Nr. 16. 31. Jahrgang.1. MIM des Jormortö" Wlmet Wlksbllltt.Zoanabend, 17. Januar 1914.Gewerkschaftliches.Freiheit öem Koalitionsrecht.Entweoer hinein in die Organisation oder hinaus aus derArbeit!— Gewiß, es kommt oft vor, daß an Unorganisiertesolches Ansinnen gestellt wird und sie tatsächlich die Arbeitsstelle verlassen müssen, wenn sie der Aufforderung nicht Folgeleisten. Nach diesem Eingeständnis wird man der Forderungauf besseren Schutz gegen Koalitionszwang nicht widersprechenkönnen. Ohne Zweifel: ein Schutz gegen Koalitionszwangist dringend nötig! Aber kein sogen. Arbeitswilligcnschutz.Mit diesem ist nämlich der Koalitionszwang innig verknüpft, zugunsten der gewerbsmäßigen Streikbrecherübt ihn das Unternehmertum inimer rücksichtsloseraus. In vielen Betrieben ist heute die Vorbedingung für die Erlangung einer Arbeitsstelle der Eintrittin die gelbe Organisation. Wer sich nicht gelb organisierenwill, kommt. in den Betrieb nicht hinein, oder wenn erdrinnenist, fliegt er nach kurzer Zeit wieder hinaus, falls er demDrängen der Meister und gelben Seelenfänger, dem Werkderein beizutreten, Widerstand leistet. Der Koalitionszwangzur Bevölkerung der Streikbrechervereine artet zu einerschweren Plage für die Arbeiter aus: man beraubt sie derBeitragsgroschen und des Staatsbürgerrechts, von der Koalitionsfreiheit den sclbstgewählten Gebrauch zu machen.Manche Unternehmer— auch der Staat als Unternehmer—bringen ihre Mißachtung des Koalitionsrechts auch dadurchzum Ausdruck, daß sie den Arbeitern die Zugehörigkeit zu bestimmten Organisationen vorschreiben und mit Brotlosmachungbestrafen.Wie der Koalitionszwang zugunsten der HintzebrüdevVereine funktioniert, dafür könnte map unzählige Beispieleanführen. Wir begnügen uns damit, eins aus den letztenTagen mitzuteilen. Der„Freien Presse" in Elberfeld schreibtein Bauarbeiter:„Ich war seit einem Jahre in dem Werke der Firma Jägeru. Co. in der Varresbeck als Fabrik maurer beschäftigt.Äni Sonnabend, den 3. Januar, vormittags, fragte mich� derMeister Schlotzherr, ob ich nicht in den(gelben) Werk«verein eintreten wolle. Als ich das verneinte, er»klärte mir der„Herr", dann müßte ich aufhören. Höchst„human"gestattete man mir noch„Bedenkzeit" bis zum Montag. Als ichauch da noch nicht zu Kreuze gekrochen war, erhielt ich meineEntlassung. Mit mir traf noch zwei Maurerdasselbe Los."Solche Fälle ereignen sich tagtäglich in großer Zahl. DieAusübung des Koalitionszwanges betrachten die Unternehmerals ihr selbstverständliches Recht. Sie werden darin ja auchvon keinem Ordnungshüter gehindert. Aber Entrüstungs-geschrei erfüllt die Luft, wenn Arbeiter einmal erklären, miteinem ausgekochten Solidaritätsbrecher nicht zusammen arbeitenzu wollen. Dann ruft man nach Polizei, Staatsanwalt undAusnahmegesetzen zum Schutze gegen Koalitionszwang. Wassollte nun wohl noch folgen, wenn die Arbeiter ähnlich sogegen Unternehmer vorgehen wollten, wie diese ganz offengegen Arbeiter, wenn diese beispielsweise den Unternehmerndas Ultimatum stellten: entweder du schließt dich der sozial-demokratischen Partei an, oder du bekommst keineArbeiter! Das wäre ungefähr dasselbe, was dieUnternehmer mit ihrem Zwange zugunsten der Werkver-eine betreiben. Man braucht nur solche Fragen aufzuwerfen,um zu erkennen, daß bezüglich des Koalitionsrechts ein unhalt-barer, die Unternehmer begünstigender Ausnahmezustandbesteht. Er muß verschwinden! Er kann nur verschwinden,wenn den Arbeitern endlich das volle, uneingeschränkte, durchkeine Ausnahmebestimmung belastete Koalitionsrecht