Einzelbild herunterladen
 
Diese meine Auffassung wird auch unterstützt durch das Verhalten unterer alten Vorkämpfer Bebel, Liebknecht, Auer und Singer, welche wiederholt auf Parteitagen nicht nur verschieden gestimmt. sondern auch rednerisch ihre von einander abweichenden Auf- fassungen mit aller Entschiedenheit vertreten haben, wie dies & B. in der Agrarfrage und der Beteiligung an den preutzi- schen Landtagswahlen der Fall war und in den in Frage kommenden Parleitagsprotokollen nachzulesen ist. Ferner will ich bemerken, daß ich diese durch meine Abstimmung auf dem Parteitag bekundete Stellungnahme auch bereits vorher im Parteivorstand vertreten und dort auch meine oben skizzierte Anschauung klargelegt habe. Auf die in der Nr. 255 vom Genossen Wels unter meiner direkten Namensnennung erfolgte Erklärung besonders einzugehen, halte ich nicht für notwendig, da alle Genossen, die das Vergnügen haben. Wels zu kennen, wissen, daß diese Schreibweise mit solchen Ausdrücken eben ganz Wels ist. Zum Schluß möchte ich der Hoff- nung Ausdruck geben, daß der radikale Wels in Zukunft stets von den R e v i s i o n i st e n als, st u b e n r e i n augesehen wird. Paul Brühl. /Ziis Induftm und Ftendd. Die Zolltarifreform. Washington  , 2. Oktober. Die demokratische Parteiver- sammlung erklärte sich gestern abend init der Tarifvorlage in der Form des Berichtes des gemeinsamen Ausschusses beider Häuser einverstanden und beschloß, die Frage der Be- steuerung von Termingeschäften in Baumwolle später zu er- ledigen._ Erhöhung des Bankzinsfußes. Während bei uns in Deutschland   eine Ermäßigung des(zurzeit K Prozent betragenden) Zinsfußes der Reichsbank gefordert wird. hat das englische Zentralnoteninstitut eine Erhöhung des Zinsfußes vorgenommen. Die Bank von England   hat am Donnerstag ihren Diskontsatz(den Zinsfuß für die Beleihung von Wechseln) von 4�/z auf 5 Prozent erhöbt. Die mit der vor- läufigen Erledigung der Balkankrisis erhoffte Geldverbilligung ist also nicht eingetreten. Vielmehr haben die starken Geldansprüche eine weitere Verteuerung hervorgerufen. Diskonterhöhungen werden gerade im Herbst nötig, weil die Banken zu dieser Zeit be- sonders durch Geldforderungen zur Finanzierung des Erntegeschäfts in Anspruch genommen werden. So sind in den letzten Tagen große Goldexporte von England nach Aegypten   gegangen, weil dort die Baumwollernte vollendet und die Verkäufer durch Bargeld be- friedigt werden müssen, während die Käufer(Großhändler und Baum» Wollexporteure) ihre Geldbedürfnisse auf dem Kredilwege bei den Banken und der.Bank von England  ' befriedigen. Auch die Inanspruchnahme der Deutschen Reichsbank ist in der vergangenen Woche ganz erheblich gestiegen. Während ihr Goldbestand gegen die Borwoche um 36'/e Millionen zurück- ging, stieg der Bestand an Wechseln, für die die Bank Geld  (Bargeld und Noten) hergeben mußte, um 537�/, Millionen. Der Notenumlauf (der von der Bank eingeräumte Kredit) erhöhte sich um fast 668 Millionen. Auch hier erklärt sich die Steigerung der Kredit« inanspruchnahme durch die Geldbedürfnisse für den Verkauf der Ernte und die besonderen Ansprüche an jedem Ouartalsersten(Ge- haltSzahlungen, Ausgleich der Spekulationsgewinne usw.). Eine neue Lampe. Die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft und die Deutsche Gasglühlichtgesellschaft(Auer) haben am 1. Oktober eine neue Lampe herausgebracht, die nur Walt pro Kerze Strom ver- braucht gegen ein früheres Minimum von 6,9 Watt. Diese Lampe wird zunächst nur hochkerzig fabriziert, für Stärken von 660 bis 3666 Kerzen. Sie ist die bisher schärfste Konkurrentin der Bogen- lampen mit Kohlenstift, und es ist nicht ausgeschlossen, daß sie die Bogenlampen verdrängt. Auch die Siemenswerke werden die Lampe an den Markt bringen, und die A. E.