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2. Eine Bedenkzeit von 48 Stunden ist Herrn Dr. Eulert nicht gewährt. Dr. Eulert ist bielmehr, weil angenommen wurde, seine zu Protokoll gegebene Aussage entspräche der Wahrheit, auch nach der Vernehmung noch weiter im Provinzialdienst be- schäftigt worden. Kurze Zeit darauf hat dann Dr. Eulert den Landeshaupt- mann von Eisenbart-Rothe aus eigenem Antriebe um eine Un- terredung zur Abgabe einer Erklärung gebeten und hierbei seine Zugehörigkeit zur sozialdemokratischen Partei zugegeben. Er ist dann auf seinen Antrag sofort aus dem Provinzial- dienst ausgeschieden. Eisenhart-Rothe. Mag nun die Maßregelung des Genossen Eulert so oder anders erfolgt sein, so zeigt doch die Zuschrift des Herrn von Eisenhart- Rothe ganz zweifelsfrei, daß Eulert wegen seiner politischen Ge- sinnung gehen mutzte._ Irankreich. Abb6 Lcmire Vizepräsident. Paris , 14. Januar. (Eig. Ber.) Die Dcputiertenkammer hat gestern"einen katholischen Priester zum Vizepräsidenten gewählt. Nicht etwa aus dem Geist einer dem Klerikalismus die Arme öffnendenVersöhnungspolitik" heraus, sondern im Gegenteil, um gegen die Herrschsucht und Unduldsamkeit der römischen Hierarchie zu protestieren. Denn Abbe Lemire, der Erwählte, ist ein Opfer des ultramontancn Fanatismus. Es gibt im Parlament und über- Haupt unter allen Menschen, die Lemire irgendwie nahegekommen sind, keinen, der nicht dem schlichten, liebenswürdigen und gütigen Mann herzlich zugetan wäre, wofern nicht blinder und roher Fa- natismus ihn zur Mißachtung der besten menschlichen Werte treiben. Lemire ist eine tief religiöse Natur, deren Streben im Sittlichen konzentriert ist und die vielleicht darum von philo- sophischen Zweifeln und Konflikten sreibleiben konnte. Die Er- füllung menschlicher Hilfepflichten gilt Lemire als höchste Aufgabe, und so verquickt scheint ihm sein öffentliches Wirken mit dem Priesterberuf, daß er auch im Parlament immer in der Kutte er- scheint. Lemire fühlt sich zum Volk gehörig, er ist Demokrat mit vielem Verständnis für die sozial« Reform und ein in gutem Sinne national gesinnter Republikaner. Das aber sind Sünden, die ihm die Politiker der Kirche, die besonders seit dem TrennungS- gesetz ihre Rechnung auf den Sieg der monarchischen Restauration gestellt haben, nicht verzeihen. Seine Feinde, sein Vorgesetzter, der Bischof von Lille , an der Spitze, verfolgen ihn seit Jahren mit den niedrigsten Schikanen. Sie haben in der durchsichtigen Form eines allgemeinen Verbots die Untersagung seiner nochmaligen Kandidatur verfügt. Da Lemire, ohne eigentlich zum offenen Widerstand zu greifen, die Willkür nicht stumm tragen wollte, der- hängte der Bischof das Interdikt, die Ausschließung von den geist- lichen Handlungen, gegen ihn, verbot das christlich-demokratische Wochenblatt von Hazebrouck , das für Lemire eintritt, und exkom- munizierte dessen Redakteur. Gegen diese Kampagne, die zweifel- los mit der Exkommunizierung Lemives selbst in den nächsten Tagen ihren Abschluß finden wird, hat die radikale Linke demon- stricrt. Welche Entscheidung Lemire dann zwischen dem Ruf deS Gewissens und dem drohenden Befehl Zioms treffen wird, bleibt noch abzuwarten. Wohl scheint die Wählerschaft treu zu ihm zu stehen, und der Kirche wäre es sicher nicht angenehm, eine galli» kanische, die Unabhängigkeit der französischen Kirche von Rom anstrebende Bewegung in einem ländlichen Kreis entstehen zu sehen, wo sie sicher mehr Bedeutung hätte als Unternehmungen gleicher Art in der religiös indifferenten Großstadt. Aber der völlige Bruch