Nr. 258. 30. Jahrgang. 1. Keilm des Jütitiirtü" Öfiiiiifr WsdlM Mag, 3.©Mab« 1913. 6cwcrkrcbaftUcbc9. 25"Jahre öchtmdcr-Vcrband. Die Anfänge der deutschen Schneiderbeivegung liegen aller- dings erheblich weiter zurück, als bis zum 1. Oktober 1888, dem Gründungstage des Verbandes der Schneider, Schneide- rinnen und Wäschearbeiter. Schon im Oktober 1867 tagte ein Kongreß deutscher Schneidergehilfen in Leipzig . Nur 9 Mann kamen dort zusammen. Berlin und Hamburg waren nicht vertreten. �Dennoch erfolgte die Gründung des„Allgemeinen Deutschen Schneidervcreins". 1868 zählte dieser Verein be- reits 3009 Mitglieder. Aber schon 1869 kam es durch die Gründung der„Allgemeinen Gewerkschaft der Schneider, Kürschner und Kappenmacher" zu einer Spaltung, die erst 1873 durch die Vereinigung beider Organisationen geheilt ward. Am 24. Oktober 1876 erschien� die erste Nummer des Verbandsorgans, des„Fortschritt". Auch in Berlin bestanden bereits in den siebziger Jahren je eine lokale und eine zentrale Organisation, die sich am 1. April 1875 miteinander verschmolzen und damals etwa 3000 Mitglieder zählten. Das Sozialistengesetz zertrümmerte neben anderen auch die Gewerkschaft der Schneider. Aber schon 1884 regte sich das gewerkschaftliche Leben von neuem: doch sollte es erst auf dem Kongreß zu Erfurt , vom 3. bis 7. August 1888, zu einem Beschluß kommen, der die Gründung einer Einheits- organisation ins Auge faßte, und am 1. Oktober dieses Jahres kam es denn auch zu dieser Gründung. An wöchentlichem Beitrag wurden damals 10 Pf. erhoben und die„Fachzeitung für. Schneider" geliefert. Der Sitz des Hauptvorstandes war Hannover . 1890 wurde in Halberstadt beschlossen, auch die Schneiderinnen in den Verband aufzunehmen. Im gleichen Jahre tagte in Bernburg ein Kongreß, auf dem namentlich die für Berlin äußerst strittige Frage über die größere Zweckmäßigkeit der lokalen oder zentralen Organisations- form eine Rolle spielte. Beseitigt wurde die Zersplitterung für Berlin aber nicht. Im Reiche tauchte dagegen der Gedanke eines Jndustrieverbandes für das Bekleidungsgewerbe auf. Dazu sollte es jedoch nicht kommen: der Kongreß von 1894 zu Erfurt lehnte das ab. Am 1. Januar 1903 siedelte dann die Verbandsleitung nach Berlin über, nachdem sie vorher 1892 nach Flensburg und 1898 nach Stuttgart verlegt worden war. Durch den Anschluß der Wäschcarbeiter am 1. November 1907 wurde die Basis des Verbandes abermals erweitert. Das erfreuliche Wachstum der Organisation mögen folgende Zahlen veran- fchaulichen: Jahr Männliche Weibliche Zusammen 1388.... 3 470— 3 470 1389.... 10 806— 10 806 1390.... 9 026— 9 026 1891.... 7244 134 7378 1892.... 6 141 131 6 272 1893.... 6 966 363 7 313 1894.... 7921 458 8379 1896.... 7 666 681 8 236 189».... 8009 1176 9 184 1897.... 8 192 637 8 829 1898.... 9 238 389 9 627 1899.... 11376 411 11 778 1900.... 14 731 689 16 320 1901.... 16989 704 16693 1902.... 18 172 763 18 936 1903.... 20 844 880 21 724 1904.... 