-G., Auer und Siemens werden nach der zwischen ihnen bestehenden Glühlampenverabredung in wichtigen Punkten auf gemeinsamer Basis vorgeben. Die drei Unternehmungen haben dasselbe Patent erworben und arbeiten ihre Lampen im Rahnren dieses Patentes individuell. Die Lampe der einen Gesellschaft ist also in den Grundzügen wie die der anderen beiden Unternehmungen, nur die Ausstattungen weichen von einander ab. DaS ist auch insofern interessant, als man daraus ersieht, daß auf dem Markte der elektrischen Glühlampen nicht ein freier Wett« bewerb herrscht. Zusammengetan haben sich nur die Grobfirmen, was für die kleinen Firmen eine schwere Bedrückung bedeutet. Doch ein Zementsyndikat. Gestern meldeten die Interessenten, daß die Verhandlungen zur Erneuerung des Rheinisch-Westfälischen Zementsyndikats endgültig abgebrochen seien. Heute liegt nun eine Nachricht vor, daß die beteiligten Werke in Verhandlungen ein- getreten seien. Die beschlossene und am 1. d. Mts. eingetretene Erlaubnis zum freien Verkauf soll schleunigst wieder rückgängig ge- macht werden. Neue Preisermäßigung in der Eisenindustrie. Die General- Versammlung des Walzdrahtverbandes hat beschlossen, den Preis für Flußeisemvalzdraht um S M.   pro Tonne für das viert« Quartal herunterzusetzen und den Verkauf für das erste Quartal 1914 zum gleichen Preise aufzunehmen. Urber dir Entwickelung der japanischen Baumwollindustrie enthält ein Bericht des deutschen   Generalkonsulats in Aokohama interessante Angaben: In der Deckung seine« Bedarfes an Baumwolle ist Japan  ganz vom Auslande abhängig, doch werden die Bemühungen, Baum- wolle in den neujapanischen Gebietsteilen zu ziehen, eifrig fortgesetzt. Die Baumwollspinnerei blühte im vergangenen Jahre lebhaft auf. Nach den Angaben des japanischen Ackerbau- und Handels- Ministeriums wurden 27 Millionen Mark in Neugründungen und 22,6 Millionen Mark in alten Unternehmungen der Spinnerei- industrie im Jahre 1912 angelegt. Der japanische Baumwollspinner- verband veröffentlicht eine Aufstellung füe die zweite Hälfte deS JahreS 1912, nach der der R e i n v e r d i e n st der 24 japanischen Spinnereigesellschaften trotz besonders hoher Abschreibungen, Reserve- Überweisungen und Vorträgen 18,7 Millionen Mark betrug, gewiß ein außerordentlich günstiges Resultat für eine Industrie, deren ein- gezahltes Kapital zu 141 Millionen Mark, Reservefonds zu 53,2 Millionen Mark und Anleihen zu 41,9 Millionen Mark angegeben werden, was einer Verzinsung des investierten Kapitals von 15 Pro z. entspricht. Fast alle Spinnereien konnten daher außer der üblichen hoben Dividende noch eine Spezialdividende verteilen, so die Kanega- fuchi im ganzen 16 Proz., die Nippon   14 Proz., die Osaka   12 Proz., die Fukushima 24 Proz. und die Settsu- und Amagasaki sogar je 36 Proz. Die guten pekuniären Erfolge sind vor allem der reich- lichen Baumwollernte in Amerika  , die die Preise für Roh- baumwolle niedrig hielt, sowie der Kauflust Chinas   für Garne und Baumwollwaren zu verdanken, von wo mit dem wachsenden Ver- trauen auf den Bestand leidlich geordneter Verhältnisse auch deS- halb zahlreiche Aufträge kamen, weil aus dem politisch unruhigen Vorjahre nur sehr geringe Bestände übernommen worden waren. Ein Teil der Ausfuhr gelangte sogar nach Europa  ; so gingen nach Deutschland   für 63 666 M. gekreppte Baumwollgcwebe und für 31 866 M. gewirkte Unterzeuge. Wenn die japanischen Baumwoll- exportwaren auch nicht an Aussehen und Haltbarkeit mit europäischen und amerikanischen   Erzeugnissen konkurrieren können, so dürste doch der Vorwurf, den kürzlich ein japanischer Sachverständiger seinen Landsleuten machte, japanische Jndustrieerzeugniffe für den Export seien so schlecht, daß