gen so?, die die Verbindung mit der Zivilisation notdürftig ljer« stellen. Die Zeitenrchr geht hier allerdings um eine Woche nach und die großen Ereignisse der Weltgeschichte sind in den großen, kurz- lebigen Kulturzentren bereits vergessen oder durch andere ver- drängt, aber für uns in unserer Abgeschiedenheit haben die Er- eignifse erst jetzt den Wert des Neuesten. So wartet auch heute wie an jedem Posttag eine Anzahl mit Spannung auf die Zeitun- gen, die sie auf kurze Zeit über die Einsamkeit hinweghelfen und den harten Kampf ums Dasein vergessen lassen. Hart ist der Kampf ums Dasein hier in der Zone des ewigen Frühlings, wo die Sonne nur allzu oft den Boden ausdörrt oder die Heuschrecken Wüsteneien hinter sich zurücklassen und den Land- mann um die Früchte seiner Arbeit bringen in schlechten Jahren. In guten muß er zur Bereicherung derjenigen dienen, die ihm alles, vom Blechlöffel bis zur letzten Ackerbaumaschine, mit l Ott Pro- zent Aufschlag vorstrecken und für das Geld, das der Pächter schuldig bleibt, schuldig bleiben mutz, außerdem Wucherzinsen be- rechnen. Die ihm seine Ernten, die er, da ihm die nötigen Räum- lichkeiten mangeln, sobald wie möglich zu jeder Bedingung los- schlagen muß, zu den niedrigsten Preisen abkaufen. Es ist überall dasselbe Elend, bis auch hier einmal das Wort aus dem Liebe Wahrheit wird:„Wenn Du müde Deiner Last in die Ecke lehnst den Pflug, wenn Du rufst: Es ist genug!" Der Postwagen ist angelangt und nach Abladen der Sen- düngen bereits wieder in voller Fahrt gen Süden davongesaust. Bald hält auch der erste der Farmer die erwartete Zeitung, das in Buchform herausgegebene Wochenblatt des in Buenos Aires erscheinenden„Deutschen Tageblattes" in Händen und blättert nachlässig darin. Plötzlich ein verwunderter Blick und im nächsten Augenblick die Worte:„Bebel ist tot!" Bebel tot? tönt das Echo von den Lippen aller Anwesenden zurück, und es klingt ein Ton des Schmerzes und des Bedauerns hindurch. Jeder drängt sich um die Zeitung, die ein wohlgetroffcnes Bildnis des großen Toten bringt. Aufmerksam und andächtig lauscht jeder der Vor- lesung der dem Toten gewidmeten sympathischen Worte der Re- daktion. Keiner der Anwesenden hat Bebel je gesehen und nicht viele wohl das, was von ihm geschrieben wurde, gelesen, und doch ist jedem in diesem Augenblick, als wenn ihm ein Stück seiner selbst mit dem Tode Bebels verloren ging. In der fernen, fernen Schweiz starb einer, dessen ganzes Leben Kampf für die Enterbten war, und hier im fernen Urwald ruft sein Tod schmerzliches Bedauern hervor bei Menschen, die weit entfernt von allen Zentren der Kultur, losgelöst von allen Verhältnissen der Heimat und allem politischen Ringen den harten Kampf mit der Natur führen! Was sind das für unsichtbare Fäden, die von jener Schweizer Stadt hierher führen? Es ist der Instinkt, der jedem Unterdrückten zum Bewußtsein bringt: Du hast einen Kämpfer auch für deine Sache verloren, dort, jenseits des Ozeans, ging ein Leben zur Rüste, das auch für dich gestritten und gelitten hat. Von der Poststation der kleinen Kolonie wandern die Kalo- nisten in die Einsamkeit ihrer Farmen zurück, und mit ihnen geht die erschütternde Neuigkeit: Bebel ist tot! Aber sein Andenken wird fortleben hier im Urwalde wie überall in der Welt. Vom"Zakrmarkt cles Gebens. parinoten. Der Glanzpunkt des ganzen JahrhundertfeierrummelS, die fest- liche Enthüllung des Bölkerschlachtdenkmals bei Leipzig , rückt immer näher. Es nimmt daher nicht wunder, daß die bürgerliche Presse sich bemüht, durch Reklamenotizen das Interesse derer zu wecken, die bisher versäumt haben, einen der noch zahlreich vorhandenen Tribüncnplätze zur Enchüllungsseicr— Preis 105 M.