8t 299. 30. IahrgiMg. t ßfilnjf des Jnmärts" Serlim loMIttt. Dovnttstag. 13. Nooembn 1918. Gcwerhfcbaftlicbea. Die amerikanischen Gewerhfd�aften im'Jahre 1912/ia. New Dort, 4. November 1913.(Cig. Ber.) Am Montag, den 10. Noveenber, tritt der Jahreskongreß der American Föderation of Labor(Amerikanischer Gewerkschaftsbund) zum 33 Male, und zwar in Eeattle(Staat Washington ) im äußersten Nordwesten der Vereinigten Staaten zusammen. Der kleine Bund, dessen Delegierte im Jahre 1881 auf dem ersten in PittSburg ab- gehaltenen Gewerkschaftskongreß knapp 4000 Mitglieder vertraten, wuchs während eines Zeitraum« von 32 Jahren zu einer Organi- sation, welche am 30. September d. I. 2 054 526(im JahreS« durchschnitt vom 1. Oktober 1912 bis zum 30. September d. I. 1 996 004) Mitglieder zählte, während es im letzten Jahre deren 1 770 148 waren. Verhältnismäßig recht unbedeutend sind die Jahreseinahmen, die im Jahre 1881 nur 174 Dollar, im abgelaufenen Jahre 244 292,04 Dollar betrugen. Das Vermögen stellte sich am 30. September auf 105 063.05 Dollar. Dabei ist jedoch zu berück� sichtigen, daß der Zentralverband fast nur VerwaltungS- und Organisationsausgaben hat. Dementsprechend führen die Verbände und die solchen nicht angegliederten Gewerkschaften pro Monat und Mitglied nur einen Cent(4'/« Pf.) als Beitrag ab. Mit ganz anderen Summen arbeiten die größeren, zur American Föderation ok Labor gehörigen Verbände. So wurden von diesen im Berichtsjahre allein an Streikunterstützung 3 345 721,43 Dollar (1 Dollar----- 4,25 M.) ausbezahlt. Dabei sind die Aufwendungen der einzelnen, den Verbänden angehörigen Gewerkschaften nicht mitgerechnet. Die höchste Summe an Streikunterstützungen zahlten die beiden miteinander im Kartellverhältnis stehenden Ver- bände der Berg Werksarbeiter aus, und zwar die ümted Mine Workers of America(organisierte Arbeiter des Kohlenbergbaus) 1 200 796,93 Dollar und die Western Föderation of Miners(Erzgräber) 150 188,34 Dollar. Außerdem ließ sich die Western Föderation of Minors die Unterstützung der Streiks anderer Verbände 17 270,30 Dollar kosten. Nächst den Bergleuten hatte der Verband der Damenschneider die größten Aufwendungen für Lohnkäinpfe zu machen, nämlich 300 000 Dollar. Zehn Einzel» gewerkschaften, welche keinem Verband angehören, zahlten 18 792 Dollar an Streikunterstützung aus. Nur ein Teil der Verbände gewährt seinen Mitgliedern Sterbe-, ein noch geringerer Teil Krankengeld; Arbeitslosenunterstützung haben acht, Reiseunterstützung zwei Verbände eingefiihrt. Zur Auszahlung gelangten an Sterbegeld 1958 392,83 Dollar, an Krankengeld 58 420 Dollar, an Arbeitslosenunterstützug 96 445,70 Dollar und an Reiseunterstützung 33 693,10 Dollar. Acht kleinere Verbände ge- währen ihren Mitgliedern auch beim Tod der Ehefrau Sterbegeld: dadurch entstand ihnen im Berichtsjahr eine Gesamtausgabe von 58 420 Dollar. Die höchsten Summen an Sterbegeld für Mitglieder zahlten die Bau- und Möbelschreiner(307 069,11 Dollar), die Zigarrenmacher und Tabakarbeiter(273 352,04), sowie die Schriftsetzer(234 457,69 Dollar) aus. Reiseunterstützung zahlen die Zigarrenmacher und Tabakarbeiter<33 113,10 Dollar) und die Tunnelarbeiter(58 000 Dollar). Mit 204 775,61 Dollar stehen die Zigarrenmacher und Tabakarbeiter an der Spitze der Krankengeld zahlenden Verbände; auf sie folgen die Former, deren Arbeit gleichfalls sehr gesundheitsschädlich ist, mit 159 434 Dollar. Angegliedert find der American Föderation of Labor 20 046 Gewerkschaften, von denen 659 Einzelgewerischaften sind und direkt der American Föderation