Die radikalen Tön« Oppenheimers fielen den anwesenden Ab- geordneten sehr auf die Nerven. Keiner von ihnen äußerte sich dazu. Sie wollten sich nicht vorwärts drängen lassen. Daß die liberalen Arbeiter in dieser Hinficht bei ihren auchliberalen Parteiführern nicht viel Glück haben werden, ist selbstverständlich. Und sollten fie wirklich einmal gar zu stürmisch werden, dann Ivird man ihnen die Alimente ganz entziehen. felnSe der Kslienheere. Uns wird geschrieben: Die interessanten Ausführungen Ihrer Artikelserie„Ein Feind der Massenheere" veranlassen mich, Ihre Aufmerksamkeit auf zwei weitere Feinde der Massenheere zu lenken, die zwar beide schon tot, deren Autorität auf dem Gebiete des Militarismus aber kaum bezweifelt werden dürfte. Als die Rüstungstreiber anfangs der neunziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts wieder einmal die Schlagfertig- keit des deutschen Heeres anzweifelten, hielt Herr v. C a p r i v i am 27, November 1891 im Reichstage eine Rede als Antwort auf diese Hetze, indem er ausführte: .Man hat in der Welt sich jetzt vielfach gewöhnt, Armeen nach ihrer Zahl einzuschätzen. Das ist auch wieder für Zeitungs schreib« und Leser ein bequemes Mittel. Es rechnet da einer vor: die Franzosen haben B 400 000 Mann und Ihr habt 4 500000 Mann, folglich seid Ihr schwächer als die Franzosen , folglich beunruhigt Euch."(Heiterkeit.).So liegt die Sache nun doch nicht. Für die Leistungen einer Armee wird im Anfang eines Krieges immer die Qualität und nachher erst die Quantität d« Truppe da« Entscheidende sein. Und erst wenn der Krieg zur B«teidigung des eigenen' Bodens in die Länge gezogen wird, dann wird auch die Quantität der Truppe nach und nach zur Geltung kommen. Ich glaube nicht, daß unter den lebenden Heerführern einer da ist, der im« stände wäre, diese Massen, mit denen zu rechnen man sich jetzt gewöhnt hat, zu ernähren, zu be« wegen und zu gemeinsamem Schlagen zu bringen. Da« ist bei solchen Zahlen ausgeschlossen. Es hat also diese Zahl an fich, selbst wenn fie aus lauter guten Soldaten zusammengesetzt wäre, ihr Bedenkliches. Es ist also dieses Rechnen mit den Zahlen nicht ganz unbedenklich, und man empfindet das nicht bloß bei uns, sondern auch in Frankreich . Man hat den Ausdruck dafür gefunden: la rage des nombres, die Zahlenwut. Ich meine also, wenn ein deutscher Zeitungsleser nun in seinem Leibblatt liest, daß an anderen Stellen mehr Soldaten aufgebracht werden, so hat er keinen Grund sich zu beunruhigen.---* Diese sehr vernünftigen Ausführungen des Reichskanzlers und Jnfanteriegenerals haben ihn natürlich nicht gehindert, anderthalb Jahre später eine Erhöhung der Friedenspräsenz um 84 000 Mann zu verlangen. Eine andere Persönlichkeit, die auch heute noch bei allen Patentpatrioten in hohem Kurs steht, der Großvater W i l h e l m H, hat 1857 als Prinz von Preußen seine Militär- polltischen Ansichten in einer Denkschrift zusammengefaßt, worin folgender Ausspruch vorkommt: .AllndingS hört man oft den Ausspruch, eigentlich müßten alle Waffenfähigen ausgebildet werden. Doch niemand scheint die not- wendige Konsequenzen dieses Satzes in seine Berechnungen gezogen zu haben. Nämlich wie stark müßte die Arme« werden, und welche enormen, dem Lande gradezu unerschwing« lichenKosten müßte sie machen, wenn alle Waffenfähigen auch eingestellt würden I"> Was würde dieser Nationalheillge wohl heute sagen? Und noch eines ist interessant. Die Zitate sind einem Wahlbüchlein entnommen, daS, von Eugen Richter der- faßt, 1893 erschien. Zwanzig Jahre später haben die Erben Richters die ungeheuerliche Wehrvorlage der Regierung ohne Besinnen und Bedenken apportiert. Fortschrittliche Ent- Wicklung?