und er hat gewußt, daß er sich die polizeilichen Exekutivdefugnisse der Zivilbehörden nicht anmaßen durfte; er durfte nicht den Schloßplatz räumen, nicht jeden dort ruhig stehenden Menschen verhaften lassen, war überhaupt nicht berechtigt, Ansammlungen zu verbieten, durch die die Wache nicht bedroht wurde; er durfte seinen Ofifzicrcn nicht befehlen, in die Wohnungen einzudringen, durfte nicht Personen verhaften lassen, die angeblich zehn Minuten früher gelärmt oder geschimpft oder mit Steinen geworfen hatten. Ihm und seinen Wachen stand im wesentlichen nur das Recht der Notwehr zu, das jeder Staatsbürger gegen eine u n- mittelbare Tätlichkeit oder unniittclbare Beleidigung besitzt. Selbst die Begleitung seiner— nicht im Dien st befindlichen— Offiziere durch Patrouillen kann als Amtsmißbrauch angesehen werden. Er hätte mit gleichem Rechte auch die Köchinnen der verheirateten Offiziere auf ihren Einkaufsgängen durch vier Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten umringen lassen dürfen. Wenn ein Jurist— man muß hinzufügen: natürlich ein Militär- jnrist— wie Carl Endres dem Militärbefehlshabe: das Recht zu- spricht, das ihm auch der Anklagevertreter in Zabern zuzubilligen scheint, aus eigener Machtvollkommenheit einzuschreiten, wenn für feine Auffassung— im Falle Zabern für die Auffassung eines offenbar nervös überreizten Gehirns— die bürgerlichen Behörden mit ihrem Ersuchen zu lange zögern, so zeugt das nur von der bodenlosen Befangenheit, Unwissenheit und Oberflächlichkeit dieser Leute. Sie halten es nicht einmal für erforderlich, irgendeine Gesetzcsstcllc für ihre Auffassung anzuführen— nach dem bewährten Grundsätze: sie volo sie jubeo, sit pro ratione voluntas. Ebenso abwegig wäre es, den Leutnant Schad vom Haus- friedensbruche loszusprechen, weil er dem Befehle seines Obersten hätte gehorchen müssen. Das Militär strafgesetzbuch bestimmt ausdrücklich, daß den gehorchenden Untergebenen die Strafe des Teilnehmers trifft, wenn ihm bewußt gewesen, daß der Befehl seines Vorgesetzten ein Verbrechen oder Ver- gehen bezwecke. Daß der Hausfriedensbruch im vorliegenden Falle ein Vergehen war, mußte Leutnant Schad aber wissen, da ihm die Garnisondienstvorschrift bekannt sein mußte. In einem Berliner Blatte finde ich die Behauptung, daß die ominöse Kabinettsorder vom 17. Oktober 1820 in der Vorschrift vom 23. März 1890 enthalten sei, die in der Anlage I der Garnisondienstvorschrift und zwar in einer un- scheinbarenFußnotezwaran gezogen, aberweder ihrem Wortlaute noch ihrem Inhalte nach mit- geteilt ist. Sic ist bezeichnenderweise nur„zum Dienst- gebrauch" bestimmt. Insoweit sie aber nicht nur auf den Bereich des Heeres be- schränkt ist, sondern in die staatsbürgerlichen Rechte der Bürger eingreift, ist sie nach Artikel 106 der Preußischen Verfassung ohne weiteres null und nichtig, da sie nicht„in der vom Ge- setze vorgeschriebenen Form bekannt gemacht worden" ist. Sie durfte daher auch von dem Kriegsgericht in Straßburg seinem Urteil nicht zugrunde gelegt werden, da es nach Artikel 36 der Verfassung„keiner anderen Autorität als der des Gesetzes unter- warfen ist". Daß aber eine Vorschrift über den Waffengebrauch, über Ver- Haftungen, Haussuchungen und dergl. in die Rechte der Bürger eingreift, ist ohne weiteres klar. Weil die Verordnung von 1899 nicht— wie auch immer— publiziert