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(,.« i, LcilM»es Lsmirls" Kerlim UcksdiR Dienstag, Zl. Oktaber!9l3. SewerklekaftUckes. Chrxttiidncr" Ccrror. Den Höhepunkt der christlichen Nächstenliebe und Duld- samkeit hat zweifellos das Ortskartell der christlichen G e- werkschaften in Gnesen   erklommen. In einer dortigen Tischlerei wurde ein christlich organisierter Holzarbeiter wegen angeblich übler Nachrede über seinen Arbeitgeber entlassen. Da die Schuld des Entlassenen durchaus nicht so hell erwiesen und außerdem die Beleidigimg des Arbeitgebers nicht so schwer war, versachte ein dort ebenfalls beschäftigter f r e i o r g a- n i s i e r t e r Holzarbeiter, durch Persönliche Fürsprache bei"dem Unternehmer die Entlassung rückgängig zu machen, aber ohne Erfolg. Obgleich diese Bemühungen des Verbändlers dem Entlassenen bekannt waren, wurde jetzt von den Christlichen auf einmal behauptet, der freiorganisierte Holzarbeiter habe dessen Entlassung erzwungen, weil er nicht dem Holzarbeiterverbande beitreten wollte. Als sich der so Verdächtigte gegen den christlichen Schwindel verwahrte, ent­gegnete ihm der christliche Sekretär Szykowny:Da wir als christlich Organisierte vorherrschend sind, dulden wir andere Gewerkschaftler hier nicht!" Da der Arbeitgeber auf diesen Schwindel nicht einging, fuhren die Christen stärkeres Geschütz auf. Sie schrieben dem Arbeitgeber folgenden Brief: Gnesen  , den 1. 10. 1913. Ortskartell der Christlichen   Gewerkschaften Gnesen  . Herrn............. Hierselbst. Geehrter Herr! Bei der zuletzt stattgefundenen Sitzung hielt sich daS Orts­kartell der Christlichen   Gewerkschaften, welchen die Gnesener Maurer, Zimmerer. Tischler pp. angehören, über die Beschwerde des Tischlerverbandes auf, daß Sie als christlicher Arbeitgeber, Pole, sehr wenig christliches Empfinden besitzen, indem Sie in Ihrer Werkstelle Leute beschäftigen, die dem sozialdemokratischen Verbände ange- hören, jedoch Leute unseres Bekenntnisses vermeiden Sie mög- lichst. Wir denken nicht etwa Ihnen Vorschriften zu machen, wen Sie beschäftigen sollen, bezweifeln aber sehr, ob Sie weitere Bestellungen von Kirchengemeinschaften erhalten, falls Sie darüber orientiert sind, daß ein Meister Kirchenarbeiten erhält, der Leute beschäftigt, die gegen die katholische Kirche   sind. Mithin empfehlen wir der Ueberlegung. Mit Hochachtung I Für den Vorstand des Ortskartells I. A.: Stefan Szykowny. 1. Sekretär. Bezeichnend ist es für die Toleranz und Duldsamkeit der Christen, die sich im ganzen übrigen Deutschen Reiche als streng national gesinnt bezeichnen, in einer über­wiegend polnischen Stadt einen kleinen Unternehmer daran zu erinnern, daß er P o l e ist und Kirchenarbeiten hat. Wer die Verhältnisse in den katholischen   Gegenden mit ihrer fanatischen Bevölkerung kennt, weiß, was eine solche Drohung mit dem Beschäftigen von Leuten, die gegen die katholische Kirche   sind, zu bedeuten hat. Wer sich nicht fügt, der fliegt einfach. So verlangen es die Christen. Das ist aber kein Terror! Diese Gesellschaft hat nach wie vor das Recht, andere zu terrorisieren, und kein Staatsanwalt wird sich finden, der diese Sippschaft am Kragen nimmt. ßerlin und Qmgegend. Bundestag der technisch-industriellen Beamten. Der zehnte Bundestag der technisch-industriellen Beamten fand am Sonnabend und Sonntag in Berlin   statt. Die Verhandlungen waren im Gegensatz zu der ursprünglich in Aussicht genommenen reichhaltigen Tagesordnung fast ganz dem Falle Lüdemann ge- wjbmet. Es handelt sich dabei um die Entlassung des früheren ersten Geschäftsführers des Bundes, Herrn Lüdemann, die nach den Angaben der einen Partei wegen der autokratischen Geschäftsführung Lüdemanns, nach der andern Partei wegen einer Art Palastrevolution der Hilfssekretäre erfolgt sein soll. ES wurden drei Resoiutionen angenommen, deren erste erklärt, daß der Bundestag eine Entlassung LüdemannS, die nur auf die Geschäftsführung gestützt wäre, nicht angenommen haben würde, ob- gleich sie in bezug auf die Personenbehandlung nicht einwandfrei gewesen sei.