verhandlungsführer: Es ist hier auch zur Sprache gekommen, dast die Leute sich in ihrer Trunkenheit aufs hohe Pferd gesetzt und gerufen haben, sie seien Sozialdemokraten und freie Arbeiter, ihnen hätte niemand etwas zu sagen. Meinen Sie, dast diese Worte auf die Zugehörigkeit zu einetbepimmtei, Organisatiou abgezielt haben? Zeuge: Das glaube ich nicht. Ich glaube, dast die Leute mit dem Ausdruck«freie Arbeiter* nur sagen wollten, dast sie s e l b« ständige denkende Arbeiter find. Mit dem Angeklagten Hagemeier bin ich wegen der Höhe des Lohnes in Differenzen geraten, aber ich mutz auch ihm das Zeugnis eines ge« schickten und fleistigen Arbeiters ausstellen. Ich bin mit ihm sehr zufrieden gewesen. Verhandlungsführer: Der Angeklagte See ist doch aber wegen Körperverletzung vorbestraft und trotzdem schildern Sie ihn als ruhigen Arbeiter. Zeuge: Einmal schiebe ich die Schuld daran auf den Alkohol und dann meine ich, dast er leicht zu beeinflussen ist. Ich habe einmal zwei Arbeiter entlassen müssen und See hat daraufhin die Arbeit bei mir nieder« gelegt, obwohl ihm die ganze Sache aar nichts anging. Wenn er betrunken war, mutzte man ihn nur entsprechend behandeln und durfte ihn nicht noch weiter reizen. Damit ist die Zeugenvernehmung beendet, und auf Anregung des Vertreter« der Anklage KciegSgenchtSratS Dr. Schrüd er äußern sich nunmehr zum Schluß noch einmal die beiden Haupt zeugen, Polizeisergeant Müller und Gendarmerie» Wachtmeister Stock darüber, ob fie nach den Aussagen der Gegenzeugen ihre Aussagen aufrecht erhalten. Polizeisergeant Müller erklärt, dast er seine Aussage aufrecht er« halte, er wiffe bestimmt, dast er gegen den Angeklagten Hagemeier habe vorgehen müssen und daß er gegen die anderen Angeklagten nur deshalb nicht habe vorgehen können, weil sie ihn daran gehindert hätten. Er könne auch auf das be« stimmteste erklären, dast geschimpft worden sei, aber nicht im einzelnen sagen, iver nun gerade geschimpft hat. Vertreter der Anklage Dr. Schröder: Wir müssen doch aber bestimmte Unterlagen haben und wiflen, was die Angeklagten im einzelnen getan haben/ Polizeiscrgeant Müller: Dazu war der Tumult zu groß, ich kann darüber i m einzelnen keine bestimmten Angaben niachen. Auch der Gendarmeriewachtmeister Stock hält seine gestrigen Aussagen aufrecht und bekundet in noch bestimmterer Form, was die einzelnen Angeklagten getan haben. So erklärt er auf da? bestimmteste, dost H a g e m e i e r sich gewehrt hat, als er auS dem Lokal herausgebracht werden sollte, und dast S ch i r m e r ihn sden Wachtmeister) mit den: Stock geschlagen habe. ES sei nicht wahr, daß er seinen Mantel selbst heruntergetan välte, sondern der Mantel sei ihm mit Gewalt heruntcrgerrssen worden. Auch habe der Angeklagte Kolbe nicht abseits gestanden, sondern mit den anderen zusammen, und gerade Kolbe habe gerufen: Kommt Ihr mal nach Wolkramshausen  , wir schlagen Euch die Knochen kaput, so daß Ihr sie im Taschentuche nach Hause tragen könnt I' Vert. Rechtsanwalt B a r n a u« Berlin  : Gestern hat der Zeuge diese Aussagen durchaus nicht in so bestimmter Form gemacht. Zeuge Gendarmeriewachtmeister Stock: Ich habe mir oie Sache noch genauer überlegt und kann heute ganz bestimmte An« gaben machen. Tie Plaidoyers. Justizrat Schncichel« Erfurt   begründet als Verteidiger der An« geklagten die Berufung: Wenn man richtig verstehen will. WaS am 17. April imRiizleber-Zoll" vor sich gegangen ist, mutz man sich in die GemiilSstinimung und den Bildungsgrad der Leute versetzen, die dort verkehren. Diese Leute sind einfache Arbeiter ohne hohe Bildung, die unter dem Eindruck de« Alkohols kräftige Ausdrücke gebrauche». Sie hatten sehr viel aetrunlen: wenn sie auch nicht wegen, sinnloser Betrunkenheit freigesprochen werden, so mutz doch diese Trunkenheit als mildernder Umstand gelten. Nach einer Darstellung des Herganges der Vorkommniffe führt der Verteidiger weiter aus: Juristisch ist daS erste Urteil deshalb zu bekämpfen, weil eS mehrere Handlungen