22 966 1 287 24 252 Gegenwärtig, am Schlüsse des 2. Quartals 1913 wurden 40 194 männliche und 9912 weibliche Mitglieder gezählt, ins- gesamt 5V 166. Dementsprechend waren auch die Einnahmen resp. Aus- gaben, die sich in den 25 Jahren des Bestehens des Verbandes auf 7 744 833,03 bezw. 6 796 142,72 M- belaufen. Die Aus- gaben betrugen: für Fachzeitung 560 040 M., Reiseuntcr- stützung 358 639 M., Krankenunterstützung 840 202 M., Lohnbewegungen 21 32 092 M.. Gemaßregcltenuntcrstützung 46 129 M., Umzugskosten 13 757 M., sonstige Unterstützungen 10358 M. und Rechtsschutz 16 806 M. * Die Berliner Filiale hatte, wie schon angedeutet. sehr unter den Meinungsverschiedenheiten über die zweckmäßigste Organisationsform zu leiden, die zur Folge hatten, daß sich lange Zeit eine Anzahl lokaler Organisationen am Leben hielten. Hier mußte eine Agitationskommission das not- dürftige Bindeglied zwischen den einzelnen Branchen abgeben. So sehr nun die Kraft der Organisation geschwächt war infolge der Zersplitterung, an Kühnheit fehlte es den Plänen der Kommission nicht, die sich in erster Linie der Konfektions- industrie mit ihren überaus beklagenswerten Zuständen an- nahm. Zuvor mußte aber noch mächtig am Ausbau der Organisation gearbeitet werden. Endlich 1896 konnte man sich an einen Streik ivagen, der auch einen gewaltigen Um- fang annahm. 30000 Schneider und Schneiderinnen traten in den Ausstand. Vom 9. bis 21. Februar währte der Kampf, der eine beachtenswerte Lohnerhöhung brachte. Freilich ging später manches von dem Erreichten durch die Lauheit der Ar- beiter verloren. 1911 kam es wieder zu einer gewaltigen Lohnbewegung in der Konfektionsbranche, wo auch wieder zirka 3000 Arbeiter und Arbeiterinnen, diesmal 3 Wochen lang, im Streik aus- harrten. Neben diesen gewaltigen Kämpfen gingen eine Reihe von geringerem Umfang einher, die darum nicht weniger von Bedeutung waren. Die Mitgliederzahl ist in der Zeit von 1890 von 530 auf etwas über 16 666 angewachsen. Hoffen wir, daß die Entwicklung allseits einen stetigen, erfreulichen Fortschritt nimmt._ Berlin und Hmgcgmd. Einigungsverhandlungen im Kurschnergewerbe. Das Gewerbegericht hatte am vergangenen Sonnabend die drei Vorsitzende» vom Arbeitgeberverband, vom Verband der Haus- industriellen und von der hiesigen Filiale des Kürschnerverbandes zwecks Vorbesprechung über die strittigen Differenzpunkte eingeladen. Es finden nunmehr am kommenden Sonnabendvormittag 11 Uhr Einigungsverhandlungen vor dem Gewerbegericht statt. Die Etuiarbeiter hatten in ihrer letzten Versammlung beschlossen, obgleich der alte Tarif am Dienstag abgelaufen und ein neuer in- folge des ablehnenden Verhaltens des Herrn Nasse nicht zustande gekommen war, doch zunächst die Arbeit fortzusetzen. Diesem Be- schlutz waren die Arbeiter nachgekommen. Man hätte nun erwarten dürfen, die Unternehmer würden, den hochtönenden Worten ihres Sekretärs entsprechend, den von ihnen vorgelegten Gegenentwurf eines Tarifvertrages den Arbeitern zur Unterschrift vorlegen. Das ist nicht eingetreten! Vielmehr haben sich eine ganze Anzahl Arbeit- geber in dem Sinne geäußert, daß sie sehnlichst wünschen, es möge auf friedlichem Wege eine Vereinbarung zustande kommen. Daraufhin wird nunmehr durch die Organisation den einzelnen Unternehmern ein Tarif zur Unterschrift vorgelegt werden, der unter Berücksichtigung der Verhältnisse eine ganze Anzahl Verbesserungen der Lohn- und Arbeitsbedingungen enthält, jedoch in keiner Weise über das Maß des Erreichbaren hinausgeht. Damit soll gesagt sein, daß die Arbeiter nicht gewillt sind, sich auch nur ein Geringes ab- dingen zu lassen! In der Aussprache hierüber wurden eine ganze Anzahl Sttmmen laut, die viel weitergehende Forderungen gestellt wünschten, doch ließ es die Versammlung bei den von der