Mer drang am ig. Oktober 1813 zuerft in Leipzig ein? Von Karl Bleibtreu . An der Stelle, wo früher das Grimmaische Tor stand, erhebt sich seit S0 Jahren ein Denkmal für Karl Friccius , Kommandeur des Königsberger Landwehrbataillons, seines Zeichens Jurist, während unter ihm Regierungsräte, Schullehrer, Kaufleute als Offiziere dienten. Ganz Preußen er- innert sich mit Stolz dieser Waffentat, daß Landwehrmiliz zuerst Leipzigs Tor erbrach. Nicht so der Militarismus, dem jede Leistung eines Volksaufgebots ein Dorn im Auge bleibt. So stellt auch der neueste offizielle Generalstabs- Historiker General Friedrich mit kühler Gelassenheit fest, daß Friccius log und nur dem Pommerschen Füsilierbataillon Mirbach der Ruhm gehört, die Grimma -Vorstadt erstürmt zu haben. Diese Fabel konnte zuvörderst nur durch Umstoßen nicht nur aller vorliegenden amtlichen Berichte, sondern auch aller taktischen Möglichkeiten entstehen. Denn die Pommern- divisiou Borstell griff tatsächlich die nördlichere Strecke am Hintertor an und blieb nach übereinstimmenden! Zeugnis anfangs im Rückhalt, ihr Sturm gegen Ricards Franzosen auf der Milchinsel erfolgte erst um 11 Uhr. Daß Borstell zwei Füsilierbataillone, Mirbach und Cordel, mitten zwischen die Division Homburg gleich anfangs hineingeschoben und diese schon früher als Homburg das von Macdonald der- teidigte und viel südlicher liegende Grimmaische Tor an- gegriffen hätten, wäre daher schon an sich unglaubwürdig. ES widerspricht jeder Gepflogenheit, taktische Verbände so zu zerreißen und sich zweier Bataillone zu entäußern zugunsten einer Nachbardivision, die noch gar keiner Verstärkung be- durfte. Auf Einzelheiten können wir hier nicht eingehen, es genüge das Folgende: Schon um 10 Uhr ging Division Homburg vor, deren Hauptteil sich mehr nördlich an Borstell anschloß, während Bataillon Friccius und zwei ostpreußische � Linienbataillone unmittelbar das Grimmaische Tor bestürmten. Letztere beiden blieben anfangs zurück und konnten den Eingang nicht erzwingen, nachdem die Landwehr ungestüm durch ein Seitenpförtchen sich ins Innere stürzte. Sie bestand dann auf dem Steinweg einen wahren Berserkerkamps, eroberte eine Fahne, nahm einen General gefangen, richtete in wildem Handgemenge ein Blutbad an, wobei einzelne Wehrmänner (zwei werden ausdrücklich genannt) viele Franzosen erschlugen. Dies grimme Wüten der Landwehr wird auch von anderer Seite in„Erinnerungen eines Freiwilligen" bezeugt. End- lich kamen ihnen die zwei Linienbataillone nach, fochten aber jetzt mit größter Energie unter schwersten Verlusten, beide Majore, Helden von Dennewitz , fielen. Jene pommerschen Herrschaften, die der Landwehr ihren Ruhm mißgönnen, übersehen also, daß sie auch eine reguläre Linientruppe be- leidigen, indem sie statt ihrer zuerst Bataillone Mirbach und Cordel mitten zwischen Homburgs Sturmsäulen hinein- schneien und zuerst eindringen lassen. Es spricht Bände, daß von diesen braven ostpreußischen Linienbataillonen nie auch nur im entferntesten Friccius' Verdienst angetastet wurde, daß vielmehr umgekehrt die Pommern sich hüteten, deren Zeugnis anzurufen. Hätten die Offiziere des schon bei Dennewitz so ruhmvoll fechtenden 3. Ostpreußischen Re- giments irgend etwas von Mirbachs angeblicher Tat