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so Wohl begründete Lehre. Die Großmächte, mehr als ein- mal vor die Wahl zwischenPrestige" und Frieden gestellt, opferten das erstere� um den letzteren zu be- wahren..... Natürlich darf man die Haltung der Groß­mächte nicht so auslegen, als ob sie ausschließlich oder auch nur hauptsächlich in einer edlen, moralischen Be­griffen entsprungenen Liebe zum Fried en begründet wäre. Ach nein, sicher ist es vielmehr die Furcht vor den Folgen des Krieges, als eine richtige Ab- scheu gegen den Krieg selbst, die im großen gesehen, ihre Handlungen geleitet hat." Das hat kein Festredner im liberalen Bezirksverein gesagt, sondern der schwedische Premierminister, als er die militaristischen Hetzer im eigenen Lande zurechtsetzen wollte.' Es versteht sich, daß' unsere Offiziösen davon keine Nachrichten bringen wollten. Ebenso klar sprach Herr Staaff über die Frage einer �Älliance mit einer Groß Machtgruppe, die in den letzten Jahren von konservativer Seite propagiert wird. Demnach soll Schweden in einer A l l i a n c e m i t D e u t s ch- l a n d Schutz gegen eine befürchtete russische Invasion suchen. Staaff lehnte diese Forderung entschieden uh. Die Stellung der Kleinstaaten fei die der Neutralität, nicht die der Alliancen, erklärte er. Ein Anschluß Schwedens an die Tripelalliance würde nur eine Abkühlung des Verhältnisses zwischen Schweden und England, Frank- reich und Rußland zur Folge haben. In ausgezeichneter Weise wies der Premierdie unbedachten Reden vorlauter Unruhestifter" zurück, die das Verhältnis zwischen Norwegen und Schweden zu trüben suchen, und er betonte mit größter Entschiedenheit die unzerstörbare Freundschaft der beiden Bruderländer. Also auch diejenigen kamen auf ihre Rechnung nicht, die Schweden als den Verbündeten Deutschlands schon in, der Tasche hatten, und die Dänen- hetze im ScherischenTag" hat eines ihrer Fundamente ver- loren. Noch übler freilich war die Rede Staaffs, immer noch Vom Standpunkte des deutschen offiziösen_ Telegramm­bureaus. als er sich mit den Landesverteidigungs- p fl ich t e n det verschiedenen Klassen, derbeiden Nationen" im Staate, befaßte. Herr Staaff will wesentliche Teile der Heeresreform bereits denp kommenden Reichstag zur Lösung unterbreiten, aber er weigert sich bestimmt, die Uebungszeit der Infanterie schon von diesem Reichstage verlängern lassen. Die Wahlprogramme aller Parteien, sagt er, haben bei den letzten Wahlen den W ä h- lern entsprechende Zusicherungen gegeben und diese Versprechungen dürfen nicht gebrochen wer- d e n. Aber man habe genug, das schon jetzt gelöst werden könne. Und hier stellt er sein Prinzip auf: Die Besitzenden sollen durch ihre Opferwilligkeit erst beweisen, daß sie ihren Teil an der Landesverteidigung tragen wollen, sie sollen in der Form von erhöhter Ver- mögens- und Erbschaftssteuer sowie einem direkten Wehrbeitrage(wie der deutsche) ihre Bereitwilligkeit zeigen, nachher wird man den arbeitenden Volksmassen das Opfer an Zeit und Knochen zu- muten können. Dazu will der Premier eine stärkere Her- anziehung derjenigen Kreise zum Militärdienst,die von dsr Gesellschaft größere Vorteile genossen haben", in erster Linie die Studenten, deren Uebungszeit auf 5l)st Tage zwecks Ausbildung als T r u p p e n i n st r u k t e u r c festgesetzt werden soll, während die unteren Truppenführer aus dem .Jahreskontingent entnommen und 365 Tage ausgebildet wer- den sollen. Während also in Deutschland schon das Ein- jährigenzeugnis ein militärisches Privilegium begründet, wird in Schweden das Abiturium irach der