ist, müssen wir daraus schließen, daß die für sie verantwortlichen Behörden ein sehr schlechtes Gewissen gehabt haben und sich ihrer Ver- fassungslvidrigkeit voll bewußt gewesen sind. Sie ist ein neuer Beweis für das Bestreben des Militarismus, im Wege geheimer Verordnungen und kautschukartiger Bestimmungen die Macht der Kommandogewalt weiter und weiter auszudehnen unh jeden Rechtsschutz des Bürgers ihr gegenüber, ja jede Möglichkeit des Widerstandes gegen dreisteste GcsetzeSverletzungen unmöglich zu machen. Wir leben unter einer Militärdiktatur! Ich will auch kein Hehl daraus machen, daß selbst einzelne Bestimmungen der G a r n i s o n d i e n st v o r s ch r i f t vom Jahre 1902, zum Beispiel die über das Recht zu Haussuchungen, in der Unbeschränkthcit ihrer Fassung dem Artikel 36 der preußischen Ver- faffung und anderen Gesetzen widersprechen und daher u n- gültig sind. Der Kampf gegen die gefährlichen Ausschreitimgen des Militarismus hätte von Parlamenten, die sich ihrer Pflicht gegen das Volk und gegen die Gesetze bewußt sind, schon längst mit aller Entschiedenheit und auf jede Möglichkeit hin aufgenommen werden müssen, wenn nicht die jämmerliche Angst vor den Folgen eineS Konfliktes die bürgerliche Mehrheit von mannhafter Tat ab- schreckte. Das Heer ist in der Tat nach den drohenden Worten des Herrn v. Falkenhayn eine„furchtbare Waffe" in den Händen der Machthaber und es macht uns alle zu elenden Knechten! Die Aufnahme öes Urteils. Die klatschende Ohrfeige mitten ins Gesicht wird selbst von der liberalen Presse mit gebührender Demut quittiert. Nur für die Zukunft bittet die„V o s s i s ch e Zeitung" um den nötigen Kontakt zwischen Zivil- und Militärbehörde(als wäre der hauende Säbel nicht gerade genug„Kontakt") und um etwas mehr Rechts- schütz der Bevölkerung. Kaum daß das„Berk. T a g e b l." eine Lippe riskiert: „Ueberall da, wo nian dem Deutschen Reiche nicht wohl will. darf heute mit Fug und Recht Freude und Genugtuung herrschen; der Scherbenhaufen in Elsaß-Lothringen wächst und wächst, so daß man heute schon in Zweifel sein kann, ob noch viel zu zerschlagen übrig bleibt." Wenn aber das Blatt fragt, wenn das alles Rechtens ist im Deurschen Reiche, wer ist dann vor einem Kolbenstoß oder einer Kugel noch sicher, wenn er nicht selbst durch„des Königs Rock" geschützt wird und sich damit trösten will, es sei nicht Rechtens, so dünkt uns das ein schwacher Trost. Denn wenn es nicht Recht ist, so ist es eben Macht, und darauf kommt es a n. Vor dem Machtkampf aber scheut auch das liberale Bürger- tum in Deutschland feige zurück. Schärfer schreibt, wie uns ein Privattelcgramm meldet, die.Franks. Ztg.": „Von jedem armen Schlucker verlangt man, daß er weiß, ivaS Recht und Unrecht ist, und wenn er gegen einen Straf- Paragraphen verstößt, so schickt man ihn mikleidslos ins Gefäng- nis. Der preußische Oberst aber, der eine ganze Kette Gesetzes- Widrigkeiten begehen kann, braucht die selbstverständlichsten Dinge über die Grenzen seiner Machtbefugnisse nicht zu wissen. Wenn ihm das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit fehlt, so spricht das Urteil ihn frei und die Richter beglückwünschen ihn. Aber diese empörende Ahnungslo fi gleit beschränkt sich nicht auf den Obersten; seine vorgesetzten Stellen haben ihm Instruktionen gegeben und damit das ganze Urteil erst