jeder, der sie einmal gekauft habe, nicht zum zweitenmal darauf hereinfiele, im allgemeinen und auch fiir die Baumwollwaren übertrieben sein oder nur auf einer nicht zu verallgemeinernden Einzelbeobachtung beruhen. Auf dem ostasiatischen Markte findet das Allerbilligste wohl immer noch einen Käufer, andererseits aber bildet sich Japan   an diesen geringwertigen Massenerzeugnissen, die es nach China   abstoßen kann, einen Ar- b e i t e r st a n d in der Textilindustrie heran, mit dem später Besseres geleistet werden kann. Bei dem gegenwärtigen Stande der japanischen Textilindustrie müssen die Bedürfnisse der wohl- habenden Kreise Japans   allerdings in der Hauptsache noch vom Auslande befriedigt werden. GencKts- Zeitung. Sagen Sie Ihrer Streikleitung, daß sie bestochen ist. Mit diesen Worten empfing der Stuckmeister Heine« mann die früher bei ihm beschäftigten Arbeiter, als diese während des Streiks und der Aussperrung im April dieses Jahres ihren Lohn holen wollten. Im April streikten die Berliner   Stukkateure. Im BoardinghauS am Kurfürstendamm   wurden die Arbeiten von einer Breslauer Firma, die die Forderungen der Arbeiter bewilligt hatte, weiter- geführt. Heinemann hatte in dem genannten Hause Rabitz- arbeiten auszuführen. Da der Verdacht bestand, daß es Streikarbeit sein könnte, stellten die Arbeiter die Arbeit ein. Heinemann sperrte daraufhin sein gesamtes Arbeiterpersonal aus. Als nun am Sonnabend die Arbeiter ihr Geld holten, redete er ihnen zu, doch wieder zu arbeiten, die Streikleitung sei bestochen und erhalte pro Mann und Tag 7 Mark, darunr dürfe bei der Breslauer Firma weiter gearbeitet werden. Als die Arbeiter fragten, ob er dies auftecht erhalten wolle, erklärte Heinemann ausdrücklich, daß er das nicht nur aufrecht erhalten, sondern auch dafür ein- stehen werde. Man solle ihn verklagen. Er habe für seine Be- hauptungen Zeugen und Beweise. Dies löste unter den Arbeitern begreiflicherweise große Erregung aus. Die Streikleitung wurde unverzüglich in Kenntnis gesetzt. Deren Mitglieder WengelS, Dietrich, Kopisch  , Fuchs und Peterson klagten hierauf gegen Heinemann. DaS Schöffengericht billigte dem Beklagten   den Schutz des§ 193 des Strafgesetzbuches zu und sprach ihn frei. Hiergegen legten die Kläger   Berufung ein. Das Landgericht verurteilte den Beklagten zu 36 Mark wegen Beleidigung. In der Begründung wurde ausgeführt, daß er nicht in Wahrung seiner Interessen ge- handelt haben könne, da er ja sämtliche Arbeiter und zwar auch die auf anderen Bauten beschäftigten aussperrte. Aus Re- Vision Heinemanns gegen dies Urteil hob das Kammergericht das Urteil auf und wie? die Sache an eine andere Straf- kammer zurück, da mit Unrecht der Schutz des§ 193 dem Be- klagten nicht zugebilligt zu sein schien. In vierter Instanz hatte sich nun die vierte Straf- kammer des Landgerichts HI mit der Sache zu befassen. Ein vom Vorsitzenden angeregter Vergleich kam nicht zustande, da Wengels im Namen der Mitkläger erNärte, daß nur eine rück- haltlose Ehrenerklärung des Beklagten einen Vergleich ermöglichen würde. Es erklärte der Beklagte: Er habe nicht die Absicht gehabt, von den Klägern zu behaupten, daß sie als Einzelpersonen materielle Vorteile erhalten und angenommen hätten, vielmehr habe er nur zum Ausdruck bringen wollen, daß der Streikkasse, für die er die Bezeichnung Streikleitung gebraucht habe, laufende Geld- Unterstützungen von interessierter Seite zugewendet worden seien. UebrigenS sei er sehr erregt gewesen und im Verkehr mit Arbeitern lege man nicht jedes Wort auf die Goldwage. Die Kläger   legten dar, daß sie der Ansicht seien, der An- geklagte habe sie mit Absicht beleidigen und vor ihren Kollegen diskreditieren wollen. Aber selbst wenn Heinemann nur gesagt haben wollte, das