Tarif- kommission formulierten Bestiminungen, um auch ihrerseits zu be- künden, daß die Arbeiter einer friedlichen Verständigung kein Hindernis bereiten. Den Unternehmern wird bis Sonnabend, nachmittags 4 Uhr, Frist gewährt, sich für oder gegen Annahme des Tarifs zu entscheiden._ Mit der Wurstfabrik W i l h. Vehr- Schöneberg hat der Verband der Fleischer einen neuen Vertrag abgeschlossen. Die Arbeitszeit beträgt 10 Stunden, der Anfaugslohn 32 M., für Gesellen mit be- sonderer Verantwnrtung unterliegt der Lohn der freien Vereinbarung. Für 23 Gesellen wurde der Lohn um 1 M. pro Woche erhöht. Die Firma gewährt jedem Gesellen 3 bis 10 Tage Ferien, der Lohn wird weiter gezahlt. Für die Expedienten wurde ebenfalls ein Tarif- vertrag abgeschlossen. Die Arbeitszeit beträgt ebenfalls 10 Stunden. Ueberstunden werden wie bei den Gesellen mit 60 Pf. pro Stunde bezahlt, desgleichen erhalten dieselben unter denselben Bedingungen wie die Gesellen Ferien. Alle unter 160 M. Monatsgehalt beschäf- tigten erhalten 150 M._ Ein„warmes Nest". Seit dem 13. August d. I. stehen die Arbeiter und Arbeite- rinnen der Otis-Elevator-Werke in Wittenau in einem Abwehr- streik. Zwölf uniformierte Gesetzeshüter scheinen der Firma noch nicht zu genügen, so daß sie noch ihre eigenen Beamten gegen die Streikposten aufbietet. Bei den Verhandlungen mit der Betriebs- leitung gab diese ihrer Verwunderung Ausdruck, daß die Arbeiter Streikposten stellten und glaubte daraus schließen zu müssen, daß die Otis-Werke doch ein recht„warmes Nest" sein müssen. Wie sieht nun dieses warme Nest ans. lieber 300 Mann sind in der Fabrik beschäftigt. Dieser Arbeiterzahl stehen ganze 8 Klosetts zur Verfügung. Im Waschraum sind 20 Wasserhähne vorhanden, die jedoch noch„reguliert" wurden, damit nicht zuviel Wasser vcr- braucht werde. Die Arbeiter und Arbeiterinnen, die im Akkord- Verhältnis stehen, sollen laut Arbeitsordnung vor der Entgegen- name der Akkordkarte die Arbeit nicht anfangen. Da aber das Kalkulationsbureau nicht das ist, was es sein sollte, konnte sich das Personal mit dem Preise nicht einverstanden erklären. Es kani zu Differenzen, die eine Kommission schlichten sollte. Der Be- triebsleiter Herr Döring ließ die Kommission trotz mehrmaliger Anmeldung drei Tage auf die nachgesuchte Verhandlung warten. Nach Feierabend wurde dann endlich verhandelt und zugestanden, daß der Betriebsleiter die Kalkulation selbst in die Hand nehmen würde. Um des lieben Friedens willen gingen die Arbeiter darauf ein, daß eilige Arbeiten auch ohne Akkordkart« sollten angefertigt werden. Die alten Preise wurden garantiert. Dem schon mehrfach geäußerten Wunsche nach einem Arbeiterausschutz stimmte die Firma zu. Jedoch mußte dieser Ausschuß gewählt werden, ohne daß die Wahl durch Bekanntmachung usw. von der Betriebsleitung unterstützt wurde. Der Arbeiterausschuß wurde zwar von der Firma bestätigt, aber schon nach kurzer Zeit erhielt ein Mitglied dieser Vertretung seine Entlassung, angeblich wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber dem Betriebsleiter. Bei den Verhandlungen wurde auch von der Betriebsleitung und Direktion zugegeben, daß Herr Döring den Entlassenen zu Unrecht beschuldigt hatte. Trotzdem sollte die Wiedereinstellung des Vertrauensmannes im Werk Wittenau nicht erfolgen. Da es sich nun auch herausstellte, daß auch die Unregelmäßigkeiten in den Akkordpreisen