verliehenwird. Freiheit dem Koalitionsrecht I Diese Forderung erhebtdie Arbeiterschaft mit allem Nachdruck. Fort mit den Koalitionsrechtsgesetzen, die den Arbeiter knebeln, und den Koalitionsrechtsprivilegien, die das Unternehmertum begünstigen.Unsere Forderung lautet: Gleiches Koalitions-recht, gleiche Koalitionsfreiheit!Serlin unö Umgegenö.Die Freie Vereinigun» der Kinoangestellten und Berufsgenossen Deutschlands ersucht uns um die Mitteilung, daß sie mitder Freien Vereinig u'n'g der Kinooperateure inkeiner Weift identisch ist und daß sie sich speziell in der Freigabedes Heiligenabends mit dem Metallarbeiterverbande solidarisch er-klärt habe.Aus dem Fleischergcwerbe. Der Wirt August Schinreick,„Hackepeter", Frankfurter Allee 25, hat den Tarif vom Zentralver-band der Fleischer anerkannt. Die Tarifkomm is s'i'o n.deutsches Reich.Die städtischen Arbeiter der Stadt Mainz waren schon wieder-holt vergebens um Verkürzung ihrer zehnstündigen Arbeitszeit ein-gekommen. Auf Antrag ihrer Organisation hat sich jetzt die sozial-politische Deputation mit der Angelegenheit beschäftigt. Die Ge.Werbeinspektion sowie die meisten Abteilungsvorsteher der städti-schen Arbeiter sprachen sich in ihrem Gutachten für eine Herab-Minderung der Arbeitszeit aus. Die sozialpolitische Deputationtrat nach längerer Debatte für eine Reduzierung der Arbeitszeitauf 9%«stunden täglich ein.__Das Gewerkschaftshaus in Halle.Umfangreickie Bauprojekle, die ein erfreuliches Zeichen für dosstete Fortschreiten der Arbeiterbewegung sind, beschäfiigen gegen-wärtig unsere Halleschen Genossen. Der„Voltspark", das in derBurgstraße belegene Heim der organisierten Arbeiterschaft, reichte,trotzdem er das größte Saal« und Gartenetablissement der Saale-stadl ist. bei weitem nicht zu, um sänitlichen Gewerkschaften als Ver-sammlungs- und Erholungsstätte zu dienen. Durch umfangreicheUm- und Anbauten wurden die dringend benötigten Nebenräumesowie ein neuer, etwa 300 Personen fassender kleiner Saal geschaffen,der den von einem„liberalen" Magistrat aus den städtischen Turnhallen hinausgejagten Arbeiterturnern gleichzeitig als Turnhalledienen soll. Der große Saal hat etwa 2000 Sitzplätze, währenddie beiden Vorder- und Hintergärten bequem 3000 Perspnen Raumbieten.Ein ebenso großes Projekt ist in diesen Tagen in Angriff ge-nommen worden: der Bau eines Gewerkschaftshauses mitZentralherberge. Das bisher sehr im argen liegendeHerbergswesen machte es notwendig, daß der jahrelang gefaßte Plander Schaffung einer der Neuzeit entsprechenden Unterkunftsstätte fürdie reisenden Gewerkschaftsgenosseu in beschleunigter Weise zur Aus-fübrung gelangt. Auf dem mitten in der Stadt, Am Harz 42/44,belegenen großen Grundstückskomplex, auf dem sich bereits dieDruckerei und der Verlag des„Voltsblatts" sowie einige Gewerk-schaftSbureaus befinden, wird mit einem Kostenaufwande von rund200 000 M. das vier Geschosse zählende Gebäude errichtet. DasBaugelände befand sich bereits im Besitz der Genossenschaft und istin der Bausumme nicht inbegriffen. Neben der Herberge werdenauch die zahlreichen, jetzt in allen Teilen der Stadt verstreutenGewerkschaftSbureaus im Gewerkschaftshaus untergebracht. Dasfertige Gebäude wird von der bauausführenden Genossenschast demGewerkichastSkartell unter außerordentlich günstigen Bedingungenverpachtet, das den gesamten Restaurations- und Herbergsbetrieb ineigener Regie führen wird. Die Arbeiten sollen so gefördert werden,daß das neue GcwerkschastShauS bereits zum Herbst in Betrieb ge-nommen werden kann.Die sozialdemokratische