kommenden Vorlage erhöhte Pflichten hinsichtlich der Landes­verteidigung im Gefolge haben. Und zivar wohlbe­gründete Pflichten, entstanden als Gegenleistung für die größeren Opfer, die die Gesellschaft als Ganzes diesen Bevorzugten gebracht hat. Derartige ketzerische Anschauungen im Munde eines Premierministers kein Wunder, daß alle offiziösen Telegrammdrähte außer Funktion gerieten! Herr Staaff hat bereits einen Gesetzentwurf fertig, der dem Reichstag sofort zugehen wird. Dieser Entwurf sieht eine Reform der Kriegsgesetzc vor: er verlangt die Beseiti- gung aller unzeitgemäßen Strafarten, wie dunkler Arrest usw., ferner der Willkür der Vorgesetzten; das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Gemeinen 10II auf Gerechtigkeit tm la! Die Schüsse auf Dakowymokre haben in der bürgerlichen SensationSpresie lauten Widerhall geweckt. Ein Graf und Reichs tagsabgeordneler, der seine Gattin, eine Gräfin aus dein berühmten Geschlecht der Potocki, mit ihrem Neffen nächtlickierweise im Schlaf- »immer der Frau findet und kurzerhand beide mit Schrot über den Haufe» schießt heil das ist in dieser politisch stillen Zeit um Weihnachten ein gefundenes Fressen für unsere Schmocks, und so servieren sie, mit pikanter Brühe übergoiien, die ganze Geschickte flugS ihren Lesern, die sich um so heißhungriger darauf stürzen, als ihnen von der um den Weihnachtsbaum herum grassierenden Pfeffer- luckensentimentalität schon ganz flau im Magen ist. Da aber die Tatsachen des Falles tief im Dunkel lagen, mußten sich unsere Schmocks die ganze Fülle derspannenden" undromantischen" Einzelheiten aus den Fingern saugen, und so sah man bald so, bald so die Films vorüberscbnurren. auf denen der Graf MielzhnSki einmal in der Unglücksnackt von einer Fesilickkeit in Posen mit dem Auto beimkehit. eüi andermal den ganzen Abend vor der Tat mit seiner Gattin und dem Gast in traulichem Ge- plauder zu Hause verbringt, aber auf denen er in jedem Fall mit der Jagdflinte und der elektrischen Taschenlampe gespenstisch die Treppe von seinem zu ihrem Zimmer hinabsckleicht. Mit gutem Grunde hält sich die sozialdemokratische Presse seit jeher von dergleichen ekler Sensationsmache fern und in diesen Be- trachtungen, die sich a» die Bluttat auf Dakowymokre anschließen. soll von dem Täter und den Opfern auch gar nickt viel die Rede sein. In die Herzen könnte man ja dann nicht einmal hineinsehen, wenn der Tatbestand der düsteren Sckloßgeschichte so ausgehellt wäre, wie er heute noch dunkel ist. Man weiß nicht: Hatte sich der Graf Ai i e l z y u S k i aus tiefer Zuneigung wieder mit feiner Gattin versöhnt oder, da ihr ein reiches Erbe zugefallen, aus Gewinnsucht? Verknüpften wirklich enge Bande die Gräfin mit dem jungen Grafen oder drang hier nur ein betrunkener stürmischer Werber m daS Schlafgemach einer! begehrten Frau? Lebte hier die alte wundersame Legende von der berückende» Königin und dein zarten Pagen wieder auf oder handelte eS sich nur um ein banales«lkovenabenteuer zwischen einer leichtherzigen Schönen und einem gierigen Lebejüngling? Trug sich der Graf Matthias schon lange mit dem finsteren Plan oder hob er in der jähen Ueberraschung des Augenblicks die Waffe? So viel Fragen, so viel Rätsel, so viel Deutungen! Ein Freund, det MielzhuSkis Wesen näher kannte, erzählt: ES war ein Unbewußtes in ihm, das ihn willenlos machte", und «an denkt an«in rührgrausiges Trauerspiel B eer- H o ff» basieren, die Pflicht des Gehorsa ms soll in ver- künftigen Grenzen gehalten werden; juristische Elemente sollen bei der d i S z i p l i n ä r e n Bestrafung heran- gezogen werden