mit Rom ist ein Schritt, den der trotz allem an der Kirche hängende Abbe nicht ohne ein tragisches Ringen tun wird. ** * Mailand , 16. Januar. Der über vatikanische Nachrichten stets gut informierteSecolo" meldet, daß der Vatikan den Abbe Lemire aufgefordert hat, innerhalb dreier Tage sein Mandat nieder. zulegen, widrigenfalls er mit der Exkommunikation bedroht wird. Rumänien . Kabiucttswcchsel. Wien , 16. Januar. DieNeue ssreie Presse' meldet aus Bukarest , daß B r a t i a n u, der Führer der Liberalen, mit Bildung des Kabinetts betraut worden ist. Es der- lautet, dag Porumbaru Minister des Acußern werden wird. parlamentarisihes. Die Budgetkommission des Reichstages setzte am Freitag ihre Beratungen über die Ausführung deS Kaligesetzes fort. Im Mittelpunkt der ausgedehnten Ver- bandlungen stand der Antrag Erzberger , der dem Kali- syndikat die in früheren Jahren für Auslandspropaganda gemachte Mehrausgabe von 972 000 M. zurückerstattet wissen wollte. Von sozialdemokratischer Seite wurde gegen diesen Antrag, der wie bestellte Arbeit aussehe, energisch Einspruch erhoben. So sehr sich Herr Erzberger bemühte, wenigstens den Schein einer sachlichen Berechtigung seines Antrages zu retten, mußte er diesen schließlich zurückziehen zugunsten eines Antrages G o t h e i n, 900 000 M. aus dem Reservefonds für künftige Auslands- Propaganda dem Syndikat zur Verfügung zu stellen. Dieser An- trag gelangte zur Annahme. Der Reservefonds in Höhe von 8 Millionen Mark ist bisher in die Reichskasse geflossen und unverzinst geblieben. Nach einem Beschluß der Kommission soll das Geld in Zukunft zinstragend angelegt werden. Mit der Annahme eines Antrages G o Uj e i n, 200 000 M. mehr für JnlandSpropaganda, und zwar zvr Ver- Wendung für feldmäßigen Gemüsebau, einzusetzen, und eines An- träges Basser mann, 500 000 M. dem Syndikat für Propa- ganda auf der Weltausstellung in San Franziska aus dem Reserve- fonds zur Verfügung zu stellen, wurde die Beratung des Titels be- endet. Die nächste Sitzung findet am Dienstag statt. Ostelbische Wahlsitten. Die Wahl des freikonservativen Landrats v. H a l e m im Wahlkreise Schwetz beschäftigte am Freitag abermals die Wahl- Prüfungskommission deS Reichstags. jFm Januar 1912 wurde Herr v. Halem dadurch gewählt, daß 400 Stimmzettel, die auf den pol- nischen Kandidaten v. Saß-Jatvorski lauteten, zu Unrecht für ungültig erklärt wurden. Die Wahl wurde deshalb im November 1912 von der Kommission kassiert. Herr v. Halem wartete die Entscheidung des Plenums aar nicht ab, legte sein Mandat rasch nieder und erreichte dadurch, daß die Nachwahl be- reits am 30. Dezember 1912 unter Benützung der alten Wählerlisten stattfand. Und nun setzte ein geradezu s k a n- dalöses Verfahren ein. Man strich einfach eine Menge polnischer Wähler aus den Listen,«o z. B. einen Wähler, weil er einen Holzlesezettel erhalten hatte,� einen anderen, weil seine Schwiegermutter Armenunlerstützung bezog, einen weite- ren, weil er eine Rente bezieht! In einigen Fällen haben Per- sonen, die man zur Wahl nicht zulassen wollte, doch gewählt. Die Wahlvorsteher haben dann einfach je einen polnischen Stimmzettel wieder aus der Urne herausgenommen! Sämtliche pol­nische Wähler, die seit der Hauptwahl verzogen waren, wurden nicht zur Wahl zugelassen. Dagegen hatte man Vorsorge getroffen, daß die mittlerweile verzogenen deutschen Wähler ihr ! Wahlrecht ausüben konnten. Auf diese Weisesiegte" Landrat v. Halem mit 8017 Stimmen gegen 7891 Stimmen, die aus den polnischen Kandidaten entfielen. Die Prüfung der amtlichen Fest- stellungen ergab