— zu erwerben. Aber auch für die Patrioten, deren Geldbeutel zu schmal ist, um die Spritztour nach Leipzig mitzumachen, muß natürlich gesorgt werden. Auf zahlreichen Festkommersen wird bei schäu- mendem Glase ihre Begeisterung geweckt werden. Die Arrangeure dieser Veranstaltungen durchleben zurzeit arbeitsreiche Tage. Denn es ist wahrlich nicht leicht, den Patriotismus in die richtigen Bahnen zu lenken. Am Tage des Kommerses muß alles klappen. Da mutz vorgesorgt sein, daß bei der zündenden Ansprache, die natürlich in ein Hoch auf den allerhöchsten Kriegsherrn ausklingt, die Musik zur rechten Zeit einsetzt und dann nicht etwa mit dem üblichen„Hoch soll er leben!" beginnt und mit einem„Ein Prosit der Gemütlich- keit" schließt. Bei so feierlichen Gelegenheiten geziemt es sich, das Lied von der Wonnegans nach dem Hoch zu intonieren. Und dann die Schwierigkeiten mit den Festrednern. Was hilft es, daß der Kriegervereinsvorsitzende Lehmann tapfer seinen Mann steht, wenn es den Sturm auf eine Geburtstagslage gilt. und doch bei jedem Versuch, eine Rede zu schwingen, stecken bleibt und vorschnell mit einem schlichten„In diesem Sinne, prost Käme- raden" seine rednerische Leistung beschließt. Da heißt es also bei- zeiten Vorsorge treffen, die Allzukühnen, die sich gern reden hören, beiseite zu schieben, damit nicht hinterher der ganze Verein bla- miert ist. Erfreulicherweise hat ein Schulmann, Rektor K o h st a l l. der aus seiner Vereinspraxis wohl solche tragikomischen Vorkommnisse kennt, die Gelegenheit beim Schöpse genommen, und die Behaup- tung, daß man die Begeisterung nicht auf Flaschen ziehen könne, glänzend widerlegt durch Herausgabe von zwölf volkstüm- lichen und zündenden Festreden und Ansprachen zur Völkerschlachtseier. Immerhin ist für Feftrediier evangelischer Konfession etwas Vorsicht geboten, da der Herr Rektor seine Festreden in der christlich-katholischen„Germania " anpreist. Bei der manchmal etwas eigenartigen Stellung des Zentrums zur Monarchie und zum Vaterlande könnten am Ende die volkstüm- lichen und zündenden Festreden des Rektors Kohstall nicht d i e Begeisterung auslösen, die von den diversen Festleitungen gewünscht wird. Wenn wir einen Vorschlag für eine patriotische Festrede machen dürfen, dann möchten wir auf einen recht dankbaren Stoff hin- weisen. Durch die Presse geht eine?kotiz, wonach eine ganze An- zahl Familien aus Straßburg und Colmar beschlossen hat, ihren bisherigen Wohnsitz nach Genf zu verlegen. Durch den Wohnsitzwechsel wollen sie dem einmaligen Wchrbei- trag entgehen. Ueber diese patriotische Leistung ließe sich schon eine ganz nette Festrede schwingen. Mer anclern eine Grube gräbt... Vor einiger Zeit hatte in Berlin ein Rechtsanwalt Schwabe die Lachmuskeln seiner lieben Nächsten in Bewegung gesetzt. Er ist ein braver Bürger und empfand es daher als einen Schimpi, daß er mit dem sozialdemokratischen Rechtsanwalt Karl Lrebcknecht einer Anwaltskammer angehöre. Sein nationaler Eifer trieb ihn dazu, gegen Genossen Liebknecht ein Verfahren bei der Anwaltskammer auf Ausschluß Liebknechts zu beantragen. Damit war es aber nichts. Das erbost« Herrn Schwabe so. daß er den Rat Wilhelms II. befolgte und den Staub Berlins von seinen Füßen schüttelte. Die Auflösung seiner hiesigen Praxis soll ihm nicht allzu schwer geworden sein, schon um deswegen, da er bis zu seinem mutigen Auftreten geg«n Liebknecht in den weitesten Kreisen unbekannt war. Schwabe zog nach Koblenz . Dort, in der Stadt, wo die verstorbene Kaiserin Augusta so gern weilte, glaubte er einen besseren Muttsrboden für sein nationales Emvfinden zu finden. Als guter Bürger suchte er Fühlung mit den Honoratioren. Das kommt nämlich gewöhnlich nicht nur dem Menschen, sondern auch dem Gewerbe