und in den Kriegsgerichten solldas z i v i I e E ke m e n t U e b e r g e w i ch t bekommen. Ferner soll ein Mi I i t ä r a n w a I t s a m t eingesetzt werden, das die Beachtung der Gesetze und Verfassungen beim Militär überwachen soll. Was Herr Staaff hier gibt, ist ein Schlag ins Gesicht aller militaristischenPreußeN", wie man den gesinnungs- tüchtigen Militarismus ini Norden nennt. Darüber schwei- gen die ossiziöseii Nachrtchlenbureaus. Heber die militärtechnischen Fragen konnte Herr Staaff noch keine endgültige Darstellung geben. Er will das militärpflichtige Alter um ein Jahr zurückschrauben, von 21 auf 20 Jahre, um eine neue Jahresklasse zu gewinnen. Tie Uebungszeit der Artillerie soll von 240 aus 365 Tage, der Küstenartillerie und Marine von 300 auf 365 Tage er- höht, die des Trains von 240 auf 210 Tage herabgesetzt werden. Tie Flotte soll auf den Schutz gegen' Landung feindlicher Streitkräfte an den Küsten zugeschnitten werden, die Landung in den Schären soll sie verhüten, an der Küste hindern können. Zu diesem Zweck sollen Torpedo- und Unterseeboote in erster Linie gebaut werden, aber auch sechs bis sieben Panzerschifse. Die wichtigste Frage ist nach dein Premier die Be- schaffung genügender und genügend ausge- bilde ter Offiziere und Unteroffiziere. Die letzteren teilt er in Truppenführer und Instrukteure. Zehn Prozent des Jahreskontingents der Wehrpflichtigen sollen zu Truppenführern ausgebildet werden("365 Tage Ausbildung), sie können durch ein weiteres freiwilliges Dienstjahr zu In- strukteuren aufrücken. Die einmaligen Kosten sollen durch einen Wehrbeitrag von 60 Millionen Kronen erhoben werden. Die weiter entstehenden laufenden Kosten durch Erhöhung der direkten Steuern(Erbschafts -, Vermögens- usw. Steuern). Zweifellos zeichnet sich diese Rede des Herrn Staaff durch große Klarheit und durch den festen Willen aus, eine Heeresreform auf demokratischer Grundlage in Schweden durchzuführen. Die Behandlung der Offiziers- frage sowohl als die Reform der Kriegsgesetze entspringen durchaus demokratischen Grundsätzen. Auch die Deckung der neu entstehenden Kosten ist dem bisherigen System in Schweden , den Löwenteil auf den Massenkonsum abzu- wälzen, schnurstracks zuwider. Kein Wunder, daß die kon- servative Presse Schwedens vor Wut schnauft, und daß die offiziösen Telegrammbureaus schweigen. pobtifebe Cleberfiebt. Jagotvs Geist. Die Umsturzgelüste des Junkertums gegenüber Recht und Ler- fassung, die in der famosen Kriegserklärung des Herrn v. Jagow gegen das Straßburger Kriegsgericht einen so unverfrorenen Aus- druck fanden, haben auch einen Staatsanwalt(vorsichtiger- weise nennt sich der Mann nicht) veranlaßt, in derDeutschen Tageszeitung" einen Artikel zu veröffentlichen, der ganz Geist vom Geiste der Jagowschen GesetzeSuntennwiS und Gesetzes- Verhöhnung ist. Der Herr Staatsanwalt behauptet, daß nicht nur Forstner zu Unrecht verurteilt worden fei, sondern daß umgekehrt der mit Kolben- stoßen mtd dem Säbel mißhandelte Schustergeselle Blank wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verurteilt werden müßte:Die Festnahme des Schusters mochte tausendmal ungerecht- fertigt sein, für den Ofstsier war sie es nicht, da sie ihm be- fohlen war." Blank hätte sich dem Willkürakt unbedingt unter- werfen müssen. Sein Widerstand sei eine strafbare Hand- lung gewesen und der Leutnant Forstner sei durchaus be­rechtigt gewesen, den sich Widerstrebenden mit dem Säbel zu traktieren, da er sich Widersetzlichkeiten zuschulden kommen ließ. Der Herr Staatsanwalt ist offenbar ein ebenso rechtskundiger Herr wie der Herr