bereits, daß Landrat v. Halem die Mehrheit der Stimmen nicht mehr besitzt, so daß an der abermaligen Ungültigkeit seiner Wahl nicht zu zweifeln ist. Trotzdem übt dieser Herrn das Mandat, von dem er genau weiß, wie es ihm ver- schafft wurde, ganz seelenruhig aus. Folgen der Agrarpolitik. Bei der Beratung des Landwirtschaftsetats in der Budgetkominifsion des preußischen Dreiklassen- Hauses wies ein Fortschrittler darauf hin, daß der Viehbestand in Preußen in den letzten Jahren um 1S5 000 Stück und im Reiche um 500 000 Stück zurückgegangen sei. Von den Agrariern wurde dagegen eingewendet, daß dies auf die Dürre und die Vieh- seuchcn vor einigen Jahren zurückzuführen sei. Dem hielt der Fortschrittler wieder entgegen, daß die Statistik die Unrichtigkeit dieser Behauptungen beweise und daß sich vielmehr ganz klar aus den Zahlen ergebe, daß der Beginn des Rückganges der Viehzucht genau zusammenfällt mit der Einführung der Einfuhrscheine, die den Körnerbau zum Nachteil der Viehzucht begünstigt und Deutsch - land zu einem Getreideausfuhrland gemacht haben. Der Minister wußte demgegenüber nichts anderes anzuführen, als daß der Groß- grundbesitz für die Qualität des Viehes von großer Bedeutung sei. Es wurde auch über die Frage der ausländischen Landarbeiter viel gesprochen. Bezeichnend genug ist, daß es die Liberalen waren, die Besorgnisse äußerten, daß die Regelung der Auswanderung in Oesterreich und die von Rußland angekündigte Maßnahme gegen den Zuzug russischer Saisonarbeiter nach Deutschland die deutsche Landwirtschaft um ihre Arbeiter bringen könnten! Der Minister v. Schorlemer erklärte, daß Rußland zunächst noch durch den gel- tenden Handelsvertrag zur Ausstellung von Landarbeiterpässen mit 10% Monaten Gültigkeit verpflichtet sei, und daß die Regierung bereits mit Oesterreich verhandele, um für den Fall der Annahme des dort eingebrachten Auswanderungsgesetzes dieberechtigten Ansprüche des Deutschen Reichese sicherzustellen". /tos der Partei. Stimmenthaltung im Wahlkreise Roscnbcrg-Löbau. Eine Parteivcrsammlung in Dtsch.-Etzlau, der größten Stadt des Roscnberg-Löbauer Wahlkreises, beschloß für die Reichstags- Nachwahl am 21. Januar Stimmenthaltung der sozialdemokratischen Partei, da die aufgewendeten Opfer in keinem Einklang zu dem Erfolg stehen würden. Protestversammlungcn gegen die Reaktion. In sechs starkbesuchten Versammlungen protestierte am Donnerstag die Dresdener Arbeiterschaft gegen die Ge- Waltherrschaft und die Unfreiheit des Staatsbürgers und des arbei- tenden Volkes, dem die Koalitionsfteiheit durch Ausnahmegesetze völlig vernichtet werden soll. In den Versammlungen, die sich zu wirkungsvollen Kundgebungen gestalteten, wurde eine Resolution einstimmig angenommen, die gegen das Auftreten der militärischen und großkapitalistischen Gewaltherrschaft protestiert. Ein russischer Parteiveteran. F e l i x K o h n, einer der ältesten und bekanntesten Sozialisten Russisch -Polens , feierte in diesen Tagen in Lemberg das dreißig- jährige Jubiläum seiner Tätigkeit. Als junger Student und be- geisterter Anhänger der ersten polnischen sozialrevolutionären ParteiProletariat" wurde er 1885 vom Warschauer KrieAsgericht zu langjähriger Zwangsarbeit mit nachfolgender lebenslänglicher Ansiedelung in Sibirien verurteilt. Sein lauterer Charakter und sein unerschütterlicher Glaube an die heilige Sache, der er sich ge- widmet, machten ihn in den sibirischen Katorgagesängnissen und später in der Verbannung allgemein beliebt. Im Jahre 1905 konnte Kohn nach der Heimat zurückkehren; da er sich aber fortgesetzt an