zugute. Aber auch in Koblenz wurde sein mann- Haftes Auftreten gegen den Umsturz schnöde verkannt. AIS sich Rechtsanwalt Schwabe um Zulassung zum dortigen Zivil» kasino, einer Vereinigung der angesehensten Herren der Ko- blenzer Gesellschaft, bewarb, wurde er abgelehnt. Rechtsanwalt Schwab« ist von doppeltem Mißgeschick betroffen worden. Er mußte nicht nur erfahren, daß der Prophet nichts in seinem Vaterlande gilt, sondern daß man vom Propheten auch in der Ferne manchmal nichts wissen will. Vielleicht versucht er'S nun anderswo? Jugend ein ausgesprochen politisches. DaS sollte den jungen Burschen zu denken geben, die sich auf dem Hohen Meißner mit dem ausgesprochenen Willen zusammenfanden, Politik von ihren Bestrebungen fernzuhalten. Damit haben sie von voniherein die Nabelschnur zerschnitten, die ihr Werk mit der lebendigen Volksschaft verband, damit haben sie sich der stärksten Fähigkeit, zu wirken und zu schaffen, begeben. Sie werden mit Liedern und Fackeln den Hohen Meißner be- steigen, dort ein Biwack abhalten und den Sonntag mit Spielen und Reden begeistert verbringen, aber sie werden bei ihrem Abstieg in der Nacht zum tverktäglichen Montag nichts in die Niederung mitbringen als Gefühle und einige wenig dauerhafte Begeisterungen. Wenn sich die Jugend heute wirksam zusammenschließen will, dann kann es nur auf politischer Grundlage geschehen. Heute, wo der große Kampf gegen den Klassenstaat im Gange ist und jedes Jahr die Entscheidung bringen kann, wird einem alles unter den Händen zur Politik. Was hilft es denn, wenn der Freideutsche Jugendtag für ein paar Semester jugendlich-begeisterte Gemüter zu einein unklaren Freiheits- taumel vereint, wenn diese jungen Menschen gleich nach dem Examen in die ersten Kampfreihen des Staates treten, dem jede freiheitliche Regung den Krieg ansagen muß. Wenn sie zufrieden und korrekt an der L�rippe anfangen wiederzukäuen, die wir umstürzen wollen. Dann fällt eben ihr ganzes Tun und Treiben unter die beruhigende Devise: Jugend muß stch aus- toben I und auch sie werden nach der staatlichen Abstempelung brav, dumm und faul und zum Staatsdiener immer geeigneter. Ein solches Strohfeuer ist schlimmer, als die blödeste Korpsier- Reaktion, weil es auch wirklich freiheitliche Kräfte zum Spiel verzehrt und die Kampflinien verwischt. Den Streber, den kann man mit Ohrfeigen oder Gelächter bekämpfen. Den scheinbaren Freigeist aber kann man erst dann entlarven und unschädlich machen,'.venu er Regierungsreferendar geworden ist. Die Jugend, die uns etwas nützen kann, muß nicht auf eine Erneuerung des Studentenlebens allein ausgehen, sondern sich weigern, am Ende der Universitäts - zeit dem Vater Staat demütig in die Arme zu sinken. Sie darf nicht in Gefühlen machen, sondern in Taten. Sie muß nicht den Studenten reformieren, sondern den Philister, der dann von Jugendtorheiten spricht, wenn er nichts mehr ver- trägt. Ein solches Reforniationsfest kann man aber nicht romantisch auf Berggipfeln abhalten und mit unklaren Worten garnieren. Der richtige Platz für eine Verschwörung der Jugend gegen die Reaktion wäre die Vorstadt Berlins , wo sich die Ar- beiterwohnungen wie Gefängniszellen aneinanderreihen, wo keine goldenenHerbsttage, sondern rußige, geschwärzte Arbeitstage über den sechsstöckigen Mietskasernen lagern. Da fände das Wort von der freiheitlichen Jugend die richtige Illustration in einer geknebelten, von Lust und Schönheit ferngehaltenen Gene- ration, da würden verwelkte Weiber und arbeitsgemarterte Männer die richtige Antwort auf den Ruf vom billigen Patriotismus geben. Da ständen in Reihen die Märtyrer des heutigen Prcußen-Deutschlands und zugleich die Bataillone der künftigen Schlachten. Denn hier sähe die