_ Preußischer aohnungsgeietzentwurf und Städtetag. Mit dem Wohnungsgesetzentwurf wird sich ein außerordentlicher preußischer Städtetag. der Anfang Oktober in Breslau zusammen« tritt, beschäftigen. Daß der Entwurf, ebenso wie der vom Jahre 1904, in den Kreisen der Städtevertreter lebhasten Bedenken be« gegnet, ergibt sich aus der vom Vorstande deS Städtetages be- arbeiteten Denkschrift, die eS zwar dankbar begrüßt, daß die Regie- rung durch Vorlegung des Entwurfs.ihre Fürsorge für das wichlige Gebiet des Wohnungswesens betätigt hat", aber so zahlreiche Ein- Wendungen erhebt, daß man wohl nicht fehl geht in der Annahme, daß ein Scheitern des Gesetzes den Magistratsvertretern nicht gerade unangenehm wäre. Die Denkschrift wendet fich zunächst gegen das Bestreben der Regierung, wichtige Rechte der Städte durch staatspolizeiliche Zu- ständigkeiten zu ersetzen. ES wird darauf hingewiesen, wie manche Städte gerade in der Bodenpolitik, die von der Wohnungspolitik untrennbar ist, vor unlösbaren Schwierig- keiten stehen. Die Schuld daran trage nicht die einzelne Stadt, die in Notwehr handle, weil fie gegenüber dem wirtlichen Stand der Entwicklung ein künstlicher Ausschnitt aus einer Wirtschaftseinheit sei, sondern der Staat, der dem Streben der Gemeinden, diesem Zu- stand abzuhelfen, hinderlich sei. Auch der neue Entwurf ändere daran nichts, er lasse die Städte in ihrer Entwicklung eingekeilt, nehme ihnen aber ihre bisherige Zuständigkeit und stelle ihre ganze Bodenpolitik unter polizeiliche Leitung. Zur Begründung führt der Entwurf aus, auf die rechtliche Möglichkeit für die Staatsbehörden, die Festsetzung geeigneter Bebauungspläne zu erzwingen, könne nicht verzichtet werden mit Rückficht auf den den HauS- besitzern in den Gemeindevertretungen eingeräumten Einfluß. Mt Recht nennt die Denkschrift diese Begründung eine verwirrende Schlußfolgemng und fügt hinzu:.Wenn die gesetz- gebenden Organe meinen, daß daS Hausbesitzerprivileg schädlich wirke, dann ergibt fich für sie als logischer Schluß der Vorschlag. diese« Privileg aufzuheben oder abzuändern, nicht aber der Vor- schlag, dieses Privileg zu belassen und wegen des Privileg» die Zu- ständigkeit der Stadt einzuschränken." Ganz unserer Meinung, nur hätten wir gewünscht. daß der Vorstand de3_ Städtetage« die Konsequenz gezogen und mit Rückficht aus die tatsächlich vorliegende schädliche Wirkung des HauSbefitzerprivilegS neben seinen anderen AenderungSvorschlägen auch den auf Beseittgung dieses durch nich,s begründeten Vorrechts gemacht hätte.„„...... Einverstanden find wir mit dem Vorstand des Stadtetagefl m der Forderung der grundsätzlichen Uebertragung der Baupolizei und der Wohnungspolizei auf städtische Organe. Dagegen können wir ihm darin nicht beipflichten, daß die Städte es seit 1904, seitdem der erste preußische Wohnungsgesetzentwurf mit durch ihren Widerspruch zu Fall kam. an Bemühungen rm Gebiet der Wohnungsfrage nicht haben fehlen lassen. Gewiß'It hier und da— meist auf Drängen sozialdemokratischer Gemerndevemet«— daS eine oder andere geschehen, aber wieviel Städte find es denn, die durch Förderung des Realkredits, durch Erleichterungen für den Kleinwohnungsbau, durch Einführung von Wohnungsinspektionen, durch Aufftellung vernünftiger Bebauungspläne, durch Verkehr« verbesierungen und ähnliche Maßnahmen das Wohnungselend zu mildern sich bemüht haben, ganz zu schweigen von weitergehenden Maßnahmen, die in der Betreibung einer von sozialen