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Politische Uebersicht.

für die Wahlen zunt Landtag gefordert, und dann folgen allerlei schöne an die Landwirtschaft, die Industrie, den Handel, die Gea werbetreibenden und Handwerker, an Beamte, Lehrer und Ar­beiter gerichtete Versprechungen, alle sollen nach nationaliberaler Fasson selig werden.

pofitiver Arbeit gezwungen. Die Parole der Partei ist gegen­wärtig: einstweilen zusehen so gut es geht, die Wählermassen an der Stange zu halten und abzuwarten, wie eine neue Ents Die Regierung und das Verteuerungskartell. widelung oder ein neuer Führer der Sozialdemokratie neue Wege. weift. Bis dahin haben tüchtige Beamte die Erbschaft der Das schöne Bündnis zwischen dem Zentralverband deutscher Singer, Bebel und des alten Liebknecht zu verwalten. Weber Industrieller und dem Bund der Landwirte zur Bekämpfung Unsere Partei hat die Rede des Genossen Dr. Frant auf diese Tattit zeigte der Parteitag eine immerhin beachtenswerte der Arbeiterbewegung und Verteuerung der Lebensmittel wird dem diesjährigen badischen Parteitag in Broschürenform an die Einigkeit. Ob es einmal dahin kommen wird, daß sich die So- nicht nur von der preußischen Regierung begünstigt, sondern Landtagswähler im ganzen Lande zur Verbreitung gebracht. zialdemokratie zu einer positiven Mitarbeit am Staate unter Auf der Eröffnungsfeier der Diese Rede Franks enthält das Wahlprogramm der Sozialdemo­Uebernahme der Verantwortlichkeit entschließt, das steht dahin. direkt agitatorisch gefördert. Jedenfalls hat der Parteitag von Jena diesen Entschluß noch Ausstellung des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen fratie. Sie weist, auf die Leistungen der sozialdemokratischen nicht gebracht, sondern lediglich opportunistische Uebergangsmaß- hat am letzten Sonntag in Essen der preußische Landwirt Fraktion im verflossenen Landtag hin und zeigt, was im kommen­regeln vorbereitet." schaftsminister v. Schorlemer- Lieser eine Eröffnungsrede ge- ben Landtag geleistet werden soll.

liberalen Hannoverschen Kuriers", der schreibt:

Nach der Wolfffchen offiziellen Meldung sagte der Land­wirtschaftsminister:

Nicht uninteressant sind auch die Beängstigungen des national- halten, die als immer wiederkehrendes Leitmotiv der schöne Im Jahre 1909 erzielte unsere Partei bei den badischen Land­Ruf durchzieht:" Großunternehmer aller Be- tagswahlen einen überraschend guten Erfolg. Die Zahl der so Andererseits gewinnt eine gemäßigtere Sozialdemokratie rufe vereinigt Euch zur Mehrung Eures zialdemokratischen Stimmen wuchs von 50 431 im Jahre 1905 auf an Werbekraft im fleinbürgerlichen Stande, Profits!" bei den nationalen und christlichen Sozialen. Zentrum und Freifinn werden die Kosten zu tragen haben. Da aber ein Revisionist immer noch erheblich weiter geht als etwa ein Volks­parteiler, muß eine bemerkenswerte Radikalisie= rung unseres Volkes die Folge sein. Wünschenswert ist dies sicherlich nicht, und so heißt es gegenüber der neuen Entwickelung der Dinge die Augen offen halten. Man könnte jogar sagen, daß die Sozialdemokratie um so gefährlicher wird, je mehr sie aufhört, revolutionär zu sein."

Die tonservativen Zeitungen finden dagegen, daß die Sozialdemokratie jetzt womöglich noch gefährlicher sei als früher. So schreibt die Deutsche Tageszeitung" über den Staat im Staate":

86 835, während die des Zentrums und der Konservativen von 137 000 auf 118 000 zurüdgingen. Die Sozialdemokratie ver­mehrte 1909 ihren Mandatsbesitz von 12 auf 20, während die Nationalliberalen 6, die Konservativen ein Mandat und das Zentrum 2 Mandate verloren. Der sogenannte Großblod, der 1905 41 Size im Landtag innehatte, besaß 1909 deren 44, während der schwarz- blaue Block von 32 auf 29 Giben zurücging.