sorglose, träum- selige Jugend mit eigenen Augen die eherne Umkehrung des bluttriefenden Wortes der preußischen Könige:„Die Welt ruht nicht sicherer auf den Schultern des Atlas, als die künstige Freiheit auf der gärenden Kraft der Enterbten! Bebel ilt tot! Ein Bild aus dem argentinischen Urwald. Aus der argentinischen Provinz Santa Fe wird uns folgender Brief gesandt: Posttag! Vor der Poslstation einer kleinen Kolonie im fernen Argentinien hat sich eine Anzahl der in meilenweiter Runde wohnenden Kolonisten zusammengefunden und wartet sehnsüchtig auf das Auftauchen des Postwagens, der heute die Zeitungen brin- Der Eisenwerker. Meine Wiege stand im Grünen— und die rührende Baracke, die mein Knabenglück geschaut — Gärtchen d'rum mit Karst und Kacke, jeder Busch und Pfad vertraut— hat den irdischen Weg genommen ist schon längst hinabgeschwommen und mit ihr die Jugendzeit auf dem Strom Vergänglichkeit. Keimat ward mir jetzt die Arbeit: wenn die Kalle dröhnt vom Stampfen der Maschinen, Röhren dampfen, Räder sausen, Funken sprühn, Eisen in der Esse glühn— wenn ein einziger Fingerdruck, lautlos schier und ohne Ruck, ungeheure Erzlast hebt, bis sie leicht und drehbar schwebt: fühl ich: hier quillt deine Stärke, und von diesem Riesenwerke bist du ein gewichtig Glied— sing ich mir ein eisern Lied... Aber manchmal im Gewühle und von Glut und Dampf umwallt, hör ich Kinderlied und Spiele traumhaft ziehn durch Flur und Wald: And ich wähne, daß die Wiege, daß die Keimat meiner Kinder wieder drauß' im Grünen liege, fem von Eisenlärm und Schlacke— ach, und wärs ein Küttchen nur, war- nur eine Kolzbaracke,, während eine Jugendzeit, an dem Strom Vergänglichkeit. Ludwig Scharf . Oer Irrsinnige. Ein Erlebnis von Sepp Oerie r. Als ich in diesem Frühjahr während des Generalstreiks in Belgien weilte, besuchte ich auch das Industriegebiet von Charleroi . Ich fuhr von Brüssel zuerst nach Namnr und bestieg nach einem kurzen Aufenthalt dort den Zug Lüttich — Möns. Im Eisenbahnabteil traf ich eine Gesellschaft von drei Geistlichen an. Ich ließ mich ihnen gegenüber auf einer Bank nieder. Auf derselben Bank saß noch ein älterer Mann. Er trug ebenfalls ein geistliches Ge- wand. Sein langer, ungepflegter, stark grauer Bart ließ mich jedoch daran zweifeln, ob er wirklich dem geistlichen Stande an- gehöre. Die drei Geistlichen mir gegenüber beteten eifrig in ihren Brevieren. Sie bekreuzten sich, schlugen auf die Brust und schienen für ihre Umgebung keine Augen zu haben. Zwei von ihnen waren noch sehr jung; der älteste hatte ein recht edeles Gesicht. Er ver- unstaltete es selbst durch die stechenden Blicke, welche er auf den alten Mann aus meiner Seite und hie und da auch aui seine jüngeren Begleiter und mich warf. Mich interessierte der Priester, und ich beobachtete rhu so unauffällig, als es möglich war. Aber so oft ich von meinem Zeitungsblatte zu ihm hinblickte, immer ruhte sein Auge schars, durchdringend und mit einem hochmütigen und beleidigenden Mitleid aus dem Alten. Man sah es, daß er gar nicht bei seinen Breviergebeten war, so lebhaft er auch seine Lippen bewegte, so groß er seine Kreuze schlug und so dröhnend er auf seine Brust klopfte. Wir hatten eben die Station Jemeppe hinter uns, als der Alte plötzlich ganz nahe an mich heranrückte und mich flüsternd fragte: „Was tat Jesus von Nazareth bis in sein dreißigstes Lebens- jähr?" Ich war durch diese Frage einigermaßen überrascht. Und da ich jedes französische Wort erst im Kopf ins Deutsche übersetzen und die Antwort wieder vom Deutschen in das Französisch« und überhaupt nicht recht wußte, was ich antworten solle, starrte ich den alten Mann eine Zeitlang vlelleicht nicht besonders klug an. Er wartete auch meine Antwort