Die Stichwahlen in Baden.Mannheim, 30. Oktober.(Privattelegram m des„Vorwärts".) Der klerikale Ansturm ist mit knapperMühe abgeschlagen worden. Der„Großblock" kommtals eine aufs äußerste reduzierte Majorität, aber doch nochals Majorität in die Kammer zurück.Bei den heute stattgefundenen Stichwahlen haben dieSozialdemokraten vier weitere Sitze errungen, nämlich-Mannherm-Land und Mannheim-Schwetzingen, Bruchsal-Durlach und Lörrach-Stadt. Verloren haben wir Frei-bürg II infolge mangelhpfter Unterstützung seitens derNationalliberalen. Die Fortschrittler behaupteten Konstanzund Triberg-Villingen: sie haben erobert Lahr-Stadt undKarlsruhe IV. Die Nationalliberalen haben behauptet:Donaueschingen, Schopfheim, Freiburg-Stadt. Freiburg-Emmendingen haben sie rnit unserer Hilfe vom Zentrum er-obert. Ferner haben sie behauptet: Baden-Stadt, Sinsheim,Heidelberg II, und Mannheim III mit einer Mehrheit von186 Stimmen den Fortschrittlern das Mandat abgenommen.Im einzelnen zeigt das Wahlergebnis folgendes Bild:Die Sozialdemokraten wurden unterstützt vonNationalliberaleu und Fortschrittlern in folgendenKreisen:1. Mannheim-Lanb. Gewählt: Bcchtold lSoz.).Hauptwahl: Soz. 1402. Natl. 037. Fortschr. 264.Kons. 1280.2. Schwetzingen. Gewählt: Kahn iSoz.).Hauptwahl.; Soz. 2211. Rath 081. Fortschr. 710.Kons. 2102.3. Bruchsal-Durlach. Gewählt: Kurz(Soz.s.Hauptwahl: Soz. 2439. Fortschr. 880. Kons. 2176.4. Freiburg II. Gewählt: Mast(F.).Hauptwahl: Soz. 1152. Natl. 816. Zentr. 1809.6. LSrrach-Stadt. Gewählt: Rösch(Soz.).Hauptwahl: Soz. 1123. Fortschr. 789. Zentr. 467.Die Fortschrittler mußten laut Abmachung ihreKandidatur zurückziehen.Sozialdemokraten gegen Rationalliberale:6. Mannheim-Wcinheim. Gewählt: Müller(Natl.).Haupt Wahl: Soz. 2380. Natl. 2590. Kons. 1048.7. KarlSruhe-Land. Gewählt: Neck(Natl.).Hauptwahl: Soz. 1824. Natl. 1635. Kons. 1278.Wir nntersttitzten die Fortschrittler in:8. Konstanz gegen Zentrum. Gewählt: Venedeh(Fortschr.).9. Triberg-Billingen. Gewählt: Hummel(Fortschr.).10. Lahr-Stadt(Fortschrittler gegen Nationalliberale). Gewählt:Messa(Fortschr.).11. Karlsruhe IV, Gewählt: Gönner(Fortschr.).Wir unterstützten die Nationnlliberalen gegen rechts in:12. Donaneschingen-Engen. Gewählt: Schmidt(Natl.).13. Schopfheim-Schönau. Gewählt: Herbster(Natl.).14. Freiburg-Stadt III. Gewählt: Göhring(Natl.).15. Freibnrg-Emmendingen. Gewählt: Stork(Natl.).16. Baden-Stadt. Gewählt: Kölblin(Natl.).17. Brrtten-Bruchsal. Gewählt: Dr. Gorber(Natl.).'18. Sinsheim. Gewählt: Sidlrr(Natl.).19. Heidelberg II.(Zurückgezogen.) Gewählt: Koch(Natl.)'.20. Mannheim III.(Abstimmung war freigegeben, da sich National-liberale und Fortschrittler gegenüberstehen.) Gewählt:Blum(Natl-).»Die Verteilung der Mandate wird jetzt folgende sein:entrum...... 30 bisher 26onservative..... 6„ 3Zusammen 35 bisher 29Sozialdemokraten... 13, 20Nationalliberale.... 20„ 17Fortschrittler... V J__ 5„__ 7Zusammen 38 bisher 44Anter den 20 Nationalliberalen sind allerdings dreiMandate enthalten, die mit Hilfe des Zentrums gewählt find,und ist daher anzunehmen, daß sie in allen wichtigen Fragenmit dem Zentrum stimmen werden.Sie Nahlerlolgeder italienischen Sozialisten.