unterstehen, während die übrigen Ver- bänden angehören, die ihrerseits der American Föderation of Labor angeschlossen sind. Die American Föderation umfaßt nicht nur Gewerkschaften, die in den Vereinigten Staaten , sondern auch solche, die in Kanada bestehen. Iftcht zur American Föderation of Labor gehören die Verbände der Maurer und Steinhauer, der Lokomotivführer, der Lokomotiv - Heizer, der Eisenbahnzugführer sowie des übrigen Eisenbahn-Fahr- Personals. Konkurrenzverbänd« der American Föderation ok Labor sind die früher so mächtigen, aber zur Bedeutungslosigkeit herabgesunkenen Knigbts of Labor(Ritter der Arbeit) und die syndikalistischen Industrial Workers of tbe World(Industriearbeiter der Welt), die ihrerseits in zwei Richtungen gespalten und numerisch schwach sind- Berlin und Umgegend. Achtung, Bäcker! Die Bäckerinnung zu Berlin hat heute nachmittag die Wahlen zum Gesellenausschuß angeordnet, und zwar in der Zeit von 2 bis 5 Uhr» in dem Konkordia-Jnnungshause, Andreasstr. 64. Gleichzeitig finden auch die Wahlen zum JnnungSschiedSgericht statt. Seit vielen Jahren sind die Feinde der organisierten Bäcker vergebens bemüht, sowohl den Gesellenausschuß als auch die Bei- sitzer zum Jnnungsschiedsgericht mit Vertretern der Gelben zu besetzen, und man hat vor den verwerflichsten Mitteln nicht zurück- geschreckt, um dieses Ziel zu erreichen. Solange die Bäckermeister in Berlin zwei freie Innungen besaßen, wurde der Wahltermin kaum 24 Stunden vorher veröffentlicht, während die Gelben schon lange Zeit genau über den Tag der Wahl informiert waren, und ihre Vorbereitungen treffen konnten. In Hunderten von Fällen wurden auch die Mitglieder des Verbandes, denen man keine Wahl. legitimation zugestellt hatte, von der Wahl zurückgewiesen, obgleich sie gestempelte Arbeitsbescheinigungen von ihrem, der Innung ange- hörenden Meister vorzeigen konnten. Die Gelben dagegen erhielten, wenn sie für„zuverlässig" gehalten wurden, Legitimationskarten in beliebiger Menge, die sie an ihre Leute ausgiebig verteilten. Jetzt haben die Bäckermeister nur eine Zwangsinnung. Zum zweiten Male wird jetzt der Gesellenausschuß in der neuen Zwangs- Innung gewählt. Die Unart, die Wahl kaum 24 Stunden vorher öffentlich bekannt zu geben, scheint glücklich beseitigt zu sein; nicht aber verzichtet man auf die sonstigen Schiebungen. Da? zeigte die Wahl im Vorjahre zur Genüge. Damals brachten eS die Gelben, die kaum 6 Wochen früher, bei der Wahl der Krankenkassendele- gierten knapp 50 Stimmen aufbringen konnten, bei der Gesellen- auSschußwahl auf 341 Stimmen. Ein solche» Resultat war nur möglich, weil man aus ganz Berlin und allen seinen Vororten die Gelben zur Wahl schleppte, obwohl sie unmöglich wahlberechtigt sein konnten, und weil Geistesverwandte der Gellben, die nie eine Bäckerei von innen gesehen hatten, mit einem Male Bäckergesellen und wahlberechtigt wurden. Trotz dieser krampfhaften Anstrengung siegte die Lifte de» Ver- bandeS mit 763 Stimmen. Auch diesmal werden diese JnnungSliebediener ähnliche krampfhafte Versuche machen! Steht doch für die Innungen nicht nur in Berlin , sondern im ganzen Reiche zuviel auf dem Spiele. Wie schön wäre es, wenn man einen Gesellenausschuß bekäme, der sich freudig zu Mameluckendieniten hergeben würde, der die Gesetz- gebung um„Arbeitswilligenschutz" und Ablehnung jeden Arbeiter. schutzes anflehen würde! Aber auch dieses Jahr wird die Mühe der Herren vergebens sein! Die organisierten Bäckergesellen werden ihre Pflicht er- füllen, was ja jetzt, wo jeder Bäckermeister der Innung angehören muß, nicht mehr