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gomsation zuliquidieren". In Anbetracht aller dieser Tat- fachen kommt der Staatsanwalt zu dem Schluß, daß die Schornikowamit Wissen und Willen der polt- tischen Polizei in die Dtilitärorganisation eingetreten ist, freilich nicht zu verbreche - rischen Zwecken, sondern zur Aufdeckung der Abs ichten und der Tätigkeit dieser verbreche- rischen G e m e i n s ch a f t." Ter Staatsanwalt sucht die Rolle der Schornikowa im Widerspruch zu den? wirklichen Sachverhalt alsunbedeutend" hinzustellen, er gibt aber doch zu, daß sie. um keinen Verdacht zu erwecken, mit Wissen und Willen der zuständigen Regierungsbehörden an der Tätigkeit der Militärorganisation aktiv teilgenommen hat. Da aber diese Tätigkeit zur Vernichtung der Organisation fuhren sollte, spricht der Staatsanwalt sich dahin aus, daß die gegen die Schornikowa erhobene Anklage, die in der Regel mit langjähriger Zuchthausstrafe bestraft wird, e i n g e st e l l t und ohne Folgen belassen wird. Der regierende Senat schloß sich) diesem Gutachten des Staatsanwalts an lind entließ die angeklagte Agentin aus der Haft. Um die ganze Tragweite dieses Urteils zu erkennen, sei darair erinnert, daß Stolypin bei der Debatte über die Lock- spitzeltätigkeit Azews die Regierung dadurch zu entlasten suchte. daß sie nur die Dienste vongeheimen Mitarbeitern" annehme. die sich auf eine passive Rolle beschränken. Natürlich war das eitel Lug und Trug, denn die Regierung war über die aktive Teilnahme Azews an zahlreichen terroristischen Akten genau unterrichtet. Es bedurfte aber noch der weiteren Zer- setzung und Selbstvernichtung des zarischen Regierungs- systems, damit die höchste Gerichtsinstanz im Reichs die ver- brecherische Tätigkeit der polizeilichen Seelenverkäufer offiziell sanktionierte und für die Freisprechung aller großen und -kleinen Azews vor den ordentlichen Gerichten einen Präzedenz- fall schuf. Und noch ein wichtiges Ergebnis zeitigt diese neueste EntWickelung der russischen Justiz. Nach der offiziellen Fest- stellung der provokatorischen Grundlage des Hochverratspro- zesses gegen die sozialdemokratische Dumafraktion fällt der letzte Einwand, der bisher allen Forderungen wegen Wieder- aufnähme des Hochverratsprozesses entgegengehalten worden ist. Vergebens hatte der reumiitige Lockspitzel Brodsky das Justizministerium ersucht, sein öffentliches Geständnis dem Wiederaufnahmeverfahren gegen die unschuldig verurteilten sozialdemokratischen Zlbgeordneten zugrunde zu legen. Die Regierung zog es vor, sich in Schweigen zu hüllen, um nicht des Justizmordes überführt zu werden. Sie schwieg auch, als iin vorigen Jahre eine Protestbewegung zugunsten des Wiederaufnahmeverfahrens in allen Kulturländern einsetzte. Sie schwieg, als sie iin Inlands wie im Auslande des K o m- p lo t t s gegen die sozialdemokratische Fraktion bezichtigt wurde, und sie versteckte sich hinter dem Rücken der willfährigen Majorität der dritten Duma, als die Fäuste der russischen Proletarier rechtheischend an den Pforten des Taurischen Palastes donnerten. Nun hat sie selbst den Bann des Schwei- gens gebrochen und durch den Mund ihrer höchsten Gerichts- stelle verkündet, daß die Anklage gegen die sozialdemokratischen Abgeordneten wie wir es schon längst wußten ein aus Lug und Trug gesponnenes Fälscherstück gewesen ist, bestimmt, dem Attentat gegen die zweite Duma als Grundlage zu dienen und den Staatsstreich vom 16. Juni 1907 zu rechtfertigen. In den Kreisen der Dumaabgeordneten wird mit aller Bestimmtheit