sehr zum Nachteil der Griechen, die den günstigsten Moment zum Friedensschluß ungenützt haben verstreichen lassen. Die Unterzeichnung des Friedens. Konstantinopel , 30. September. Die gestrige Schlußsitzung der Friedenskonferenz trug einen intimen Charakter. Der Vertrag wurde Punkt 7 Uhr abends unterzeichnet. Der Groß- wesir, welcher der Sitzung beiwohnte, hielt eine Ansprache, in der er sagte: Ich beglückwünsche die Delegierten, daß es ihnen in so kurzer Zeit gelungen ist, das grandiose Werk des Friedens im Geiste des Ausgleichs, der Eintracht und Versöhnlichkeit zum Ab- schluß zu bringen. Der Grohwesir dankte sodann den bulgarischen Delegierten und schloß mit der Erklärung, er sei überzeugt, daß der Friedensschluß für beide Nationen eine neue Aera des Glückes und Gedeihen? eröffne. Der bulgarische Delegierte S a w o w dankte in ungefähr den gleichen Worten. Der Delegierte T o s ch e w sagte auf türkisch : Jnschallah, d. h.: So Gott Willi, worauf Talaat Bei das Zeichen zum Beifall gab. Die albanischen Kämpfe. Wie«, 30. September. Die Südslawische Korrespondenz meldet aus Belgrad , daß es den Serben gelungen sei, M a w r o w o und G a l i t s ch n i k zu nehmen, wobei die Albanesen große Verluste erlitten. Bei Ochrida finden seit Sonntag sehr erbitterte Kämpfe statt. Saloniki, 30. September. Da die ganze serbische Garnison die Stadt M o n a st i r verlassen hat, um gegen die Albanesen zu marschieren, haben die serbischen Behörden in Monastir zur Verteidigung der Stadt und zur Ueberwachung der albanesischen und türkischen Stadtbewohner eine Volks- miliz gebildet. Valona , 30. September. Dreihundert k r i e g s- gefangene serbische Soldaten aus Dibra sind nach Tirana gebracht worden. Die Verluste der Serben in Dibra betragen, wie die„Neue Freie Presse" meldet, 1200 Tote.(?) Die bnlgarischen Verluste in den zwei Balkankriegen. Sofia , 30. September. (P. C.) Nach einer Statistik, die das Ministerium des Aeußern über die Zahl der Toten und Ver- wundeten in den beiden Balkankriegen veröffentlicht, verlor Bulgarien im Kriege mit der Türkei durch den Tod 313 Offiziere und 29 711 Soldaten, während 915 Offiziere und 52 550 Soldaten verwundet wurden. Die Zahl der Vermißten beträgt 2 Offiziere, 3139 Soldaten. Der Krieg mit Serbien und Griechenland kostete Bulgarien 266 Offiziere und 14 602 Mann an Toten, an Ver- wundeten 816 Offiziere und 15 305 Mann, während 69 Offiziere und 4560 Soldaten vermißt werden. Der G e s a m t v e r l u st an Toten und Vermißten beträgt also 52 760 Mann. Von den Ver- wundeten dürften 10 000 für Lebenszeit Krüppel bleiben. Sei' neue Knittel-Prozcß. Einen breiten Raum in der Beweisaufnahme erforderte die Zeugenvernehmung über die Persönlichkeit des Hauptmanns Kammler, des Offiziers, der Knittel wegen seiner angeblich antinationalen, ordnungsfeindlichen Gesinnung bei den höheren Stellen denunziert hat. Es war gerade kein anmutiges Bild, das die Zeugenaussagen von diesem Bezirksoffizier entwarfen. Selbst die mildesten Beurteiler mußten zugeben, daß er mit allerhand Wunderlichkeiten behaftet sei. �pbszöne Ausdrucke" sollen bei ihm nichts Seltenes gewesen sein, gnd auch in Damengesellschaft pflegte er sich keinerlei Reserven aufzuerlegen. Ein ihm wohlgesinnter Zeuge bestätigte ausdrücklich, daß die Damen diesen Bezirks- offizier für ein„bißchen taprig" gehalten hätten. Seiner, des Zeugen Frau hatte er einmal geklagt, daß er«fort- während zur Tante Meyer laufen" müsse, worin der Zeuge aller- dingS nichts