(Von unserem römischen Korrespondenten.)Soweit sich das Wahlergebnis heute übersehen läßt, kannunsere Partei in hohem Maße zufrieden sein mit demErzielten. Sie hat nicht nur ihre Mandate viel besser ver-teidigt, als man annehmen konnte, sondern erobert auch imersten Wahlgang 10 neue Mandate. Schließlich ist sie an an-nähernd 30 Stichwahlen beteiligt.Von den bisher uns gehörenden 25 Mandaten wurden21 behauptet, und zwar auch solche, wie Florenz IV, diefiir durchaus unsicher- galten. Verloren gegangen ist nur dasMandat von V a l c n z a, das sich in Händen des Linksrefor-misten Merlani befand. Der erste römische Wahlkreis,den auch die Optimisten für verloren gaben, bringt den bis-herigen Abgeordneten, Genossen Campanozzi, mit 1790Stimmen in Stichwahl mit dem von den Klerikalen unter-stützten Nationalisten Federzoni, der 1810 Stimmen er-hielt. Der Kandidat des Blocks und der Reformisten, FürstScipione Borghese, steht nur um 7 Stimmen hinterEampanozzi zurück. Trotzdem setzt mau Hoffnungen auf dieStichwahl, da ein Teil der fiir Borghese abgegebenen Stim-men lieber auf Campanozzi übergeht, als auf den klerikal-nationalistischen Gegner. In Stichwahl kommen weiter vonbisherigen Abgeordneten der Partei die Genossen B o c c o n iin I e s i und Giulietti in Novara.Wenn also die Partei so gut wie gar keinen Boden ver-liert, so macht sie dagegen einen mächtigen Vorstoß durch dieEroberung von 10 Mandaten. Einige von diesen, soAlessandria(gewählt B o n a r d i), V t g e v a n o(D eGiovanni), Venedig I(Musatti), Parma II(Albertelli) und Empoli(Masini) ivaren schonfrüher im Besitz unserer Partei und sind teils bei den letztenund vorletzten allgemeinen Wahlen, teils bei Ersatzwahlenverloren gegangen. Neu erobert ist San Nemo in Ligu-ricu wo Genosse Raimondi mit 7379 Stimmen den bis-beriaen ministeriellen Abgeordneten, einen vielfachen Milli-oiiär verdrängt. Weiter Lendinara, wo der Gemeinde-swullebrer S o g l i a mit nahezu 6000 Stimmen gewählt ist,M o r t a r a, wo Genosse C a g n o n i den UnterstaatssekretarBergamaschi ans dem Sattel wirft, Porto-in a g g i o r e, das den Genossen Cavallara und Cents,das gegen den Chefredakteur der„Tribuna" den GenossenBussi gewählt hat. Die Zahl der sozialistischen Mandateerhöht sich somit auf 31(nach dem letzten Telegramm bereitsauf 39. D. R.) und wird sich durch die Stichwahlen mindestensum weitere 10 vermehren.Was die Stichwahlen betrifft, deren Liste zurzeit nochnicht vollständig vorliegt, weil noch nicht von allen Wahl-kreisen die endgültigen Resultate bekannt sind, so. bringen sieauch viele hocherfrculiche Ueberraschungen, und ebenso sindauch die erreichten Stimmeuzahlen sehr befriedigend.Was die Wahlerfolge der R e f o r m i st e n betrifft, sodürften sie hinter den Erwartungen dieser Partei nicht un-wesentlich zurückbleiben. Ihre bisherige Mandatszahl werdensie aber jedenfalls erreichen, während die Republikanerempfindliche Verluste erleiden und drei Mandate eingebüßthaben. Eine Statistik der Klerikalen zu machen, wäreverfrüht. Der„Osservatore Romano" bestreitet feierlich allenKandidaten das Recht, sich Katholiken zu nennen: eine vomPapst anerkannte katholische Partei gäbe es im Parlamentnicht.„Nicht anerkannte Klerikale" kamen namentlich inVenetien durch, während in Süditalien und in der Lombardeieinige große Tiere der bisherigen klerikalen Fraktion unter-legen sind.Was die Chronik des Wahltages betrifft, so charakterisiertsie sich ganz gut dadurch, daß man sie als nicht-telegrammfähigbezeichnet. Eine sanfte Anspielung auf einige Vorfälle lieferteunser gestriges Telegramm über die Wahlergebnisse der Jen-s u r aus. Es ist nämlich in Süditalien recht lebhaft zugc-gangen. In A n d r i a in Apulien gab es einen Toten undmehrere Verwundete, in Frattamaggiore bei Neapeleinen Toten, desgleichen in S a l e m i(Sizilien). Verwun-dete unter den Polizisten sind in Florenz zu verzeichnen,ebenso in Catania, in Ruvo usw. Am würdigsten warder Kampf in T u r i n, wo auch jede Propaganda durchMaueranschlag unterblieben ist und die Wahlbeteiligung trotz-dem sehr stark war. Hier haben auch einige 30 Blinde ihreStimme