Komitee sei bestochen zuungunsten der streikenden Arbeiter, so sei das noch ein viel schwererer Vorwurf. Von den vernommenen Zeugen konnte keiner irgend etwas von einer direkten oder indirekten Zuwendung an die Kläger oder an die Verbandskasse bekunden. Der Direktor des BoardinghauseS erklärte, infolge des Streiks hätten die Herstellungskosten sich um etwa 45 666 M. erhöht. Der Vertreter der Kläger  , Rechtsanwalt Dr. Herz- feld führte aus: Heinemann wollte bloß Zwiespalt schaffen und Mißtrauen unter die Arbeiter säen. Es könne ihm auch nicht darum zu tun gewesen sein, daß die Arbeit aufgenommen werde, denn er habe ja selbst, und zwar auch die nichtbeteiligten Arbeiter, aus- gesperrt. Der Zweck seiner Aeußerung konnte nur sein, die Streit- leitung zu verdächtigen, um dtn Kampf für die Unternehmer zu ge- Winnen. Von Anwendung des 8 193 könne deshalb keine Rede sein. Er beantrage Bestrafung. Rechtsanwalt Dr. D e t e r t plädierte als Verteidiger des Be- klagten auf F re i s p r e ch u n g. Unter den Arbeitern seien wilde Gerüchte umhergegangen, daß die Streikleitung Vorteile habe, wes- halb die Breslauer Firma arbeiten könne. Heinemann habe dieses Gerücht nur weiter gegeben in der Absicht, daß die Arbeit wieder aufgenommen werden sollte. Man befand sich im Kampf, darum müsse ihm der ß 193 zugebilligt werden. Das Urteil lautete auf Freisprechung. Das Gericht habe nicht angenommen, daß der Beklagte Heinemann den Privat- klägern habe nachsagen wollen, sie hätten persönliche Borteile er- halten. Hierzu fehle jeder Anhalt. Vielmehr habe er nur sagen wollen, daß der Streikleitung, die für ihn gleichbedeutend wie Streik lasse sei, Vorteile zugeflossen seien. Damit sei ja wohl auck, eine gewisse Unehrlichkeit gemeint. Doch sei damit gemeint, daß dieselbe zugunsten der Kasse der Streikenden vorgenommen worden sei. Der Beklagte habe sich aus Gerüchte gestützt. Daß etwas daran wahr wäre, habe die Verhandlung frei- lich nicht ergeben. Vielmehr sei festgestellt, daß von der Streikleitung weder direkt noch indirekt eine Pflicht- widrige Handlungsweise in Betracht kommen könne. Dem Beklagten sei es darum zu tun gewesen, daß die Arbeit wieder aufgenommen werde. Er habe damit seine eigenen Interessen vertreten. ES frage sich num ob dieses Interesse das größere war, oder das Interesse der Kläger  . Das Gericht habe sich auf den Standpunkt gestellt, daß das Interesse des Beklagten   übetwogen habe. Die angewendete Form von Bestechen sei ein ganz ungeeignetes Wort, aber der Beklagte habe es nicht absichtlich gewählt, sondern sich nur im Aus- druck vergriffen. DaS Gericht habe dem Beklagten deshalb den Z 193 zu gute gehalten. Eine recht weitgehende Zubilligung deS Schutzes berechtigter Interessen. Zu ihr steht in schroffstem Widerspruch die hohe Ver- urteilung von st reitenden Arbeitern, die aus Anlaß des Streits und zur Wahrnehmung berechtigter Interessen sich zu formalen Beleidigungen hinreißen lassen. Schutz gegen Kritiker. Ist eine Sache gut, so schützt sie sich selbst und hält bor der derbsten Kritik stand. Taugt sie nichts, so läuft der über eine tadelnde Kritik Verschnupfte zum Kadi. An diese bekannre Er- scheinung erinnerte eine gestern vor dem Amtsgericht Berlin  -Milte angestrengte Klage. Im Mittelpunkte des Prozesses stand die vom Bunde der Land- Wirte eingerichtete.Prämiens parkasse für Land» a r b e i t e r, Dienstboten und Angestellte'. Die Beleidigungsklage war von dem Oberbürgermeister a. D. Wadehn an- gestrengt und richtete sich gegen den Redakteur der ZeitschriftDer Landarbeiter", Fritz Faaß. Der Kläger   ist Mitglied des Bundes der Landwirte und der geistige Vater und Leiter der genannten Prämien- sparkasse, der Angellagte ist Vorstandsmitglied des 26666 Mitglieder