ganz so schwer ist, als zu Zeiten der zwei freten Innungen. An die Mitglieder des Verbandes der Bäcker aber ergeht die dringende Aufforderung, heute nachmittag in der Zeit von 2 bis 5 Uhr in den Konkordiafestfälen, Andreas- st r a ß e 6 4, zur Wahl zu erscheinen. Die Wahl findet in der Weise statt, daß zwei Wahlurnen— je eine für den GesellenauS- schuß und für die Beisitzer zum Jnnungsschiedsgericht— aufgestellt sind. Die Stimmzettel sind so eingerichtet, daß für die betreffende Wahl der dazu bestimmte Teil leicht abgetrennt und in die dafür bestimmte Urne abgegeben werden kann. Die Leitung des Zentralverbandes der Bäcker und Konditoren, Berlin . Ausgesperrte Bauarbeiter. Der in der Arbeiterbevölkerung des Nordens ziemlich bekannte Warenhausbesitzer Löwenberg führt in der Swinemünder Straße Ecke Lortzingstratze einen Neubau auf, auf dem die Arbeitsbedin- gungen manches zu wünschen übrig lasten. So hat der bauaus- führende Architekt Adam die Jnnenputzarbeiten nicht wie üblich den Putzern direkt vergeben, sondern einem unter diesen nicht gerade angesehenen Putzmeister L ü n o w. Da die Preise, die Lünow den Putzern zahlte, derart bemessen, daß sie auch bei an- gestrengtester Tätigkeit nicht in der Lage waren, auch nur an- nähernd ihren Lohn verdienen zu können, kam durch Verhand- lungen am Mittwoch voriger Woche eine Vereinbarung zustande, nach der neben einer Preiserhöhung ein Abschlagslohn von 8 M. versprochen wurde. Am Sonnabendabend erhielten die Putzer aber bei der Lohnzahlung einen neuen Vertrag ausgehändigt mit dem Bemerken, wer dafür nicht arbeiten will, habe Feieravend. Der Kolonnenführer erklärte hierzu, die Putzer würden am Montag wieder an der Arbeit sein. Als sie am Montag früh erschienen, wurden sie auf Veranlassung der Bauleitung durch Schutz- leute vom Bau befördert, zu gleicher Zeit erschienen eine Anzahl indifferenter Putzer von der sogenannten„Freien Vereinigung(Moabiter Blaue) und nahmen an Stelle der Hin- ausgeworfenen die Arbeit auf. Hierzu nahmen nun die Außen- Putzer Stellung und legten aus Solidarität für ihre Kollegen eben» falls die Arbeit nieder. Der Bau ruht also vorläufig. Der Kutscherstreik bei Th. Schmiedigen. Eine am Dienstag abgehaltene stark besuchte Versammlung der Bau- und Arbeitskutscher des Bezirks Wedding und Reinicken- dorf bekundete den Streikenden ihre vollste Solidarität und ließ keinen Zweifel darüber, daß die organisierten Kutscher sich die Maß- regelung ihres'Vertrauensmannes nicht gefallen lassen. Sie wer- den diesen Kampf mit aller Energie durchführen, denn eS handelt sich ihrer Usberzeugung nach um einen mit dem Willen der Unter. nehmerorganisation versuchten Vorstoß gegen die Organisation und den Tariftiertrag. Eine von Unternehmerseit« ausgesprochene Ver- dächtigung, ein Streikender habe Ausschreitungen gegen Arbeits- willige begangen, wurde entschieden zurückgewiesen. Dagegen wurde ein Fall angeführt, wo ein arbeitswilliger Kutscher, als ihn ein Streikposten ganz ruhig ansprach, vom Wagen sprang und mit roher Gewalt gegen den Streikposten vorging. Der Referent Franke betonte, daß selbst die zum Schutze der Interessen der Firma Schmiedigen aufgestellten Söbutzmannsposten die Ruhe und Be- sonnenheit der Streikposten anerkannt haben. Dagegen scheint es, als ob der eine oder andere Schutzmann seine Ruhe bereits verloren hat. Als nämlich einige Schutzleute die von Streikenden an einem Zaun angeklebten Versammlungsanzeigen abkratzten, machten sie zu einem Streikposten die Bemerkung:„Bis jetzt ging alles ruhig, aber wenn Ihr nicht bald ein Ende macht, werden wir ander? mit Euch verfahren!"