gar nicht ab, sondern sagte, indem er sich von seinem Platze erhob, laut und feierlich: „Jesus von Nazareth hat gearbeitet bis in sein dreißigstes Lebensjahr, treu und fleißig gearbeitet." Als er diese Worte gesprochen hatte, setzte er sich wieder hin und blickte die drei Geistlichen vorwurfsvoll an. Der Aelteste von ihnen schien zuerst etwas sagen zu wollen. Eine glühende Loh« war ihm in das Gesicht geschlagen. Doch er gab sich einen kleinen Ruck, schwieg, zog einen Rosenkranz hervor und begann mit strengen, aus den Alten gerichteten Blicken zu beten. Die beiden anderen Geistlichen svlgten sofort seinem Beispiel. Die Rosenkranz- perlen rollten durch ihre Finger, die Lippen bewegten sich mechanisch und aller Augen waren auf den alten Mann gerichtet. Die Szene war peinlich und ein wenig lächerlich. Ich konnte nicht anders und mußte lächeln. Es trug mir strenge, verweisende Blicke ein. Der Zug führte uns allmählich in industriellere Gegenden. Er rollte vorbei an Fabrikanlagen, Hüttenwerken, Kohlengruben, und all diese Werke standen still. Die Arbeit ruhte. Hoch in der Luft an ihren Drahtseilen hingen die Karren, welche den Schutt aus den Kohlengruben über die Bahn hinweg auf das jenseitige Ufer der Sambre beförderten und dort kleine Gebirge aufschütteten. In den Straßen der Orte, die wir durchfuhren, sah man die Ar- beiter mit ihren Frauen und Kindern spazieren gehen. Ich sah eine Weil« durch das Fenster auf die vorbeihuschenden Szenen. Der Alte war anscheinend meinen Blicken gefolgt. Er rückte mir wieder näher und sagte sehr ernst: „Sehen Sic, wie alles tot und erstarrt ist, weil die Arbeit ruht. O die Arbeit, sie ist der Herzschlag eines Landes. Aber man erkennt es nicht, will es nicht erkennen. Man verachtet die Arbeit. Und so haben die Drohnen mehr Recht als die Arbeiter, die dem Lande Leben und Nahrung geben." Ich nickte nur, und der alte Mann sprach weiter: „Wenn aber das Herz still steht, dann kommt die Verwesung. Einige Wochen noch— und alles bricht zusammen. Die Erde wird ihren Schoß geschlossen haben und kein Brot mehr den Fabriken, den Bahnen, den Werken für Licht und Kraft geben. Sie müssen verhungern. Es wird ganz stille werden und finster, finster im Lande, finsterer, als es schon ist." Er schaute mit weit aufgerissenen Augen in das Leere und hob die Hand: „Aber nein, ein Licht scheucht die Finsternis hinweg, ein strah- lendes Licht. Ah, wie es strahlt und den Erdball erleuchtet. Die Arbeitenden tragen es. Sie geben der Arbeit die Achtung zurück, und die Ehre und die Herzen der Länder beginnen wieder zu schlagen!" Die Augen deS Alten leuchteten fieberhaft. Die Geistlichen ließen ihre Rosenkranzperlen hörbar durch die leise zitternden Finger gleiten. Ihre Gebete wurden zum Murmeln. Der Aelteste beobachtete schars jede Bewegung des alten Mannes. Dieser schwieg wieder. Es ging gegen Abend. Leere Arbeiterzügc rasselten vorbei oder standen auf den Bahnhöfen der kleinen Jndustrieorte, die unser Zug durchfuhr. Der Alte begann wieder zusprechen: Die Pilgerzüge der Arbeit sind leer. Möchten sie leer bleiben, solange man der Arbeit kein« Altäre der Hochachtung und Wert- schätzung errichtet! Nein, keine Altäre mehr den Menschen- schlächtern. toten Schemen und blutigen Idolen!� Der Arbeit Altäre! Sie ist alles Leben, alles Gute und Große." Ich war erschüttert. Tie Geistlichen beteten mit bebenden Lippen. Plötzlich kehrte er sich gegen sie: „Ich habe Euch geliebt wi« meine Kinder und ich wollt«, daß Ihr die Arbeit lieb gewinnet. Ihr habt meine Worte und mich verachtet. Der Hochmut steckt in Euch. Christus, dessen Jünger Ihr sein wollt, war nicht voll des Hochmutes wie Ihr. Er hat di«
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