abgegeben, für welchen Fall das Gesetz die Annahmeeines Begleiters freistellt. In verschiedenen Wahlkreisenwurden Verhaftungen wegen Bestechung vorgenommen.In den Marken wurde auch ein Geistlicher verhaftet, der inder Kirche gegen den liberalen Kandidaten agitierte.Der Prozentsatz der Wahlbeteiligung ist noch nicht be-kannt, wird aber schätzungsweise auf 60 Proz. veranschlagt,etwa ebenso viel wie bei den vorigen Wahlen, was bei derErhöhung der Wahlberechtigten von 3 auf 8 Millionen einrecht zufriedenstellendes Ergebnis ist.Es ist noch zu früh, um die Physiognomie der neuenKammer zu skizzieren, doch läßt sich jetzt schon sagen, daß diewesentliche Veränderung in der V e r m e h r u n g d e r So-zialistenund derKlerikalen bestehen wird. G i o-litti, der diesmal der ganzen bürgerlichen OppositionPardon gegeben hat, hat unseren Kandidaten die Ehre scharferBekämpfung zuteil werden lassen.Alles in allem kann die Partei stolz sein auf das Ergebnis dieses ersten Wahlkampfes mit erweitertem Wahlrecht.Nach Wochen schwerer und aufreibender Arbeit harrt ihrer jetztnoch eine Stichwahlwoche, die das Aufgebot all ihrer Kräftefordern wird. Aber wie sie aus der Höhe der Anforderungendes ersten Kampftages war, wird sie sich auch denen des zweitenWahltages, der auf Allerseelen fällt, gewachsen zeigen.Die letzten Wahlrcsultatk.Rom, 30. Oktober. Bis jetzt liegen 507 Wahlresultate vor.Außer den bereits gemeldeten Wahlen ist die Wahl noch je einesMinisteriellen und eines ministeriellen Radikalen zu verzeichnen.Es fehlt noch das Resultat aus dem Wahlkreise Gallipoli. An denStichwahlen sind beteiligt: 100 Ministerielle, 29 Radikale, 5 ver-fassungstreue Oppositionelle, 13 Katholiken, 3 9 S o z i a l i st e n,6 reformierte Sozialisten und 10 Republikaner.poUtiscbe(leberllebt.Tie Königsmacher vor der bayerischen Abgeordneten-kammer.Unter gewaltigem Andränge des Publikunis vollzog sicham Donnerstag im bayerischen Landtage die Annahme derKönigsvorlage. Die ursprüngliche Absicht, in einer Reihe vonkurzen Erklärungen die Angelegenheit zu erledigen, scheitertean dem Eingreifen der Sozialdemokratie. Die leere höfischeDemonstration wurde dadurch zu einer denkwürdigen politi-scheu Kundgebung, die sich zu einer lebendigen, bewegten De-hatte steigerte, sehr gegen die Absicht der eiligen Königs-wacher, v. Hertling mußte mehrmals das Wort ergreifen.In immer größerer Verlegenheit ließ er sich zu Zugestand-nissen drängen. In verschwommenen Wendungen begründetezunächst der Ministerpräsident kurz die Vorlage, ohne die Not-wendigkeit und die rechtliche Bedeutung des Entwurfes klarerzu inachen, als in dem Regierungsentwurf.Dann gab Abg. Lerno mit einigen nichtssagenden Sätzendie Zustimmung des Zentrums zu erkennen. Nicht ohne poli-tische Energie war die folgende Erklärung des liberalen Abg.Casselmann. Die Liberalen stimmen zwar der Beendigungdes jetzigen unnatürlichen Zustandes zu, aber sie wollen denKampf gegen die Regierung und die Mehrheitspartei mit un-verminderter Schärfe fortführen. Casselmann forderte Aus-kunft über die Tragweite der Bestimmung betreffs der Mit-Wirkung des Landtages. Kann der Ländtag seine Zustimmungversagen? Und welche Rechtsfolgen hat es, wenn er die Zu-stimmung versagt?Nach weiteren Erklärungen der kleinen bürgerlichenGruppen erhob sich der Ministerpräsident, ohne abzuwarten,bis der Sozialdemokrat gesprochen, um� eine Danksagung andie bürgerlichen Parteien zu richten, die sein Vertrauen er-füllten. Auf die Frage nach der staatsrechtlichen Bedeutungder Mitwirkung des Landtages gab er nur ausweichende Ant-Worten......Die politische Höhe erreichte die Verhandlung nnt derRede des