— Man sieht also, daß in manchem Schutzmanns- köpf immer noch die falsche Meinung herrscht, es sei Aufgabe der Polizei, Streiks zu unterdrücken. Das wird ja nun sicher nicht gelingen und die Streikenden, die sich bisher muster- Haft verhalten haben, werden der Polizei auch ferner keinen Anlaß zum Einschreiten geben. Wenn sich Herr Schmiedigen nicht bald zu einer Verständigung mit der Streikleitung versteht, dann wird diese sich veranlaßt sehen, die Kutscher derjenigen Fuhrunternehmer, welche jetzt die Arbeit für Schmiedigen machen, zur Arbeitsnieder- lcgung zu bewegen. Es sind fast ausnahmslos nur die Fuhrwerks- besitzer selbst und deren Söhne, welche Rausreißerdienst für Schmiedigen verrichten. Die bei diesen Fuhrwerksbesitzern beschäf- tigten Kutscher haben die Streikarbeit abgelehnt. In den nächsten Tagen wird es sich entscheiden, ob der Streik auf die bezeichneten Betriebe ausgedehnt werden soll. Denbfcstes Reich. Die Sitzung des'Haupttarifamtes für da? Baugewerbe wieder vertagt! Der auf den 11. und 13. November angesetzte Termin für die Sitzung des Haupttarifamtes ist in letzter Stunde auf- gehoben worden. Die Ursache für die Terminsaufhebung ist zurückzuführen auf die Schlvierigkeiten, die sich bei der Vor- bearbeitung für die Erledigung einiger Streitfälle ergeben haben und die bis zu dem angesetzten Termin nicht behoben lverden konnte»,._ Eine Niederlage der Gelben. Die MaschinenfabrikAugSburg-Nürnberg.Werk Augsburg, gilt noch immer als eine Hochburg der Gelben. Im letzten Jahresbericht des gelben WerkvereinS wird die Mitgliederzahl auf rund 2600 angegeben. E« ist daher begreiflich, daß man den Wahlen zur Betriebskrankenkasse in diesem Betriebe ein ganz be- sonderes Interesse entgegenbrachte. DaS Ergebnis ist eine ganz kleines feuiUeron Wenn w>r nicht besser»värcn als die Gesetze. Das öster- rcichifche Bereinsgesetz veovictek den Frauen jede politische Ber- cinigung, aber 20 000 österreichische Arbeiterinnen haben sich bereits politisch organisiert. Viktor Adler gedachte dieser Tatsache in einer Rede und machte dabei die Bemerkung:„Ja,»venu wir nicht besser wären als unsere Gesetze...!"?ln dieses Wort knüpft Josef Luitpold im„Strom" an: „Wenn wir nicht besser wären als die Gesetze...!" Der Sitz ist knapp und stharf— der Wappcnsvruch alles revolutionären Höhenftrebens. Wer»var besser, Sokratcs oder die Gesetze, die ihn den Schirlingsbecher leere» ließen? In ihr Nichts sind diese Gesetze zerfallen, aber ewig in die Zeiten hinein strahlt die Hoheit des hellenischen Weisen. Und weiterhin der unabsehbare Zug der Unsterblichen, die Forscher, die Denker, die Künstler, die lebens- tüchtigen Menschen alle! Die Erde galt als Scheibe, sie»viesen die Kugelgestalt nach; sie steht stille, hieß es, sie riefen: Und sie bewegt sich doch! Als Lästerer und Ketzer»vurden Spinoza und Galilei , Comenius und Wagner von den Hütern der Gesetze ver- schrien. Aber sie waren besser als die Gesetze, und die Gesetze versanken vor ihnen wie die Schatten vor der Sonne im Zenit. Wenn nicht immer wieder Menschen kämen, die besser sind als die Gesetze, gäbe es keine Zukunft. Die Zukunft ist eigentlich völlig ungesetzlich. Sie stellt für den Kodex den Antichrist dar. Darum gibt es so viele Paragraphen, die den Fortschritt bei Strafe verbieten Der Paragraph müht sich redlich, die Entwickc- lung abzuschaffen, aber am Ende schafft die Enlwickelung den Paragraphen ab. Soll nicht alles beim alten bleiben, so müssen die Menschen besser sein als die Gesetze. In Oesterreich arbeiten 35 