gesehen und Friccius' Vorrang bezweifelt, so würden sie sich beim entsponnenen Hader als Kronzeugen gemeldet haben. Bis heute aber schweigt man dort hartnäckig, weil vermutlich alle geheimen Akten und Rapporte des Regiments die„Friccius- Legende" bestätigen, aber kein Grund vorliegt, freiwillig in eine dem Militarismus so unbequeme Kontroverse ein- zugreifen. Zudem liegt ja der schriftliche Rapport des tapferen Prinzen Homburg vor, der im Innern neben Friccius schwerverwundet sank, daß die Landwehr sich durch Unerschrockenheit„ganz vorzüglich auszeichnete". Desgleichen schrieb Bülow selbst. Augenzeuge des Kanipfes, am 20. früh ähnlichen Rapport an den König, unweit des Tores, wo er die Oertlichkeit genau vor Augen hatte. Die Genugtuung. Erster Alt. Ort der Handlung: Preußisch»ruf fische Grenze. (Die beiden Kosaken Alexandrowitsch Drimitri und Nikolajewitsch PerzewSky stehen nebeneinander auf Posten.) Dimitri: Nikolajewitsch, Du bist total besoffen. Wenn Dich die Ronde erwischt, gibt es Hiebe und Krummschließen. Du wackelst ja nur so hin und her. Stell' Dich wenigstens an die Telegraphenstange, damit man es nicht so merkt. PerzewSki(lallend): Ich besoffen! Keine Spur. Wette, daß ich nicht besoffen bin. Drei Flaschen Branntwein! GiltS? Dimitri: Einverstanden! Also paß auf! Da drüben auf der anderen Seite des Flusses sitzt ein Junge, so etwa ein zwölfjähriger. Schieß drauf I Wenn Du ihn triffst, bist Du nicht besoffen; schießt Du aber vorbei, mußt Du die drei Flaschen zahlen. P e r z e w s k i: Aber, Di— di— mitri, der Junge— hupp, hupp I— ist auf preußischem Gebiete! Dimitri: Weiß ich. Was liegt an so einem deutschen Schwein. Je eher es krepiert, um so besser. (ÄerzewZki legt an, schießt, der Junge fällt um.) PerzewSki: Gewonnen, gewonnen, hurra! Heut abend trinke« wir drei Flaschen. Zweiter Akt. (Kabinett deS russischen Ministers deS Aeußern. Der Minister liest ein Schriftstück, brummt ab und zu: Quatsch, dummes Zeug. Buckel hinaufsteigen! Dann läutet er seinem Sekretär. Dieser tritt ein.) M i n i st e r: Hören Sie, der deutsche Botschafter schreibt da, ein russischer Grenzkosak habe ohne jeden Grund einen Knaben, der auf preußischem Gebiet war, erschossen. Die Geschichte stimmt ja auffallend, aber deswegen brauchte man kein solches Geschrei zu machen. Das Schießen auf lebende Menschen ist immer praktischer als da« auf Scheiben, weil man dabei keine Zieler nötig hat. Fällt einer um, ist er getroffen, fällt er nicht um, hat der Schütze gepatzt. Uebrigens merkt man der Schreiberei des Botschafters genau an, daß sie nicht ernst gemeint ist. Sie kennen ja den Berliner Stil an uns. Es steht immer zwischen de» Zeilen: Entschuldigt doch, daß wir auf der Welt sind. Setzen Sie also ein Schreiben auf. in dem wir dem deutschen Botschafter unser Bedauern aussprechen. Aber ja nicht devot! Berstanden I Nur so, wie man sich bei einem Lakaien entschuldigt, dem man aus Versehen auf die Hühneraugen Traut man beiden Generalen so parteiliche Liebe für die Landwehr zu, um ihr grundlos eine Glorie anzudichten, die höchstenorts auf wenig Beifall rechnen durfte? Nachfolgende Historiker boten zwar eine Blumenlese von Widersprüchen, verwechseln Hinter-Grimma-Hospitaltor, zumal auch der un- glaubliche Bernadotte