Grundsätzen geleiteten Bodenpolitik oder in der Erstellung von Wohnungen für den minderbemittelten Teil der Bevölkerung zu erblicken sind? Wenn der Vorstand des Städtetages an die in Aussicht genommene Bearbeitung des bezüglichen Materials geht, dann wird er selbst sehen, wie herzlich wenig geschehen ist und wie ungeheuer viel zu tun noch übrig bleibt. Im einzelnen enthält die Denkschrift manche Vorschläge, deren Verwirklichung eine Verbesierung des Wohnungsgesetzentwurfs be deuten würden, die aber wohl gerade deshalb wenig Aussicht auf Annahme haben dürften. Auf sie alle einzugehen, würde zu weit führen. Es handelt sich im wesentlichen um Vorschläge, die darauf hinauslaufen, die Rechte der Städte unangetastet zu lassen. Soweit es sich dabei um unangebrachte Eingriffe in das Selbstverwaltungs recht handelt, stehen wir auf feiten der Verfasier der Denkschrift, so z. B. bei dem Bestreben, zu verhindern, daß die Wohnungsämter aus der städtischen Aemterverfassung herausgehoben und der Wohnung« aufsicht der Charakter einer polizeilichen Einrichtung gegeben werden soll. Andererseits können wir den Widerstand des Vorstandes des Städte tages gegen die Absicht, den Städten daS Recht zum Bauverbot an nicht fertig hergestellten Straßen zu nehmen, nicht begreifen. Tab sächlich ist mit diesem Recht Mißbrauch getrieben, tatsächlich haben manche Städte auf Grund dieses Rechts die Herstellung kleiner Wohnungen verhindert oder erschwert in dem Bestreben, nur besonders steuerkräftige Mieter heranzuziehen. Die Denkschrift gibt das ja auch zu. nur behauptet fie, daß die Fälle nicht zahlreich sind und sich ausschließlich auf solche Städte beschränken, die in Notwehr handeln, weil fie nur noch einen künstlichen Ausschnitt einer Wirtschaftseinheit darstellen. Die Denkschrift exemplifiziert auf Berlin und fügt hinzu:.Wenn einzelne Berliner Vorortgemeinden nicht dafür sorgen, daß sie auch kräftige Steuer zahler bekommen, so müssen fie finanziell einfach zusammenbrechen." An sich ist dieser Satz richtig, nur darf man, wenn man Wandel chaffen will, nicht am verkehrten Ende anfangen. Man sorge, wie es von sozialdemokratischer Seite von jeher betont ist, für die Schaffung eines einheitlichen kommunalen Gebildes Groß-Berlin, ei es durch Eingemeindungen großen Stils, sei es durch Erweiterung der Zuständigkeiten des Zweckverbandes. Nicht aber behalte man eine gesetzliche Bestimmung bei, die die Gemeinden veranlaßt, einen wilden Konkurrenzkampf zum Schaden ihrer Bürger gegeneinander zu führen._ politifcbe Qeberlicbt. Alldeutscher Verbandstag. Die Alldeutschen tagten am Sonnabend und Sonntag in Breslau . Hauptredner waren natürlich wieder die Claß, Keim und Liebert. Herr Claß konstatierte das kostspielige Fiasko der österreichischen Balkanpolitik, deren Folgen die Deutschen hüben und drüben durch vermehrte Rüstungen tragen müssen. Aber die österreichischen Deutsche bürgerlichen waren ja die begeisterten Stützen dieser Politik! Dann verlangte Herr Claß, daß die deutschen Rüstungen endlich verwendet werden, um aus England loszuschlagen. Die Verbesserung de« Verl hältnisseS zu England ist ihm ein Reinfall der Regierung, und der Landhunger müsse die energische Tat gebären.— Der Redegeneral und vollkräftige Pensionsempfänger Keim machte dem deutschen Volk die angenehme Mitteilung, daß die neueste Heeresvorlage eben nur eine, aber lange nicht die letzte Rüstung« Vermehrung ist, denn Frankreich rüste, Rußland auch. Dann ver- langt Herr Keim Militarisierung der Jugend und der Reservisten. Zur Welfenfrage forderte man den absoluten Verzicht der Cumberländer und Rathenower auf Hannover als Vorbedingung der Thrönchenbesteigung in Braunschweig und reichsgesetzliche Regelung der Thronfolge in allen Bundesstaaten.