Besonderes fand. Andere Zeugen bekundeten, daß Hauptmann Kammler, offenbar als Folge eines Unfalls, eine auf« fallende Gedächtnisschwäche zurückbehalten habe, in seinen Reden überaus fahrig gewesen sei und die langweiligsten Geschichten immer wieder von neuem zum besten gegeben habe. Seine Kollegen im Bezirkskommando hätten sich denn auch oftmals in der despektier- lichsten Weise über ihn unterhalten und ihn einfach für verrückt erklärt. Wes Geistes Kind dieser Bezirksoffizier in der Tat war, ergibt sich aus seinem eigenen Geständnis, daß er bei Kontrollversamm« lungen den Leuten gegenüber eine besonders kräftige Sprache führen zu mllffen glaubte, weil ihn ja sonst«die Leute nicht verstanden" hätten. Den Knittel denunzierte er, weil er nach seinen eigenen Worten«nicht vorschriftsmäßig gewählt" hatte. Das schlimmste aber sei gewesen, daß er sich in einen„Verein" habe wählen lassen,«in dem Pollacken saßen". Von dem Borsitzenden darauf aufmerksam gemacht, daß es sich hier doch um keinen Verein, sondern um einen Kirchen- v o r st a n d gehandelt habe, replizierte er, daß das doch auch ein Verein seil Da nimmt es weiter nicht wunder, daß dieser Haupt- mann auch für die Lösung der Polenfrage ein höchst einfaches Rezept parat hielt. Hatte er doch erklärt, daß er, wenn er Bülow wäre. ganz einfach den Belagerungszustand über die ganze Ost- inark verhängen und die Polen über den Haufen schießen lassen würde! Daß ein solcher Mann, den seine Umgebung teils für einen harmlosen Trottel, teils für einen tückischen Geisteskranken, jedenfalls aber für einen Trottel hielt, BezirkSosfizier bleiben konnte, wirft ein eigenartiges Licht auf unsere militärischen Organisationsverhält- nisse. Roch reizender aber ist, daß ein Kriegerverein das Urteil des Landgerichts Ratibor , das den Hauptmann Kammler für einen böswilligen, heimtückischen und geistesschwachen Menschen erklärt hatte, just für den richtigen Anlaß hielt, um Kammler zun, Ehren» Mitglied zu ernennen I Sonst bot die Zeugenvernehmung wenig von Belang. Hö chstens verdienen noch die heillosen Ausreden festgenagelt zu werden, mit denen fich auch der als Zeuge vernommene Generalmajor von Wundt , der die Versetzung Knittels zur Landwehr verfügt hatte, aus der Affäre herauszuwinden versuchte. Auch er behauptete, daß Knittel nur aus« dienstlichen" Gründen versetzt worden sei. Nicht sein Eintreten für einen polnischen Wahlmann habe seine Versetzung verursacht, sondern nur der Umstand, daß in Rybnicker Kreisen und namentlich in Offiziers- und Reserveoffiziers- kreisen des Regiments, dem Knittel angehörte, allgemeine Er- b i t t e r u n g über sein Verhalten geherrscht habe. Danach wäre also Knittel nicht versetzt worden, um ihn für sein unpatriotisches Verhalten zu maßregeln, sondern um ihn vor u n l i e b s a m e n RekooterS mit seinen ehemaligen Kameraden zu bewahren. Dabei gestand derselbe Offizier zu, daß Knittel in den Kreisen seiner Kameraden außerordentlich beliebt gewesen sei. Die Ausrede ist also gar zu durchsichtig. Man maßregelt einen Reserveoffizier, aber man tut es nur aus z a r t e r R ü ck s i ch t für ihn. Fühlt er sich dadurch gekränkt und fordert ein ehrengcricht- liches Verfahren wider sich zur Aufhellung des Tatbestandes, so erklärt man ihm einfach, daß ja gar nichts Ehrenrühriges gegen ihn vorliege und daß die Versetzung nur aus„dienstlichem" Interesse olgt sei. Im Grunde handelt es sich ja bei der ganzen Knittel-Affäre nur um lächerliche Lappalien. Es kann der