Genossen A d o l f M ü l l c r. die mit stetig wachsen-der Aufmerksamkeit angehört wurde. Je weiter Müller dieAmberger Rede Lernos gegen die Königsmacherei zerpflückte,um so nervöser wurde die Verlegenheit der Minister und desZentrums. Müller schloß sich dann der Frage nach der staats-rechtlichen Bedeutung der Vorlage an und forderte Auskunftüber die Kosten, die aus der Aenderung der Dmge entstehentverden. Er wies auf den Widerspruch hin, daß auch nach derjetzigen Vorlage bei einem geisteskrank geborenen König dieRegentschaft 28 Jahre dauern kann. Unser Redner schloß:Was hier vor sich geht, ist die Regelung eines monarchischenFamilienbedürfnisses durch eine vom Landtage hu bestimmendeAenderung. Das ist ein evolutionäres Ereignis, das sich be-ivegt in der Richtung des parlamentarischen Systems, das dieBahn freimacht zu weitereu Verfassungsänderungen, zu denenin erster Linie die Absetzung der- Reichsratskammer gehört.Die Gestaltung der Zukunft hängt nicht ab von der Gnadeirgendeiner Mehrheit oder eines bereitwilligen Ministeriums,sondern sie wird abhängen vom Willen eines freien, in seinersozialen und kulturellen Entfaltung ungehemmten Volkes.Nur solch ein Volkjtann die Staatsform der Zukunft be-stimmen, und diese Staatsform allein wird dann dauern.Die Unbestimmtheit der Auskunft Hertlings über die anihn gerichteten Anfragen veranlaßte dann noch den GenossenS ü ß h e i m, mit aller Schärfe verfassungsrechtliche Auf-klärung zu fordern. Vergebens. Der Justizminister schwiegund Hertling verweigerte auch die Antwort auf die Frage, wasdie Sache kostet.Bei der Abstimmung enthielten sich zwei demokratischeMitglieder der liberalen Partei der Stimme. EinigeZentrumsleute hatten sich Urlaub geben lassen. Sonst wurdedie Vorlage gegen die sozialdemokratischen Stimmen aiige-nommen.Am Dienstag wird der Rcichsrat die Vorlage annehmen;dann erfolgt die Absetzung des Königs und unmittelbar daraufwird dem Volke die Kostenrechnung für die neueKrone überreicht werden.iverleumderpack.Im Feuilleton Nr. 548 der„Deutschen Tageszeitung"findet sich in einem Artikel, Politische Kunstkritik überschrieben,folgender Ausfall gegen die Sozialdemokratie:Jetzt, bei der Jahrhundertfeier der Befreiungskriege gab einejedem Patriotismus feindliche, entartete Partei in Deutschland denVölkern des Erdballs das unerhört schimpfliche Schau-spiel, daß sie das Andenken der Helden von 1813 besudelte.Die„Deutsche Tageszeitung" gehört zu dem Preß-gelichter, das am lautesten gegen die angebliche Beschimpfung derHelden von 1813 durch die Sozialdemokratie tobt, ohne auch nureine einzige Artikelstelle aus der sozialdemokratischen Presseabzudrucken zu wagen, in der Erkenntnis, daß dann seinLügengebäude schmählich zusammenprasseln würde. Denn nieund nirgends haben wir das Andenken der Helden von1813„besudelt", sondern es vielmehr geehrt, im Sinne jenerhistorischen Wahrheit, die allerdings Potentaten, Junker und Hof-schranzen nicht gerade als die Helden von 1813 erscheinen läßt.Selbst eine Zeitschrift, die so auf dem Boden der herrschenden Ge-sellschaftsordnung steht und eher konservativ als liberal ist wie der„Türmer", mußte schon bor einigen Monaten zugestehen:„Das Jahr 1813 hat auch für den bürgerlichen Historiker eindoppeltes Gesicht, je nachdem man die nationale Erhebunggegen Napoleon oder die innerpolitischen Zustände betrachtet, dienach dem Kriege dem preußischen Volke geboten wurden. F ü rdie Sozialdemokraten sind diese innerpoliti-schen Zustände entscheidend gewesen. Der nationalenVolkserhebung haben sie. sowohl in Artikeln als in Broschüren,alle Ehre angcdcihen lassen. Wenn die Dinge aber so liegen, kannman