(Ein Reichsgesetz, da« be- ägen würde:„Auf die jetzigen Throninhaber folgt kein anderer mehr l" wäre die beste Lösung I) Ferner protestierte man gegen den Skandal der Fremdenlegion, und hier forderte ein Pfarrer Reuß- Hamburg Bildung einer deutschen Kolonial-Soldtruppe. damit sich die deutsche Abenteuerlust wenigstens als Kulturdünger für deutsche? Kapital national betätigen kann! Den Hauptgegenstand der Beratung bildete das Thema:.Die Polnischen Fortschritte und der Abbau der preußi- schen Polenpolitik". Der Pfarrer Friedland aus Bromberg referierte darüber. Er erzählte, der Balkanlrieg hätte die polnischen Hoffnungen auf Wiederaufrichtung des Polenreichs bis ins maßlose gesteigert. Unter den Segnungen preußischer Kultur habe daS einst so verkommene polnische Volk große Fortschritte gemacht. So- wohl in der Landwirtschaft, wie in Industrie und Gewerbe verdrängten die Polen die Deutschen . Zu den früher vorhandenen 24 Parzellierungsbanken seien sieben neue hinzugekommen. Durch polnische Pressebureaus würden die französischen, italienischen und englischen Zeitungen mit deutschfeindlichen Artikeln versorgt. Leider ließe das Verhalten der preußischen Staatsregierung in den letzten Jahren den Schluß zu, als solle die gesamte preußische Polenpolitik allmählich abgebaut werden. Die Ansiedelung«- tätigkeit versumpfe, 1912 seien nur 61 neue Bauernstellen geschaffen worden, während jährlich eintausendfünfhundert Neu- siedelungen erforderlich seien, damit die Vermehrung der deutschen Bevölkerung auch nur Schritt halte mit der polnischen Bevölkerungs- steigerung. Die Verantwortung für all das trage der Reichskanzler, dessen einst dem Ostmarkenvcrein so manneskühn zugedrahtctes „Nirnquam retrorsum" heut die Bedeutung:„Niemals zurück zum Bismarck-Bülowkurs" erhalten zu haben scheine. Aber auch der Landwirtschaftsminister und der neue Oberpräsidcnt der Provinz Posen seien an der neuen VersöhnungSära schuld, die noch trauriger enden werde als die Aera Caprivi. Nach langer Erörterung wurde folgende Entschließung gefaßt: „Der Alldeutsche VerbandStag fordert von der Preußischen Staatsregierung die Rückkehr zu der bewährten Bismarck-Bülow- schen Ostmarkenpolitik. Die Lösung der Nationalitätenfrage im Sinne des Deutschtums innerhalb der Ostmark ist nur möglich, wenn 1. durch eine ausgedehnte Bauernansiedelung die deutsche Unter- schicht aus dem Lande vergrößert und dami: auch dem städtischen Deutschtum eine festere und breitere Grundlage gegeben wird; 2. durch daS endlich zur Verabschiedung zu bringende ParzellierungS- gesetz der Vermehrung deS polnischen KleingrundbefitzeS ein Riegel vorgeschoben wird; 8. daS EnteignungSgesctz vom Jahre 1908 in wirksamer Weise zur Anwendung gebracht wird, damit der An- siedelungskommisfion durch Enteignung polnischen Großgrund- besitzeS für längere Zeit genügender Landvorrat zur Befiedelung bereitgestellt wird." In seiner Schlußrede feierte der Vorsitzende Rechtsanwalt Claß-Mainz die Verdienste Preußens um die staatliche Zusammen- fassung des deutschen Volkes. Da« Schicksal aller Deutschen auf der Erde sei mit dem des Deutschen Reiches untrennbar verbunden, da« Deutsche Sieich aber ruhe auf Preußen« Wacht' und Gesundheit. Gerade die nichtpreußischen Teilnehmer de« Alldeutschen Berbandstages find sich klar, daß von der inneren Ge- sundheit des preußischen Staates das Schicksal der deutschen Zukunft im wesentlichen abhänge. Der Redner schloß mit dem Ruf:„ES leb e Preuß en!'