der Bewegung beteiligte, mutzte er sie wieder verlassen und lebt gegenwärtig in Galizien . Heute ist Felix Kohn ein alter Mann die sibirischen Jahre wiegen schwerer. Treu und un- ermüdlich dient er weiter der Arbeiterklasse. Wir wünschen ihm noch ein langes Leben im Dienste der Befreiung des russischen Volkes. Der erste sozialdemokratische Bürgermeister in Holland . Das Parlamentsmitglied K. ter L a a n, Mitglied der Haager Gemeindevertretung, ein Bauevnsohn und früherer Lehrer, ist zum Bürgermeister der Hafenstadt Zaandam , die seit kurzem eine sozialistische Mehrheit in der Gemeindevertretung be- sitzt, ernannt worden. Mit dem Genossen K. ter Laan tritt ein Mann mit großen Kenntnissen auf dem Gebiete der Kommunal- Politik das Bürgermeisteramt an. In der Haager Stadtverordneten- Versammlung tat er sich besonders hervor als Befürworter einer weitgehenden sozialen Schulpolitik, während er im Parlament neben den Unterrichtsfragen insbesondere das Ressort des Kriegsbudgets behandelte und sich dabei stets als ein sehr scharfer Antimilitarist zeigte. In seinem bisherigen Wohnort Haag war er bei den Arbei- tern überaus beliebt wegen seiner opferreichen und unermüdlichen Tätigkeit in unserer Beiveguug._ Der Begründer der ersten holländischen politischen Arbeiter- «rganisation gestorben. Im Alter von 72 Jahren starb in Amsterdam das liberal« Parlamentsmitglied Heidt. Mit dem Namen Heidts ist ein Teil der Geschichte der holländischen Arbeiterbewegung verknüpft. Heidt war von Beruf Schreiner . Er war der Gründer der ersten zentralen politischen Arbeiterorganisation in Holland . Er trat anfänglich auch der Internationale bei, wandte sich dann aber nach der Niederlage der Pariser Kommune vom Sozialismus ab und gründete 1872 den Allgemeinen Niederländischen Arbeiterverband. Diesem Verbände gehörten im Anfang auch die sozialistischen Elemente an, die damals noch keine eigene Organisation bildeten, so wie übrigens auch die christlichen Arbeiter. Als es dann aber den Sozalisten nicht gelang, den Verband für die Förderung der Vergesellschaftung der Produk- rionsmittel und für eine selbstständige Arbeiterpoliiik zu gewinnen, wandten sie sich im Jahre 1875 vom Verbände ab und gründeten eine neue sozialistische Partei. Von da ab geriet der Allgemeine Niederländische Arbeiterverband und damit sein Führer Heidt immer niehr ins liberale Fahrwasser, was sich noch mehr zeigte, als 1885 Heidt mit liberaler Hilfe in die Kammer gewählt wurde. Aus seiner Tätigkeit im Parlament ist hervorzuheben, daß Heidt für das allge- meine Wahlrecht dauernd mannhaft gekämpft hat. Er war der ein- zige Liberale, der 1887 gegen den Verfassungsparagraphen gestimmt hat, der noch immer das allgemeine Wahlrecht verhindert. Tie tschechische zentralistische Sozialdemokratie umfaßt zurzeit 14 200 politisch organisierte Mitglieder, sie besitzt 1 Reichsrats- mandat und 43 Gemeindevertretermandate, zwei Tageblätter in Wien und Prag und eine Anzahl seltener erscheinender Blätter. Die Einnahmen der Partei betrugen 1913 40 000 Kronen. Den Zentralgewerkschaften gehören 77 000 tschechische Arbeiter an, den zentralistischen Genossenschaften etwa 19 000 Mitglieder. polizeiliches, Gerichtliches usw. Preßprozesse. Genosse Schröder, der Redakteur derD a n z i g e r Volks- wacht", sollte sich am 15. Januar vor der Danziger Strafkammer in zwei Fällen von Schutzmannsbeleidigungen veranworten. Der erste Prozeß wurde vertagt, weil ein wichtiger Zeuge am Erscheinen verhindert war. Im andern Falle versagten die Zeugen. Ihre, dem Berichterstatter derVolkswacht" gemachte Aussage hielten sie vor Gericht nicht aufrecht. Das Urteil lautete ans 150 M. Geld- strafe. 