Presse als Vertreteringewerkschaftlicher Interessen.In einer der„Fränk. Tagespost" in Nürnberg zugedacht ge-wesenen Beleidigungsklage fällten die Ansbacher Gerichte eineinteressante Entscheidung. Bei den Ortskrankenkassemvahlen inAnsbach hatten sich einige Hirsch-Dunckersche auf der amtlichen Listeaufstellen und von den Unternehmern und dem Versicherungsamtöffentlich empfehlen lassen. Dafür wurden sie in der„FränkischenTagespost" als„Arbeiter, die schon mit einem freundlichen Blickder Unternehmer und Behörden zufrieden sind", als.rückgratlos",„lammfromm" und als„im Schlepptau der Unternehmer und Be-Hörden hängend" bezeichnet. Diese Bemerkungen veranlassten denFührer der Hirsche, Lagerhalter Schmidt, zur Klage, die aber sowoblvom Amtsgericht als auch vom Landgericht zurückgewiesen wurde.In den Gründen heißt es:„In der Zusendung des Artikels konnte der Redakteur mitRecht einen Auftrag, die Wahlintereffen der Ansbacher Gewerk-schasten öffentlich zu vertreten, erblicken. Diesem Auftrag dursteer im Hinblick auf seinen Beruf und die Richtung seines Blattesentsprechen. Ohne daß auf die politisch umstrittene Frage, welcheBeziehungen zwischen der politischen Sozialdemokratie und derGewerkschaftsbewegung bestehen, näher einzugehen, ist eS eineunleugbare und dem Gericht feststehende Tatsache, daß die Wirt-schaftlichen Interessen, die sich in der Gewerkschaftsbewegung ver-körpern, von der sozialdemokratischen Partei und insbesonderevon der sozialdemokratischen Presse publizistisch vertreten werden.Geht man davon aus, daß der Angeklagte bestrebt war, durch dieVeröffentlichung des Artikels dem auch für ihn als berechtigt an-zuerkennenden Interesse an einem Wahlsieg der gewerkschaftlichenListe zu dienen, so kann der Inhalt des Artikels nicht als straf-bare Beleidigung beurteilt werden, auch wenn die beanstandete!!Ausdrücke objektiv beleidigend sind. Das Eintveten für dieInteressen einer Partei im Wahlkampf bringt eS mit sich, daßauch die persönlichen Eigenschaften und Lebensverhältnisse desGegners unter dem Gesichtspunkt seiner Eignung zu den an denErwählten zu stellenden Anforderungen erörtert werden...ES läßt sich dem Angeklagten incht widerlegen, daß er mit demHinweis auf die Abhängigkeit!�s Kläger? und seiner Ge-slnnungsgenosscn lediglich und ausschließlich den Zweck verfolgte,der gewerkschaftlichen List« Wähler zuzuführen und solche von dergegnerischen Liste fernzuhalten. Der Angeklagte hat dahrr iuWahrung berechtigter Interessen gehandelt. Die Klage ist unbc-gründet und war zurückzuweisenSeparatistische Schlauheit.Adamek, der frühere Angestellte des BergarsseiterverbandeSder wegen Beteiligung und Propagierung der neuen separatistischenOrganisation vom Vorstand genannten Verbandes seines AmteSentietzl wurde, spielt die erste Geige im sogenannten Zentral-Polen-verband. Doch scheint er dort schon ein Haar in der Suppe ge-sunden zu habe», oder er versucht gegen den Bergarbeiterverbändeinen besonderen Trick.Der Vorstand des Verbandes der Bergarbeiter erhielt nämlichvon Herrn Rechtsanwalt Dr. Seyda in Kattowitz, dem VertreterAdameks, einen Brief, worin mitgeteilt wird, daß Herr Adamekbereit ist, sein Amt bei den Separatisten niederzulegen. Der Briefist datiert vom 12. Januar 1914; der in Betracht kommende Passuslautet wörtlich:„Das ihm übertragene Ehrenamt in dem neuen Verbände ister bereit, falls Sie das wünschen, niederzulegen. Demzufolge hältHerr Adamek seine Ansprüche auf Zahlung von Gehalt für dieZeit vom 1. Januar bis zum 81. März 1914 aufrecht und bitteich um Erklärung