(Aus diesem Beschluß ergibt sich, daß gewisse Anklage- punkte außerhalb des eigentlichen Geschäftsbetriebes für die Eni- lassung maßgebend gewesen sein müssen.) In der zweiten Reso- lution wird daS Vorgehen der Hilfssekretäre mißbilligt und be- dauert, daß sie ihr berechtigtes Streben auf Verbesserung ihrer Lage durch persönliche Momente haben in falsche Bahnen leiten lassen. schließlich wurde mit einer Stimme Mehrheit der Antrag, dem Vorstand ein Mißtrauensvotum im Fall Lüdemann auszustellen, abgelehnt. Ueber den Schutz technischer Erfindungen der industriellen Ange st eilten referierte Diplomingenieur K o r t e n b a ch. Es fand auch eine lebhafte Debatte über die von der Reichsregierung veröffentlichten Vvrentwürfe zu den neuen Patcntgesetzen statt. Allgemein wurde gesagt, daß diese Entwürfe zwar die grundsätzlichen Forderungen der Angestellten prinzipiell anerkennen, dann aber durch Zulassüng des vertraglichen Ausschlusses der Erfindervergütung an den angestellten Erfinder diese Anerkennung wieder zunichte machen, da die industriellen Firmen diesen Ausschluß zur Regel machen würden. In einer einstimmig angenommenen Resolution wird die Abänderung der Gesetzentwürfe dahin gefordert. daß an Stelle des Anmelderechts das Erfinderrecht trete und die Bundesmitglieder werden ersucht, keinen Dienstvertrag zu unter- zeichnen, in dem sie auf das Recht auf ihre eigene Erfindung ver- zichten müssen. Alle sonstigen Tagesordnungspunkte mußten abgesetzt werden. Achtung, Töpfer! In Wilhelmshaven  , Bremen  , Oldenburg   und in den sonstigen Orten an der llnterweser bestehen Lohndifferenzen. Zuzug ist strengstens fernzuhalten. Die Verbandsleitung. Deublcbes Reich. Zum Hafenarbeiterstreik in Stettin  . Trotz aller magistratischen Schönfärberei scheinen die Leistungen der Arbeitswilligen doch nicht zu genügen. Zieht er doch alle Re­gister, um die Reihen der Ausständigen ins Wanken zu bringen. Nebenbei versuchen die Lademeister, Zollbeamte und sonstige Be- amte ihr Glück, allerdings vergeblich, um Verräter aus den Reihen der Streikenden zu finden. In den meisten Fällen werden die Herren das Wiederkehren vergessen, denn die Frauen der Streikenden haben ihnen gewißlich keine schmeichelhafte Anlwort erteilt. Die Polizei gebt in bekannter Schneidigkeit gegen die Strei- kenden vor. Kürzlich wurde der Angestellte des Staats- und Ge- meindearbeiterverbandes, Genosse M o m m, unter dem Verdacht der Meli erstecherei verhaftet. Rur   dem Umstände, daß selbst die arbeitswilligen Zeugen ihn für unschuldig erklärten, verdankt er seine Freilassung. Am Sonntagnachmittag fand im Volkshause eine Versammlung für die Frauen der Streikenden statt. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. DaS Referat hatten Frl. K a s ch e w s k i-Berlin und der Gauleiter Strunk übernommen. Die Referenten zeigten den anwesenden Frauen, daß es ihre Ehrenpflicht sei, ihre Männer in diesem schweren Kampfe wirksam zu unterstützen. Müssen sie und ihre 5linder doch in erster Linie unter den schlechten Löhnen leiden. Die Anwürfe und Beleidigungen, daß sie mit dem Lohne nicht wirt- schaften könne», fallen auf diejenigen znrück, die sie erheben. Die Herren mögen doch mal selbst versuchen, ob sie mit Löhnen von 2,90 M. bis 3,2ö M. eine Familie ernähren können. Auch der in- diffcrentesten Frau werden die unerhörten Zumutungen des Stadt- verordnete» Habcrt, daß, falls der Lohn nicht zum Satt- essen lange, sie und ihre Kinder mitarbeiten(ollen, die Augen geöffnet haben. Darum läge es im besonderen Interesse der Frauen, für eine Verbesserung dieser Zustände mitzuwirken. Die Referate wurden mit stürmischem Beifall auf- genommen und nachdem eine Resolution, die den städtischen Körper- schaften übermittelt werden soll, einstimmig gutgeheißen. In dieser Resolution bringen die Frauen der streikenden Hafenarbeiter zum Ausdruck, daß sie gleich ihren kämpfenden Männern der Ueber- zeugung sind, daß der Kampf den Arbeitern durch die dauernden Ablehnungen ihrer berechtigten Forderungen aufgezwungen wurde. Sie versprechen daher, ihre Männer in diesem um bessere Ernährung der Familie geführten Kampfs in der weitgehendsten Weise zu unter- stützen und alle Opfer mit diesen gemeinsam zu tragen. An die städtischen Behörden richten die versammelten Frauen die Forderung, den städtischen Arbeitern Löhne zu zahlen, damit diese mit ihren Familien ein menschenwürdigeres Dasein snhren können. Tie freie»» Gewerkschaften preisgekrönt! Die Ausstellung der gewerkschaftlichen Zentralvcrbände auf der Baufach-Ausstellung in Leipzig   ist soeben mit der goldenen Medaille der Stadt Leipzig   ausgezeichnet worden. Mit dieser Würdigung der gewerkschaftlichen Ausstellung durch das Preisrichterlollegiuni dürften zugleich die Anwürfe einiger Scharfmacherblätter völlig entkräftet sein, die der Oefsentlichkeit Glauben machen wollten, die Ausstellung der Gewerkschaften sei tendenziös und entstelle in grober Weise die Tatsachen. Christliches Grofitu»». Die Christen fühlen öfter das Bedürfnis, ihre Bedeutung und ihre größere Werbcfähigkeit herauszustellen. Dazu bedient man sich geeigneter Ausschnitte aus dem Gesamtrahmcn der gewerkschaftlichen Organisationen. In derWestd. Arbeiterztg.' wird nun berechnet, daß in der Rheinprovinz   der christliche Metallarbeiterverband seit 1900 um 149,24 Proz. zugenommen habe, dersozialdemokratische Metall- arbeiterverband" aber nur um 91,47 Proz. Das klingt sehr wichtig. Man muß aber berücksichtigen, daß der Metallarbeiterverband trotz- dem vielmehr an Mitgliedern gewachsen ist als der christliche Metall- arbeiterverein derer überhaupt nach demriesigen" Wachstum zählt. Was das letztere anlangt, ist auch noch darauf zu verweisen, daß in manchen Betrieben die Angst vor christlichem Denunziationscifer größer ist als vor gelber Gemeinheit. Die Christen haben sehr wenig llrsache auf ihre meist dazu nur eingebildete Größe stolz zu sein. In Wirklichkeit ist die Organisation im Herzen der Eisen- und Stahl- industrie herzlich schlecht. Einschließlich des Hirsch-Dunckerschen Ge- Werkvereins zählen die Metallarbeiterorganisationen rund 68000 Mit- glieder, die Zahl der beschäftigten Metallarbeiter jedoch beziffert sich auf rund 400 000. Das Mißverhältnis erklärt eS. warum die Ar­beiter den Unternehmern gegenüber so wehrlos sind. Hier gibt eS zu bessern. Husland. Beendigung der Streitigkeiten in der Baumwoklindustrie. London  , 18. Oktober 1913.