000 Kinder in der Nacht. Wenn sich die Gesetzgeber und die Richter dieses Landes zu Bette legen können, bleiben 70 000 magere Kinderhände regsam, spinnen und spulen, schleißen Federn und kitten schachteln schier bis in den fahlen Morgen. Stellt euch diese 70 000 blassen und verträntcn Wangen vor, die Stätte des grauenvollsten Schaffens. Es ist gesetzlich. Ungesetzlich ist� es, wenn wir empört aufschreien und den Kleinen zn ihrem Schlaf verhelfen wollen. Aber dieser Wille zur Ungesetzlichkeit, er sei geheiligt! Denn wenn»vir so schlecht blieben»vie unsere Gesetze, käme die Schlcchtig- keil niemals aus der Welt. Die Dircktorwahl der Neuen Freien Volksbühne. DaS eben er- schienenen zweite Heft des Bereinsblattes der Neuen Freien Volks- bühne bespricht die vor einiger Zeit geschehene Wahl Emil L e s s i n g S zum künstlerischen Leiter der Neuen Freien Volksbühne. Die Zeitungen hatten seinerzeit geschrieben. Lessing , der Oberregisseur Otto Brohms, habe anfangs unter den Bewerbern nur eine einzige Stimme für sich gehabt. DaS ist aber, wie man nun hört,„nie- «, in keinem Zeftpunkt, der Beratungen" der Fall gewesen, vor allem nicht in dem Sinne, daß die Kandidatur LesfingS irgendwann als gleichgültig betrachtet worden wäre. Das VereinSblatl schreibt: „In Wahrheit sind aus der großen Zahl der Bewerber von vornherein nur drei ernstlich in Frage gekommen, unter denen sich Lesfing befand. Von diesem Kleeblatt schied ein Bewerber sehr bald aus dem Kreise unserer Erwägungen aus, weil er sich wohl recht gut für ein intimes Theater, ein Kammerspielhaus etwa, geeignet hätte, nicht aber für eine Bühne großen Stils mit umfassendem Repertoire. Blieben also zwei, darunter immer noch Lessing . Er war mithin während der ganzen Beratung von A bis Z m der vordersten Kandidatenlinie." Anfangs sind die Mitglieder der Jury, wie das VereinSblatl zugibt, für Lessings Konkurrenten gewesen, aber schließlich bekannten sie sich doch in großer Mehrheit— mit 11 von 13 Stimmen— zu Lessing , weil sie, wie das Vereinsblatt betont, die Sache über die Person stellten. Sehr wohl: das nehmen wir als selbstverständlich an. Es hätte aber nichts geschadet, wenn da? Vereinsblatt sich nun über die Gesichtspunkte, die bei der Wahl des künstlerischen Leiters eine Rolle spielten und im Gange der Verhandlungen die Wendung und Entscheidung zu Lessings Gunsten herbeiführten, deutlicher, als jetzt geschehen ist, ausgelassen hätte. Martin Brandenburg . Im Künstlcrhause(Bellevuestr. 3) sind mehr als sechzig Arbeilen des Berliner Malers Martin Brandenburg zu sehen. Was man hier zu sehen bekommt, das ist der ganze Brandenburg . Ein Träumer, einer, der mit schillernden Seifenblasen spielt. Kein großer Maler, aber ein liebenswürdiger Ballett ineister. Er verkehrt mit Elfen und mit den turbulenten Geistern der Walpurgisnacht, mit den Wurzelmännlein, wie sie im deutschen Walde Hausen, und mit allen Luftgesellen, die im Winde schwimmen. Brandenburg ist ein Märchenerzähler. Nun wird das Märchen aber vom Volk gedichtet, von den vielen, die eine Zeit er- leiden und besiegen. Märchen entstehen wie Wolken. Wer sie auf Befehl erscheinen lassen will, muß notwendig ein wenig Theater machen. Das ist das Schicksal aller individualistischen Märchen- erzähler. Auch Brandenburg entgeht ihm nicht; und so kommt eS, daß die Naivität, die er begehrt, zuweilen zur spiritistischen Hysterie zu werden scheint. Ein Bild, das er„Sphären" heißt, ist für seine Art sehr charakteristisch; um eine leuchtende Scheibe, das Symbol der Erde wie der Sonne, fließt ein Strom von Menschenleibern. eine