versichert, daß die neueste Wendung dieser Affäre genügend Material liefert, um ein W i e d e r a u f» nahmeverfahren im Hochverratsprozeß zu erzwingen und in die dunkle Geburtsstunde des Staatsstreichs hineinzu- leuchten. Es wird wohl harte Kämpfe innerhalb wie außer- halb des Parlaments kosten, ehe diese Forderung durchgesetzt wird. Aber je breiter die Grundlage wird, auf der dieser Kampf geführt wird, desto fester verknüpft sich der Kampf um die Befreiung und Rehabilitierung der unschuldig ver- urteilten Volksvertreter mit dem revolutionären Ansturm des Volkes gegen die fluchwürdige Herrschaft des Zarismus. vie csnSezverteWigimg In Schweden . In Schweden sind seit einigen Monaten wieder neue Debatten über die Frage der Landesverteidigung entbrannt, die auch in der sozialdemokratischen Presse mit großer Heftigkeit geführt werden und in dieser Form etwa« verfrüht erscheinen könnten, weil die von der liberalen Regierung vor zwei Jahren eingesetzten Kommissionen zur Prüfung der Frage der Landesverteidigung mit ihren Arbeiten noch nicht fertig find. Man weiß also öffentlich noch nicht, was die Kommissionen vorzuschlagen gedenken. Immerhin ist so viel aus den Beratungs­zimmern hervorgesickert, daß man zu der Annahme berechtigt zu sein glaubt: von einer Herabsetzung der Ausgaben für die Landesverteidigung loird bei den Kom- missionSvorschlägen keine Rede sein. Die Liberalen sind anscheinend zum Umkall bereit, obgleich sie bei den letzten Wahlen Verpflichtungen eingegangen sind, keine MehrauS- gaben zuzulassen. Die maßgebenden Organe der sozialdemokratischen Presse haben auf diese Tatsache hingewiesen und es ist von dieser Seite auch die Auffassung ausgesprochen worden, daß Mehrausgaben von diesem Reichstage nicht beschlossen werden dürfen, sondern daß erst die Wähler befragt werden müssen. Im übrigen stellen sich diese Parteiblätter allerdings nicht grundsätzlich abweisend den kommenden. noch nicht bekannten Borlagen gegenüber, was wiederum die jugendliche Opposition zu heftigen Angriffen auf Parteileitung, Fraktion und die betreffenden Parteiblätter veranlaßt hat. Da die Vorlagen noch nicht da sind, könnte dieser innere Parteikampf als vom Zaune ge- brachen scheinen. Aber nach den Erfahrungen mit der verfehlten Invalidenversicherung wird man es der Opposition nachfühlen können. wenn sie nicht warten will bis die Partei von ihren Vertretern in den Kommissionen gebunden worden ist. ohne vorher dazu Stellung nehmen zu können. DaS ist allerdings die wichtigste Konzession, die wir der Opposition machen können. Im übrigen ist ihre grundsätz- liche Haltung verfehlt, auch wo sie glaubt, sich auf Parteitag«- beschlüsse berufen zu können. Die Haltung der Parieiopposition läuft auf die g r u n d- sätzliche Ablehnung der Landesverteidigung hinaus. Ihre Motive sind der verschiedensten Art. Neben der Idee, daß das Land sich nicht auf die Tauer gegen eine Großmacht verteidigen kann, spukt der anarchistische Verteidigungsnihilismus in vielen Köpfen, der jegliche Landesverteidigung ablehnt. DerVorwärts" hat im vorigen Jahre anläßlich der damaligen Debatten in Schweden seine Stellung zu der Frage dargelegt und zwar deckt sich diese Stellung mit den Beschlüssen der internationalen Arbeiterkongresse. die eine Organisation der Landesverteidigung auf der Grundlage der Bolkswehr fordern. Davon ist bei der schwedischen Opposition keine Rede. Mit dem Schlagwort des Antimilitarismus " lehnt sie alle Landesverteidigung ab und fordert nunpositive" Politik von der Partei im Sinne dieses verteidigungS» nihilistischen