(Eig. Ber.s Die für den 23. angekündigte Aussperrung der Spinnereiarbeitcr Lancashircs wird nicht stattfinden, da die Arbeiter, die in der Fabrik Beehive streikten, die Arbeit wieder aufgenommen haben. Gleich- zeitig mit der Erledigung dieser Streitfrage ist auch eine andere Streitigkeit beigelegt worden. In etwa 20 Fabriken Südost-Lanca- shires(leht die Arbeit schon seit einiger Zeit still(in einer seit sieben Monaten), weil sich Arbeiter und Arbeitgeber über die Frage des schlechten Spinnens streiten. Diese Differenzen sind jetzt beigelegt worden und die Fabriken werden wieder eröffnet werden. Vittichafllicher Vochenbei'W. Zur amerikanischen   Zolltarifrcfvrm. Der Anfang dieses Monats Gesetz gewordene neue amerikanische  Zolltarif, der wesentliche Herabsetzungen der bestehenden Zölle brachte, hat unsere deutschen hochschutzzöllncrisch gesinnten Industriellen mehrfach zu dem Geständnis veranlaßt, daß die Ermäßigung der Zölle die Konkurrcnzsähigkcit der Vereinigten Staaten   auf dem Weltmarkt stärken werde. Wohl bemühte man sich in jenen Kreisen, dieses Zugeständnis dahin abzuschwächen, daß nur die be- sonderen nordamerikanischen Verhältnisse die Zollermäßigungen ver- ständlich machten und eine Uebertraguug dieser Politik auf Deutsch  - land ungerechtfertigt sein würde. Tatsächlich stand aber in erster Linie hinter dem Urteil über die Wirkungen des neuen Zolltarifs die Ueberzeugung, daß die Ermäßigung der Zölle aus Lebens- kleines feuiUeton. Jubiläumspoefie. Jedes Gedicht soll im Goetheschen Sinne ein Gelegenheits- gedicht sein; ein tiefes Erlebnis nur soll sich zu einem Kunstwerk verdichten. Anders steht es mit den sogenannten Gelegenheits- dichtungen. An sie Pflegt man mit Recht keine hohen Ansprüche zu stellen. Im Namen schon liegt heute die Andeutung der Minder- Wertigkeit. Und doch sind Gelegenheitsdichtungen heute noch gern gesehen. Besonders sind es patriotische Kreise und solche, die als patriotisch gelten wollen, bei denenFestspiele" sehr beliebt sind wenn sie allen byzantinischen Wünschen der Auftraggeber gerecht werden. Große Dichter vermögen solch« Aufträge selten nach Ver- langen zu effektuieren. Jubiläen, die man in Deutschland   gern und reichlich feiert, zeitigen nun gewöhnlich eine Flut von Jubi- läumspöesien. Wie wird der arme, alte Pegasus da mit den Sporen, die man sich gerne verdienen möchte, zerkratzt und zer- schunden, daß die alte Mähre überhaupt nur von der Stelle kommt. Jedes kleinste Amts- und Winkelblättchen glaubt seinen p. t. Lesern einen zeitgemäßen poetischen Erguß servieren zu müssen, obwohl in den Adern dieser Skribenten nicht Poesie und Herzblut fließt, sondern Heuchelei, Hohlheit und Phrase. Und alles Mühen bringt dann ein erbärmliches Gebräu zustande. Lassen wir es doch genug sein mit dieser Barbarei/ Geschmack- losigkeit und Unkunst. Wir Deutschen   sollten uns doch zu schade sein für solche ekelhafte Kost. Man sollte es nicht wagen dürfen, unS, einem Volke mit gesunden Sinnen, solche Erbärmlichkeiten unter der Vorspiegelung vorzusetzen, das seien aus ehrlichem, tiesstem Empfinden geborene, heilige Aeußerungcn erhabener Seelen. Schund ist's, Lüge, Schmach und gemeine Verstellung! Hinaus also aus unseren Häusern, wo es noch nicht geschehen ist, mit solchen Blättern voll von erlogenen Jubiläumspocsien! Masses Leipzig  -Bl ockadc. Ein natürliches Interesse an der Völkerichlachtdenkmalweihe hatte Masse. Es sollten anläßlich dieser »glühendhehren Patrioten feier" die Abonnentei, zurück- erobert werden, die man sich durch einen freimütigen Bericht über das deutsche Turnerfest leichtsinnig verscherzt hatte. Man entsandte eine bewährte Kraft nach dem abtrünnig gewordenen