umfassenden Landarbeilerverbandes. Als das Statut der Prämien- sparkaste in einem derDeutschen Tageszeitung' beigelegten und in einem Artikel derDeutschen Tageszeitung" näher erläuterten Prospekt bekannt gegeben worden war, knüpfte sich an das Unter- nehmen in verschiedenen Blättern eine Kritik. Auch derLand- arbeiter' widmete dieser eigenartigen Schöpfung des Bundes der Landwirte mit Recht einen sehr absprechenden kritischen Artikel, öcr unter der Ueberschrift.Sparkassenschwindel der Agrarier' erschien. Das wurmte den Kläger und er erhob Klage wegenwissentlicher Verleumdung'. Für den Angeklagten bestritt Rechtsanwalt Dr. S. R o s e n f e l d die Aktivlegitimation des Privatklägers. Die Bezeichnung.Agrarier' sei ein Kollektivbegriff, der ebensowenig individuell faßbar sei, wie wenn bei Angriffen gegen dieJuden", dasBürgertum" u. dergl. nicht jeder einzelne dieser Kreise als aktiv legitimiert zur Anstrengung einer Beleidigungsklage erachtet werden könne. Der Verteidiger zergliederte des längeren die einzelnen Bestimmungen des Statuts, um nachzuweisen, daß die B e h a u p t u n g, es handle sich um ein gemeinnütziges Unternehmen des Bundes der Landwirte', falsch fei, daß nicht gemeinnützige, sondern eigensüchtige Jnter- essen der Agrarier verfolgt und unter dem Deck- mantel der Gemeinnützigkeit die Arbeiter zum Beilritt überredet würden, um ihn für die Jahre seines Lebens an seinen Arbeitgeber zu fesseln. Die schärfste Kritik gegen die Bestimmungen des Statuts sei in dem Organ des Landarbeiterverbandes dringend geboten gewesen. Deshalb stehe dem Angeklagten der Schutz des § 193 zur Seite, denn seine Kritik habe sich durchaus sachlich gehalten. Das Gericht kam zur Verurteilung des Angeklagten aus folgenden Gesichtspunkten: Die Aktivlegitimation des Privat- klägerS liege vor, denn dieser sei Vorstandsmitglied des Bundes der Landwirte und Leiter und treibende Kraft der Prämien- sparkasse. 8 193 Str.-G.-B. sei dem Angeklagten an sich zugebilligt, denn er vertrete eine Organisation, die in erbittertem Kampfe mit derDeutschen Tageszeitung' und dem Bunde der Landwirte stehe. V e rl e u m d e ri s ch e Beleidigung liege n i ch t vor. Er habe die Dinge von seinem Parteistandpunkte betrachtet, aber leichtfertig ge- handelt, indem er nur die Statuten und nicht den erörternden Ar- tikel derDeutschen Tageszlg.' vor Ausübung seiner Kritik las. Die gebrauchten Ausdrücke lassen die Absicht der Beleidigung erkennen, doch habe das Gericht berücksichtigt, daß es sich um einen parteipolitischen Kampf handle und das Organ des Angeklagten ein Lesepublikum habe, das kräftige Ausdrücke gewöhnt fei. Der Gerichtshof habe deshalb auf 56 Mark Geldstrafe erkannt und dem Privatkläger die Publikationsbefugnis in derD. TageSztg.' und demLandarbeiter" zugesprochen. Mit der nicht vollen Zubilligung des Schutzes des 8 193 des Strafgesetzbuches in diesem Falle vergleiche man den vorstehenden Fall. Dort handelt es sich um ein vermeintliches Interesse eines Arbeit g e b e r s, hier um die dringend erforderliche Wahrnehmung deS Interesses von Landarbeitern. Straßenraub»der Diebstahl au« Not? Der er st«Fall, daß auch von den Geschworene» die Novelle zum Strafgesetz in Anwendung ge« bracht wird, trug sich in der gestrigen Sitzung des Schwur- gerichts des Landgerichts I   zu, welches gegen den früheren Gerichts- diener Sebastian M ä tz l e r eine Anklage wegen Straßenraubes zu verhandeln hatte. Der Angeklagte, dem überall das Zeugnis eines fleißigen und nüchternen Menschen ausgestellt wird, ist von den Stürmen deS Lebens schon hart angefaßt worden. Er hat zehn Jahre beim Militär gedient und ist als Invalide entlassen worden. Mit Hilfe des Zivilversorgungsscheins fand er eine An- stellung als G e r r ch t s d i e n e r bei