binnen drei Tagen, ob die Ansprüche anerkanntwerden."Der Verband der Bergarbeiter will aber dem Zentral-Polen-verband sein geistiges Oberhaupt nicht entreißen; er gönnt ihmHerrn Adamek, der ein solcher Jdealmensch ist, daß er auf Wunschsein Amt niederlegen will, wenn er für drei Monate Gehalt be-kommt. Was will Adamek mit seiner Forderung bezwecken?kleines Feuilleton.Ein Fall Zaber» vor ISO Jahren. Ganz ungewöhnliche lieber-«instimmung in vielen Einzelheiten mit der„Jaberner Affäre"zeigt ein Konflikt zwischen Militär und Zivil, der vor rund 150Jahren in Königsberg spielte. Garnison und Bürgerschafthatten im allgemeinen in Frieden gelebt, bis um 1769 Oberftlevt-nant V. 31a felis Regimentskommandeur wurde. Er war mitdem von de» Bäckern gelieferten Soldatenbrot unzufrieden unddrohte an, er würde die Schuldigen in Arrest bringen. Der Magi-strat verbat sich das mit den Worten:„Wir müssen die Arretierungder Bürger durch die Wache, noch mehr aber das Stecken unterdie Peitsche hierdurch ganz ergcbenst verbitten..." Es kamauch über andere Dinge zu Häkeleien. 1772 griff auch der Kom-mandierende, General v. Möllendorf, ein und ließ wegen irgendeiner Angelegenheit einen Bürger verhaften. Nun drohte derMagistrat, sich an den König zu wenden, aber Möllendorf bedeuteteihm, löbl. Magistrat solle es nur tun.„In Zivilsachen würde ernicht eingreifen, wenn er aber sähe, daß in Polizeisachen etwasnjcht in Ordnung wäre, so würde er handeln, wie er es für nötigerachte."Der Magistrat gab nach, aber nun kamen ernstere Dinge.Natalis hatte in einer Streitsache Rechtsberren zu sich befohlen,und als sie nicht sogleich kamen, gedroht, sie mit der Wache holenzu lassen und sie grob angefahren. Die Stimmung war also erregt,und jetzt ließ der Oberst, das war er mittlerweile geworden,mehrere Bäcker verhaften, teilte dies dem Oberbürgermeister mitund ließ ihn ausfordern, zu ihm zu kommen. Ter weigerte sich;als aber die Verhaftungen sortgesetzt wurden und die Bürgerschaftzusammenlief, ging er doch zu Natalis und forderte die Frei-lassung, die aber brüsk verweigert wurde. Im Gegenteil, es wurdeschlimmer. Nicht bloß Bäcker, sondern auch Leute, die bei ihnenwohnten, wurden verhastet und auf die Wache gebracht, wo manihnen jedoch„nicht übel begegnete". Die Soldaten drangen in dieHäuser ein und forderten Einlaß im Namen des Obersten. Alseiner der Bürger namens Mischle, kein Bäcker, antwortete:„DerHerr Oberst hat mir nichts zu befehlen, ich bäbe dem König unddem Magistrat geschworen," drohten sie die Tür mit den Kolbeneinzuschlagen, und er mutzte öffnen und wurde verhastet.Es ging weiter. Dem Magistrat wurde gemeldet, daß derOberst den Ratsdiener habe arretieren lassen und den Oberbürger-meister zu sich riefe. Der erklärte, er habe momentan keine Zeit.Es gab noch viel Hin und Her, der Oberst beschwerte sich bei derRegierung über den Magistrat, verlangte„gehörige Satisfaktion"und schickte den Ratsdiener, der eingesperrt worden war, weil ersich den Befehlen des Obersten nicht hatte fügen wollen, nach Küstrinzur Bestrafung. Der Magistrat aber beklagte sich beim König über„die Zudringlichkeiten des Obersten v. Natalis", und der Monarchversprach eine gründliche Untersuchung aller Streitfälle. Möllen-twrs und ein Kammerrat aus Küstrin nahmen die Untersuchungvor. Und wie lautete die königliche Entscheidung?„Man hatwahrgenommen, daß Ihr 1. die. von dem Kommandeur gesuchte,mündliche Konferentzien in Dienstsachen öfters ohne Roth diffi-«ultiert, 2. verschiedene Unordnungen im Polizei-Wesen dortigenOrts einschleichen lassen", was des weiteren ausgeführt und be-gründet wurde. Die Kosten der Untersuchung wurden d e r S t a d tauferlegt.