möglich gemacht. Das ist der Geist des modernen deutschen Militaris- m u s, der sich in diesen Instruktionen kundgibt, und der von den Gesinnungen feiner hoben Vorbilder Scharnhorst und Gneiscnau durch eine Welt geschieden ist. Diesem Militarismus das Be- wußtsein der Rechts Ividrigkeit beizubringen, ist eine Notwendigkeit, die sich am Ende des Straßburger Prozesses jedermann aufdrängen muß. Aber das sind ja doch nur Worte, und das weiß die konservative Presse sehr genau. Deshalb begrüßt jic das Urleil mit einem Jubelausbruch. Unsere Rechisauffassung. Mnmphiert die „Deutsche Tageszeitung", ist jetzt vom Gericht anerkannt. Oberst v. Reuter, der„gewissenhafte und tapfere Offizier", wird als Held gefeiert und die„Deutsche Tagcsztg." hat auch darin sicher recht, daß sie meint: „Wir glauben, daß heute unzählige Patrioten, daß vor allem das gesamte deutsche Offizierkorps die frei- gesprochenen Kameraden von ganzen! Herzen und mit dem Gefühle einer freudigen Befrie- d i g u n g b e g l ü ck lv ü n s ch t." Ebenso schreiben alle anderen konservativen und scharfmacherischen Blätter. Sie begnügen sich nicht damit, den Triumph des Militarisnius zu feiern, sie gehen zum Angriff auf die Zivilverwaltung über, die alle Schuld an den Zaberner Vorfällen tragen und verlangen übereinstimmend die B e s e i t i- gung der elf äs fischen Verfassung, die Wiederhcr- stellung der Diktatur. So spiegelt sich auch in-diesen Zeitungsstimmen die unge- heure Kluft wider, die zwischen Herrschenden und Beherrschten besteht. * französische Preßstimmen. Paris , 10. Januar. (Privattelcgramm des„Vorwärts".) Der „T e m p s" nennt das Straßburger Urteil eine Jurisprudenz ohnegleichen. Das Urteil bedeute die Verkündung der absoluten und unbegrenzten Oberherrschaft des Säbels über die bürgerliche Autorität. „JournaldesDebats" schreibt:„Es handelte sich nicht um Rechtsfragen, sondern um das Prestige des Militärs. Wenn der Kaiser oder die Regierung die Situation anders be- urteilt hätten, wäre Forstner von Anfang an aufgehalten worden. Aber man wollte nicht den Anschein erwecken, vor dem Zivilzuweichen. So wie die Frage vor einem Militärgericht gestellt war, mußte sie zugunsten der Offiziere entschieden werden." die Erlauchten gegen Sie Kerls! � Das war gestern ein Tag, den die Junker loben werden! Triumph auf allen� strategischen Linien— im okkupierten Ausland wie im Herzen Borussiens, im preußischen Herrenhaus. Hier war ein Antrag des junkerlichen Theoretikers Graf Aorck von Wartenburg anzunehmen— gestellt ist da schon angenommen, hier wird nichts „unnütz" beantragt!—, der die Regierung ersucht, jeder Verschiebung der staatsrechtlichen Verhält- nisse zum Nachteil der historisch und durch — sein Schwergewicht begründeten Stellung Preußens entgegenzuwirken. Mit anderen War- ten, das Reich sollte getadelt werden, daß es solche Attentate geschehen lasse, der Reichstag, daß er sie unternimmt, die Re- gierung, daß sie ihnen nachgibt. Denn das behauptet Herr Gras Aorck allen Ernstes: daß dank der Schwäche und der Konzessionen der Regierung die Demokratie marschiere und das„uns allen so teure Preuße n", wie der Berichterstatter Graf B e h r den Junkerstaat ja nicht ohne Grund nennt, zu verrunjenieren drohe. Konzessionen der Regierung! Wie beweist sie Herr Vorck? Zunächst wird der Reichstag nach Noten vermöbelt. Die Wehrvorlage