Oeffenlichkeit furchtbar gleichgültig sein, ob Knittel Reserve- oder Landwehroffizier ist. Aber das ganze Drum und Dran ist darum doch nicht uninteressant. Der unsäglich engherzige Gamasckenknopfstandpunkt, den unser Mili- tarismus in politischer Beziehung einnimmt, ist nicht minder charakte- ristisch wie andererseits daS unaufrichtige Versteckspielen, das man beliebt, um bei den Herren vom Zentrum und gewissen polnischen Magnaten nicht allzusehr anzustoßen l polWchc Geb er Hebt» Noch etwas vom Pferdehandek. Im Leitartikel unserer Montagsnummer berichteten wir von den sonderbaren Praktiken eines Majors der Remonte- ankaufskommission für Ostpreußen und einer Pferdehändler- firma. Beide betrachteten den Ankauf von Dienstpferden aus Staatsmitteln, d. h. vom Gelbe der Steuerzahler, als ein gutes Geschäft auf Gegenseitigkeit. Daß dieser Fall einer privaten Schröpfung des Staatssäckels mit Hilfe der neuen Heeresvorlage nicht vereinzelt dasteht, beweist folgendes, in ganz großer Schrift gedrucktes Inserat in der agrarischen „Deutschen Tageszeitung": Landwirte können viel Geld verdienen! Großer Verdienst an Pferden durch Ver- und Ankanf. Die Militärkommission kauft ca. 30 000 volljährige Pferde und zahlt ca. Mark 1500,— pro Stück und gleich Kasse. Der Verdienst für Landwirte liegt darin, brauchbare Pferde an die Kommission zu verkaufen, junge angefahrene Pferde von dem Straßenreinigungs- und Feuerwehrbespannungswesen und Pferdeverkauf zu billigen Preisen von Mark 400,— an zu kaufen. Junge angefahrene Pferde für den billigen Preis machen dieselbe Arbeit, denn sie sind an schwere Arbeit gewöhnt und außerdem steigt der Wert der angefahrenen Pferde durch Landarbeit ganz enorm. Durch Ver- und Ankauf hat jeder Landwirt am Stück 700,— bis 1000,— M. Ueberschuß. Es sind viele Landwirte, welche sich täglich Pferde zu diesem Zwecke vom Fuhrivesen ankaufen. Es werden von jetzt ab zirka 2000 Pferde zum Verkauf gestellt. Berkaufsdepot: Berlin , Köthener Straße neben 26, Direktion: Inhaber Robert Hennecke. Unverfrorener und offener kann wohl nicht zugegeben werden, daß Pferdezüchter und Pferdehändler durch die ge- waltige Vermehrung des Pferdebestandes der Armee glänzende Geschäfte machen wollen. Kein Wunder, daß diese Herr- schaften für jede Heeresvorlage begeistert sind. Sie sind eben das auf agrarischem Gebiete was Krupp und Konsorten auf industriellem sind: Schmarotzer am Lebensmark des deutschen Volkes.___ Die Hetze gegen die russischen Studenten. Die fortgesetzten Klagen der sogenannten patriotischen Presse über das Ueberhandnehmen fremder, besonders russischer Studierender an preußischen Universitäten hat einen gewissen Erfolg gehabt. Die «Nordd. Allg. Ztg." meldet: «Bekanntlich werden seit einiger Zeit in steigendem Maße Klagen darüber geführt, daß durch das übermäßige Anwachsen der Zahl der ausländischen Studierenden die Inländer in der zweck- entsprechenden Benutzung unserer Universitätseinrichtungen behindert würden. Die Prüfung hat ergeben, daß diese Klagen der Berech- tigung nicht entbehren. Der Kultusminister hat sich deshalb ver- anlaßt gesehen, eine bestimmte Höchstziffer fest- zusetzen, die von den Studierenden keiner fremden Nation überschritten werden darf. Wegen der Ausführung dieser Anord- nung sind die Universilätskuratoren mit Anweisung versehen. Die Maßregel erstreckt sich nicht auf diejenigen Studierenden, die jetzt schon zugelassen sind, sondern hat nur für die künftigen Immatrikulationen Bedeutung." Ultramontane