Anläßlich der Tagung in der ehemaligen Ader- und jeßigen Industriestadt Essen ist in der Einladung des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen der Wunsch zum Ausdruck gebracht worden, daß diese Tagung dem gegenseitigen Verstehen der beiden hervorragenden Erwerbsstände Deutschlands förderlich sein und Der Erfolg unserer Partei im diesmaligen Wahlkampf wird zu einer gegenseitigen Würdigung ihrer hohen wirtschaftlichen und wesentlich davon abhängen, inwieweit es uns inzwischen gelungen nationalen Bedeutung beitragen möge. Namens der ist, die im Jahre 1909 gewonnenen 36 000 Landtagswähler zu Par­preußischen Landwirtschaftlichen Verwaltung teigenossen zu machen und in den Kreisen der Wähler neue An­fann ich versichern, daß dieser Wunsch auch hänger zu werben. Von dem Erfolg unserer Partei wird auch der unsrige ist. Ich würde Ich würde es tief bedauern und wesentlich der Sieg über den Rechtsblock, die Verhinderung einer als einen unverantwortlichen, nicht wieder gut zu machenden lerital- konservativen Mehrheit abhängen. Aber für sich allein politischen Fehler affehen, wenn in der gegenwärtigen Zeit, wo fönnen unsere Genossen das Ziel, die Verhinderung die Erhaltung von Eigentum und Besitz, die einer flerifal- tonservativen Mehrheit im ba. staatliche Autorität ebenso wie die des Hausbischen Landtag, nicht erreichen. In dieser Erkenntnis hat herrn und Arbeitgebers in Handwerk, Inbekanntlich der letzte badische Parteitag fast einstimmig einem Ab­dustrie und Landwirtschaft in Frage ge fommen zugestimmt, das zwischen der Nationalliberalen Partei, stellt wird, örtliche Reibungen und örtliche Reibungen und der gewiß be- der Fortschrittlichen Volkspartei und Sozialdemokratischen Partei rechtigte Widerstreit von Einzelinteressen Landwirtschaft, Industrie vereinbart wurde. Nach diesem Abkommen sind Fortschrittler und und Handwerk verleiten fönnten, ihre großen gemein Nationalliberale verpflichtet, in fünf bisher zu dem Besitzstand schaftlichen Ziele im wirtschaftlichen Kampfe der Sozialdemokratie gehörigen Wahlkreisen selbständige Kandi­außer acht zu lassen und sich in dem Augenblid zu trennen, wo nur geschlossenes Zusammengehen gegen den gemeinschaftlichen Feind ihrer Existenz und auch die unseres Vaterlandes für die Zukunft sichern fann."

Der Jenaer Parteitag hat sich tatsächlich für den Massenstreit erklärt; es hat völlige Einmütigkeit da­rüber geherrscht, daß man dieses Gewaltmittel anwenden müsse, wenn auf andere Weise die Aenderung des Wahlrechts in Preußen nicht zu erreichen sei. Und man hat das ausge­sprochen, obwohl man sich darüber klar war und klar sein mußte, daß hinter dem Massenstreit gegebenenfalls, ja wahrscheinlich die blutige Revolution lauert. Soll das etwa ein Be­weis dafür sein, daß die Sozialdemokratie sich mausern will, fich zu einer Reformpartei zu entwickeln gedenkt? Wer die Be­ratungen der früheren Parteitage über die Massenstreitfrage mit den jezigen vergleicht, der wird den Eindrud gewinnen müssen, daß sich die Entwickelung der Partei zum Radikalismus hin vollzieht. Die Erklärung, daß der Massenstreit zu gegebener Zeit eine Notwendigkeit sein werde, war in diesem Jahre viel schroffer, viel unbedingter, als je vorher.... Und angesichts Diese offene Sympathieerklärung der Regierung für das dieser Stimmen und dieser Ankündigungen gibt es immer noch politische Kinder und Narren, die sich vom Mauserungsliede ein- antisozialpolitische Unternehmerkartell ist recht wertvoll; öffnet Tullen lassen. Nicht die Sozialdemokratie an sich ist gefährlich, es doch dem Einfältigsten die Augen über den Charakter am gefährlichsten ist die grenzenlose Sturzsichtigkeit, mit der man unserer hohen Regierung; doch haben wir auch ohnehin ge­ihr eigentliches Wesen und ihr letztes Ziel übersieht oder zu über- wußt, daß die preußischen Minister sich lediglich als Sach­fehen sich den Anschein gibt. walter der Großindustriellen und Großagrarier betrachten. Und ähnlich meint die Kreuzzeitung ":