mehr zu als abgenommen hatten, wurde eine Betriebsversammlung einberufen. Hierzu waren auch Beamte und Meister eingeladen, die auch erschienen. Das Resultat dieser fünfeinviertelstündigen Versaminlung war der Streikbeschlutz. Es ist schon der fünfte Streik in diesem Jahre, von dem dieses„warme Nest" betroffen war. Durch Inserate und unter tätiger Mithilfe des Herrn H a n s ch kleines Feuilleton. DaS futuristische Orchester. Nachdem die Futuristen der ultra modernen Malerei neue Entwickelungsmöglichkeiien verraten haben und nachdem der höchste Prophet und Reklamechef des Futurismus F. T. Marinettt vor kurzem in Palermo mit einem eigenen Werke der Welt gezeigt hat, was futuristische Dichtkunst vermag, hat man sich jetzt der Veredelung und Vervollkommnung der Musik gewidmet. Schon ist ein den neuen Anforderungen entsprechender Klangkörper geschaffen, und in Mailand hat das erste futuristische Konzert stattgefunden. Ja, man muß es zugeben, hier handelt es sich um eine neue Kunst, und der Maler Rusiolo, der zusammen mit seineni Kollegen Ugo Piatti die Ausgabe übernommen hat, futuristisch zu komponieren und das geeignete Orchester zu- sammenzustelle», darf sich mit Recht der„Schöpfer der Lärm- k u n st" nennen. Allein das Orchester wird durch seine Zusammensetzung selbst den boshaftesten Skeptiker davon überzeugen, daß hier eine ganz neue Auffassung voi� Musik und Klangwirkungen erstanden ist. Denn dieses Orchester� das einstweilen sich mit 16 Mitgliedern begnügt, besteht aus drei„Summern", einem„Donnerer", drei „Pfeifern", zwei„Raschlenr", zwei„Gurglern", einem„Schmetterer", einem„Knirscher und Schneider" und einem„Schnarcher". Schon diese Liste läßt ahnen, welche höchst eigenartigen Klangkombinationen sich mit dieser ungewöhnlichen Musikerschar bei Fleiß und Ausdauer hervorbringen lassen und welche neue Möglichkeilen sich damit der Lärmkunst erschließen. Ausgezeichnet stimmen mit diesen Mitteln auch die musikalischen Inspirationen der futuristischen Komponisten zusammen, die ihre Tondichtungen.Lärmgespinste" nennen. Die vier Lärmgespinste, die man in Mailand zu hören bekam, hießen „Das Erwachen der Großstadt",„Das Stelldichein der Autos und Flugzeuge",„Man speist auf der Terrasse des Kasinos" sniit einigen prächtigen Solonummern für den Gurgler und den Knirscher) und schließlich„Das Scharmützel in der Oase", wobei allerdings die Darstellung des Scharmützels besser gelang als die der Oase. In den Zwischenakten erschienen Marinetti und sein Kollege Praiella als Redner auf der Bühne und tauschten mit den außerordentlich angeregten Zuhörern einige sehr drasttslbe und kraftvolle Scheltworte, im ganzen aber sind Marinetti und seine Getreuen mit dem erzielten tiefen Eindruck zufrieden und erklärten, daß vor allem die„harmonische Verschmelzung der Pfeifer, Gurgler und„Platzer" einen ergreifenden Eindruck futuristischer Kunst vermittelte, einen Eindruck, der bisher seinesgleichen noch nicht gehabt habe." Das letztere wird sogar von den Gegnern ein- geräumt. Theater. Kammerspiele: Die goldenen Palmen, Lustspiel von R. de F l e r s und G. de Caillavet . Die Firma, die in ihrem seinerzeit am Lessing-Theater gespielten satirisch schillernden Schwank„Der König" so unerschöpflich schien an Geist und lustigen Einfällen, hat sich seither in billiger Massenprodukton mehr und mehr verzettelt. Ihre letzte Novität,„Die