Standpunktes. DaS Jugendorgan beklagt sich in seiner Ausgabe vom 11. Oktober überdas erbärmliche Schauspiel einer Parteipresse, die sich in inneren Disputen verliert darüber, was eigentlich Standpunkt der Partei in der Militärfrage ist, oder richtiger sein müßte, um dem resp. Parteiblatte zu passen. Die Verwirrung ist vollständig und muß unseren Gegnern ein äußerst angenehmes Bild bieten." Das letztere ist richtig. Wenn man die schwedische Parteipresse liest, bekommt man den Eindruck, als ob die Verwirrung allgemein wäre. Schuld daran ist aber jene Program macherei, die in der schwedischen Partei eingerissen ist und auf jedem Parteitage immer neue Blüten treibt. Die schwedische Partei hatte mit ihrem alten Programm eine ganz akzeptable Opposition gegen die HeereS- Vermehrung 1001, die letzte große Heeresreform, gemacht. Presse und Fraktion waren bis auf die anarchistischen Ausläufer einig. Trotzdem mutzte der letzte Parteitag aufgeboten werden, um eine Programmänderung vorzunehmen, die gegenüber der alten Fassung den Vorzug der Wortemacherei hat, aber in realpolitischer Be- ziehung vollkommen wertlos ist. Es wird da verlangteine sukzessive Herabsetzung der Militärlasten in der Richtung auf Entwaffnung". An die Stelle der jetzigen Heerordnung soll also nicht eine andere demokratische Form der Landesverteidigung gesetzt werden, sondern Entwaffnung. Inzwischen ist die Partei mit zur auSschlag- gebenden Partei in der schwedischen Gesetzgebung geworden und kann jetzt, wo sie zum ersten Male vor Entschließungen gestellt werden soll, mit der anarchistischen Entwaffnungsphrase nicht? an- fangen. Der Mangel eines positiven Programms in der Landesverteidigungsfrage macht sich in jenervollständigen Ver- wirrung" geltend, die das Jugendorgan geißelt. Man hat eben nur das negative Programm der Herabsetzung der Militärlasten und Entwaffnung. Damit läßt sich aber keine Politik machen zu einer Zeit, wo daS Kriegsgedräue durch Europa geht und der russische ExpansionSdrang dem schwedischen Volke Anlaß zu Unruhe gibt. Wäre die schwedische Partei den Beschlüssen der internatio- nalen Arbeiterkongresse gefolgt, anstatt daß ihre Vertreter hinter den bürgerlichen Friedensaposteln herliefen, die an einem Tage Friedensreden halten und am anderen Tage fröhlich Milliarden für neue Rüstungen bewilligen, dann hätte man ein positives Pro- gramm gehabt, das die Partei hätte sammeln können, und man wäre die Verwirrung losgeworden. Es ist da äußerst interessant zu lesen, was der Altmeister der deutschen Sozialdemokratie, August Bebel , im Jahre 1911 dem Genossen Branting zur vorliegenden Frage geschrieben hat. Damals wurde in schwedischen Regierungskreisen erzählt, Bebel sollte den Parteigenossen kleinerer Staaten gerateil haben, für Rüstungsvermehrungen einzutreten, weshalb Branting bei Bebel anfragte, was daran wäre. Bebel dementierte nachdrück- lichft jene Rederei und setzte dann auseinander, solange die Groß- mächte gerüstet seien, könnten die kleinen Staaten nicht un­bewaffnet stehen. Zwar würden sie auf die Dauer einer Großmacht nicht widerstehen können, aber die Frage liege gar nicht so. Viel- mehr würde ein bewaffneter Kleinstaat, dessen Neutralität in einem Kriege zwischen zwei Großmächten von der einen dieser Mächte verletzt würde, sich auf die Seite der anderen Macht schlagen, wo- durch die kriegerische Kraft dieser Macht natürlich gestärkt würde. Bebel führt als Beispiel einen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich an, in welchem die Neutralität der Schweiz durch