Zur Landtagswahl in Baden

wird uns geschrieben:

daturen für den ersten Wahlgang aufzustellen. Damit soll die Absicht des Zentrums, durch Unterstüßung jedes Gegners der So­zialdemokratie den Mandatsbesitz der Sozialdemokratie schon im ersten Wahlgang derart zu dezimieren, daß unsere Genossen die Liberalen im zweiten Wahlgang aus Verärgerung durchfallen lassen, durchkreuzt werden.

Dieses Großblodabkommen für den zweiten Wahlgang wurde von den Nationalliberalen und den Fortschrittlern, gleichwie von unseren Genossen gutgeheißen. Auf der Landesversammlung der Nationalliberalen hat denn auch deren Führer, Hofrat Reba mann, die Grwartung ausgesprochen, daß dasselbe strifte ein­Der Jenaer Parteitag hat jedenfalls ein Beichen gehalten werde. Er hat die Wadersche Tattit als eine Ser Mauserung gebracht, und deshalb haben die Scharf­Spelulation auf die Charakterlosigkeit bezeichnet macher" auch keinen Anlaß, wie die" Bossische Zeitung", die und es als eine Frage des Taktes und der persönlichen Ehre Diesmal als Wortführerin der Schlappmacher auftritt, meint, ihre Taktik zu revidieren und den Revisionismus für gefähr- Der Aufmarsch der Parteien für die am 21. Oftober b. J. bezeichnet, daß man sich aller und jeder geheimen und licher zu erklären wie den Radikalismus. Unsere Auffassung stattfindenden badischen Landtagswahlen hat begonnen. Die offenen, direkten und indirekten Verhand. von der Bedeutung des Revisionismus haben wir schon fürzlich sozialdemokratische Partei hat bereits ihre Kandidaten in den sämt- Iungen mit dem Zentrum und den Konservativen hier dahin ausgesprochen, daß sie in den Verschleierungs- lichen 73 Wahltreisen aufgestellt. Im Zentrumslager hält man enthalte".. diensten liegt, die er der Partei leistet. Er erhält die mit der Kandidatenaufstellung in verschiedenen Streisen noch zu- Der damals ausgesprochene gute Wille des nationalliberalen Mauserungslegende am Leben, macht die Sozialdemokratie sa- rüd, um sich Spielraum zu lassen für die Wittumereien. Führers hat es freilich nicht hindern können, daß nationalliberale lonfähiger und mindert so das Odium, mit dem die Liebes- Das Zentrum will bekanntlich die 1912 in Pforzheim bei der Bezirks- und Ortskomitees das Abkommen schmählich durchbrachen. dienste an die Sozialdemokratie die liberalen Parteien sonst be laffen würden. Im übrigen ist es nur sehr bedingt richtig, in Reichstagswahl angewandte Tattit auch bei der diesmaligen Land- So haben die Nationalliberalen in Rastatt - Stadt einen eigenen, den Revisionisten gewissermaßen den gemäßigten Flügel der tagswahl praktizieren und überall dort, wo es selbst teine Aus- beim Zentrum in Gnaden stehenden Kandidaten aufgestellt; auch Bartei zu jeben. Sind beispielsweise doch gerade sie es gefichten hat, im ersten Wahlgang jeden Gegner der in verschiedenen anderen Bezirken haben, die Nationalliberalen fich Wesen, die den Gedanken des Massenstreits in die Bartel Sozialdemokratie unterst when Doch die National bei der Aufstellung ihrer Kandidaten offenbar von der off­hineingetragen haben. Sobald sie aber einmal wirklich ver- liberalen erleichtern dem Zentrum die Anwendung diefer Tattit nung aufgetrümliche oder fonjerbative Silfe Tuchen follten, einer gemäßigten, tatsächlich rebisionistischen burch einen Mangel an Schlagfettigfeit, der jebt, vier Wochen leiten lassen. Das ist eine zwiespältige Haltung, die den National Politik das Wort zu reden, würde sich bald erweisen, daß sie vor der Wahl, schlechterdings nicht mehr zu verstehen ist. 54 Nan- liberalen sehr verhängnisvoll werden kann. Die nationalliberale Offiziere ohne Soldaten sind." didaten sollen die Nationalliberalen nach einem zwischen ihnen Bartei zeigt sich im gegenwärtigen Wahlkampf als die Partei der und den Fortschrittlern getroffenen Abkommen aufstellen bis unbegrenzten Möglichkeiten. War es doch sogar möglich, daß ein heute haben sie aber erst 36 Kandidaten aufgestellt. Auch die Fort- Mitglied und Vertrauensmann der nationalliberalen Partei eine schrittler sind noch nicht überall fertig mit der Kandidatenauf- ihm vom Zentrum und den Konservativen angebotene Kandidatur stellung.