eine Bulletin-Demonstration ausführte und seine Schweden ins Vordertreffen seiner verlogenen Dar- stellung führte. Diese rückten lange nach Friccius ein, der- loren nur 9 Offiziere, 169 Mann, nicht 10, 300, was schon Friccius' Geschichtswerk anzweifelte, der auch hierin seinen sicheren Blick und gesunden Instinkt für die Wahrheit bewies. Das Hintertor, wo allein Borstells Pommern fochten, wurde mit Hebebäumen eingeschlagen und ohne sonderliche Mühe deshalb genommen, weil des Gegners Aufmerksamkeit durch Friccius' Eindringen abgelenkt wurde. Aus vielen Indizien er- gibt sich, daß das Bataillon Mirbach sich auf der Mauerstrecke zwischen Grimma - und Hintertor durch ein Gartenpförtchen einschlich, was man dann frischweg auf die von Friccius mit Kolben durchschlagene Bretterzaunlücke am Grimmator über- trug. Alles, was Mirbachs Aufzeichnungen und die späteren Fabeleien seiner früheren Offiziere über die Oertlichkeit vor- bringen, widerspricht schnurstracks den Verhältnissen am Grimmator. Die Junkermilitärs blieben freilich darauf verpicht, dem Volke die Genugtuung zu rauben, die Landwehr habe zuerst Leipzig betreten. Das macht einen um so kümmerlicheren Eindruck, als die pommerschen Regimentsgeschichten, aus deren Prahlerei der Irrwahn aufwuchs, in ihrer Wahrheits- liebe ohnehin mehr als verdächtig sind. Sie bieten sowohl falsche Verlustangaben als lächerliche Trophäenziffern, was wir hier nicht näher erörtern können. Nun ja, es mußte durchaus ein adeliger Berufsmilitär, beileibe kein bürger- licher Landwehrzivilist gewesen sein. Solchen Leuten scheint ein obskurer Kommisoffizier eben eine vornehmere Figur als der spätere Generalauditeur der Armee, der bei Ligny wiederum als Oberst der Ostfriesischen Landwehr hervor- ragende Friccius. Allerdings war er ja„oben" übel ange- schrieben wegen seiner antifeudalen Tendenz und Frontnahme gegen die Demagogenhetze. Hiue illae irae! Doch schon Sporfhill und vor allem der inaßgebende Oberst Oster 1853 gaben Friccius die gebührende Ehre. Aus Mirbachs hinterlasse- nem Geschreibsel geht nur dessen eigene Eitelkeit hervor. Sein Verweilen bei Lobsprüchen, die ihm schwedischerseits gemacht seien, zeugt wahrlich nicht von bescheidener Zurückhaltung. Friedrich aber beschuldigt auch jetzt noch Friccius des eitlen Ehr- geizes, ja brandmarkt einen anerkannten Ehrenmann wie ihn unverhohlen zwischen den Zeilen als bewußten Lügner. Nein, umgekehrt: daß Mirbach bei Lebzeiten mit keiner Silbe gegen Friccius protestierte, nicht mal die„Beihilfe" der Landwehr erwähnt, nimmt bedenklich gegen ihn ein. Denn seine erst so lange nachher für ihn eintretenden Offiziere bezeugten ja selber, daß Friccius' Leute„tapfer halfen". Hier liegt aber nur allgemeine Verwirrung und Verwischung der Tatsachen zugrunde. Denn Mirbach focht eben überhaupt nie am Grimmaischen Tor, sondern gelangte erst spät von rechts her auf den Steinweg durch eine Nebengasse, als Ricard vom Gerbertor wich: also mag er im auflösenden Gefecht ebenso- wenig Friccius«wie dieser ihn gesehen haben. Dagegen er- zählt Friccius ausdrücklich, daß ihn Pommern von rechts zu- letzt unterstützten, nachdem er und später die zwei ostpreutzi- schen Linienbataillone schon eine volle Stunde am Steinweg rangen. Man will gar noch