Dr jur. v. Jagow. der noch immer Berliner Polizei- Präsident ist, obwohl seine Amtshandlungen einen ununterbrochenen Feldzug gegen das Gesetz darstellen. Haben wir doch schon daraus hingewiesen, daß auch seine berühmte Ansprache an die Berliner Schutzleute einer offenen Gesetzesverhöhnung und Desavouierung der Moabiter Richter gleichkam. Der ungenannte Herr Staatsanwalt weiß nicht einmal, daß das Militär-Straf- gesetzbuch einen ß 47 enthält, der besogt, daß für die g e s e tz- widrige Ausführung eines Befehl» in Dienstsachen nicht allein der mannsDer Graf von CharolaiS". Auch hier ein Ehebruch, auch hier Blut und Tod. und auch hier sind die Menschen willenlos, gc- trieben von einer Macht im Innern, von der ihr Bewußtsein nichts weiß.. Der Graf von CharolaiS hat den Liebhaber seines Weibes, einen Fant und Lasten, erwürgt wie eine Katze und sie zur TodeS- strafe verdammt, die sie selbst an sich vollzieht, und nun steht er da, entsetzt wie von etwas Unfaßbarem: Ich trieb sie ja wohl in den Tod, Icktrieb" fiel Trieb" ist daS Wort nicht wahr? Ich trieb sie nicht! Es" trieb uns treibt uns!ES!" Nicht ich nicht Du! So. in diesem Gefühl, daß eine fremde Macht ihm den Arm führte, stand vielleicht auch der Graf MielzynSki vor den beiden Leichen, und auf jeden Fall ist es Torheit und Schlimmeres, schon jetzt zu urteilen, überhaupt zu v e r urteilen. Denn als ein Unding will es erscheinen, daß Menschen über Menschen richten, die ewig Unvollkommenen über die ewig Unvollkommenen, die im Bann der Verhältnisse Handelnden, und eine spätere Gesellschaft wird sich wohl zu schützen suchen vor dem Schaden, mit dem der sogenannte Verbrecher der Allgemeinheit droht, aber sie wird nicht richten, ver- urteilen und strafen. Freilich, der Graf MielzynSki hat auch gerichtet, und hier beginnt sein Fall die individuelle Beschränkung zu verlieren und soziale Bedeutung zu gewinnen, zumal da manche Blätter die Tragödie auf Dakowymokre mit Ueberschciflen verseben wieDer Rächer seiner Ehre". Der Rächer seiner Ehre? Zwar zu Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts durfte der geistreiche Franzose C h a m f o r t noch den hübschen Satz prägen:Der Ehebruch ist ein Bankrott, jedoch mit den, Unterschied, daß nicht der Bankroltierer. sondern der durch den Bankrott Geschädigte der Entehrte ist", und weite Kreise nicken noch beute zu dieser Meinung Beikall. aber uns, die wir auf die gesell- schasiliche Gmndlage aller menschlichen Einrichtungen, auch der Ehe. hinabblicken, erschein' die Ausfassung, daß deS Mannes Ehre im Schoß de» Weibes rubt. wie die Stimme aus einer anderen Welt. Uns ist ja die heutige Einehe nichts Heiliges oder Unbedingtes, nichts Ur- sprüngliches oder Endgültiges, sonder» ibrer Entstehung nach lediglich eine Folge des Privateigentums zu dem Zweck, dem Manne, legitime Erben zu gebären. Zu diesem Ende mußte in der ganzen Gesell- schaft. deren stolzer Bau sich auf dem Boden des Privateigentum« erhebt, die Frau in der Ehe und auch außerhalb der Ehe minderen Rechtes sein, wie sie es bis auf diesen Tag ist. Wenn der Beamte am Altar die Braut salbungsvoll mahnt:Vergiß nicht, daß ge- schrieben steht: Er soll dein Herr sein so ist das nichts als ein Widerball aus dem bürgerlichen Gesetzbuch, das, vom römischen Recht über den Code Napoleon biS zu unseren Paragraphen, daS Weib stets ins Unrecht setzt vor dem Manne. Die Frau ist Eigentum deS Mannes, der Mann hat volle Vorgesetzte verantwortlich ist, sondern daß auch den gehorchen« den Untergebenen die Strafe deS Teilnehmers trifft. wenn er den ihm erteilten Befehl überschritten hat, oder