Die 8entrumspresse sucht beide Auffassungen, die liberale wie die konservative, zu vereinen. Sie spricht zwar auch von dem Sieg des Revisionismus, erklärt diesen aber für einen noch gefährlicheren Gegner und ausgerechnet die Germania " schreibt von dem grundsazlosen Opportunismus in der Sozial­demokratie.

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So widerlegen die Urteile der bürgerlichen Preffe einander und uns bleibt die Gewißheit, daß das Verständnis unserer Be­wegung bei den Gegnern auch nach dem Parteitag von Jena nicht größer ist als vorher.

Anarchie im Reichsgericht?

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Inzwischen haben alle Parteien den Wahlkampf mit der Ver anstaltung von Versammlungen und Verbreitung von Flugblättern aufgenommen. Die Nationalliberalen haben ihren Wahlaufruf herausgegeben. Er wendet sich in der Hauptsache gegen den Rechtsblock, dessen Sieg ein Verhängnis für das Land wäre. Darauf wird die Einführung der Verhältniswahl

Mieter des Hauses Anstoß daran nehmen. Selbst wenn der Herrenbesuch zu unsittlichen Zweden stattfand, ändert das nichts an der Auffassung des Gerichts. Es geht niemand etwas an, was hinter verschlossenen Türen zugeht."

Das bedeutet vom Standpunkt der herrschenden Segualethit Das Reichsgericht hat eine Entscheidung gefällt, deren praktische nichts Geringeres als offene Rebellion einer hohen Staatsbehörde Nubanwendung mit Umstura" gleichbedeutend wäre. Anarchie im Reichsgericht. Es scheint notwendig, daß man gegen die vom Staat protegierte Sozialethit. Sachlich ist es hierbei das tollkühne Unternehmen bei Licht betrachtet. Die großen Tages- gleichgültig, ob diese Behörde in ihrem mutigen Bekenntnis zu zeitungen, die verstecken die alarmierende Meldung unter einer einer freieren Moralauffassung die Forderung aller Gebildeten nedischen Ueberschrift irgendwo in der Gerichtssaalrubrik; es scheint ausspricht, denen die Befreiung der Menschheit von unzeitgemäßen also, daß man entweder von der revolutionären Tat wenig erwartet Moralbegriffen ein Bostulat menschlicher Freiheit überhaupt dünkt. Wir stehen hier also vor der verblüffenden Tatsache, daß ein oder daß man sie fürchtet( und sei es auch nur, weil man ein heifles Thema" mit unangebrachter Zimperlichkeit nicht ernsthaft wichtiges Organ des Staates die Moral der Organisation, vor das Publikum zu bringen wagt). Denn es handelt sich um der es dient, desavouiert. Hunderte von Gerichtsver­einen Verstoß gegen die von Staat und Kirche sanktionierte Ge- handlungen und andere Aeußerungen staatlicher Willensbetätigung schlechtsmoral. Und der verwegene Ritter, der sich unterfangen hat, haben bis auf den heutigen Tag in Dingen der Serualethit eine gegen diese ehrfurchtgebietende Erscheinung die Lanze einzulegen, heißt: Deutsches Reichsgericht.