unliebsame Folgerungen aus dem verächtlichen Schweigen ziehen, das Friccius nach kurzer schlagender Widerlegung fortan dem Pommerngerede ent- gegensetzte. Doch seine Tat. für die er das Eiserne Kreuz 1. Klasse und von Bernadotte , der also als Augenzeuge die Wahrheit kannte— trotzdem die Mirbachgemeinde gerade ihn fälschlich Mirbachs Angriff überwachen läßt—, den schwedischen Schwerterorden erhielt, war ja allbekvnnt. Wie schon erwähnt, prägte sich auch in„Erinnerungen eines Freiwilli. gen", abgedruckt im konservativen„Soldatenfreund", die Ueberlieferung eines besonders schrecklichen Gemetzels der Landwehr unauslöschlich ein. In„Erinnerungen eines Vete- getreten ist. Die Gesellschaft darf nicht verwöhnt werden. Sie muß immer stlhlen, daß sie eigentlich russisch ist. So nebenbei, aber nur so nebenbei, flechten Sie ein, daß Untersuchung eingeleitet ist. Lassen Sie das Schreiben auch von einem Schreiber fertigen, der möglichst schlecht schreibt. Die da drüben sollen nur merken, daß wir auf ihre Wische nichts geben. Nun machen Sie die Sache!(Nickt, der Sekretär ab.) Dritter Akt. Der Minister schreibt hierauf folgende Karte: Mein lieber Kriegsminister! Der Kofake Nikolajewitsch Perzewski scheint ein ausgezeichneter Schütze zu sein. Er hat neulich auf 500 Meter Ent- kernung einen Jungen, der auf preußischem Gebiet war. mit Kopf« schuß tadellos getroffen. Nach der Aussage seines Nebenpostens Alexandrowitsch Dimitri war er dabei vollkommen betrunken- Sorgen Sie doch dafür, daß Perzewski Unteroffizier mit der Aus« ficht auf Beförderung zum Offizier wird. Solche Leute sind die besten Feldzugssoldaten. Mit vielen Grüßen Ihr(Unterschrift unleserlich). foiltur. Kultur! Mit diesem Begriff habe ich mich zum ersten Male bewußt und eingehender beschäftigt, als ich durch ein« große Gärtnerei ging. Es gab da sehr viel Schönes zu sehen, und ich sagte:„Was doch die Natur alles an wunderbaren Dingen hervorbringt!" „Und unsere Arbeit— nicht zu vergessen!" fügte mein Freund, der Gärtner, hinzu.„Es ist wie mit Kindern. Ihren Charakter bringen sie mit zur Welt und gewisse Eigenschaften auch. Was schlecht und unnütz daran ist, muht du beschneiden und unter- drücken. Das Gute aber will gepflegt und gehütet sein. Sieh, das hier sind unsere Pflanzenkinder." Da war eine Abteilung, sorgsam eingehegt und besonders sauber von Unkraut gehalten: lange Beete mit winzigen Blumen, kleinen Büschen, niedrigen Bäumen. Jede einzelne Pflanze offen- barte es: hier arbeiteten fürsorgliche Hände an ihrem Gedeihen, hier räumten behutsame Finger alles aus dem Wege, was die Ent- Wickelung hemmen, das Wachsen hindern konnte.- Hier war über Zehntausenden von Pflanzen ganz offensichtlich ein ernstes, immer- währendes Nachdenke»! in Tätigkeit, um die kleinen Blumen, Büsche, Bäume nwglichst unbeschädigt aus dem Stadium der Kindheit in da? der Vollendung hinüberzuführen. Aus einigen Blumen sollten neue, wunderbare Variationen mit nie gesehenen Blüten hervor- gehen, in den Büschen wünschte man die besten Qualitäten meh- ranen", herausgegeben von F. Pflug, wird obendrein die Mirbachepisode ganz getreu aufs H i n t e r tor verlegt. Obwohl Friedrich aus den Feldakten feststellt, daß das Bataillon Mirbach erheblich litt— im vollen Gegensatz zu