habe er entstellt, die Hundertjahrfeiergesin- nung der-- Wählerkreise(!) vermissen lassen und er lasse sich gebrauchen, der Demokratie den Umweg in die Einzelstaaten um die königliche Gewalt und die geborenen Gesetzgeber herum zu eröffnen. Die Einführung der kurzen Anfragen, besonders aber der Mißtrauensvoten im Reichstag sind dem Herrenhaus höchst zuwider— was braucht man sich um die Souveränität des Hauses der„Kerls, die auch» Diäten wollten", zu kümmern. Aber vielleicht geht dem Reichstag doch mal die Geduld aus und er klopft dieser gelinden Un�geniertheit mal ein paar drüber! Daß die elsässischen Bundesratsstimmen nur gegen Preußen gezählt werden, daß der Reichstag beim Toleranz- antrag und beim Skandal der ochsenköpfischen Verfassungs- losigkeit seine Stimme erhob— alles Beweise, daß man auch hier wieder nicht so wollte wie die preußischen Partikularisten. die dem Reichsparlament nur eine Rolle gönnen: Immer neue Blutopfer für das Reutervolksheer, immer neue forstner- stellen für die jungen Herren, immer neue Verbrauchssteuern zu bewilligen! Ja, die Steuerfrage— das ist der Quell allen Schmerzes. Der„kriegskontributionsgleiche" W e h r b e i- trag, der die Vermögen der Ergänzungssteuer erschließen wird, die Abwälzung eines Teils der neuesten Rüstungs- kostenvermehrung auf die Besitzenden— das ist die schlimmste Sünde des Reichstags. Ter Steuerbote treibt die Herren Feudalen zur hellen Empörung— alles andere ist nur Bei- werk. Das Portemonnaie der Besitzenden, sagte Heydebrand, dürfe nickst einem demokratisch gewählten Parlament ausge- liefert werden und darum das herzenswarme Lob- lied auf das elendeste aller Wahlsysteme, darum läßt man die preußische Königskrone hell die deutsche Kaiserhelmzier überstrahlen und darum nichts von der Reichs- Vereinheitlichung— es sei denn, daß die letzten Reste von Nichtpreußentum auf die oder jene Methode beseitigt werden, am besten wohl ans d i e Methode, die nach der Straßburger Militärzjustiz Recht ist. Und Recht wird Recht bleiben— sagt Herr B e t h m a n n. Denn auch er sprach. Noch inniger preußisch wie sonst schon. Hier war er Preuße, hier durfte ers sein. Im Reichs- tag aber ists fürchterlich, wie Herr Vorck mit Entsetzen schilderte. als er im Gegensatz zur Willensmeinung der Volksver- tretung gegen die Säbelherrschaft rundheraus erklärte, daß diese winzige Schicht der herrschenden Junker das„Volksheer" als entscheidendes Mittel gegen das Volk selbst erhalten wolle. erhalten müsse in ihrem engsten Privatinteresse.... Und was hatte Herr Bethmann darauf zu sagen, der Mann, der vor einem halben Jahre das höchste Vertrauen des Reichstags be- gehrte und leider erlangte! War er sich bewußt, daß er die höhere Einheit des Reiches gegen seine von seinem Vorgänger Hohenlohe gekennzeichneten Erzfeinde zu verteidigen, die An- griffe auf den Reichstag kurzweg als weit über die Zustän- digkeit der geborenen und ernannten Gesetzgeber hinaus- gehende Unziemlichkeit zurückzuweisen gehabt hätte? Da wäre er schneller fertig, als nach dem schönsten Mißtrauensvotum! Lange und langweilige Bettachtungen im Sinne nicht der Geschichte etwa, sondern der Lesebuchgeschichten, um zur Freude der Erlauchten den preußischen Sklavendrill als den Urgrund deutscher Reichsherrlichkeit zu erweisen. Nur ein paar schüchterne Bemerkungen über den Reichsgedanken— von