wenn ihm bekannt gewesen, daß der Befehl deS Vorgesetzten einer g e s e tz« widrigen Handlung gleichkam. Forstners Vorgehen gegen Blank war aber eine Gesetz- Widrigkeit, wie das Straßburger Kriegsgericht ja festgestellt hat. Er handelte nicht einmal in Ausführung des Befehls eines Vorgesetzten, der ihn freilich angesichts der offensichtlichen Gesetzwidrigkeit seiner Handlungsweise vor der Strafe des Teilnehmers nicht geschützt haben wurde. Forstner hatte nicht nur kein Recht, den Blank festnehmen zu lassen, er hatte erst reckt kerne Entschuldigung dafür, daß er einen Wehrlosen mit dem Säbel über den Kopf hieb. Dagegen handelte Blank durchaus korrekt, als er gegen den gesetzwidrigen Ueberfall der Forstnerschen Manm'chaften sich zur Wehr setzte. Dieser Zusammenhang müßte einem Staatsanwalt, der auch nur einen Schimmer der verfassungsrechtlichen zivil- und Militärgericht- lichen Bestimmungen hat, ebenso klar sein, wie er dem Siraßburger Kriegsgericht bei seiner Urteilsfällung klar gewesen ist. Aber die Tadler des Straßburger KriegSgerichtsurterls pfeifen eben auf alle Gesetzmäßigkeit, indem sie die Beamtenwillkür und Militärdiktatur als daS oberste aller Gesetze proklamieren. Es Handel! sich eben um nichts anderes, als einen bewußtenVorstoß gegen den Rechts- staat zugunsten deS souveränen W i l lkü r r e g im en t S der Soldateska! Wir werden ja sehen, ob diese Rebellion energisch niederge- schlagen wird oder ob die Umstürzgelüste der kleinen aber mächtigen Terroristenpartei den Sieg davon tragen! An die Adresse v. Jagotvs. Köln , 24. Dezember. (Privattelegramm des ,.V o r w ä r t s".) DieKölnische Zeitung " verur- teilt weiterhin in schärffter Form das Auftreten des Ber - liner Polizeipräsidenten v. Jagow und erklärt, Jagow lyolle die letzte, wenn auch geborstene Säule des aufgeklärten Despotismus markieren, dessen Grundsatz wqr: alles für das Volk, aber nichts durch das Volk. Wie die Vertreter einer solchen Meinung über den Fall Forstner dachten, brauchte er, nicht erst durch dieKreuz-Zeitung " mitzuteilen. Wenn er es aber doch tat. so wirkte nur überraschend das schlechte Vorbild, welches damit ein hoher Beamter aufstellt, indem er das Gericht in seinen Entschließungen zu beeinflussen sucht. Daß ihm dieses gelingen könnte, befürchten wir nicht- aber dieses schlechte Beispiel, dieser Mangel an st a a t l i ch e r G e s i n n u n g u n d D i s z i p l i n ist von solcher Stelle ans höchst bedauerlich. Die Sache wird auch dadurch nicht besser, daß Jagow jetzt erklärt, er habe nur seine Privatmeinung ausgesprochen. Auch das zeugt von einem Mangel an Augenmaß in öffentlichen Angelegt nbeit»n oder soll nur eine Ausrede sein. Was Jagow, der Privat- mann, denkt und tut. ist der Oefsentlichkeit gleichgültig und entbehrt des allgemeinen Interesses. Es geht die Oessent- lichkeit nur insofern an. als Jagow Polizeipräsident von Berlin ist. Hätte er den Drang in sich gefühlt, als Privat- mann lediglich durch das Gewicht seiner Gründe auf die öffentliche Meinung zu wirken, so hätte er. wie auch wir Journalisten es tun, getrost in Namenlosigkeit bleiben sollen. Der Prozeh des Zdriegsmiuisters gegen dasJournal d'Alsaee- Lorraine". In dem Prozeß des ÄriegsministerS gegen dasJournal d'AIsace-Lorraine" wegen dessen Bemerkung, die preußische HcereS« Verwaltung gedenke im Fall eines Krieges die elsaß-lochringische» Soldaten als Kanonenfutter zu verwenden, wurde gestern mittag in Stratzburg das Urteil verkündet. Der Angeklagte Jung, der den inkriminierten Artikel verantwortlich gezeichnet hatte, wurde zu 3 Wochen Haft verurteilt, außerdem