mystische Figur nebelnder Fleischlichkeit. Oder:„Die blaue Stunde"; Jünglinge und Jungfrauen schweben im Schlaf, langsam erwachend, sehnsüchtig, begehrend, lief erschauernd, schweben und fallen im Dunst, der dem Föhreuwald entströmt, in der Ilnbestimm- barkeit der Dämmerung. Es läßt sich begreifen, daß ein Künstler solcherlei zu gestalten versucht; es läßt sich aber nicht verkennen, daß Brandenburg den Gefahren der gemalten Literatur nicht zu entgehen vermochte. Brandenburg ist nicht elementar genug, um Gesichte zu schaffen, wie sie auf den Wänden buddhistischer Tempel sich gewaltig regen. Brandenburg ist etwas vie ein Präraffaelit der märkischen Heid«. Er sieht im Gebräu der Moornebel farbensprühende Reigen, er hört den Schmerz klagen und die Freude lachen. Aber alles in allem geht es ihm schließlich wie jenem Kindlein, baS den Erlkönig tanzen und werben sah: es stirbt der Künstler, wenn die erhitzte Phantasie mehr begehrt, als sein Handwerk zu leisten vermag. rbr. Notizen. — Der mißglückte Parsifalplan. Professor Rüdel von der kgl. Oper vermittelte daS Engagement von etwa 70 Bühnenkünstlern für die Dauer von drei Monaten zwecks Veranstaltung deutscher Parsifalaufführuitgeli in Paris . Nun ist aber daS Pariser Theater deS Champs-Elysees in finanzielle Schwierigkeiten geraten, die Proben wurden plötzlich abgebrochen und die Engagierten sehen sich in ihrem Vertrauen auf Professor Rüdel bitter getäuscht. Aus ein ander- weitiges Engagement ist jetzt nach Saisonbeginn für manchen kaum mehr zu rechnen. Die Verbände der Bühnenkünstler haben sich der Sache angenommen. — Vorträge, lieber Riesenschiffe hält am Freitag- abend 3'/, Uhr im Bürgersaal des Berliner Rathauses Herr Dr. M i ch a e l f e n, Assistent am Institut für Meereskunde, einen durch zahlreiche Lichtbilder erläuterten Vortrag. — Kaifer-Frßedrich-Mufeum. Von dem altnieder« ländischen Maler Pieter Breughel , dessen Werke neben ihrer hohen farbigen Eigenart einen reichen Inhalt an kulturgeschichtlichen Werten bergen, besaß die Berliner Galerie bisher kein Gemälde. Jetzt wurde eine„Darstellung der niederländischen Sprichwörter", ein szenenreiches Bild, das Breughel 1559 gemalt hat, aus englischem Besitz erworben und im Kaiser-Friedrich-Museum ausgestellt. Zu- nächst leihweise, aber hoffentlich dauernd. — Nobelpreise. Der Nobelpreis für Physik wurde dem Professor Kamerlingh OnneS verliehen, der in seinem Welt- berühmten KSItelabotatorium zu Leiden die Methoden der Ver- flüssigung der Gase ausbaute und dem u. a. die Verflüssigung des Heliums gelang. Der Preis für Chemie fiel an den Züricher Professor Alfred Werner , der als Schöpfer einer neuen Vor- stellung von der Bindung der Atome für die anorganische Chemie Bedeutendes geleistet hat. — Eine Tragödie von Lilh Braun wurde im Bremer Schauspielhause am Ostertor aufgeführt. Sie spielt in Florenz , im Ringen einer Zeit, in der mittelalterliche Weltflucht und Weltsreude der Renaissance gegeneinanderstehen. Eine fromme Mutter beschuldigt sich der Teufelsbuhlschaft, um durch ihren Opfer- tod dem der Ketzerei angeklagten Sohne das ewige Heil zu retten. Mutter Maria" ist das Drama betitelt. — Die Elektrisierung der Gotthardbahn , be- günstigt durch die getvaltigcn natürlichen Wasserkräfte der Schweiz , wird vermutlich binnen kurzem in Angriff genominen werden, zu- nächst die Strecke von Bellinzona nach Erstfcld. Die Elektrisierung der ganzen Bahn würde die 23 Minuten lange Durchfahrt ohne besonderen Kraftaufwand auf 14 Minuten verkürzen,
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