200 M. hatte der Staatsanwalt beantragt. i /tos Industrie und Handel. Eine neue Anleihe Preußens. Schon im Dezember v. I. hieß es, Preußen wolle eine neue Anleihe aufnehmen. Tie Verhandlungen der Finanz- Verwaltung mit den Großbanken haben sich aber hingezogen, weil die Lage des Geldmarktes und die Unbeliebtheit der Staatspapiere die Entscheidung über Art und Höhe der An- leihe erschwerten. Eine offizielle Mitteilung über die neue Anleihe berichtet nun: Die preußische Finanzverwaltung hat an das Preußen- Konsortium 400 Millionen Mark auslosbarer 4prozentiger Schatz­anweisungen begeben. Das Reich hat zurzeit keinen Geldbedarf zu befriedigen. Die Schatzanweisungsanleihe ist in 16 Serien zu je 25 Millionen Mark eingeteilt; jedes Jahr wird eine Serie durch Auslosung zur Rückzahlung zum Nennwerte bestimmt. Die Auslosung findet alljährlich im Oktober, erstmalig im Oktober 1914, die Rückzahlung der ausgelosten Serien am 1. April des auf die Verlosung folgenden Jahres statt. Von dem übernommenen Betrage sind 50 Millionen Mark bereits fest be- geben, die restlichen 350 Millionen Mark werden am 29. Januar zum Kurse von 97 Proz. zür öffentlichen Zeichnung aufgelegt. Als Form der Anleihe sind diesmal Schatzanweisungen gewählt worden. Während Schatzanweisungen aber für ge- wohnlich nur kurzfristige Anleihen darstellen(im Gegensatz zu den langfristigen Staatsrenten), sollen diesmal die Schatz- scheine 16 Jahre hindurch laufen. Allerdings ist vorgesehen, daß jährlich 25 Millionen Mark Schatzscheine ausgelost und zu- rückgezahlt werden. Die neue Anleihe nimmt also eine Mittel- stellung zwischen fundierter Anleihe und Schatzscheinschuld ein. Diese Form ist gewählt worden, um das Kapitalistenpublikum zum Erwerb anzulocken. Die'letzten Anleihen des Deutschen Reichs und Preußens in der Mitte des vergangenen Jahres hatten bekanntlich einen Mißerfolg: von der Reichsanleihe(im Betrage von 56 Millionen Mark) wurden nur 86 Proz., von der Preußischen Anleihe(175 Millionen Mark) nur 46 Proz. ge- zeichnet; den Rest mußte das Bankkonsortium übernehmen. Diesmal gewährt man wiederum eine Verzinsung von 4 Proz. und gibt auch die Papiere billiger ab(zu 97 statt 97,96 Proz. wie im Vorjahre). Durch die Möglichkeit früher Rückzahlung erhöht sich aber die Verzinsung noch bedeutend. Die erste Serie, die bereits nach einem Jahre ausgelost wird, erzielt eine Verzinsung von etwa 7 Proz., da die mit 97 Proz. ge- kauften Schatzscheine ja zum Nennwert, d. h. zu 166 zurück- gezahlt werden. Im Durchschnitt wird die Verzinsung für die gesamte Anleihe etwa 4ich Proz. betragen. Wenn eine offiziöse Mitteilung weiter hofft, daß der neue Typ Schutz gegen Kursverluste bieten werde, so mag das infolge der günstigen Verzinsung für die jetzt aus- gegebenen 466 Millionen wohl zutreffen. Aber die älteren Anleihen leiden natürlich darunter. Schon gestern gaben die Kurse dieser Papiere nach. Die vierprozentigen preußischen und Reichsanleihen(unküichbar bis 1918) sanken von 98 auf 97,7 Proz., die vierprozentigen Schatzanweisungen(unkündbar bis 1917) von 98,6 auf 98,3 Proz. Von der neuen Anleihe werden auch kleinere Stucke bis zu 166 M. herab ausgefertigt werden, damit möglichst breite Schichten sich an der Zeichnung beteiligen können. Eine lehrreiche Krupp-Statistik. Im Jahresbericht der Handelskammer Essen veröffentlicht die Firma Krupp die Bewegung der Le b e n S m i t t e l p r e i se bei der Kruppschen Konsumanstalt in Essen . Gleichzeitig werden die in der