goldenen Palmen", eine Ver- spottung der französischen Akademie, deren neuerwählte Mitglieder bei ihrer Aufnahme in den Kreis der„Unsterblichen" als Redner in goldgestickten Palmenfräcken debütieren, zeigt kaum noch einige Spuren der einstigen Behendigkeit. In Paris mag die Persiflage auf das Perrücken- und Cliquenwesen dieser Körperschaft so viel aktuelle Pikanterie gehabt haben, daß dies für das gehäufte Maß sonstiger Langweiligkeit entschädigte. Hier, wo ein solches Interesse wegfiel, tat sich die Enttäuschung, als nach dem Fallen des Vor- Hanges sich schwache Ansätze des Applauses vorwagten, durch recht vernehmliches Zischen kund. Aehnlich wie einer seiner Vorfahren aus dem Geschlecht de Latour-Latour, der, als er beim Fußfall vor der königlichen Mätresse überrascht wurde, alsbald die Beförderung zum Abb« er- hielt, gelangt der harmlos einfältige Urenkel zur Würde eines Akademikers. Dem Herzoge und Vorsitzenden der Akademie, der ihn vor seiner Gemahlin knieend findet, wird vorgeredet, der nette junge Mann habe die hohe Dame so um ihre Protektion bei der nächsten Akademiewahl bitten wollen. Und der Gemahl in seiner potenzierten Trottelhaftigkeit beeilt sich, die Kollegen für die Sache zu gewinnen. Der Grafentitel deckt jedes intellektuelle Defizit. Die Feierlich- leiten einer öffentlichen Akadcmieversammlung werden zum Teil ganz ulkig parodiert. Der Graf hält seine Antrittsrede, die in der Einleitung die üblichen an die Adresse der Erlauchten gerichteten Schmeicheleien, in ihrer faden, süßlichen Geziertheit sehr witzig nachahmt. Auch in dem weiteren, der obligatorischen Lobrede auf den verstorbenen Vor- gänger ist manches Drollige. Dann sollen aber wieder an den Haaren herangeschleifte Theatertricks weiter helfen. Im Schlußakt, für den den Autoren sonst nichts einfällt, wird zur Deckung der Unkosten der Präsident der Republik herbeizitiert, der sich in mäßigen Witzeleien über seine Einflußlosigkeit ergeht. Nicht eine der Figuren, die selbst bescheidensten Ansprüchen an Menschenmöglichkeit genügt oder doch durch sÄwankmäßige Ausgestaltung für ein solche? Manko Ersatz geboten hätte. Parineline, der einzige, über den man herzlich lachen konnte — das quecksilberne verrückte Musikgenie, das im Salon seine Liebesabenteuer mit Klavierbegleitung vorträgt— war mehr im ZirkuS - als im Schwankstil karikiert. Herr Biensfeldt ließ da sehr ergötzlich seinem grotesk phantastischen Hunwr die Zügel schießen. Rosa Bertens spielte die, je nach dem Grade augenblicklicher Verliebtheit mehr oder weniger englisch radebrechende Herzogin, Viktor Arnold den Herzog. W a ß m a n n liebenswürdig flott den Grafen. dt. M«nr. Theater am Nollendorfplatz. Seit Jahren wurde nicht eine Operette geschaffen, die mehr als ein kurzes Scheinleben verdient hätte. Damit hängt das Bestreben zusammen, dem Genre der„leichtgeschürzten Muse" erfrischende Blutsäste zuzuführen, indem man ans verschollenen Musikgebilden, die sich an die Namen einzelner Schöpfer der älteren,„klassischen" Operette knüpfen, neue Bühnenwerke rekonstruierte. Nunmehr hat Leopold Schmidt, der wohlakkreditierle Berliner Musikkritiker, das Erneuerungsverfahren bei Jacques O f f e n b a ch angewendet. Offenbach ist nicht bloß der Vater der Operette schlechtweg; sondern von seinem unerschöpflichen Geiste haben alle Nachtreter bis auf unsere Tage gesogen. Das erweist sich jetzt