annimmt, während eS sich nur um eine fortgesetzte Handlung dreht. Dann war der Tatbestand deS militärischen Aufruhrs nicht gegeben, denn die Angeklagten haben in dem Wendarmen nicht den Vorgesetzten gesehen, sondern lediglich den Polizeibeomtcn, der den Wirt bei der Aufrechterhaltnng seine« HauSrechtS   unterstützte. Der Verteidiger schlieht daher mit dem Antrag, nur ein« fortgesetzte Handlung an- zunehmen, da« Bewusttsein. dast st« e» mit«wem Vorgesetzten zu tun hatten, bei den Angeklagten zu verneinen. Die Angeklagten Ses und Schirmer haben lediglich wegen deS Strafmaßes Berufung eingelegt. Die Schuldsrage bei ihnen steht also fest, immerhin muß man alles zu ihren Gunsten annehmen, was für die anderen An- geklagten jetzt gilt, die weitergehende Berufung eingelegt, so dast man bei ihnen bis auf das Strafminrmum herabgehen sollte. Verteidiger Rechtsanwalt Barnau-Berlin: Auch ich meine, daß das Kriegsgericht falsch gehandelt hat, wenn eS den Tatbestand in mehrere Teile zerlegte. Es liegt nur eine einheitliche Handlung vor. Die Angeklagten sträubten sich dagegen, dast sie auS dem Lokal heraus sollten, und daraus entstanden die Widersetzlich- leiten, zuerst gegen Müller und dann gegen Stock. Diese Widersetzlichkeiten' übertrugen sich dann vom Lokal auf die Straße. Nachdem der Polizeisergeant Müller den Angeklagten Hagemeier hinausgebracht hatte, entstand bei allen Angeklagten der Entschluß: Wir bleiben im Lokal, wir gehen nicht heraus I Aus diesem Entschluß sind alle ferneren Handlungen zu erNären. Gewist sind die Angeklagten wegen recht grober und häßlicher Ex�effe zu be­strafen, aber es muß eine milde Beurteilung Platz greifen wegen der Trunkenheit. Diese �Trunkenheit ist hervorgegangen auS menschlich und militärisch leicht* zu verstehenden Gründen, nämlich aus einem Zechgelage nach einer Kontrollversammlung. DaS liegt nun einmal in dem militärisch erzogenen Preußen und wird so bleiben, dast bei dieser Gelegenheit getrunken wird. Bedauerlich ist, dast See und Schirmer nur wegen des Strafmaßes Berufung eingelegt haben, denn auch bei ihnen liegt militärischer Aufruhr nicht vor, eS ergibt sich aber für fie der traurige Fall, dast gegen sie auf m i n d e st e wS ein Jahr Gefängnis erkannt werden muß. Diese Strafe ist viel zu hoch als Sübne für da«, was die Angeklagten begangen haben. Gegen die Angeklagten liegen bor allem vor die Aussagen der Polizeibeamten Müller und Stock. Gewiß hat der Polizei- sergeant Müller den Eindruck gemacht, dast er seine Aussage sorg- fältig überlegt hat, von dem Gendarmeriewachtmeister Stock läßt fich das gleich« aber nicht sagen. Die Angeklagten waren betrunken, aber nicht so finnloS be­trunken, dost für sie der§ öl des Strafgesetzbuch« in Frag« kommen konnte. Es bat sich nicht um Auftuhr gehandelt, sondern höchstens um Widersetzlichkeit gegen die Staatsgewalt. Die Bekundungen de« Gendarmeriewachtmeisters Stock müssen mit der größten Borficht auf- genommen werden. Bei Kolbe must, auch wenn bei den anderen An- geklagten militärischer Aufruhr angenommen wird, diese Schuldfrage ver- ueint werden, weil er weit von den anderen Angeklagten weg ge- standen hat. Es dreht sich nun dann», welche Strafen verhängt werden sollen. Stock hat gewist nicht böswillig falsch gegen die Angeklagten ausgesagt, oberer hat keinen Unterschied gemacht zwischen dem, was er wirklich gesehen, und dem, waS er von Dritten gehört hat. DaS geht schon daraus hervor, daß er von den Angeklagten behauptet hat, diesen Leuten könne man so etwas zutrauen. Er hat gesagt, die Angeklagten neigten zu Widersetzlichkeiten. Als er dann gefragt wurde, worauf er dieses Urteil gründe, schrumpften, seine Angaben sichtlich zusammen. Er als Beamter hätte doppelt Ursache gehabt, zu prüfen, dah fünf Familienväter auf der Anklagebank sitzen, die unter unglaublich harten Strafen seufzen. Trotzdem, hat der Gendarm weiter nichts für die Angeklagten übrig. als das Wort, dast man ihnen so etwas zutrauen könnte. Der Verhandlungsführer hat in