un- wahren Angaben der Regimentsgeschichte von Moch—, so erklärt sich dies geniigend durch den heftigen Kampf am Hintertor, wo die Pommern erst durch einen Vorstoß Marmonts, dann durch die Hessen zurückgeworfen wurden. Jedenfalls blieben alle pommerschen Verluste hinter denen des 3. Oswreußischen Linienregiments zurück, selbst die höchsten Ziffern erreichen aber nicht entfernt die Einbuße des Landwehrbataillons, das mit 6 Offizieren und 174 Mann(von 450) ohnehin den Rekord schlug, dabei obendrein mit 7 0 Toten und 30 t ö d- l i ch Verwundeten in der Kriegsgeschichte überhaupt groß dasteht: über 20 Proz. Tote wesentlich durch Nahkampf mit blanker Waffe! Nach dem Prozentsatz zu schließen, sind bei 74 sonstigen Verwundeten nur die Schwerverwundeten in der Liste geführt, bei neun unversehrten Offizieren waren alle Kleider von Kugeln durchlöchert. Dieser ungeheure Ver- lust schlägt also schon allein die alberne Attacke gegen die Landwehr siegreich ab, Blei und Stahl treffen unparteilich ohne Auswahl Landwehr und Linie, demnach muß das Bataillon Friccius etwas Besonderes getan haben, um durch solche Opfer hervorzuragen. Etwas Besanderes fände sich aber nirgends als gerade in der— Wahrheit! Daß der biedere von Mirbach gewiß auch seine Schuldig- keit— an anderer Stelle!— tat, bestreitet niemand. Wir möchten also den ganzen Kampf um des Kaisers Bart ignorieren, wenn mir nicht als Verwandtem von Friccius die Pflicht obläge, Verunglimpfung seines Andenkens aufs schärfste zurückzuweisen, und wenn nicht die Motive der Gegenpartei ein so fatales Licht auf die feudale Unter- strömung der Befreiungskriege würfen. Das eigene Volks- Heer scheint diesen Kreisen verhaßter als der Landesfeind. Den Anlaß, uns statt offenkundiger beglaubigter Wahrheit ein Märchen aufzubinden, liefern dem Militarismus hier nur hochmütige Ueberhebung und gehässiger Neid. Manches haben„klassische" Kriegshistoriker gesündigt, was sich durch Mängel des Wissens entschuldigen läßt. Kann aber verziehen werden, daß man kritiklos die alte Mirbachfabel aufwärmt, bloß aus voreingenommenen Berufsdünkel, beflissen, einem verehrungswürdigen Verstorbenen sein Ansehen zu schmälern, ihm sein Verdienst zu entziehen, ihn sogar als renommisti- schen Schwindler der Verachtung preiszugeben? Das deutsche Volkstum hat ein gutes Recht, diesem Uebergriff entgegen- zutreten, denn mit Friccius soll die Landwehr selber, d. h. das Prinzip des wahren Volksheeres herabgesetzt und der beleidigte Militarismus, der jedes kriegerische Verdienst für sich gepachtet zu haben wähnt, an einem Erbgut volkstüm- licher Geschichte gerächt werden. Wir verbitten uns solche Versuche, dem wahren Geist der Befreiungskriege ein Schnippchen zu schlagen. Versklavung der Intelligenz. Zu den ehrwürdigsten Ladenhütern der bürgerlichen Presse gehört die Behauptung, daß die sozialistische Gesellschaft ein großes Zuchthaus sein werde und daß sich nur in der individuell-kapita- listischen Gegenwart die menschlichen Kräfte frei regen könnten. Der bekannte Gartenarchitekt Leberecht Migge teilt nun in der„Hilfe" ein persönliches Erlebnis mit, daS die kapitalistische „Freiheit" in einer sonderbaren Beleuchtung erscheinen läßt. Herr Migge hatte einer Hamburger Firma in zehnjähriger Tätigkeit