_ Zum Wahlrechtsraub in Altona wird uns in Ergänzung unserer Mitteilungen vom Sonntag ge» schrieben: Außer Einführung der Bezirkswahlen verlangt der Altonaer Magistrat eine Vermehrung der Stadtverordneten« Mandate von 35 auf 42. Mit Ablauf jeden Jahres sollen sieben Stadtverordnete ausscheiden. Danach tritt also erst nach sechs Jahren eine vollständige Erneuerung de? Stadtverordneten- kollegiums ein. Eine genauere Betrachtung der Bezirkseinteilung zeigt, mit wie außerordentlich großem Raffinement der Magistrat die Wahlkreis- geometrie vorgenommen hat. Ilm die sozialdemokratische Mehrheit ins Hinlertreffen zu bringen, hat man zwei Bezirke aus reinen Arbeitervierteln zusammengesetzt. Die übrigen drei Bezirke wurden dann so gestaltet, daß die Villenviertel und die Wohnquartiere deS „besseren" Bürgertums immer gerade die Arbeiterviertel überwiegen. Legt man die Resultate der Stadtverordnetenwahl vom Jahre 1912 zugrunde, so würden die Bürgerlichen mit einer durch- schnittlichen Mehrheit von 600 Stimmen drei Bezirke �gewinnen, die Sozialdemokraten mit einer durch- chnittlichen Mehrheit von 1200 Stimmen zwei Bezirke. Und das, trotzdem die Sozialdemokraten im vorigen Jahren wo die Stadt einen Wahlbezirk bildete, einen Gesamt-Simmen- Überschuß von 500 Stimmen hatte I Die Furcht vor der Sozialdemokratie ist es, die den Magistrat und die kommunalen Vereine von Altona -Ottensen zu diesem infamen RechtSraub getrieben hat. Ganz offen wird das zugestanden. Der RechtSraub ist um so empörender, als ohnehin durch den jetzigen Zensus von 1200 M. schon über 20000 Arbeiter vom K o m m u n a l w a h lr e ch t aus« geschlossen sind. Die Erbitterung unter der Arbetterschast Altonas ist außer- ordentlich groß. Sie wird den Magistrat lehren, daß auch seine reaktionäre Politih möge fie mit noch so raffinierten Mitteln ge» trieben werden, einmal ein Ende haben muß. Verschärfung der Kontrollversammlungen. Im Anschluß an das grausame Erfurter Reservisten-Urteil ift in vielen Blättern die Forderung erhoben worden, mit der zwecklosen Unterstellung der Kontrollpflichtigen unter die Militärgerichtsbarkeit während des ganzen KontrolltageS Schluß zu machen. Diese ver- nünftige Reform ist den Militaristen ein Dorn im Auge, da mau aber die Unzuträglichkeiten des bisherigen Systems nicht leugnen kann, schlägt die„Schles. Zteitung" vor, die Kontrollpflichtigen den ganzen Tag mit militärischen Dingen zu beschäftigen. Sie sollen soldatische Uebungen machen, militärische Vorwäge anhören und in ihrem Wirtschaftsbesuch militärisch kontrolliert werden. Das sei eine Folge der Vermehrung der Wehr- und Kontrollpflichtigen und der beste Schutz gegen die jetzige Abschwächung des militärischen Geiste«- Die Militärverwaltung soll es nur mit diesen Vorschlägen ver- suchen, die Sozialdemokratie kann fich gar nichts Besseres wünschen. Der Seelenmord des Militarismus. DaS Bluturteil von Erfurt , das auch in seiner qt*- milderten Form noch immer furchtbar ist, hat eine bestimmte Seite de» Militarismus beleuchtet, die uns nie aus den Gedanken kommen darf. WaS für einen Sinn sollte eS wohl haben, Volksgenossen, die dem Militärdienst längst entwachsen find, am Tage der Konlrollver- sammlung unter die barbarische Härte der Militärgesetze zu stellen, wenn nicht eben den. die sklavische Unterwürfigkeit deS Heeres so weit wie möglich auf daS gan�e Volksleben auszudehnen. Demselben Zweck dienen die„Krregervereine", die den so- genannten„militärischen Geist" pflegen wollen, und im übrigen wird durch Militärboykott