Leipzig  . Einen von der alten Garde, die sich noch lange nicht übergibt, wo ein Aufrechter vor Ekel beinahe stirbt. Der seriöse Berichterstatter Block hat von den Leipzigern das Beste gesagt, wo man hat. Zwischen diesem festlichen Zierat schreibt er wandeln und stehen die Leipziger   und Leipzigerinnen umher und haben ihre Freude daran. Ein Fremder macht sich immer lächerlich, wenn er »ach flüchtigem Augenschein über die Art derEinheimischen" ur- tznlen will, aber so viel wag' ich doch zu sagen: die Lcipzigerinnen scheinen noch immer das Lob des Volksliedes zu verdienen, daß in Sachsen   die hübschen Mädchen wachsen. Nach einwand- freier Statistik wurden bei einem halbstündigen Bummel um die Promenade ein halbes hundert frischer Erscheinungen gezählt, und das Netteste war, daß alle lustig aussahen, alle nach Sport und nicht nach Literatur, Gott sei Dank!" Schäker. Er sieht ideale Formen, die der Sport verleiht, und diskreditiert die Literatur, als wäre sie wirklich»ur ein schlechtes Geschäft. Wenn sich auch das nur nicht rächt Herr Holzblock. DaS Los dcS Erfinders. Eines jener tragischen Schicksale, die für manche Erfinder in der kapitalistischen   Gesellschaft typisch sind, hat sich in Paris   ereignet. Der Professor der Chemie, Charles T e l l i e r ist in einer Dachkammer in Paris   im Alter von 90 Jahre» an Eni- kräftung gestorben. Tellier war in wissenschaftlichen Kreisen als der Vater der Kälte" bekannt und war der Erfinder des Systems zuy Erzeugung künstlicher Kälte, die besonders für die Lebensmittel konservierung wichtig wurde. Trotz der Bedeutung seiner Erfindung, von der die ganze Menschheit profitiert und das Kapital seinen Nutzen zog, lebte der geniale Mann seine letzten Jahre in den kümmerlichsten Verhältnissen und in bitterster Armut. Wie eine Ironie des Schicksals klingt, daß gerade einige Tage vor seinem Tode eine Sammlung zu seinen Gunsten eröffnet wurde und daß ein Wohltäter, der ihni em Geschenk von 10 000 Fr. überreichen ivollte, in seiner Wohnung vor- sprach, als Tellier auf dem Sterbelager sich befand. Eine Erfindung ist, kapitalistisch gesprochen, wertlos, solange das Kapital sie nicht ausbeutet. Nichts natürlicher als das. So ist auch Tellier wie so viele zu früh gekommen, und als»nan später auf seine Ideen zurllckgriff, da brauchte man ihm nicht mehr zu zahlen. Ganz natürlich. Aber es bleibt trotzdem ein beißender Hohn auf diese Gesell- schas», daß sie einen Greis, der zuerst angegeben hat, wie man das Fleisch und andere Lebensmittel durch Gefrieren lange erhallen und so weithin verfrachten kann, Hungers sterben läßt. Modcschwall. Rudolf Hildcbrand. der große Sprachgelehrte, schrieb vor gerade dreißig Jahren m seinenGedanken über Gott, die Welt und das Ich" folgende Sätze:Ein Zeiwen der Umkehr von gelehrtem Wort- schwoll sebe ich in der Beilage derAllgemeinen Zeitung  ", wo einer über religiös-philoiophische Begriffe der Sakalava aus Madagaskar  schreibt:Ihre Ansicht über das höchste Wesen ist wenn wir uns doch einmal so griechisch und lateinisch ausdrücken sollen eine anthropomorphische Objeklivierung ihrer eignen ethnischen Jndi- vidualität, was Schiller   ebenso kurz und gut wie schön deutsch so gefaßt Hat: In seinen Göttern malt sich der Mensch. Schon XenopHanes sagte übrigens 600 Jahre vor unserer Zeitrechnung ähnliches ebenso einfach. Schade, daß sich unsere heutigen Denker kein Vorbild an dieser klaren Sprache nehmen." Alles, Iva? in jenem Modeschwall geschrieben ist, wird einmal als veraltet und geschmack- los anwidern; nur