Intoleranz. Ein Akt uliramontaner Intoleranz ereignete sich am Sonntag in Frankfurt a. M. Dort hatte der frühere katholische Ordens- Priester, Dr. Alb er ti, der zur altkatholischen Kirche übergetreten ist, für diese Gemeinde seinen ersten Gottesdienst gehalten. Als der Priester die Kirche verließ, erwartete ihn eine große Menge, die ihn mit Beschimpfungen empfing-.JudaS ",.Verräter",«Schuft", „Lump" und andere liebliche Zurufe legten Zeugnis von der Toleranz der Ultramontanen ab. Ein großer Zug verfolgte den Priester. Als man in die Nähe des Mains kam, ertönte aus der erregten Menge der Ruf: «In den Main mit ihm I" In dem Frankfurter Zentrumsblatt war in Beziehung auf einen Vortrag von Dr. Alberti die Hoffnung aus« gesprochen worden, daß man ihm die richtige Antwort geben werde. Wahrscheinlich konnte die kochende Volksseele den Vortrag, der für Montag angekündigt war, nicht abwarten und mußte ihrer Meinung vorher Ausdruck geben. Und so etwas erlaubt sich, von Verhetzung der Arbeiter durch die Sozialdemokratie zu reden. Das letzte Opfer der Streikjustiz. Dieser Tage, mehr als 1 Vj Jahre nach dem Bergarbeiterstreik, beschäftigte die Bochumer Strafkammer eine recht seltsame Straf- fache. Eine Bergmannsfrau aus Eickel war wegen Beleidigung von Arbeitswilligen, denen sie aus ihrer im ersten Stock gelegenen Wohnung Pfeffer in die Augen geschüttet haben sollte, zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt. Es gelang ihr im Wiederaufnahmeverfahren ihre Unschuld zu beweisen. Sie wurde darauf freigesprochen. In diesem Termin wurde aber nun eine andere dort wohnende Frau dieser Tat beschuldigt, weshalb der Staatsanwalt gegen sie vorging. Die Zeugen, meist Frauen und Kinder, wußten in einem Lokal- termin, den das Gericht am Tatort abhielt, sich der so lange Zeit zurückliegenden Vorgänge noch so genau zu erinnern, daß das Gericht die betreffende Frau zu 14 Tagen Gefängnis verurteilte. Damit ist die Strafliste der Opfer der Streikjustiz hoffentlich geschlossen._ Massenmorde in der Kaserne. Vor einigen Tagen richtete der in Stuttgart er- scheinende„Beobachter" an die Adresse des württem- bergischen Kriegsministers folgende Anfrage: „Der Herr Kriegsminister täte wohl, endlich einmal auf die seit einigen Monaten durch die Presse gehenden Meldungen über Soldatenselbstmorde beim Dragonerregiment 26 zu ant- Worten. Am 18. August berichtete die«Schwäbische Tagwacht" von einem zwei Tage vorher stattgefundenen Soldaten- selbstmord sowie von Desertion eines zweiten Soldaten in gleicher Nacht, nachdem sich im Juli bereits ein ähn- licher Fall ereignet hatte. Am 9. September berichtete die «Schwäbische Tagwacht" über den Selb st Mordversuch eine« Sanitätsunlerosfiziers des gleichen Regiments, der am 31. August stattfand. Der Unteroffizier hatte sich an seiner Bett- lade aufgehängt, konnte aber im letzten Moment noch abgeschnitten werden. Am 15. September registriert die«Tagwacht" den vierten Fall, einen weiteren Selbstmord eines Unter- offiziers. Alle diese Meldungen sind recht auffallend, und werden es noch mehr durch den geheimnisvollen Schleier, mit dem die Militärverwaltung die Ereignisse bedeckt. Keine offizielle Meldung über die Selbstmorde wird herausgegeben, sie finden meistens erst nach einiger Zeit auf dem Umwege über die sozial- demokratische Presse den Weg an die Oeffentlichkeit. Wir meinen, daß die Oeffentlichkeit ein dringendes Interesse daran hat, nicht zufällig über solche tragischen Ereignisse unterrichtet