Hus der Frauenbewegung.Die ßlaublultgen.Durch die rapide Steigerung des Geschäftslebens hat wie alleanderen Verkehrsmittel auch der Fernsprechbetrieb einekolossale Steigerung erfahren� Um nun diesem gesteigerten Verkehrzu genügen, ist man, wie in allen größeren Fabrikbetrieben, so auchbei der Behörde zur Einführung neuer Methoden übergegangen, diedie Ausnutzung der menschlichen Arbeitskraft erheblich steigern. Manhat nach amerikanischem Muster den Dienstleitungsbetrieb eingeführt.Aber was in amerikanischen Verhältnissen vielleicht noch erträglich ist,wird in einem behördlichen Betriebe zu unentrinnbarer Fessel. DerFernsprechbelrieb ist in Amerika in privaten Händen, und wenn damitauch nicht gesagt sein soll, datz die Arbeiterinnen dadurch genügend entlohntwerden, so besitzen sie doch das Koalitionsrecht, und können fürbessere Arbeitsbedingungen kämpfen.Man hat im deutschen Ferusprechbetrieb ein ganz famoseSSystem, sich billige Arbeitskräfte zu sichern, das sich nach Einführungdes Dienstleitungsbetriebes noch ganz besonders bewähren wirdDie jungen Beamtinnen werden hier mindestens neun Jahre mitdiätarischer Besoldung beschäftigt, und jeder Tag, den sie fehlen,wird ihnen vom Gehalt abgezogen. So wird die ganze Kraft darangesetzt, während dieser Zeit ja nicht krank zu werden, denn dasKrankengeld ist auch nicht hoch, und bei kürzerer Krankheitsdauerbleiben die ersten drei Tage unersetzt. So kommt es, dast in diesenneun Jahren mit der Nervenkrast direkt Raubbau getrieben wird.Waren nun bei der bisherigen Betriebsart noch Aussichtenvorhanden, das Anstellungsalter einigermaßen leistungsfähig zuerreichen, so wird eS wohl in Zukunft ein seltener Fall sein,daß eine Beamtin die neunjährige Tortur aushält, bis ihr mit derAnstellung etwas mehr Gehalt und die Pensionsberechtigung zufällt.Noch läßt sich kein endgültiges Urteil fällen, wie verheerend derDienstleitungsbetrieb in den Reihen der Telegraphengehilfinnen wütet,denn noch ist er in Großberlin nicht allgemein durchgeführt. Nurin einigen BermittelungSämtern, die außerhalb der eigentlichen Geschästssphäre liegen, ist er voll in Aufnahme gekommen. Aber innicht zu langer Zeit wird man ihn allgemein haben, denn es wirdeifrig daran gearbeitet, den Betrieb allerorts einheitlich zu gestalten.Selbst in diesen vom stärksten Geschäftsverkehr abseits liegendenAemtern ist die Arbeitsleistung einer Beamtin um das Drei» bisVierfache gestiegen. Wie statistisch festgestellt wurde, war bei der bisherigen Einrichtung eine Anzahl von 200 Verbindungen in der' Stunde kaum zu überschreiten möglich, während jetzt dieArbeitsleistung bis auf 900 Verbindungen sich steigert.Die Einrichtung im Dienstleitungsbetrieb ist derartig, daß sämtlicheweiterzugebenden Verbindungen innerhalb eines oder nach anderenAemtern auf einem Platz geschaltet werden können. Und dieseMöglichkeit wird natürlich bis ins äußerste ausgenutzt. Es werdenimmer weniger Arbeitsplätze in den Betrieb eingestellt, so daß dieBeamtinnen, welche diese Plätze bedienen, bis zum Rest ihrerLeistungsfähigkeit ausgenutzt werden. Es sind bereits Fälle vorgekommen, daß diese Beamtinnen vor Erschöpfung hinausgeführtwerden mußten. Es ist dieS auch kein Wunder, wenn man diekomplizierte Gehirntätigkeit der Telephonistinnen verbunden mitkörperlicher Anstrengung in Betracht zieht. Während die Beamtindamit beschäftigt ist, mit einer ihr genannten Nummer zu ver»binden, muß sie eine andere Zahl, die Dienstleitung, an-sagen; zu gleicher Zeit werden ihr schon neue Nummernangegeben. Wenn dann bis SlB Verbindungen in einer Stundehergestellt und getrennt werden, so kann man sich leicht vorstellen,in welchem Tempo dies vor sich geht. Aber auch während derbelriebsschwächeren Zeit, in den Mittags» und Abendstunden, trittfür sie keine nennenswerte Erleichterung ein. denn sie muß stetsaufnahmefähig sein, und dieses Verharren in derselben Spannung,ohne daß diese Spannung ausgenutzt wird, ist nicht weniger nerven»zerrüttend. ES ist gewiß einleuchtend, daß kaum ein Mensch einesolche Tätigkeit neun Jahre' lang täglich 6—8 Stunden hindurchausüben kann, ohne seine Nervenkraft schwer geschädigt zu haben.Es ist fast zur Regel geworden, daß die Beamtinnen, wenn sie dieAnstellung endlich erreicht haben, einen wochenlangen Krankheits-urlaub nehmen müssen, um durch Ruhe den Nerven etwasvon ihrer vergeudeten Leistungsfähigkeit wiederzugeben. Aber sobalddie Beamtin in den Dienst zurückkehrt, ist sie nach kurzer Zeit wiederüberarbeitet.Unter diesen Umständen ist es verständlich, daß Beamtinnen,die in Stellen kommen, wo sie dem anstrengenden Schrank-dienst enthoben sind, diesen Posten mit allen Mittelnzu beHallen suchen. Die AufsichtSbeamtinnen sind angewiesen,soviel Anzeigen als irgend möglich einzubringen; und so geschiehtes leider sehr häufig— ein schlimme? Zeichen für den Mangel anSolidaritätsgefühl unter der weiblichen Beamtenschaft— daß mancheine ftr solchem Posten aus übergroßer Aengstlichkeit, oder auch, umals tüchtige, diensteifrige Beamtin zu erscheinen, der Schrecken ihrerKolleginnen wird. Der Behörde steht das Recht zu, selbst bei denkleinsten Vergehen gegen die kleinlich strenge Dienstordnung Geldstrafenzu verhängen, wovon auch oft genug Gebrauch gemacht wird. Isteine Beamtin den Anstrengungen des Dienstes nicht gewachsen undmuß sie längere Zeit fehlen, so wird sie ohne alle Entschädigungentlassen, selbst wenn sie kurz vor der Anstellung steht und trotzdemnaheliegend ist. daß sie sich die Krankheit in Ausübung ihresDienstes zugezogen hat. Dienstunfälle, die einen Anspruch ausEntschädigung geben, sind bei dem jetzigen Betrieb fast aus-geschlossen, oder vielmehr wird dies von den Behörden und denVertrauensärzten für auSgeschlosien erklärt; aber desto verheerenderfind die sonstigen Wirkungen dieser Arbeit.Trotz dieser Zustände herrscht eine eigentüniliche Gleichgültigkeitin den Reihen der Beamtinnen gegenüber solchem System. Es wirddas erklärlich, wenn man bedenkt, daß fast das gesamte Personalaus dem sozialen Milieu des Mittelstandes, dem kleinen Beamtentumhervorgeht. Dann sind die Telephonistinnen auch völligrechtlos gegenüber dem Staate. Der Staat als Arbeitgebersteigert zwar ihre Arbeitsleistung ins Ungemesiene, verweigertihnen aber das Koalitionsrecht und das Recht auf Ehe und Mutter-schaft. Zwar hat sich vor etwa sechs Jahren ein Verein gebildet.der aber m"' unter solchen Bedingungen die behördliche Genehmi-gung erhielt, daß er zur Bedeutungslosigkeit verurteilt ist. Er darfnicht einmal Petitionen einreichen. Der Verein bat die„Hebung desStandesbewußtseins" als Hauptsache auf seine Fahne geschrieben undfordert noch die Absichten der Behörde, das Eindringen aus anderenSchichten der Bevölkerung, die das Ducken unter die Knute bereitsverlernt haben, zu verhindern. Und so ertragen die Telephonistinnenresigniert die Entrechtung ihrer Persönlichkeit. Diejenigen Frauen,die ihre Arbeitskraft dem Staate verkaufen, unterwerfen sich damitdem Zölibat. Statt ihr Streben darauf zu richten, diesen unwür-digcn Zustand zu beseitigen, sehen sie al» Angehörige einer sozialenSchicht, die keine soziale Zukunft hat. in der ihnen von ferne zu-winkenden Pension das Ziel ihres Strebens.Trotz der Ersparnisse, die die Behörde an Personal durch dieEinführung des DienstleitungsbetriebeS macht, wird die Armee der im»Vorwärts" Nr. 299.— Donnerstag, den 13. November 1913.Dienste des Staates stehenden Frauen größer und größer, und alldiesen Tausenden von Frauen versagt der Staat die einfachstenMenschenrechte, das Recht auf Mutterschaft und Koalition. WennVertreter diese« Staates über Geburtenrückgang zetern, so sollen sienur daran denken, wie vielen Frauen es genommen ist, vollwertigesGlied der menschlichen Gesellschaft zu sein. Nur von der Sozial-demokratie haben auch diese Arbeiterinnen eine energische Vertretungihrer Interessen zu erwarten, und gerade durch die gesteigerte Aus»beutung sollte auch in diesen Kreisen der Wille in Herz und Hirngehämmert werden, sich dem Befreiungskampfe des Proletariats an-zuschließen.SpitsenauskteUung.Von Zeit zu Zeit spüren die Damen der Aristokratie und deshöheren Bürgertums den Drang, der Oeffentlichkeit davon Kennt-nis zu geben, in wie selbstloser Weise sie sich um die armen Ar-beiterinnen bemühen. Diesem Drang verdankt die„Ausstellungvon deutschen Heimarbeiterinnen gefertigter Spitzen" im Abgeord-netenhause ihre Entstehung. Der Zweck der Ausstellung warweniger der zu zeigen, was Arbeiterinnen leisten, noch weniger der,zu zeigen, was sie bei dieser mühevollen Kunst verdienen, sondernlediglich der, die Erzeugnisse der in den Schulen des.„Vereins zurFörderung deutscher Spitzenkunst" beschäftigten Arbeiterinnen zuverkaufen. Die Ausstellung dauerte auch nur wenige Tage, da derVorrat nicht groß war, doch wurden Bestellungen auf weitere Her-stellung von den zum Verkauf ausgestellten Waren angenommen.Seit einigen Jahren haben es einige Damen unternommen,der alten Spitzenkunst zu neuem Lehen zu verhelfen. Sie grün-deten den genannten Verein, dessen Leiterin immer eine adeligeDame war(gegenwärtig Exzellenz von Hausmann). Von aus-gebildeten Lehrerinnen werden meist in ländlichen Bezirken Frauenin der Spitzcnherstellung unterrichtet. Neben den Schulen derFürstin Pleß in Hirschberg(Schlesien) bestehen solche in Ober-schlesien, Sachsen, Harz, Thüringen, Holstein, Eifel, Trier undBayern.Neben Klöppel- und Nadelspitzen waren auch in Metall auSge-führte Strickspitzen ausgestellt, ferner mit Fischgräten' gestrickteGarnspitzen, Filetarbeiten und die in Unterfranken hergestelltenLeinendurchzugarbeiten mit Stopfmustern und Stickereien. DieAusstellung war nur klein, sie zeigte aber neben den meterweise zuerstehenden groben und feinen Spitzen in allen Preislagen auchwunderfeine Arbeiten, die von der Handfertigkeit der Herstellerinnenhohes Zeugnis ablegen. Wer einigermaßen mit der Herstellungsartvertraut ist und weiß, daß die zirka 860 Arbeiterinnen, die derVerein angeblich beschäftigt, meist auf dem Lande leben, geht ge-Witz nicht fehl in der Annahme, daß die feinen Gebilde, die eine hoheKunstfertigkeit verraten, von den Lehrerinnen der Spitzenschulen,die groben Spitzen von den Schülerinnen hergestellt wurden. Käufe-rinnen und Verkäuferinnen waren Damen der hohen und höchstenGesellschaftskreise, die jedenfalls ganz unter sich zu sein glaubten.Sonst würden sie den Käuferinnen nicht in so unverblümter Weiseihre Ansicht über die ausgestellten Erzeugnisse vermittelt haben.So äußerte eine dieser Verkäuferinnen:„Die Sachen seien ja nochlange nicht so wie sie sein sollen, und man habe viele Mühe, bisman die Leute so weit habe, daß sie das leisten, was ausgestellt ist.Aber man verkauft es eben." Und gekauft wurde in der Tat rechtviel. Mit Brillanten überreich beladene Hände wühlen in denSpitzenvorräten, brillantengeschmückte Hände stellen die Kassenzettelaus. Daß sich auch einmal eine Arbeiterin unter die feudalenBesucher verirren könnte, schien den Damen ganz fern zu liegen.Auf die Frage nach der Arbeitszeit eines Gegenstandes wußte dieVerkäuferin nichts weiter zu sagen, als ein erstauntes:„Arbeits-zeit, Arbeitszeit? Nein, davon weiß ich nichts." ES hätte nur nochder Zusatz:„Das geht uns nichts an!" gefehlt.Wie nicht anders üblich, wurde den staunenden Besuchern dieTechnik des Klöppelns durch eine Thüringerin in ihrer Heimattrachtvorgeführt. Eine Besucherin, die dem Aussehen nach nicht zu den„niederen" Volksschichten gehörte, ließ sich dahin auS:„Wer sichschon einmal damit befaßt hat, weiß, daß man sich bei der Arbeitsolcher Sachen sein Brot nicht verdienen kann. Das sind Arbeitenzum Zeitvertreib, aber nicht zum Gelderwerb." Das war ein ge-rades, aber zutreffendes Wort. Die Auferweckung einer altenKunst in einer technisch hochentwickelten Zeit, in der die Maschineebenfalls wunderzarte Gebilde liefert, ist ein müßiges Beginnen.Die EntWickelung läßt sich auch nicht von Damen des Adels und desBürgertums aufhalten. Sie geht ihren ehernen Gang. Und dieseEntivickelung bringt eS eben mit sich, daß Erzeugnisse der Hand-fertigkeit zu teuer in der Herstellung werden, um auf Absatz rechnenzu können. Und wenn sie Absatz finden sollen, so geschieht eS aufKosten der Arbeitenden. Die Künstlerinnen des Volkes müssen beiihrer mühevollen Arbeit hungern, die Damen der Gesellschaft, die dieErzeugnisse, laut und lärmend bewundern und sie zum Schmuckihrer Garderobe verwenden, zahlen, zahlen sogar hohe Preise, ohnesich darüber Gedanken zu machen, ob der hoch scheinende Preis auchnur annähernd im Verhältnis zur Arbeitsleistung steht. Und dochsind unter den Künstlerinnen des Volkes diejenigen schon sehr hochbezahlt, die bei ihrer Arbeit einen Jahresverdienst von 380—400 M.erzielen. Weiß man ferner, daß ein Lehrkursus der Spitzenkunst4—8 Wochen dauern soll und daß neben einem Einschreibegeld vonb M. 40 M. Honorar dafür zu zahlen sind, so kann man nur dieArmen bedauern, die vielleicht ihr letztes Scherflein opfern in derHoffnung, einen lohnenden Erwerb zu finden. Um vor bitterenEnttäuschungen bewahrt zu werden, mögen Frauen und Mädchender unteren Volksschichten solche brotlosen Künste denen überlassen,die sie zum Zeitvertreib ausüben können. Aber gut wäre es, wennsolche Ausstellungen auch von Arbeiterinnen besucht würden, sei esauch nur, um zu lernen, daß Arbeiterinneninteressen niemals durchdie Damen des Adels und des Bürgertums vertreten werdenkönnen, sondern immer nur durch die Arbeiterinnen selbst. M. H.frauenberufe.Die Volksschullehrerin.In allen deutschen Staaten, mit Ausnahme von Lippe-Detmold,unterrichten Volksschullehrerinnen neben Volksschullehrcrn. Siewaren die ersten Beamtinnen, die der moderne Staat in seinenDienst nahm. Ausschlaggebend war dabei zum großen Teil die„Billigkeit" der weiblichen Lehrkräfte. Der Staat ist ja jederzeitbereit, von der Frau die gleichen Pflichten wie vom Mann zu ver»langen, aber er billigt ihr nur selten und ungern die gleichen Rechtezu. DaS Streben der Volksschullehrerinnen geht natürlich dahin,den Lehrern, sowohl was Stellung als auch was Gehalt anbetrifft,gleich zu werden. Erforderlich ist dazu die gleiche Ausbildung, diewohl aber erst dann wirklich ermöglicht wird, wenn wir keinespezifisch männliche und keine spezifisch weibliche Bildung mehrhaben, sondern eine allgemein menschliche.In allen Ländern außer in Mecklenburg müssen die Lehrervor ihrer ständigen staatlichen Anstellung ein zweites Examen ab-legen. Dagegen wird dieses zweite Examen von den Lehrerinnennicht allgemein verlangt, auch in Preußen nicht. Dort werden aberjetzt die Volksschullehrerinnen zum Rektoratsexamen zugelassen, dassie zur Leitung von Mädchen-, Volks- und Fortbildungsschulen be-rechtigt. In allen anderen Bundesstaaten sind die Lehrerinnenvon diesem Posten ausgeschlossen. In Baden, Mecklenburg undElsaß-Lothringcn können sie als Hauptlehrerinnen kleinere und vonMädchen besuchte Anstalten leiten. �.Die geringe Anzahl von Lehrerinncn-Seminaren, die nur11 Proz. aller Ausbiltknngsanstalten ausmachen, bedingen natür-lich, daß viel weniger Stellen mit Lehrerinnen als mit Lehrernbesetzt werden können. Selbst die beschränkte Zahl der ständigenLehrerinnenstellen kann nicht immer von Lehrerinnen besetzt wer-den. Weil aber die Zahl beschränkt ist, gelangen die Lehrerinnenspäter als die Lehrer und zum Teil nie zur ständigen Anstellung.Sie sind z. B. in Württemberg zur Ablegung des zweiten Examensgenötigt, ohne daß ihnen die Anwartschast auf eine ständige An»stellung wie den Lehrern gesichert ist.Trotz der so ziemlich gleichen Anforderung an Pslichtstundcnsind die Lehrerinnen, sowohl was Gehalt wie Wohnungsentschädi-gung, Ortszulagen, Pensionsberechtigung anbelangt, den Lehrerngegenüber im Nachteil. Dabei loben die jungen Volksschullehre-rinnen besonders auf dem Lande unter den gleichen Bedingungen inbezug auf Wohnung. Kleidung, Nahrung und Fortbildung wie dieLehrer. Nur einige Staaten gewähren Lehrern und Lehrerinnendas gleiche Ansangsgehalt. Tie meisten Staaten machen von An-fang an einen Unterschied zwischen Lehrern und Lehrerinnen. InPreußen z. B. erhalten Lehrer 1400 M. und eine Mietentschädi-gung von 330 bis 800 M. Lehrerinnen erhalten dagegen 1200 M.und 280 bis 860 M. Mietentschädigung.Mit der Verheiratung der Volksschullehrerinnen er-löschen ihre Gehaltsansprüche, auch wenn sie noch so viele Dienst-jähre hinter sich haben. Einige Staaten stellen verheiratete Lehre-rinnen auf Widerruf an. Ansprüche auf ständige Anstellung habensie aber nicht mehr. Die deutschen Volksschullehrerinnen sind alsozum Zölibat verurteilt. Sie stehen dadurch unter einem Ausnahme-gesetz.Wie die Vergleichsstatistik zeigt, besteht stellenweise ein großerUnterschied zwischen der Lage der männlichen und weiblichen Lehr-kräfte an den Volksschulen. Trotzdem ist der Unterschied in dengeforderten Leistungen ganz gering. Die Zahl der Pflichtstundcnist so ziemlich die gleiche. Dazu kommen die Korrekturen zu Hause,die Vorbereitungen für den Unterricht. Kein Wunder, daß bei denjungen Lehrerinnen, die mit Freude und Eifer ihr Amt antreten,bald Ueberreizung und Erschöpfung eintreten. Auch die überfülltenSchulklassen wirken darauf hin. Eine Lehrerin hat oft zwischen 80bis 120 Kinder zu unterrichten.Wie eine Vergleichsstatistik zeigt, besteht fast überall ein großerHebung des Lehrerstandes im allgemeinen, so kämpft sie auch dafür,daß die Lehrerinnen nicht als Menschen zweiter Klasse, nicht alsgeistig minderwertig betrachtet werden. Zu dieser Erkenntnismüssen sich aber vor allem die Volksschullehrerinnen selbst durcb-ringen, wenn sie eine Verbesserung ihrer Lage wünschen. A. B.Ein weiblicher Professor. Die Assistentin an der Kgl. Eharitiin Berlin, Fräulein Dr. med. Rahel Hirsch hat vor einigen Tagenden Professortitel erhalten.kinäerlllgen,Kleine Kinder lügen oft aus mangelhaftem Gedächtnis. Washast Du getan? fragt man sie. Es ist vor zwei Stunden geschehen,und das Kind denkt nicht so weit zurück. Da das Kind die Hand-lung für gleichgültig hielt, hat eS sie sich nicht gemerkt. Darumkönnen kleine Kinder lügen, ohne e« zu wissen. Darauf mutz manachten.Sie können auch aus Notwehr lügen. Sie wissen, daß siebei einem Nein frei ausgehen und daß sie bei einem Ja Schlägebekommen.Sie können auch lügen, um sich einen Vorteil zu verschaffen.ES ist eine der ersten Entdeckungen des erwachenden Verstandes,daß ein glücklich angebrachtes Ja oder Nein recht nützlich sein kann.Das hätzlichste ist, wenn sie sich gegenseitig beschuldigen. Siewissen, der Fehltritt wird bestraft werden, einerlei an wem. ESkommt also darauf an, einen Sündenbock zu finden. Da hat dieErziehung schuld. Diese Strafe ist reine Rache. Der Fehltritt sollnicht bestraft werden, denn das heißt, noch einen Fehler begehen.Der Uebelläter soll gebessert werden, belehrt werden, um seiner selbstwillen den Fehltritt nicht wieder zu begehen. Diese Gewißheit, daßder Fehltritt bestraft wird, ruft nur Furcht beim Kinde hervor, daßes für den Schuldigen gehalten wird; dann schwebt das Kind in be-ständiger Furcht, nian würde irgend einen Fehltritt entdecken.(AuSStrindbergS Selbstbiographie„Der Sohn einer Magd".)Litcrarircbes.Die Säuglingssterblichkeit in Altbayern und deren Bekämpfung.Von Dr. Johann Bapt. Roetzer.(Verlag von Duncker u. Humblot.München und Leipzig 1913. 82 Seiten. 2 M.) Bayern hat vonallen deutschen Bundesstaaten die höchste Säuglingssterblichkeit.Unter den europäischen Ländern folgt es unmittelbar hinter Ruß-land, das nach der Höhe der Säuglingssterblichkeit den ersten Platzeinnimmt. Würde man aber die rheinpfälzischen und fränkischenGebietsteile ausscheiden, so würde Bayern auch in ganz Europaan erster Stelle stehen! Insbesondere Ober- und Niederbayernund Oberpfalz können als das typische Säuglingssterblichkeits-gebiet bezeichnet werden. In ganz Bayern haben nicht wenigerals 16 Kreise(Bezirksämter) eine Säuglingssterblichkeit von30 Proz. und darüber, also doppelt so hoch als im Reichsdurch-schnitt mit 16,2 Proz. 18 dieser Kreise entfallen davon auf Alt-Hähern. Dieser soziale Tiefstand wird weiter dadurch illustriert,daß zahlreiche Bezirksämter eine gleich hohe Säuglingssterblichkeitaufweisen wie im Jahre 1878, während z. B. die Ziffer für Münchenvon 35 auf 17 gefallen ist. Ter Bezirk Regen in Niederbayernzeigte sogar eine Zunahme der Säuglingssterblichkeit von 29auf 32 in den Jahren 1878 bis 1910. Für diese ausfälligen undbeschämenden Tatsachen gilt eS eine Ursache zu finden. Roetzersieht sie hauptsächlich in der notgezwungencn Frauenarbeitder kleinbäuerlichen Bevölkerung. Dem Klima schreibt er einenur untergeordnete Bedeutung zu, obgleich in einzelnen Gegendender Hochebene der Wassermangel mit von Einfluß sein mag. Dieentscheidende Ursache sucht er mit Recht in der ErnährungSart derKinder, die infolge der Berufsarbeit der Frau vernachlässigt wird.Gerade die Bezirke der Klein- und Mittelbetriebe, wo die Bäuerinmitarbeiten muß, haben eine große Säuglingssterblichkeit. Beider Untersuchung, inwiefern die Einkommens- und Wohnungs-Verhältnisse und die Unehelichkeit von Einfluß sind, fehlt es demVerfasser leider an ausreichendem statistischen Material. DerVergleich von Sterblichkeit und Zahl der Armenunterstlltzten ist, wieRoetzer selbst einsehen mutz, für diese Fragen völlig unzureichend.Ein letzter Abschnitt der Studie beschäftigt sich mit den gesetzlichen undprivatenMatznahmen im Interesse des Mutter- und Säuglingsschutzes.Roetzer verzichtet aber vollständig auf eine Kritik der Unzuläng-lichkeit der bisherigen Maßnahmen, wie sie ja durch die erschreckendHohen Sterblichkeitsziffern für Bayern bewiesen wiro. DasSchlußwort kommt sogar zu einer durch nichts gerechtfertigten Lob-preisung, daß„Vieles und Großes bereits in verhältnismäßigkurzer Zeit geleistet worden ist".Mutterschaft oder Emanzipation? Von Dr. med. Adam Ander.(Verlag Paul Nitschmann, Berlin. 180 Seiten. 3 M.) DieSchrift des in Amerika lebenden Arztes ist typisch für die schwan-kende Stellung vieler unserer modernen Rassenbiologen. Einerseitssucht Ander nachzuweisen, daß die Aufgabe der Frau von der Naturfest umgrenzt ist; die Mutterschaft sei der ausschließliche Berufder Frau und jede andere Arbeit der Frau müsse ihr und der Ge-sellschaft Schaden bringen. Andererseits muß er zugeben, daßgesellschaftliche Verhältnisse rein natürliche Entwickclungstendenzcndurchhrechen.'Ander erklärt z. B-, daß die Einrichtung des per»sönlichen Eigentums zur Schädigung der Rasse führen muß. Ein»mal angenommen, daß das Ziel von der Ausschaltung der Frauen-berufsarbeit schlechtweg wirklich erstrebenswert ist— so müßteAnder sich doch der Bekämpfung der Ursache, nämlich dem Kampfgegen das Privateigentum, zuwenden. Er schließt seine Arbeitaber mit dem„Losungswort", die Naturwissenschaft auf den Schildzu heben, obgleich doch nur die Sozialwisscnschaft und der sozialeBefreiungskampf brauchbare Mittel zur Beseitigung deS Privateigentums sind.