wurde auf Veröffentlichung des Urteil« in denStraßb. Neuest. Nachr.", derStraßb. Post' sowie demJournal d'Alsace" erkannt. Bezüglich des Angeklagten Min! wurde das Verfahren abgetrennt und die Vertagung aus- gesprochen, da der Staatsanwalt im Verlaufe seines PlaidoyerS erklärte, er werde den Beweis antreten. daß Miak der Ver- sasser deS mit dem Pseudonymi,ixxo rnernmi" unterzeichneten Artikels sei. Das Urteil gegen Jung wird damit begründet, daß der An- geklagte den Kommandostellen deS preußischen Heeres in dem Artikel den Vorwurf ehrloser Gesinnung gemacht habe. Der Staatsanwalt hatte gegen Jung einen Monat Gefängnis. gegen Mink secks Wochen Gefängnis beantragt. Gewalt über die Frau, der Mann darf zu Gericht sitzen über die Frau in diesen primitiven Vorstellungen auS der Zeit deS Braut- raubes bewegt sich noch der Gedankenkreis der herrschenden Gesell- schast. Während darum der Ehebruch des Mannes nur als eine neckische Tändelei gewertet wird, ist der Ehebruch der Frau daS fürchterlichste aller Verbrechen, und für sie gilt die grausige Losung: Tusz! lal Tötet sie!, die auch in dem Drarna der polnischen Grafen- familie so prompt befolgt wurde. Dieses schreckliche Wort: Dusz la! wurde berühmt als der Ver- zweiflungSschrei einer auS den Fugen gehenden Gesellschaft, deren Aujlösungsprozeß am sichtbarsten wurde durch die Auflösung der Ehe: durch eine Kette von Ehebrüchen, die zur alltäglichen Er« scheinung geworden waren. Damals rief in die parfümierte Sumpf- luft des zweiten Kaiserreichs der jüngere DumaS auf der Bühne den gehörnten Ehemännern sein: luve la! zu, und die gehörnten Ehemänner im Leben gingen hin und bald knallte hier ein Schuß. blitzte dort ein Dolch. Die Schwurgerichte aber, aus der Ueberzeugung heraus, daß die Ehe die Keimzelle der zivilisierten Gesellschaft sei und geschützt werden müsse, sprechen regelmäßig dieRäcker ihrer Ebre" frei, und auch Gras MielzynSki, vor die Pariser Ainssen gestellt, würde einen geradezu iriumphhaften Freispruch er- leben. DaS mag man beklauen oder bedauern, aus jeden Fall ist daS Richter- und' Räckeramt. das sich der betrogene Gatte anmaßt, nicht nur eine mittelalterliche Brutalität sondern auch eine nutzlose Kurpfuscherei an einer Erscheinung, die das Zeichen des Verfalls offen an der Stirn trägt. Mit Pfftolenkugeln und Messerstichen läßt sich die Ehe nicht retten, sie ist in ihrer bestehenden Gestalt zum Untergang bestimmt und wird anderen Formen des Zusammenleben» von Mann und Weib weichen muffen. Alle Eh-traaödien klingen deshalb in die eine Mahnung au». durch eine Erleichterung der Ehescheidung den Uebergangsprozeß zu erleichtern und den Todeskampf zu verkürzen. Aber es ist eine falsche Folgerung aus der Tragödie auf Dakowymokre, wenn ein konservatives Blatt kapuzioerhait beschwörend die Hände hebr: ES ist wieder einmal die ungezügelte, wilde, olle Schranken überspringende Leidenschaft, die zu grauenhafter Bluttat aufgepeiticht bat. Die fürchterlichen Vorgänge auf dem polnischen Grafenschloffe sind ein ern st e« Menetekel für alle, die mit dem Feuer der Leidenschaft spielen zu dürfen meinen und die in den Sünden der Leidenschaft entschuldbare oder gar liebens- würdige Berirrungen erkennen zu dürfen glauben. Nein, die echte Leidenschaft verdient keine Schmähung, denn nur im Sturm der Leidenschaften stäuben die Saatkörner über die Erde. aus denen Neues und Großes erblüht. Ohne politische Leidenschaft kein Fortschritt, ohne wissenschaftliche Letdenichafr keine Entdeckung und keine Erfindung, ohne erotische Leidenschaft keine Kunst Darum: Bahn frei der Leidenschaft!