zu werden, sondern daß sie eine amtliche und zuverlässige Berichterstattung verlangen kann, denn es handelt sich um Söhne des Volkes, die ihrer Ehrenpflicht im Heere Genüge leisten. Wo bleibt die Dar- stellung des Kriegsministers?!" Das württembergischc Kriegsministerium hat bis auf den heutigen Tag auf diese Anfrage keine Antwort gefunden. Seit der Affäre des Frankfurter Generals Schenk weiß man, daß die obersten Mandarinen der preutzisch-deutschen Militärkaste grundsätzlich alle Anfragen gewöhnlicher zivilistischer Staats- bürger hochmütig mit verachtungsvollem Schweigen oder nichtssagenden Redensarten übergehen dürfen. Nur wenn es sich um eine neue Heeresvorlage oder Bewilligung von neuen Steuern zu diesem Zwecke handelt, da können auch diese Herren im Generalsrock beredt werden und die öffentliche Meinung bearbeiten. Dem Bürgertum mit seiner Militär- begeisterung und seineni Scharwenzeln vor der Offizierkaste geschieht mit einer solchen Nichtachtung ganz recht. Und uns kann die bei Selbstmorden, Mißhandlungen usw. beliebte Schweige- und Vertuschungstaktik der Militärbehörden schließ- lich recht sein. Werden doch dadurch immer mehr Leute auf die UnHaltbarkeit des militärischen Systems mit seinem Äasernengeiste, seiner Kasernenroheit und seinem Kasernenelend hingewiesen._ Berichtigung. Bei der telephonischen Aufnahme des in der gestrigen Nummer enthaltenen Berichts über die Eröffnungssitzung des bayerischen Landtags haben sich zwei Fehler eingeschlichen. Es muß nicht heißen: die Zivilliste wurde von 1 069 000 M. auf 5 400 000 M. erhöht, sondern: die Zivilliste wurde um 1069 000 M. auf 5 400 000 M. erhöht. Ferner ist nicht eine Kommission für die Arbeitslosenfürsorge eingesetzt worden, vielmehr bezweckte der Antrag aller Parteien nur, die Regierung zu ermächtigen, wegen der Arbeitslosigkeit mit den notwendigen Staatsbauten sofort zu beginnen._ Ocftermcb. Hötzendorff wieder im Amte. Wien , 30. September. Der Chef des Generalstabes Baron Konrad von Hötzendorff ist vom Urlaub nach Wien zurück« gekehrt. Wie verlautet, bleibt Konrad im Amte, der Kaiser hat sein Abschiedsgesuch abschlägig beschieden. Schweiz . Eine militärische Meuterei. Zürich , 26. September. (Eig.©er.) Auch der schweizerische Militarismus feiert seine Orgien. In diesem Jahre hat er es auf die höchsten Berge abgesehen. Auf der 4200 Meter hohen und mit ewigem Schnee bedeckten Jungfrau mußten Soldaten die schwierigsten und anstrengendsten Kletterpartien ausführen; im Kanton Wallis und im Kanton Graubünden gab es andere militärische Bergpartien. An sich sind militärische Bergpartien in der gebirgigen Schweiz , die selbst hoch oben auf Bergen, wie z. B. auf dem Gotthard , Festungs- anlagen hat und unter dem harmlosen Namen der«Festungswache" stehendes Militär unterhält, Selbstverständlichkeiten und für die ans Bergsteigen gewöhnten schweizerischen Soldaten auch nichts Beson- dercs. Darum liegt auch in keiner Beziehung eine dringende Notwendigkeit vor, die Soldaten zu solchen militärischen Spielereien zu mißbrauchen, um ihre«Leistungsfähigkeit zu erproben". Auf dem 2300 Meter hoch gelegenen Flüelapaß im Kanton Graubünden ist es jetzt deswegen zu einer Meuterei gekommen. Die Soldaten waren, nach stundenlangem Marsche im schneereichen Gebirge verschwitzt und durchnäßt und da ließ sie der Kommandant Oberst Bridler, der im bürgerlichen Leben sich in Winterthur als Architekt betätigt, zirka 2 Stunden lang bei Sturm und Kälte im Schneegestöber untätig