wieder an dieser nach Offenbach scheu Motiven bearbeiteten Musik zu der Operette„Die HeimlehrdesOdhsseuS", für die Karl Ettling er und Erich Motz nicht ohne Witz und Geschick die textliche Unterlage ge- schaffen haben. Offenbach hat neben etlichen Dutzend mehr oder minder zug- kräftigen Operetten in seiner Frühzeil auch zahlreiche Singspiet- einakter und später sogar eine deutsche romantische Oper(Die Rhein - nixe) komponiert. Aus seinem Ueberreichtum an verschollener Musik hat Schmidt die pikantesten und entzückendsten Melodien und Motive herausgehoben. So ist ein geschlossenes Ganzes entstanden, das auch gerade in der wohl zumeist vom Bearbeiter herrührenden Jnstru- mentierung Offenbachsche Klangfarben und Offenbachschen Geist zeigt. Wüßte man nicht ohnehin, welch hoher Musikkultur neben einer be- deutenden komisch-drastischen Gestaltungskraft man sich bei Offenbach zu versehen habe: dies oftmals allzu musivisch gesponnene Gewebe bestätigt es aufs neue. Der Wert dieser Musik mit ihren preziösen Couplets, Duetten, Trios, SeptettS , Arietten, Barcarolen, Liedern und Chören ist maßgebend für den künstlerischen Erfolg, dem der materielle freilich dauernd kaum bcschieden sein dürfte. Das Libretto ist nämlich nur spärlich dramatisch und witzig. Immerhin schließt es zu kleinen Handlungen zusammen, die dann zuletzt dank der vorzüg- lich verarbeiteten Musik einen einheitlich wirksamen Abschluß erhäll. Die Titelfigur giebt Max Pallenberg mit einem Ueberschuß an wirklicher Komik zwar— aber auch mit Kulissenreißerei— im Parterrestil. Den Lacherfolg hat er natürlich sicher. Vorzüglich in Stimme und Spiel ist Fritzi M a s s a r y; die Zauberin Kirke„liegt" ihr wie aufgegossen. Karl P f a nn sXenophon) zeigt sich wieder als sorgsam studierter Sänger, dem eS gegebenenfalls doch auch nicht an komischen Einfällen mangelt. Else Verna macht eine ver- führcrische Penelope, Walter Form es einen mit feinem SarkaSmnS gewürzten Hoftheaterindentanten. Putzig sind auch die drei Freier. Dekoration, Inszenierung können sich sehen lassen. Die ganze Auf- führung wird musikalisch sicher von Kapellmeister Schwarz ge- leitet. Das Werk fand sehr eine freundliche Aufnahme. olc. Notizen. — Vorträge für die freien Volksbühnen. Am Sonnabend, abends 8V3 Uhr, spricht im Hörsaal des Kunstgewerbe- Museums, Prinz-Albrechtstraße Robert Breuer über„Kunst form und Z e i t g e t st". Der Vortrog ist der erste einer Serie von dreien. Die Karten kosten 30 Pf. für den einzelnen Abend, 80 Pf. für die Serie und sind in den Zahlstellen der Volksbühnen zu haben. — Die nächsten VolkS-Sinfoniekonzerte des Blüthner -Orchefters finden stutt: am 3. Oktober: Berliner � Bock-Brauerei; 6. Oktober: Brauerei Friedrichshain; 7. Oktober: Kammersäle; 16. Oktober: Brauerei Friedrichshain(Richard Wagner - Abend); 17. Oktober: Neue Philharmonie; 12. November: Brauerei Friedrichshain. Eintrittskarten 30 Pf. — Das„M arionetten-Theater Münchner Künstler" eröffnet am 3. Oktober. S1/« Uhr. sein Gastspiel im großen Saale von Keller u. Reiner, Potsdamer Str. 118b. Zur Erstauffübrung gelangte das älteste deutsche Faustspiel in der Bearbeitung von Paul Braun. — Das Kind, seine Erziehung und Entartung. Der Kriminalpsychologe Dr. Erich Wulffen hält am Freitag in der Singakademie einen Borttag über dieses Thema zu poMären Preisen.
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