in fröhlicher Weise nachgeholfen, wenn einmal ein Gewerbetreibender aufsässig sein sollte. Die wirtschaftlichen Opfer, die der Militarismus dem Volke auf- erlegt, find ungeheuerlich. ES ist aber immer noch die Frage, ob die Opfer an Blut und Seele, die er alljährlich frißt, nicht eben. so schlimm sind. Die preußischen Junker möchten am liebsten da? ganze Deutschland in einen großen Kasernenhof verwandeln, auf dem da»; Volk von ihren Söhnen angeschnarrt wird. Da daS aber immerhm nicht geht, wird die militärische Sklaverei bei jeder nur mögliche»; Gelegenheit auf das Volk ausgedehnt und vor allem wird dem Soldaten selber jede freie Regung der Seele gemordet. Wenn man überlegt, daß früher die dreijährige Dienst» zeit allgemein war und daß fie heute noch bei bestimmten Truppen- .Gattungen besteht; wenn man ferner überlegt, daß die Söhne de»; Volkes in einer sehr entwicklungsfähigen Jugend vom Heere auf- genommen werden, schaudert man vor dem organisierten Seelenmord zurück, der hier Jahr für Jahr an der nationalen Jugend begange» wird. Nicht einmal das ursprünglichste aller Rechte, das ganz vo«j elber überall in der Schöpfung gilt und das von einem bürger»i lichen Gericht auch dem verkommensten Menschen nicht abgesprochen.? werden könnte—, nicht einmal das Naturrecht der Notwehr! wird dem gemeinen Soldaten gelassen. Wenn er von einem, adistischen Unteroffizier mißhandelt wird, hat er keines- Wegs das Recht, den Burschen mit der Klinge nieder«! zuschlagen, sondern muß sich zunächst mißhandeln lassen. Damit ist ihm allerdings der letzte Rest der menschliche» Würde genommen. Man kann die Rechtlosigkeit gar nicht schärfer zum Prinzip erheben, als indem man dem Soldaten da» Recht der Notwehr nimmt, das von jedem Tier als unmittelbar vorhanden empfunden und ausgeübt wird. Nach der Militärzeit aber wird der Soldat in eine„bürgerliche" Welt entlassen, die von einer mit seinen militärischen Vorgesetzten eng vervetterten feudalen Bureaukratie beherrscht wird und in der ein militärisches Abhängigkeitsgefühl immer wieder aufgesri;cht wird. Vielleicht nicht die gefährlichste, wohl aber eine der aufreizendsten Auffrischungen dieses Abhängigkeitsgefühls sehen wir in der Tat» ache, daß man es wagt, den deutschen Bürger am Tage der Kontroll», Versammlungen unter die Militärgesetze zu stellen. Der Schrei nach dem Znchthausgesetz. Die„Kreuz-Zeitung " kommt in ihrem sonntäglichen Wochen- rllckblick zu scharfen Angriffen auf die Nationalliberalen, weil sie fich noch immer nicht entschließen wollen, ihre Zustimmung zu einem Gesetze zu geben, das den sogenannten„Schutz der Arbeitswilligen' bezwecken soll. Da» konservative Blatt stellt dieses Bestreben in Parallele mit der Abänderung deS Militärstrafgesetzbuches und führt dazu aus: Dort war die ReichStagSmehrheit sofort zur Hand, um ein paar' Radaumacher vor allzu harter Strafe zu schützen, hier ist man nicht für Maßnahmen qegen ein soziale« Uebel zu haben. unter dem ganze Berufsstande seit Jahren aufs schwerste seufze«. Dort freilich gmg man mit der Sozialdemokratie Arm m Arm, hier hätte man der sozialdemokratischen Phrase die Stirn zu bieten. Wir haben gesehen, daß früher auch der Reichskanzler ein Arbeit«- willigenschutzgesetz mit der Begründung abgelehnt hat. daß er ein Gegner von Ausnahmegesetzen sei. Inzwischen hat er diese Gegnerschaft gegen Ausnahmegesetze verleugnet und wir glauben, daß jeder praktische Staatsmann in dieser Richtung umlerne» Würde. Die grundsätzliche Gegnerschaft gegen„Ausnahmegesetze"
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten