Nr. 323.
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Redaktion: S. 68, Lindenstraße 69. Fernsprecher: Amt Morisplat, Nr. 1983.
Montag, den 8. Dezember 1913.
Die Schicksalsstunde.
Die bürgerliche Klasse Deutschlands hat, wie man zu prinzipielle Bedeutung der jüngsten Ereignisse klar macht, fagen pflegt, mehr Glück als Verstand. Noch jedesmal hat ist von vornherein Hopfen und Malz an ihr verloren. Es fie fläglich versagt, wenn es darum ging, sich im Kampf gegen handelt sich weder um den kleinen Leutnant Forstner noch die Geralten des achtzehnten Jahrhunderts ähnliche Rechte um den schneidigen Oberst Reutter noch um den eisenzu erovern, wie sie das Bürgertum anderer zivilisierter Län- frejserischen General Deimling und auch nicht um der genießt. Die legte verpaßte Gelegenheit fiel in das Jahr Falkenhayn und nicht um Bethmann Hollweg ; der papierenen Revolution, das Jahr der glorreichen No- all diese interessanten Personen sind legten Endes so gleichbemberrevolution von 1908. Als damals die Entrüstung gültig wie die Puppen in einem Kasperletheater, sondern über die gefährlichen Seitensprünge des persönlichen Regi- System prallt hier gegen System, Militarisments bis zu den Freikonservativen hinüber wilde Wogen mus und Verfassung stoßen zusammen. Freilich warf, hatte die Reichstagsmehrheit es in der Hand, konstitu- scheint dabei der Militarismus der eiserne und die Verfassung tionelle Garantien gegen fünftige Uebergriffe nicht nur zu der tönerne Topf zu sein, und wer in Scherben geht bei dem verlangen, sondern auch zu erzwingen. Sie tat es nicht. Als Zusammenstoß, scheint feinem Zweifel zu unterliegen, aber Herr v. Bülow vielmehr das Del seiner fettigen Beredsam- das ist nur Schein. In Wahrheit kann das Volk sehr wohl feit auf die hochgehenden Wellen schüttete, glätteten sie sich siegreich den Kampf gegen die Handvoll Junker und Militasofort, und ruhig glitt die Galeere des Absolutismus dar- risten durchführen. Als im November 1848 der bürgerlichen über hin. Revolution in Preußen mit den Kolben der Soldateska der Garaus gemacht werden sollte, rief die von Karl Marx und Friedrich Engels geleitete Neue Rheinische Zeitung " dem Bürgertum zu:
Vielleicht trägt doch mancher der Hasenfüße von 1908 jetzt um die schwächliche Haltung von damals bitter Neu und Leid, denn, was sich jetzt vollzieht, stellt bei weitem die Ereignisse von 1908 in den Schatten. Damals Worte, heute Taten! Damals ein monarchisches Staatsoberhaupt, mit der Naschheit seiner Entschlüsse, der Unbedachtsamkeit seiner Veröffentlichun gen und der Mittelalterlichkeit seines Gottesgnadenideaks die Welt in Unruhe und Erstaunen sekend, heute eine rücksichtslose Soldateska, Recht und Gesetz niedertrampelnd, den Bürger frech verhöhnend und mit dem Säbel die Verfassung wohlgemut zerschlitzend. 1908 brachte mit dem„ Daily- Telegraph "- Interview die Nuden und Muden des persönlichen Regiments zum Ausdruck, 1913 aber bringt den Anfang der Revolution von oben.
„ Ein Wrangel, ein Brandenburg begreift, daß sie einen Degen tragen und Uniform und Gehalt beziehen. Woher aber der Degen und die Uniform und das Gehalt, das begreifen sie nicht Das Königtum frost nicht nur dem Völker, es trobt dem Bürgertumt. Bestegt es also auf bürgerliche Weise. Und wie besiegt man das Königtum in bürgerlicher Weise? Indem man es aushungert. Und wie hungert man es aus? Indem man die Steuern verweigert. Bedentt es wohl! Alle Prinzen von Preußen, alle Brandenburgs und Wrangels prp= duzieren kein Kommißbrot. Ihr, ihr produziert selbst das Kommißbrot."
So steht es auch heute. Wenn die militärischen Gamaschenknöpfe nicht vor Recht und Gesez kapitulieren, sperrt So wenigstens fassen die ostelbischen Junker die Dinge ihnen das Kommißbrot! Verweigert wenigstens das Militärauf. Der Trommelwirbel auf dem Schloßplaz von Zabern , budget! Es bedarf nur der drei Dinge, die Danton bom der dem Wüten der übermütigen Soldateska gegen friedliche Konvent forderte: Kühnheit, Kühnheit und abermals KühnBürger voraufging, flingt ihnen lieblich zu Ohr als das heit! Aber wird freilich eine Gesellschaftsklasse diese KühnSignal zu jener Revolution von oben. Was gestern in Zabern heit gegen den Militarismus aufbringen, die in den Mamöglich war, soll morgen im Ruhrrevier und übermorgen in schinengewehren den sichersten Schutz gegen die drohende soziale Berlin möglich sein; daß konfliktslüsterne Kriegsknechte mit Revolution sieht? souveräner Handbewegung die Zivilbehörden beiseite schieben und ein schrankenloses Säbelregiment errichten. Wenn dann in den großen Städten, die solchen Konflikten andere Entwidelungsmöglichkeiten bieten als das kleine, ruhige, schläfrige Zabern , die Massen gegen die Willkür der Gamaschenknöpfe aufsässig werden, erteilt man den Maschinengewehren das Wort und die Gelegenheit, die von Bismard schon so heftig ersehnte, ist da, die soziale Frage als eine militärische Frage auf der Straße zu lösen, das heißt: die deutschen Arbeiter in einem furchtbaren Blutbad zusammenzutartätschen und alle oppositionellen Elemente in Festungskasematten verschwinden zu lassen.
Doch so oder so, die Schicksalsstunde für das deutsche Bürgertum fat geschlagen. Verpaßt es sie auch diesmal, so verdient es jeden Kolbenstoß in die Kniekehle und jeden Kommistiefeltritt ins Gesäß, den ihm der Militarismus in Zukunft noch versehen wird.
Beichwichtigungsmanöver.
Expedition: S. 68, Lindenftraße 69.
Reruivrecher: Amt Moritslas. Nr. 1984.
„ Als die Vorgänge in Berlin bekannt werden, erstattet der Reichskanzler alsbald dem Kaiser Bericht und verabredet mit dem Kriegsminister, daß dieser sich nach Donaueschingen begibt. Auf Vorschlag des Reichskanzlers und des Kriegsministers befiehlt Seine Majestät, daß unverzüglich aus Straßburg ein General nach Zabern entsandt wird, mit dem Auftrag, für die Wiederherstellung geordneter Zustände, des gehörigen Kontakts mit den Zivilbehörden und des guten Einvernehmens mit der Bevölkerung zu sorgen. Gleichzeitig ergehen vom Kaiser Befehle an den Statthalter und den kommandierenden General, daß sie für das Handinhandgehen der Zivil- und Militärbehörden zu sorgen hätten. Dem fommandierenden General gibt Seine Majestät auf, darüber zu wachen, daß das Militär unbedingt innerhalb der gesetzlichen Grenzen bleibe. Kaiser verlangt ferner von dem nach Zabern entsandten General genauen Bericht unter Vorbehalt seiner weiteren Entscheidungen. Der Statthalter entsendet zur Aufklärung des Sachverhalts einen Beamten des Ministeriums nach Zabern . Die erforder= lichen Untersuchungen werden von den Zivilund Militärbehörden vorgenommen.
Der
Ant 1. Dezember erklärt der Reichskanzler in einer vorläufigen Mitteilung, daß die Autorität der Geseze ebenso geschützt werde wie die öffentliche Ordnung und die Autorität der öffentlichen Gewalten. Am 8. und 4. gibt er eine Darstellung der Ereignisse und der ergriffenen Maßnahmen, wobei er keinen Zweifel läßt, daß er das militärische Vorgehen von der Räumung des Schloßplates an nicht mehr für gefeßlich halte, daß das begangene Unrecht seine Sühne finden müsse. Da inzwischen noch einige Verhaftungen durch Militärpatrouillen stattgefunden haben, befiehlt der Kaiser den Statthalter, den kommandierenden General sowie den Reichstanzler, der sich schon zuvor zum persönlichen Bericht angemeldet hatte, zum Vortrag. Das nächste Ergebnis der Besprechungen in Donaueschingen ist der Befehl Seiner Majestät, die Garnison von Zabern bis auf weiteres nach einem Truppenübungsplatz zu verlegen und die schwebenden kriegsgerichtlichen Verfahren mit Beschleunigung zu Ende zu führen. Mit dieser durchgreifenden Maßregel wird jede Gelegenheit zu weiteren Reibungen zwischen dem Militär und der Bevölkerung in 3abern be= feitigt."
Die ganze Darstellung hat, wie sich deutlich aus ihrem Wortlaut ergibt, keinen anderen 3wed, als zu beweisen, wie prächtig der Verwaltungsapparat funktioniert hat, und wie unnötig es sei, sich über die Vorgänge in Zabern , die doch eigentlich nur eine Bagatelle seien, irgendwie aufzuregen. in den Regierungsfreisen am schnellsten und bequemsten ohne Auf diesem Wege der Beschwichtigung hofft man offenbar jegliche Zugeständnisse über die unangenehme Angelegenheit hinwegzufommen und die Nationalliberalen wie die Zentrumspolitiker milde und versöhnlich zu stimmen. Es liegt Methode in diesem Spiel. Ganz sicher wird man daher in den nächsten Tagent in allerlei ganz- und halboffiziöjen Blättern lesen: der Kaiser hätte mit Weisheit eingegriffen, die kleinen Bergehen würden von den Kriegsgerichten unnach sichtlich gesühnt werden, und damit sei dann alles geschehen, was möglich sei, um wieder normale Zustände im schönen Elsaß herbeizuführen; jetzt noch weiter einmal Geschehenes aufzurühren, heiße nur die Schadenfreude des Auslandes herausfordern. Zwar stimmt die ganze Argumentation Der Reichskanzler fühlt das Bedürfnis, die Erregung über nicht, denn längst handelt es sich nicht mehr nur um die Besein Auftreten im Reichstag abzuschwächen. Schon seine am schimpfung der Elsässer durch den Leutnant v. Forstner, auch Donnerstag gehaltene zweite Rede hatte den klar ersichtlichen nicht mehr um die Uebergriffe des Obersten v. Reutter, sonDas ist die berauschende Aussicht, die sich im Zusammen- 3weck, den durch die erste Rede erweckten Eindruck seiner dern um die willkürliche Hinwegsehung der hang mit dem Zaberner Fall vor den Augen der brutalen gottergebenen Fügung unter den Willen der Militärgewalten Militärbehörden über die VerfassungsSunker und Scharfmacher aufint, und schon der helle Jubel, abzuschwächen jedoch ohne dem Reichstag irgendwelche Zu- rechte des deutschen Volkes und um die offene mit dem sie den Schirmherrn der brutalen Soldateska, den geständnisse zu machen oder den Kriegsminister zu demen- Provokation der deutschen Volksvertretung durch den sich willig Kriegsminister v. Falkenhayn, umfärnten, zeigt, was fie tieren. Jetzt hält er allem Anschein nach eine noch weitere den Ansprüchen des Offizierskorps unterordnenden ReichsKriegsminister v. Falkenhayn, umlärmen, zeigt, was sie Abichwächung für nötig, denn die„ Nordd. Allgem. Zg." kanzler und Kriegsminister, das heißt um die Frage:" So II im Schilde führen. In diesem General sehen sie den 3ta." In diesem General ſchen sie den viel- veröffentlicht an der Spike ihres lekten Wochenrückblickes eine das Militär herrschen oder das Recht?", aber begehrten„ dummen, aber starken Sterl", der