Teutschland verletzt würde und die Schweiz sich mit ihren SSO 000 Mann auf die Seite von Frankreich stellte. Er fährt dann fort: Sie haben ganz recht, Schweden kann nicht dem Zarismus gegen- über wehrlos stehen. Ein Krieg zwischen Rußland und Schweden allein ist nunmehr undenkbar. Andere Großmächte würden sich auf die Seite Schwedens stellen. Aber sie fordern dann felbstver- ständlich, daß Schweden auch hilft, sich seiner eigenen Haut zu wehren. Oder will es waffenlos stehen und dem Sieger als Beute zufallen? Ist es für Schweden gleichgültig, ob eS sich selbst regiert oder ob eS russisch regiert wird a la Finnland? Solange die jetzigen nationalen Gegensätze bestehen, ist eS einem Lande unmöglich, waffenlos zu sein. So etwas wird apch nicht in den Beschlüssen der Internationalen Kongresse gefordert. Tort wird die Organisation von Miliz in allen Staaten verlangt zur Selbstverteidigung für den Fall, daß die Gegenpartei sich nicht daran kehrt, daß ein Schiedsgericht angerufen wurde, oder an dessen Entscheidung. Sie sollten also energisch ein Milizspstem fordern, das für die geringsten Kosten die größte Anzahl Wehr- männex liefert. Die eigentlichen Abrüstungen müssen von den Großmächten ausgehen; Sache der Kleinstaaten ist eS aber, jeden dähinzielenden Gedanken energisch zu unterstützen, was selbstverständlich nicht ausschließt, daß d?e Parlamente der Kleinstaaten den Abrüstungs- gedanken energisch propagieren." Soweit Bebel . Er hat anscheinend nicht gewußt, daß sich die schwedische Partei schon damals von einer anarchosozialistifchen Strömung die Hände hatte binden lassen und auf die sukzessive Volksentwaffnuiig festgelegt war. WaS er den schwedischen Ge- nassen empfiehlt, ist als ein außerordentlich klares Programm an- zusehen. Und e« hätte überdies den großen Vorzug, daß seine Ver- wirklichung in Schweden relativ leicht wäre, weil schon die jetzige Heerordnung wichtige Bestandteile der Miliz in sich schließt. Das jetzige Programm der schwedischen Partei bringt aber die Fraktion in die unhaltbare Position, alle Anträge auf eine Heeresreform abzulehnen, die nicht eine Herabsetzung der Kosten bringen, auch wenn sie wichtige Forderungen der internationalen Sozial- demokratie erfüllen, oder aber die Fraktion muß den Programm- beschluß des letzten Parteitages ignorieren, was wiederum nicht gerade zur Stärkung des Vertrauens in sozialdemokratische Programmbeschlüsse beitragen kann. Die Frage ist aber auch von innerpolitischer Be- deutung. Es ist kaum mehr ein Zweifel, daß die Liberalen zu positiven Beschlüssen in der Landesverteidigungsfrage bereit sein werden. Können sie diese nicht in Gemeinschaft mit der Sozial- demokratie machen, so werden sie mit der Partei der Militaristen, den Konservativen, die Frage zu lösen suchen. Es fragt sich nun, welche Beschlüsse sich für die Arbeiterklasse vorteilhafter gestalten würden, liberal- sozialdemokratische, die sich in der Richtung zur Miliz bewegen könnten, oder liberal-konservative Beschlüsse, die zur Verwirklichung des stehenden Heeres der Militaristen führen müssen. Ter Mangel eines positiven Programms erschwert hier die Position unserer Partei ungemein. Immerhin wird man sich in der Partei auf die eine Forderung einigen können, vor Lösung der Heerordnungsfrage Neuwahlen zu verlangen. Denn darüber besteht kein Zweifel, daß die letzten Wahlen gegen die Forderungen der Militaristen ausfielen. Bevor eine Mehrbelastung des Volkes beschlossen werden darf, müssen die Wähler entscheiden. Diese von Branting erhobene Forderung müßte geeignet