selten gehörter Enttiistiing des Mnsterparlaments übertönt— und dann: reines Herrenhaus! Tie preußischen Bundesrats- stimmen werden schon stramm insttulert, uns kann keiner, das Reichstagswahlrccht für den Preußen- l a n d t a g— ein absolut ungangbarer Weg. Aber freilich, selbst der Kanzler, der rundheraus dieArmee unddieMachtderHoh enzoller n als Aus gleich gegen das R e i ch S t a gs w a h l r e cht erklärt, scheint ein- zusehen, daß diese innere istrnktur Preußens nickst ewig als letzter vereinzelter Fels im Meer der Zeit stehen bleiben Wird:„Dieser geschichtliche Ruf Preußens wird noch Jahr- zehnte überleben"— so gering taxiert selbst der oberste Beamte den Erfolg der Anstrengungen der Junkerwehr in all ihren Graden.... Bald versöhnt er die Kollegen vom Großgrundbesitz wieder etwas durch das Bedauern über die An- spann ung der Besitz st euern für das Reich, bald ärgert er sie wieder durch das Bekenntnis zur elsässischen Verfassung, dann freut man sich wieder über die Nullifi- zicrung der Rechte des Reichstags samt der glorreichen Rüstungskommission, für deren Kritik er dann wieder nur den Reichstag zuständig erklärt. Mit einigen Falkenhayn- sätzen über das Heer, das kein Parlamentsheer sein dürfe, und einem so schwungvollen Prenßenbekenntnis. wie es nur den Nutznießern dieses Staatsgedankens noch gelingen mag, hott sich der Redner ein paar Bravi— aber der Antrag wird trotz einiger Oberbürgermeister und trotz dem Prinzen Schönaich und dem alten Häseler. die von Bethmanns Rede befriedigt sind und den Antrag für überflüssig halten, mit 185 gegen 20 Stimmen namentlich angenommen. Tie Opponenten sagten, man könnte das im Lande als ein Miß- trauensvotum ansehen, das man einem anderen Haus an- biete. Aber schnoddrig wie immer sagt der v. B u ch: Mögen gewählte Häuser solckie Rücksichten auf die Leute nehmen (wenn sie nur feste zahlen!). Nett ist es, daß die Staats- sekretäre Lisco und Kraetke durch Sttmmenthalwng gegen ihren Chef demonstrierten. Wittern sie Morgen- luft?_ politische Uebersicht. Eine neue preustischc Kulturtat. In Preußen-Deutschland ist wieder einmal NordschleSwig an der Reihe. In diesem Landstrich an des Reiches Nordgrenze bot die glorreiche preußische Staatskunst schon so manche Bravour- arbeit geleistet. Bekannt sst den Lesern des„Vorwärts", daß Genosse Stauning aus Kopenhagen in einer von sozialdemokratischer Seite ein- berufenen öffentlichen Versammlung über das dänische Wahlrecht reden sollte und daß die Regierung in Schleswig unter Zustimmung des Obcrpräsidenten den Gebrauch der dänischen Sprache in der Versammlung verboten und die Ausweisung des Genossen Stauning angedroht hat, falls er in der Versammlung erscheinen sollte. Tie Ausweisung ist zur Tat geworden. Die Versammlung hat am Freitagabend stattgefunden. Eine an das Ministerium des Innern gerichtete telegraphische Beschwerde war bis zur Versammlung noch nicht beantwortet. In der Versammlung am Freitag verlas Genosse Michelsen die Rede, die der Genosse Stauning halten wollte, in deutscher Sprache. So kam unser Genosse Stauning doch zu Motte. Sein« Rede enthielt nichts Staatsgefährliches, sondern eine sachliche, lebhaft« Schilderung der politischen Zustände, besonders des Wohlrechts, in Dänemark . Nach der Verlesung der Rede sprach der Genosse Adler-Kiel, der daS preußische Wahlrecht geißelte, das