stehen und warten, bis vor den Offizieren in warmer Stube die Kritik beendet war. Die Soldaten erstarrten während dieser langen Zeit und fingen zu johlen und zu pfeifen an und als darauf die Leitung nicht reagierte, marschierten sie einfach davon, hinunter nach Davos , wo sie menschliche Unterkunft fanden. Dieses unverantwortliche zwei- stündige Stehenlassen der durchnäßten und erfrorenen Mannschaft gehörte natürlich auch zu der sogenannten«militärischen Er- ziehung". Unter solchen Umständen war diese«Meuterei" ein Akt berechtigter Notwehr, der Sieg der gesunden Vernunft über den.Uebermilitarismus" maßloser Offiziere. Die„Meuterer" haben dabei sämtliche Aerzte des Regiments auf ihrer Seite, die zusammen einen Kollektivprotest gegen diese Soldaten- schinderei einreichten. Und bei der Entlassung der Truppe spendete ihr der Oberst Schießle die rückhaltlose Anerkennung,«daß sie in diesem Gebirgsmanöver hervorragendes geleistet hat". Anders aber der preutzisch-schneidige OberstkorpSkomman- dant Wille, der sich— ein Hohn auf militärische Disziplin!— sofort hinsetzte und einen wutschnaubenden Artikel für die«Neue Zur. Zeitung" schrieb, in dem er die meuternde Truppe als völlig un« fähig und unerzogen beschimpft. Der schweizerische Militarismus, wie er heute besteht, ist Wille» ureigenstes Werk und ein Ausfluß desselben war auch die mörde- rische Mißhandlung der durchaus tüchtigen und bewährten Soldaten auf dem Fluela. Was da Bankerott gemacht hat, ist das«System Wille", für das anscheinend noch nicht alle Schweizersoldaten im Sinne des Kadavergehorsams vollkommen gedrillt find. Gegen Wille und sein System wendet sich auch ein Teil der bürgerlichen Presse mit aller Entschiedenheit und die in Chur er- scheinende„Neue Bündner Ztg." fordert sogar die Beseitigung des verfehlten Systems Wille im Interesse unserer Landesverteidigung als eine dringende Notwendigkeit." An diesem rabiaten Radikalismus bürgerlicher Blätter kann man sich ja ergötzen, aber auch nickt mehr. Die gleiche bürgerliche Presse schreit bei jedem Streik nach Militärausgebot und fordert dann den Kadavergehorsam nach Willeschem System und schreit dann nach den strengsten Strafen, wenn d a Soldaten meutern. Die gleiche bürgerliche Presse hat auch zu gleicher Zeit füll- schweigend den preußisch-schneidigen Dienstbefehl eines Hauptmann? Schorderet passieren lassen, den unser Oltener Parteiblatt, die„Neue Freie Ztg.", veröffentlicht und der folgendes besagt: «ß 3. Die Unteroffiziere sollen ihren Rang aufrechterhalten. Ich will, daß sie mit allen Mitteln ihre Autorität bewahren. Sie sollen unbedingt die militärische Ehrenbezeugung verlangen; sie sollen gesondert essen; es ist ihnen verboten, sich selber zu reinigen. Absolutes Verbot, Platten, Kisten usw. zu tragen, das ist die Arbeit der Burschen. § 5..., ich werde kein Gespräch in den Reihen dulden. Ich zähle besonders auf den Eiser und den guten Geist der Unteroffi« ziere für den ausgezeichneten Marsch der Kompagnie; ich verlang« viel von ihnen, werde sie aber immer und in allen Fällen unter- stützen."— Die Fluela -Meuterei wird voraussichtlich auch in der nächste Woche in Bern zusammentretenden Bundesversammlung zur Sprach« kommen. Aber an dem Willeschen System wird nichts geändert werden. Es ist auf den Boden des Kapitalismus erwachsen und es paßt mit seinem militärischen Kadavergehorsam sehr gut in den Rahmen des Kapitalismus, der auch in Fabriken und Werkstätten für die Arbeiter den Kadavergehorsam proklamiert.