was in der anderen, einfachen Form ge- faßt ist. wird und kann nie veralten." Das gilt auch heute noch. Theater. Neues Volkstheater(Neue Freie Volksbühne): Rausch, Drama von Strindbcrg. Enic Künstlerscele verfällt im Rausch endlichen Sieges der dämonisch einspinnenden und bezwingenden Leidenschast eines jungen Weibes. Das Weib verrät einen Mann, der deS Künstlers Freund ist, und der Künstler verrät ein schlichtes Mädchen, die ihm ein Kind schenkte. Nun naht im grauenden Morgen nach der Liebcsnacht die Erinnerung an die Wirklichkeit den vom Rausch Besiegten. Der Künstler liebt sein Kind, aber eS macht ihn und die neue Geliebte unfrei, und beide wünschen dem Kind in heiin- lichen Gedanken den Tod. Der Zufall läßt das Kind am selbige» Morgen sterben. Die Welt schreit Mord, und in den Wirren der Verfolgung schlagen Schuldgefühle über den Liebenden zusammen. Vor den Sclbstanklagcn fliehend, peitscht Not und Furcht sie in gegen- seitig verdächtigenden Arglvohn, der sich zu wilden, zerfleischenden Beschuldigungen, das Kind gemordet zu haben, steigert. Aber diese Vorgänge sind nur Schale des Dramas. Der Kern ist ein gualbeladencs Ringen um das Wesen von verbrecherischer Schuld. Ihr Kreis umfaßt viel mehr, als das Strafgesetz trifft. Es gibt auch ein Morden in Gedanken:Unsere Gedanken, Worte, Begierden sind auch verantwortlich". Jeder der drei das Drama tragenden Menschen der Künstler, die Geliebte, der Freund bat solch einenMord in Gedanken" auf dem Gewissen. Befreiung kann»ur das klarbewußte Selbstgeständnis bringen, schuldig zu sein, dem jeder in seiner Art durch büßende Tat einen Ausgleich schaffen muß. Aus der kasteienden Unerbittlichkeit Strindbergschcn Selbst- beichtcns sind die Szenen dieses Werkes geboren. Die Aufführung fordert eine starke Kunst folgerichtig zerlegenden und vergliederndcn seelischen Spiels. Lichos Regie verriet wohl das Verstehen der Aufgabe, aber das Ziel wurde nicht erreicht. Zumal der Künstler Maurice blieb unter der notwendigen Höhe: L i ch o fehlen die Mittel, die intensive Bewegung einer Kllustlerseele aus- zudrücken, und auch im äußeren Bilde blieb er im Wesen einer Durchschnitlsnatur hängen. Die verführerische Henriette Ida B r ü n a r§. die anfangs hoffen ließ, versagte in den Steigerungen ihrer Ausgabe. Am besten schloß Aurel Nowotny als Freund Adolphe seine Rolle zusammen. 110. Muflk. M e i st c r s a a l. Diesen Namen führt ein neuer Saal an der Köthener Straße, der, soweit er nicht für Sondcrzwecke seines Eigen- tümers, des Vereins Berliner   Baugeschäfte, mit Beschlag belegt ist, auch zur Veranstaltung von Konzerten und Vorträgen hergegeben werden soll. Der Saal, nicht eben groß, ist sehr stilvoll gehalten und macht einen traulichen Eindruck. Um seine Akustik zu erproben, wurde er mit einem Konzert eröffnet, dessen Programm aus In- strumental- und Vokalstücken sowie aus einigenMelodeklamationen" und Gedichten bestand. MehrereKanonen" des Berliner   Musikwesens hatten sich, wie üblich, in den Dienst der Sache gestellt. DieVer- liner Triovereinigung": Professoren Mayer- Mahr  (Klavier), Bernhard Dessau  (Violine), Heinrich G r ü n f e l d(Cello) brachten im meisterlichen Zusamnienspiel Kaminermusikwerke von Schuberl und Beethoven   zu Gehör; Frau Lola MySz-Gmeiner und Leo G o l l a n i n sangen Lieder von Löwe, BrahmS  , Schubert, Schumann, Wolf, und Mathias von Erdberg bestritt den deklamatorischen Teil des Programms. Stimmungslyrik, die durch süßlichen Vortrag nur noch versüßlicht wurde; glücklicherweise aber keine patriotischen