absolut gegenteilige Auffassung dokumentiert. Auf einmal trägt das Reichsgericht gewissermaßen den Forderungen der Zukunft Aber Fassung! Es ist nötig, daß die Angelegenheit mit ache Rechnung, ohne scheinbar mit den Hemmnissen der Gegenwart zu rechnen. Da fragt man sich: Sollte sich eine Körperschaft von so tungsvoller Gelassenheit betrachtet wird. Sehen wir zu. Es handelt sich um die Frage: Darf eine allein hoher Bedeutung bei Abfassung des Erkenntnisses dieses Wider ohne spruchs nicht bewußt geworden sein? Und wenn es sich dessen be­stehende Dame Herren besuche empfangen sich unter allen Umständen nachteiligen Wirkungen auf ihre weib- wußt war: wie gedenkt es seine fortgeschrittene Auffassung in der Wirklichkeit gegenüber den entgegengesezten Forderungen der liche Ehre aussehen zu müssen? herrschenden Moral zu behaupten?

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Aber lassen wir solche Erwägungen ruhig auf sich beruhen. Die Entscheidung hat so viel Bedeutung für die Wirklichkeit, daß ein Hinweis auf ihre praktische Geltungsmöglichkeit mehr als jede philosophische Auseinandersetzung geeignet ist, den Vorwurf der Intonsequenz zu begründen.

Das Reichsgericht hat diese Frage in einem fonkreten Falle ebenso mutig wie ungtveideutig bejaht. Ein Berliner Haus­besitzer war an einen Mieter, der seinerseits an eine Dame weiter. vermietet hatte, mit dem Ersuchen herangetreten, der Untermieterin Herrenbesuche zu verbieten. Als Begründung dieses Verlangens hatte der Hauswirt angegeben, daß die Herrenbesuche bei der Dame anderen Mietern unangenehm aufgefallen seien. Das Reichsgericht hat sich diese Auffassung die mit den ftaatlichen Moralbegriffen durchaus im Einklang steht nicht zu eigen gemacht. Es hat vielmehr den Mut gefunden, ohne Ein­schränkung oder Vorbehalt die individuell- amoralistische( und also umstürzlerische") These auszusprechen: Das stritte Verbot Die Sittenpolizei ist mit sehr weitgehenden Befugnissen aus von Herrenbesuchen ist eine Beschränkung der

Persönlichkeit.

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Ohne jedoch bei diesem allgemeinen- wenn auch an sich schon bemerkenswerten- Sake stehen zu bleiben, ist das Gericht, frei von jeder kompromißlichen Lauheit, in der folgenden Begründung bis zur äußersten Konsequenz seiner Auffassung gegangen:

Man braucht nur die Sittenpolizei" zu erwähnen. Wir haben mit dieser Einrichtung Erfahrungen gemacht, die den Schluß zulassen, daß diese Behörde in der Auffassung über die persönliche Freiheit alleinstehender Frauen unbedingt mit dem Reichsgericht follidieren muß.

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gestattet. Sie darf wie bestimmte Fälle gezeigt haben unter Umständen ohne weiteres bei alleinstehenden Frauen eindringen, um sich zu vergewissern, ob etwa ein nicht tongeffionierter un moralischer Lebenswandel vorliegt. Sie darf sich sogar sogenannter Vigilantinnen" bedienen, deren Aufgabe es ist, berdächtige" Frauen gelegentlich auf die Probe zu stellen, inwieweit fie sich"- um mit dem Reichsgericht zu reden den Gefeßen der Sitte

Wir haben also auf der einen Seite amtliche Instanz Nr. 1.

annahm!