Gußstahkfabrik verdienten Durchschnittslöhne zusammen- ?estcllt. Aus den Preisschwankungen der einzelnen Lebensmittel ann man nicht ohne weiteres die Steigerung der Haushaltskosten übersehen. Berechnet man aber auf Grund der Kruppschen Statistik unter Berücksichtigung der Verpflegungsration des deutschen Marine- soldaten die wöchentlichen Kosten des Nahrungsmittelaufwands für eine vierköpfige Familie, Eltern und zwei Kinder, so kommt man zu folgendem interessanten Ergebnis: Von 1899 bis 1913 sind die Kosten des Nahrungsmittelaufwands um 29,86 Proz., die Durch- schnittslöhne aber nur um 24,79 Proz. gestiegen. Seit dem Hoch» konjunkturjahre 1907 wuchsen die Ausgaben für Essen und Trinken um 16,36 Proz., während sich das Lohnniveau der Kruppschen Arbei- ter nur um 10,09 Proz. gehoben hat. Zu diesen Schlüssen kommt man unter der Voraussetzung, daß die Kruppsche Statistik zu- treffend ist. Dies läßt sich leider nicht nachprüfen. Vor allem kann die Berechnung der Durchschnittslöhne nicht ohne weiteres für be- weiskräftig gehalten werden, weil ja die Firma nicht angibt, wie die Arbeitsgelegenheit gewachsen ist. Unter Umständen könnte sich bei Nachprüfung der Lohnberechnungen noch ein ungünstigeres Bild ergeben. Ferner ist zu beachten, daß bei der Berechnung der Kosten des Nahrungsmittelaufwands die Preise für die billigeren Sorten zugrunde gelegt wuroeu, um von vornherein gewissen Einwen- düngen die Basis zu entziehen. Auf alle Fälle ergibt sich aus der Statistik der Firma Krupp mit absoluter Sicherheit daß die Lebenshaltung der Arbeiterschaft sich verschlech- tert hat. Die Erhöhung des Lohnniveaus hat mit der Vertcue» ruug des Lebensbedarfs nicht Schritt gehalten. Zur Regelung des AuswandererverkehrS. Zwischen dem österreichischen Handelsministerium und der Hamburg -Lmerika- Linie ist als Folge der Enthüllungen über den Auswandererskandal folgendes Abkommen getroffen worden: Die Hamburg-Amerika- Linie verkauft ihren Besitz an Aktien der Austro-Americana (der österreichischen Schiffahrtsgcsellschaft, an der die Hapag be- teiligt ist) an ein unter Führung des Wiener Bankvereins stehendes Konsortium und verzichtet ferner auf die Ausübung des ihr zu- stehenden Vorkaufsrechtes auf einen weiteren Posten Aktien der Austro-Americana . In der Auswandererftage gesteht die Hamburg- Amerika-Linie Kontrollstationen an der Grenze sowie die Einrich- tung einer Kontrolle auf ihren Schiffen zu. Letzte Nachrichten. Die Persönlichkeit des Pariser Attentäters. Paris , 16. Januar. (W. T. B.) Die Durchsuchung der Woh- nung des Angreifers Scherif Paschas hat zur Beschlagnahme einer Anzahl von Dokumenten geführt. Als der Angreifer die Wohnung mietete, wies er einen Pah vor, der den Namen Djevad Ali Bei, Student, 22 Jahre alt, trug. Dieser Paß konnte nicht auf- gefunden werden. Vom südafrikanischen Streik. Johannesburg , 16. Januar. Die Polizei hielt heute im Hauptquartier der Arbeiterpartei während einer Sitzung von Ab- geordneten der Sctzergewerkschaft eine Haussuchung ab und ver- haftete alle Delegierten, im ganzen 62 Personen, wegen Verletzung de? Gesetzes über den Belagerungszustand, welche? eine Versamm- lung ohne Genehmigung der Behörden untersagt. Kapstadt , 16. Januar. (W. T. B.) Obwohl die Berichte ans den verschiedenen Zentren ein allmähliches Zurückkehren der Leute zur Arbeit melden, dauert das Kriegsrecht fort und die Regierung be- absichtigt, es ausrecht zu erhalten, bis normale Zustände zurück- gekehrt sind. Aus Durban , Braamfontein , Pretoria und anderen I Orten werden weitere Berhaftungea von Arbeiterführer« gemeldet.