sein, die Partei zu einigen, was bitter not tut, denn die jetzigen Debatten bieten ein reckt trübes Biß). polltircbe Qeberficbt. Kronprinzliches. Die sonderbare Einmischung des preußischen Krön- Prinzen in die Reichsgeschäftsführung findet auch in der bürgerlichen Presse mehr und niehr eine energische Zurück- Weisung. Sehr scharf kritisiert dieDeutsche Montagszeitung" das Verhalten des Kronprinzen: Seit ein paar Jahren haben wir nun diesen eigenartigen, teils pikant, teils betrüblichen, teils abenteuerlichen, teils(wenn man daran denkt, daß es eigentlich Zollerntradition ist) trivialen Zustand, daß in allen prinzipiellen Fragen der großen Politik Kaiser und Kronprinz divergieren, und daß ihre Divergenzen vor der Publizität des sensationshungrigen Europa ziemlich un- geniert ausgetragen werden. Seitdem, bei der Marokkodebatte im Wallothaus, der Kelch einer Desavouierung durch eine radika- listische Interpellation an den in der Fürstenloge des Reichs- Hauses den Alldeutschen applaudierenden Langfuhrer Husaren mit Mühe vorüberging(der alte, eklatmüde Bebel verhinderte das Spektakel!) seitdem hat sich der Vorgang, daß des Kaisers Aeltester in der und jener Frage demonstrativ gegen die Reichs- regierung Front machte, zuweilen, im Kleinern, wiederholt. Um dieser interessanten Gewohnheit nicht untreu zu werden, hat der künftige dritte Wilhelm eS für ratsam gehalten, jetzt, knapp nach offizieller Weglegung der Welsenalten, die ganze unleidige Affäre noch einmal durch eine peinliche Sensation aufzurühren, nämlich durch eine aggressive Epistel an den Kanzler, deren Inhalt er noch dazu durch seinen Freund Dr. Liman den Weg in die Presse machen ließ. Eine Abschrift dieses Briefes dessen Wortlaut nicht in die Oeffentlichkeit gegeben wurde liegt vor mir. Krön- Prinz Wilhelm verlangt darin nach wie vor«inen offiziellen, juridisch anerkennbaren Verzicht seines Schwagers Ernst August. Und er wendet sich am Schluß des Schreiben? noch einmal gegen daS von Herrn von Bethmann Hollweg geschaffene Kompromiß: baß man sich mit einer weitgehenden Auslegung bef vom Prinzen geschworenen Fahneneides begnügen könne. An sonst nicht schlecht orientierter Stelle zu Berlin wird die Meinung diskutiert, bei diesem Akt des Thronfolgers handle sichs nicht so sehr um die darin vertretene Sache als um einen der Person geltenden Vorstoß gegen den Reichs- k a n z l e r. Zu beurteilen, ob das stimmt, ist nicht leicht. Es mag wahr sein, daß die trockene, philosophische, Temperaments- äußerungen abholde Amtsführung des derzeitigen Reichslenkers, seine der Parteipolitik sehr abholde öffentliche Taktik, seine der Jugendlichkeit klaffend entbehrende, kanzleihaft gemessene poli- tisch« Tonart nicht nach dem Geschmack unseres blondhäuptigen Cesarewitsch sind. Aber andererseits ist Langfuhr ein harte» Pflaster; und Dr. v. Bethmann Hollweg muß dem Kronprinzen alles in allem eine gleichgültige Person sein, um derentwillen man sich nicht so ohne weiteres dem Risiko einer Prolongation der westpreutzischen Idylle aussetzt etwa den Herren v. Olden- bürg und Genossen zuliebe. Näher liegt also, den neuen Fal als«ine kronprinzlich« Temperamentssache anzusehen. Gestern hat in Potsdam zwischen dem Kaiser und dem Kronprinzen eine Aussprache über die kronprinzliche Ein- Mischung stattgefunden. Wie sie ausgefallen ist, weiß man nicht; doch läßt die gemeldete Tatsache, daß der Kronprinz nach der Unterredung nach Berlin fuhr ohne an der Frühstückstafel teilzunehmen darauf schließen, daß er nicht in bester Stimmung gewesen sein mag. Vorläufig meldet das Wolfffche Telegr.