solche kulturwidrige Maßnahmen möglich mache. Nach der Adlorfchen Rede stellte sich Genosse Stauning. der unbekannt in die Versammlung gekommen war, den Tausenden von Versa mm- lungsbesuchern vor. Ein unbeschreiblicher Jubel brach los. Zu. gleich aber bereitete sich eine dramatische Szene vor. Ein Kriminal- becrmter trat auf die Bühne und überreichte dem Genossen Stauning eine Ausweisungsorder, nach der er binnen 24 Stunden die Stadt Flensburg und das preußische Staatsgebiet zu verlassen habe, widttgenfalls er zwangsweise über die Grenze geschafft werden würde. Falls er ohne Erlaubnis in das preußische Staatsgebiet zurückkehren werde, würde er Haftstrafe zu gewärtigen haben. Als Genosse Stauning mit dem Polizeibeamten das Lokal ver» ließ, wurde ihm von der Versammlung eine brausende Ovation dargebracht. Mit dem Zuge nachts gegen 12 Uhr verließ Stauning den ungastlichen preußischen Boden. Die preußisch« Regierung hat damit wieder das preußische System dem Spott aller zivilisierten Völker ausgeliefert, aber auch von neuem die Lehre in die Köpf« aller denkenden Staatsbürger gehämmett, wie notwendig der Kampf um ein freies Wahlrecht in Preußen ist. Fortschrittlicher Wahlrechtsanirag im Abgeordneten« Hause. Die fortschrittliche Fraktion des preußischen Abgeordneten- Hauses hat in einer Sitzung beschlossen, ihren alten Wahl» rechtsantrag auch in dieser Session wieder einzubringen und zugleich, wie im vorigen Jahre, einen Eventualantrag auf geheime und direkte Wahl zu stellen. Die betreffenden Anträge lauten: „Hauptantrag: DaS Haus der Abgeordneten wolle be- schließen, die königliche Staatsregierung zu ersuchen, noch in dieser Session einen Gesetzentwurs vorzulegen, durch den 1. unter Abänderung der Artikel 70, 71, 72 und 112 der preußischen Ver- fassungsurkunoe für die Wahl zum Abgeordnete nhouse das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht mit geheimer Stimmabgabe zur Einführung gelanat; 2. zugleich aus Grund der Ergebnisse der letzten Volkszählung und entsprechend den Grundsätzen des Gesetzes vom 27. Juni 1860 eine anderweitige Feststellung der Wahlbezirke für die Wahlen zum Abgeoronetcnhause herbeigeführt und die Gesamtzahl der Abgeordneten neu bestimmt wird. Eventualantrag: Für den Fall der Ablehnung des Hauptantrages: Das Hau? der Abgeordneten wolle beschließen, die königliche Staatsregierung zu ersuchen, unter Abänderung der Attikel 70, 71. 72 und 112 der preußischen Verfassungs- Urkunde für die Wahl zum Abgeordnetcnhause das allge- meine und direkte Wahlrecht mit geheimer Stimmabgabe zur Einführung zu bringen." Der sächsische Landtag tritt am Dienstag, den 13. Januar, nach dreiwöchiger Pause wieder zusammen. Die Zweite Kammer hat in den fünf Wochen, die sie vor Weihnachten tagte, erst einen sehr kleinen Teil ihrer Arbeiten erledigt. Vom Etat find wenige und nur minder wichtige Kapitel heraus. Da in dieser Tagung wenig Gesetze und davon nur einige von größerer Bedeutung vorliegen, hat es sich die sozial- demokratische Fraktion zur Aufgabe gemacht, eine möglichst gründ- liche Einzclbcratung des Etats und Rechenschaftsberichts zu ver- anlassen. Zu einer speziellen und eingehenden Besprechung und Kritik der sächsischen Politik wird in erster Linie daS Kapitel des Ministeriuins des Innern.Gelegenheit bieten.
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