dem Landgericht in Lissa, wo er sich verheiratete. Eheunglück veranlaßte ihn, nach Frankfurt   a. M. zu flüchten. Dort erhielt er eine Stellung als Postbote. Diese gab er auf, als seine Frau seinen Aufenthaltsort entdeckt hatte. Der Angeklagte kam dann nach Berlin  , wo er als G c l e g e n h e i t s- arbeiter. Kontorbote usw. sein Leben ftistete. Da er auf eine Anstellung als Krankenpfleger in dem Lazarett des IX. Armeekorps in Altona   hoffen konnte, glaubte er sich wieder auf längere Zeit geborgen. Als er jedoch plötzlich seine Stellung bei einer hiesigen Baufirma verlor, die Einberufung nach Altona   sich verzögerte, saß der Angeklagte längere Zeit in Berlin   fest, so daß er auch das zu der Fahrt nach Altona   bestimmte Geld verbrauchen mußte. Völlig n, ittellos und hungernd wanderte er durch die Straßen Berlins  . Plötzlich sah er an der Straßenbahn- Haltestelle am Stettiner Bahnhof eine Dame stehen, die sorglos ein kleines silbernes Täschchen in der Hand hielt, durch dessen Maschen einige Talerstücke durchschimmerten. Die Versuchung, sich durch einen schnellen Griff von aller Rot zu befreien, war zu stark! mit einem schwachen Ruck hatte er der Dame das Täschchen entrissen. In demselben Augenblick war es aber auch mit seiner Kraft vorbei, er blieb ruhig stehen und ließ sich fest- nehmen. Nach fünfmonatiger Untersuchungshaft mußte sich M. nun gestern als 2 tr a ß e n r ä u b e r vor den Geschworenen verantworten. Der Staatsanwalt trat für Bejahung der Schuldftage nach schwerem Raub unter Zubilligung mildernder Um- stände ein, während Rechtsanwalt Dr. Walter Fränkel den Geschworenen nahelegte, nur die Frage nach Diebstahl zu be- jähen, da vost der Anwendung einer wirklichen Gewalt im Sinne des Raubparagraphen hier nicht die Rede sein könne. Ferner bat er, den 8 243» der Novelle zum Strafgesetz in Anwendung zu bringen, nach welchem ein in der Not begangener Diebstahl an gering- wertigen Gegenstände» mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten zu bestrafen sei. Die Geschworenen bejahten nur die Frage nach Diebstahl im Sinne des genannten 8 248». Das Gericht erkannte auf z w e i M o n a t e G e s ä n g n i s. die durch die erlittene Untersuchungshaft als verbüßt erachtet wurden. Außerdem wurde der Angellagte sofort auf freien Fuß gesetzt. Ei» Webcrprozeß. Ein Beleidigungsprozeß gegen den Schriftsteller A. O. Weber  , der über 2>/, Jahre gedauert hat, ist am Mittwoch vor dem Schöffen- gericht Charloltenburg endlich zum Abschluß gekommen. Der An- geklagte hatte in dem bekannten Prozeß des Redakteurs derKönigs- berger Hartungschen Zeitung" behauptet, daß der damalige Theater- kritiker und Redakteur am Feuilleton derPost" und National-Zeitung", Dr. jur. Hugo Äussack, einen Schmähartikcl gegen ihn beabsichtiht habe, der deshalb nicht erschienen sei, weil A. O. Weber derPost" Jnseratenaufträge gegeben hätte. Der Staatsanwalt erhob wegen öffentlicher Beleidigung Anklage, der sich Dr. Russack als Nebenkläger anschloß. Da««erfahren zog fich so außerordentlich in die Länge, da der Angeklagte die Vorsitzenden Richter wiederholt wegen Befangenheit ablehnte. In der jetzt stattgekundenen Verhandlung wurde durch die Zeugen festgestellt, daß Dr. Russack niemals einen Artikel gegen A. O. Weber zu bringen beabsichtigt hat und außerdem von den Inseraten, an denen er als Redakteur auch nicht das geringste Interesse haben konnte» nicht einmal Kenntnis gehabt hatte. Das Gericht verurteilte den Angeklagten wegen Beleidigung kostenpfluchttg z» Verantwortlicher Redakteur: Alfred Wielepp, Neukölln. Für de» ____________ o__________________ 100 M. Geldstrafe________ JnjerateateU derantw.: Xh. Gl»««.»erlin. Druck n«erlag: vorwart» wuchdruckere» u. Verlagsanstalt Kaul Singer»So, Verli»