das bißchen Par- Art Ergänzung der Donnerstagrede des Kanzlers, in der ver- der gute Bürger ist ja so genügsam und friedlich zumal jekt, lamentarismus in Deutschland zu Paaren treiben soll, in ihm sucht wird, es so darzustellen, als beruhten die scharfen Ent- wo Weihnachtssorgen seinen Stopf beschäftigen. Darauf spekuerblicken sie den Anwärter auf den Sessel Bethmann gegnungen, die die Kanzleräußerungen im Barlament und liert man offensichtlich in den höheren Regierungsfreisen. Hollwegs, den Unteroffizier als Reichskanzler, nachdem in der Preise gefunden haben, in wesentlichen nur auf falschen Wenn der gute Bürger sich in den Novembertagen 1908 so wir einen Siebenschläfer, einen Friseur und einen Oberlehrer Auffassungen und Mißverständnissen. Tatsächlich, leicht besänftigen ließ, weshalb sollte er sich jetzt nicht einals Kanzler gehabt haben. so erklärt das Stanzlerblatt, habe Herr v. Bethmann Hollweg fangen lassen? gar nicht sagen wollen und auch gar nicht gesagt, was man aus seinen Worten gefolgert habe, so daß nur die Annahme Reichskanzler nicht richtig verstanden oder nicht richtig verbleibe, gewisse Teile" des Reichstags hätten den stehen wollen:
Darum ist es auch eine schiefe Einschäßung der Lage, wenn man über den an sich unbedeutenden Zwischenfall jammert, der mit ein wenig gutem Willen hätte beigelegt werden können: man brauchte den Leutnant v. Forstner nur zu verjeten, nicht einmal in ein anderes Regiment, sondern nur in das dritte Bataillon der 99er, das in Pfalzburg in Garnison steht. Aber vorbeigeschossen! Daß der gute Wille bei dem Militär fehlte, daß eher die Welt zugrunde geht, ehe ein beim Zivil mißliebiger Jüngling mit Epaulettes entfernt wird, das ergibt sich mit zwingender Notwendigkeit aus dem System, das hier in Frage steht. Der Zaberner Fall ist kein Zufall, sondern ein Schulfall, und ebenso konnte sich der Konflikt zwischen dem Militarismus und der Verfassung denn darum dreht es sich hier!- in Krotoschin oder in Mörchingen oder sonstwo in einer der unzähligen Garnisonen der großen Raferne Deutschland entzünden.
„ Manche Ausführungen beider Reden sind bei der den Reichstag beherrschenden Stimmung nicht richtig verstanden und nicht sofort richtig gewertet worden. In gewissen Teilen des Hauses hat man das, was der Reichskanzler im Sinne der Beruhigung und Versöhnung sagte, offenbar auch nicht bcrstehen wollen. Diesem Eindruck wird sich niemand entzogen haben, der die Ausbrüche der Sozialdemokratie und besonders einzelner ihrer Wortführer während der Rede des Reichskanzlers beobachtet hat."
ten Ueberblick über die Entwickelung der Ereignisse, der das Dann gibt die Nordd. Allg. Ztg." einen wohlabgestimmVorgehen des Militärs in Zabern als recht unbedeutend hinstellt, und sucht darauf zu beweisen, wie der Reichskanzler sofort vermittelnd und einfichtsvoll eingegriffen habe:
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Amtliche Erklärung der Straßburger Regierung. Die amtliche Straßburger Korrespondenz" veröffentlicht folgende Erklärung:
Wie bereits gemeldet, ist das 2. Oberrheinische InfanterieRegiment Nr. 99, soweit es seinen Standort in Zabern hatte, nach dem Truppenübungsplaß von Bitsch und Hagenau verlegt worden. Diese Verlegung wurde verfügt, um die Möglichkeit weiterer Reibungen zu beseitigen und um Ruhe und Frieden in der Stadt Zabern wieder herzustellen. Weitere Maßnahmen, die geeignet sind, der allgemeinen Erregung ein Ende zu machen, sind bereits beschlossen. Ihre Ausführung wird erfolgen nach Abschluß des zurzeit anhängigen militärischen Gerichtsverfehrens, in dem die Verantwortung für die Vorfälle am 23. Nobember und an den darauffolgenden Tagen festgestellt werden wird und vorgekommene Gesezwidrigkeiten ihre Sühne finden sollen. Das Verfahren wird so rajch als möglich durchgeführt iverden."