-Bureau und die Norddeutsche Allgemeine Zeitung", daß der Kronprinz an den Reichskanzler einen Brief gerichtet hat, in dem er sein lebhaftes Bedauern darüber ausgesprochen hat, daß sein Privatbrief an den Reichskanzler öffentlich erwähnt worden ist. Völlig falsch sei die Auslegung eines Teiles der Presse, als stelle er sich in Opposition zum Kaiser. In der Sache selbst habe der Kronprinz dem Reichskanzler erwidert, daß dessen Schreiben für ihn zur Klärung der Angelegenheit wesentlich beigetragen hat. Vielleicht hat die Geschichte noch ein weiteres Nachspiel. Der Völkerschlachtballon. Die Zeppelinunglücke fangen an, eine-epidemische Todesursache zu werden. DieS hier ist der zehnte. Und während sich Menschen unter brennenden Sparren wälzten, feierten sie in Leipzig eine kitschige Feier, bei der der Patriotismus und der Kino auf die Kosten kamen. WaS liegt hier vor? Als damals bei Echterdingen dem Grafen Zeppelin sein Luftschiff herunterbrannte, ergriff die Deutschen eine eigentümliche Wallung, die man sonst bei ihnen nicht beobachten konnte. Sie nahmen die Partei eines Mannes, dem sein Werk miß- glückt war. Wie ein Stoß ging'S durch das Land: Sammeln! Es kam eine Menge Geldes zusammen, und wer genauer hinsah, dem mochte das damals schon merkwürdig vorkommen. Nun hat sich im Lauf der Jahre herausgestellt, daß wirklich der Chauvinismus hinter dieser Begeisterung, die durch dick und dünn der Ballonreste mit- ging, dahintersteckte. Man billigte und förderte diese unsinnige BeifallSsalve, die einer unfertigen Erfindung galt. Die Franzosen waren aus irgendwelchen Gründen in der Luftschiffahrt voraus wir nach! Dazu kam der wahnwitzige alldeutsche Gedanke, eine neue Technik zuerst auf ihre Kriegsbrauchbarkeit zu untersuchen, als ob Stevenson den Lokomotiven vorne spitze Messer ange- Kunden hätte, um sie denFeinden" in den Leib zu rennen! Sie bauten Ballons, einer nach dem andern fiel herunter, ver- brannte, flog davon... die Begeisterung hielt an. Skeptiker hielten sich wohl etwas zurück, aber ein Hauptmann, der das neue System nicht unbedingt lobte, wurde als Feind des Vaterlandes verschrien, Konkurrenzneid wurde ihm vorgeworfen.... Weiter bauen!»- Weiter bauen! Und das Unglaubliche ist, daß nun, nach dem zehnten Fiasko, die Stimmung noch nicht umschlagen will! Man höre die Presse: Sie starben fürs Vaterland!" Sie starben gar nicht fürs Vaterland. Sie krepierten elend, weil sie Massensuggestion nicht zugeben wollte und will, daß man sich geirrt habe. Keinem der leitenden Personen ist ein Vorwurf zu machen: sie glaubtenS sich wohl alle selbst, sonst wären sie nicht mit hinaufgeklettert. Feige waren sie nicht. Aber daS System hetzte sie in den Tod und in was für einen Tod!, das System, das sich einmal in den Zeppelin verbissen hat, und nun nicht mehr losläßt. Keiner traut sich.Und dennoch!" Aber es ist nunmehr, nach dem 17. Oktober ISIS, ein Verbrechen, noch Leute, die sich nicht gegen den Befehl wehren können, auf so einem Mordschiff in die Luft zu schicken. Brauchen wir noch Sachverständigengutachten? Sagen nicht zehn Katastrophen alles und noch mehr? Mit Phrasen kommt man über die Jehler nicht weg.In der vorderen Gondel fand man die Leichen der Offiziere, die dort getreu ihrer Pflicht, bis zum letzten Augenblick ausgeharrt hatten." Was hätten sie sonst tun sollen? Hinaus springen? Ist das Rettung? Aber man braucht da? Melodrama. Nein, die Presse hat den Posten, den sie auch an- gesichts de» TodeS dieser dreißig nicht verlassen hat. bis zum