dankenswerter Weise den Gendarmen aufgefordert, seine Aussagen genau zu prüfen; eS ist ein deutlicher Unterschied zu merken, zwischen den Aussagen des Gendarmeriewachtmeisters gestern und beute. Heute weiß er plötzlich mehr! Aus alledem geht hervor, daß dieser Zeuge mit vorgefaßter Meinung seine Aussagen gemacht hat und daß ihm daS not- wendige Unterscheidungsvermögen fehlt. Dann hat er auS dem Ruf:Wir sind freie Arbeiter, wir sind Sozialdemo- kraten I' den Schluß gezogen, dast die Angeklagten dort ein politisches Meeting abgehallen haben. Diesen polittschen Zuruf hat lediglick der Gendarm in die Sache hineingebracht. Der Vorgang selbst ist unendlich harmlos. ES liegt nun einmal im Charakter unseres Volkes, daß alle möglichen Ge« legenheiten benutzt werden, um Feste zu feiern und Feste zu be- gießen; nicht nur bei den Ständen, denen die Angeklagten an« gehören, sondern auch in anderen Ständen, begießt man sich bei solchen Gelegenheiten die Nase, dann kommt man in das Politisieren hinein, auch nicht bloß in den Kreisen der Angeklagten. Leute von bester Kinderstube und bester akademischer und militärischer Erziehung pflegen, wenn sie sich herzhaft bezecht haben, törichterweise zu politisieren und so hat einer der Angeklagten eben gerufen:Wir sind Sozial« demokraten!' Irgend einen wirklichen politischen Beigeschmack haben die Vorfälle nicht gehabt. Es handelt sich eben um zwei Kategorien von Leuten, um diejenigen, die das erste Mal und diejenigen, die das letzte Mal bei der Kontroll- Versammlung Wang?, sie haben sich mit Schnaps und Bier betrunken und in der Trunkenheit den Anordnungen der Polizei Widerstand geleistet. Wenn die Leute nicht unter dem Militärstrafgesetzbuch swnden, daS Zivilgericht hätte die Sache mit G e l d st r a f« oder einigen Wochen Gefängnis abgemacht. Gewiß stehen die Leute am Tage der Koutrollversammlung unter dem Militärstrafgesetz, aber diese Bestimmung wird von hervorragenden Vertretern der militär- juristischen Wissenschaft mit guten Gründen bekämpft und eS ist ein großer Unterschied, ob jemand an einem Tag im Jahr ausnahmsweise ilnt«r dem Militärgesetz steht oder ob er sich in der Front befindet Das ist der Unterschied zwischen der Wider« setzlichkeit gegenüber einem Unteroffizier in der Front und einer Widersetzlichkeit gegenüber einem Gendarmen und das alles must bei den Angeklagtes mildernd ins Gewicht fallen. Ferner must Milde für sie walten, daß es Familienväter find, die zu Hause Frauen und Kinder haben. Die Strafe trifft nicht nur die Angeklagten, sondern darüber hinaus die unschuldigen Frauen und Kinder, die ihrer Ernährer auf Jahre hinaus beraubt werden.(Die Angeklagten und ihre im Zuhörerrauin zahlreich anwesenden Air» gehörigen begleiten diese Ausführungen des Verteidigers mit lautem Schluchzen.)'Ferner bitte ich, die Untersuchungshast anzurechnen. Gar so schlechte Menschen sind die Angeklagten nicht, fie haben sich beim Militär sämtlich gut geführt und auch der Gemeinde« Vorsteher hat ihnen ein gutes Zeugnis ausgestellt. Wir er« warten ein Urteil, da» nicht nur dem Gesetz, sondern auch dem menschlichen Gefühl entspricht. Vertreter der Antlagc, KriegSgerichtSrat Dr. Echröbert Die Verteidigung hat nicht gezweifelt, dah daS Militärgericht zuständig ist und dah die Angeklagten zurechnungsfähig waren. Die An« geklagten waren natürlich betrunken, aber vom 8 61 ist nicht die Rede. Die Angeklagten haben auch die Schuldigsprechung nur teil- weise angefochten. Soweit eS nicht geschehen ist, kann überhaupt keine Aenderung eintreten. Da» erste Urteil nimmt mit Recht nicht eine fortgesetzte Handlung an, denn die verschiedenen Handlungen sind nicht nur von verschiedenen Personen, sondern auch an verschiedenen Orten ausgeführt worden. Wir wollen den Angeklagten auch nicht zunahe treten, sondern nur objektiv die Wahrheit erforschen. Die Leute waren an dem Tage Soldaten, und. eS must verlangt werden, daß militärische Personen den Polizeibeamten mit gebührender: Achtung entgegentrete