ihnen vielleicht demokratischen Radikalismus vorwerfen, nie-nials aber nationale Würdelosigkeit. Man kannihren Radikalismus geißeln, wie man nur immer will. Wennman ihnen aber nationale Empfindungslosigkeitunterstellt, wo sie als Demokraten handeln, fälscht manihre Motive. Dadurch aber wird die vorhandene Situationin ganz überflüssiger Weise verschlimmert.". Das aber hält die Blätter der äußersten Reaktion nicht ab. inihrem lichtscheuen Treiben fortzufahren, sicher, daß sie nicht gefaßtwerben könnew Schon neulich hat der Schriftleiter des BLndler-blattes, Dr. Oer t e l, auf unsere bündige Aufforderung, anzugeben,wann und w o wir die Helden von 1813 geschmäht habenschmählich gekniffen. Jetzt wiederholt das Brotwucherblattwieder diese elende Verleumdung. Eine saubere Kampfesweije!Der„Berliner Lokal-Anzciger"geht, wie wir kürzlich meldeten, in die Hand eines der Reichs-regierung sehr nahestehenden kleinen Konsortiums über—und wird, wenn auch vielleicht in versteckter Form, o f f i-zielles Regierungsblatt. Die„München-Augs-burger Abendztg." weiß darüber zu berichten:„Der Verlag Scherl benötigte zur Ablösung gewisser Ver-pflichtungen eine Summe von mehreren Millionen, gegen die erAnteile zu verkaufen gedachte. Da nun die Reichsregierungein Interesse daran hat, sich den„Lokal-Anzeiger" weiterhinals offiziöses Organ zu erhalten, und sie befürchtenmußte, daß"bei der erwähnten finanziellen Transaktion ihr Ein-fluß auf das Blatt gefährdet werden könnte, hat sich die Re-gierung selbst bemüht, dem Verlag Scherl seine finanziellenAktionen zu erleichtern. Das ist in der Form geschehen, daßvon einigen der Reichsregierung nahestehendenSeiten ein Betrag von zehn Millionen Markzur Verfügung gestellt wurde, wofür sich der Verlag Scherl ver-pflichten mußte, den„Lokal-Anzeiger" ständig zur Verfügungder Regierung zu erhalten. Das Blatt ist jetzt also instärkerem Maße Regicrungsorgan als früher.August Scherl bleibt aber nach wie vor geschäftlicher Leiter."Diese Meldung ist unseres Wissens völlig richtig. Scherlbraucht Geld. Um dieses zu erhalten, hat er zunächst mit derFirma Rudolf Mosse bezw. deren Geschäftsfreunden Fühlunggesucht. Die Regierung aber fürchtete, daß im Falle einesUeberganges in den Mosseschen Besitz der„Lokal-Anzeiger" indas liberale Lager abschwenken könnte, sie hat deshalb einigereiche konservative Geldmänner bewogen, den von Scherl ge-forderten Betrag herzugeben. Das ist ihr auch gelungen. DerHauptgeldgeber ist, wie wir erfahren, Freiherr v. Twle-Winckler, der ungefähr sechs Millionen Mark zu diesem edlenZweck geopfert haben soll._Keine Hamburger Universität.Die Hamburger Bürgerschaft(das Hamburger Parlament) be«endete gestern die Beratung der Universitätsvorlage in der viertendiesem Gegenstande gewidmeten Sitzung. Ein Antrag Eiste, dieVorlage und den Antrag Dr. Drücker an den Ausschuß zu ver-weisen, wurde mit 80 gegen 73 Stimmen abgelehnt. Darauf wurdedie SenatSvorlage abgelehnt und der Antrag Dr. Drücker an-genommen, einen Ausschuß zur Prüfung der Frage einzusetzen, inwelcher Weise unter Fortsetzung der Ausbildung des Vorlesungs-Wesens der weitere Ausbau des Hamburger Kolonialinstituts alseiner selbständigen, der Forschung, der Lehre und der taktischen Aus-bildung gewidmeten Anstalt mit tunlichster Beschleunigung unddauernd ermöglicht werden könne.Damit ist die Universitätsvorlage gefallen.Feuersbrunst im Zentrumsturm.Alles deutet darauf hin, daß die Kämpfe im Zentrum zu neuenentscheidenden Zusammenstößen führen werden. Bor einigen Tagenhat die Kölner Richtung einen Vorstoß in das Saargediet unter-nommen, wo die dichtesten Kolonnen der„Berlin-Trierer" Richtung