Unsere Genossen in Baden sind durch diese jämmerlichen Era scheinungen nicht enttäuscht; sie lassen dessentwegen das Biel nicht aus dem Auge. Es gilt einen harten Kampf auszufechten gegen die Reaktion, es gilt, deren Sieg zu verhindern. Ihnen steht ein von der Regierung und den bürgerlichen Parteien reich ausgestattetes Waffenarsenal zur Verfügung. Die Nichtbe­empfangen, an denen andere Hausbewohner Anstoß nehmen". Auf­der anderen Seite haben wir amtliche Instanz Nr. 2, die der allein. stehenden Frau versichert, sie brauche sich nicht Beschränkungen aufzuerlegen, wenn andere Hausbewohner an Herrenbesuchen An­stoß nehmen..., selbst nicht, wenn der Besuch zu unsittlichen Zwecken stattfand.

Wie will da gegebenenfalls die Sittenpolizei vor dem Reichs. gericht und wie will das Reichsgericht vor der Moral seines Auf­traggebers bestehen? Vor allem aber: Wie wollen beide vor der Frau bestehen, die sich im Vertrauen auf die Grund­fäße des Gerichts hinter verschlossener Tür ihren privaten Neigungen überläßt, um sich plötzlich einer Sittenpolizei ausge liefert zu sehen, der vom Staat das Recht gegeben wurde die reichs. gerichtlich geschlossene Tür mit Gewalt aufzubrechen?

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Ist das Gericht in diesem Falle willens und in der Lage, für die Konsequenzen seiner Entscheidung einzustehen und der Frau Genugtuung zu geben, indem es die Sittenpolizei zur Ordung ruft? Aus alledem ergibt sich, daß die Auffaffung des Reichsgerichts­so menschlich frei und großzügig sie auf den ersten Blid erscheinen mag im Grunde eine Unmöglichkeit ist, solange es eine Sitten­sonst polizei gibt. Hier heißt cs: Entweder alles oder nichts bedeutet der neue Standpunkt eine Halbheit, die lediglich geeignet ist, neue Verwirrungen anzurichten. Die praktische Nuzanwendung der freieren Moralauffassung würde im übrigen unter den be stehenden sittenpolizeilichen Vorschriften und Praktiken das weitere lebel zur Folge haben, daß bald kein Mensch, der an eine noch so anständige Dame mit den anständigsten Herrenbeziehungen ver­mietet, vor dem Verdacht der Stuppelei bewahrt bliebe.

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Die fortgeschrittene Bevölferung hat also feinen Grund, die Entscheidung des Reichsgerichts die aus noch so ehrlichen Mo­tiven geflossen sein mag als einen wirklichen Fortschritt zu be­trachten ebensowenig, wie die schwarzblaue Reaktion Anlaß hat, über eine gefeßmäßige Umwertung der Segualethit aus dem Häuschen zu geraten. Es war ein blinder Schuß, und man möchte darauf schwören, daß seit jenem einen Erkenntnis inzwischen in allen Teilen des Reiches hundert andere die an sich Lobenswerte oberinstanzliche" Auffassung ad absurdum geführt haben. Denn eine gesetzmäßige Umwertung der herrschenden Geschlechtsmoral fann nicht neben einer Sittenpolizei wirksam werden, deren Wirk famkeit ja eben durch den Fortbestand der herrschenden Moral be­dingt ist.

Man wird also die Soffnung auf eine wirkliche Umwertung beralteter Moralbegriffe nach wie vor auf jene Kräfte feßen müssen, die vielfach noch von der Autorität des Staates gerade deshalb als feindliche Mächte betrachtet werden, weil sie nicht für Kompromiffe

Es muß der einzelnen Person überlassen bleiben, inwieweit sie sich den Gesetzen der Sitte unterwerfen will. Will eine junge unterwerfen wollen". Dame Herrenbesuch empfangen und bringt sie nicht gerade durch die Art der Besuche den Charakter des Hauses in Verruf, so kann ihr das Recht dazu nicht abgesprochen werden. Sie braucht sich Deren Aufgabe ist es, alleinstehende Frauen zu überwachen und zu haben sind, sondern unter allen Umständen ganze Arbeit auch nicht deshalb. Beschränkungen aufzuerlegen, weil andere nötigenfalls einzuschreiten" das heißt: wenn sie Herrenbesuche Teiften wollen.

Peter Scher .