gedient, und in diesen Jahren war die Firma aus be- scheiden«» Anfängen zu geschäftlichem Ansehen emporgestiegen. Nichtsdestoweniger wagte die noble Firma, ihm einen Vertrag zur Unterschrift vorzulegen, in dem sich unter anderem folgende Sätze befanden: „Alle von der Firma hergestellten Pläne, Skizzen, Modelle und Photographien usw., auch soweit sie das geistige Eigentum des Herrn Migge sein sollten bezw. unter seiner Leitung zustande gekommen sein sollten, sind und bleiben Eigentum der Firma Jacob Ochs.... Eine selb- ständige öffentliche Vertretung oder sonstige rercr Heckensträucher zu bereinigen, und in den winzigen Bäumen ruhte die Aufgabe, saftige Riesenfrüchte von hervorragendem Wohl- geschmack zu produzieren. „DaS sind die Kulturen," sagte mein Freund.„Du glaubst gar nicht, wie schwer und mühevoll es ist, sie vor dem kleinen und großen Raubzeug zu schützen. Auch das Unkraut, zehnmal ausgc- rissen, wuchert immer wieder— weiß der Himmel, warum es ohne alle Pflege, trotz der entschiedensten und unablässigsten Bekämpfung so wunderbar gedeiht, während die edlen Pflanzen oft schon nach einem kleinen Nachtfrost hin sind. Ja, die Kulturen, weißt Du, machen Arbeit, aber man hat nachher auch seine Freude dran, wenn etwas daraus geworden ist." ?lha, dachte ich, Kultur: das ist also Veredlung, Fortschritt, Entwickelung, Aufwärtsstreben zum Großen, Guten, Schönen. Und ich erinnerte mich, häufig gelesen und gehört zu haben, daß wir in einem Kulturstaate, in einer Kulturwclt leben, er- innerte mich, daß man täglich von Kulturnationen, Kulturmensch- heit, Kulturbestrebungen und dergleichen spreche— im Gegensatz zu jener rohen Welt, die man Naturmenfchheit nennt, die dahin- lebt in gedankenloser Unwissenheit, in Barbarei und Wildheit, nur beherrscht von den dumpfen Instinkten eines nahrungsuchenden Daseins, das weder Entwickelung noch höhere Ziele kennt. An diesem Tage bin ich, glaube ich, um einen halben Zoll ge- wachsen— so ganz aus innerer Befriedigung heraus. Denn ich bin im Kulturstaate Preuße« geboren und habe von seinen Kultur- Mitteln mehrere Dorf- und Volksschulen genossen. Auch den Rohr- stock. Ja, ich gestehe: immer stolzer wurd' ich. Denn es verging kaum e i n Tag, an dem ich nicht irgend etlvas las oder hörte, was meinem Kulturhochmut neu« Nah- rung gab. Bald war's ein medizinischer Professor, der die Fortschritte in der Heilkunde als„glänzende Zeugnisse unserer blühenden Kultur" feierte, bald erhob sich ein Philosoph, ein Nationalöknonom, ein politischer Redner,«in Dichter oder ein Techniker, der begeistert von den„Triumphen unserer modernen Kultur" sprach und feststellte, daß man sich ,woll Stolz einen Angehörigen der ersten Kulturnation nennen dürfe". So oder ähnlich. Daß ich damals nicht bis in die Wolken gewachsen bin! Wie herrlich! dachte ich. Unser Leben ist also durchtränkt und beherrscht von dem Bestreben, das Gute, Edele und Schöne zu för- der» und alle Volksangehörigen emporzuführen zu einem voll- endeten Dasein, in dem jeder einzelne die größtmögliche Entwickc- lung erreicht. Die Kultur, dachte ich, auf den Menschen und seine Umwelt angewandt, muß der gärtnerischen Kultur ja sehr ähnlich sein, im tiefsten Sinne dasselbe.
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