„Warum die Kämmerey die Kosten bezahlen soll," be-merkt hierzu in den Akten wehmütig der Oberbürgermeister,„kannich nicht begreifen; des Obersten Schuld ist erwiesen und dennochsoll statt der dem Magistrat gebührenden Satisfaktion die Kam-mcrey die Kosten bezahlen."— Aber es blieb dabei.Bemalte Körper. Aus der Welt der Modenarrheiten wirdberichtet: Die russische Malerin Natalie Gurtschakoff hat eine aussehenerregende Modeneuheit inS Leben gerufen. Damen aus denvornehmsten Petersburger Gesellschaftskreisen lassen sich neuer-dings von Künstlerhand völlig ausgeführte, kleine Bilder auf diezarte russisch-bleiche Haut zaubern..Wie in vergangenen Tagen diekoketten Schönheitsflecke das Gesicht des Rokkokodämchcns, so zierenheute Elefanten, Bäume und allerlei geometrische Figuren denschimmernden Nacken und das marmorblasse Antlitz der Peters-burger Modedame. Ob die neue Mode auch die übrigen Teile desKörpers erreichen wird— was eine Rückkehr zu indianischen Ge-bräuchen darstellen würde— bleibt abzuwarten. Und ob die Ge-mälde auf dem Frauenantlitz auch gegen Küsse widerstandsfähigsind oder nicht, diese für die Männerwelt so wichtige Frage ist erstdurch die künftige Praxis zu entscheiden.In der Welt, in der man sich langweilt, ist die neueste Modesicher ein angenehmer Sport mehr, die Zeit totzuschlagen.Leibesübungen auch im Winter. Wenn die schönen Sommer-tage Sportfreudige zu fleißigen Leibesübungen treiben, so ruhendiese gesunden körperlichen Uebungen im Winter fast ganz. Unddoch haben selbst Zimmernbungen bei offenem Fenster einen außer«ordentlichen gesundheitlichen Wert, besonders auf die im Winter sosehr gefährdeten Lungen.Professor Dr. Schmidt in Bonn stellte bei den Teilnehmern derdortigen Turnkurie(Lehrer und Studierende im Alter von 20 bis30 Jahren) eine Reihe von Jahren hindurch die Fassungskraft derLungen mit den: Spirometer(einem dazu bestimmten Meßapparai)fest. Sie betrug im Mittel 3388 Kubikzentimeter. Nach den halb-jährigen Kurien stieg sie auf 3803 Kubikzentimeter. In Stuttgartbetrugen die betreffenden Zahlen 3833 und 4290. In diesen Ziffernspricht sich vor allem die infolge des Turnens erhöhte Fähigkeit desBrustkorbes aus, tiefste Ein- und Ausatmungsbewegungen zu machen.Solche Hebungen müssen aber bei offenem Fenster, am besten morgensvorgenommen werden.Theater.Deutsches Theater: König Lear von Shake-f p e a r e. Die Eindrücke waren ähnlich wie bei der Erstaufführungvor fünf Jahren. Die Empfindung komint über eine vage Be-wunderung für die aus dem wildzert'lüsteten Werke hervor-leuchtenden Genialitäten nicht eigentlich zu einem intimen 51on-takte mit dem Ganzen. Daß Cordelia, die ihre Liebe zu demVater vor versammeltem Hofe nicht mit rhetorischem Phrasenschwallbeteuern mag, durch ihre edelwürdige Zurückhaltung Lears Wutentfacht, ihn zu dem niederen Racheakte fortreißt, die einzig Treuefluchend zu enterben, erscheint so unbegreiflich und setzt Learselbst in einem Matz herab, daß eine restlose Anteilnahme an seinenspäteren Leiden sehr erschwert wird.Die Darstellung läßt die hemmenden Momente sowohl in derExposition wie in der Zerstreutheit der Handlung und dem Gräß-lichen inancher Einzelheiten(Glosters Blendung).notwendig nurnoch stärker hervortreten. Das genialisch Größte des Dramasaber: das gespenstige Bild des verstoßenen wahnsinnigen Lear, derin der Nacht mit einem Scheinwahnsinnigen und seinem Hof-narren auf sturmgepeitschter Heide irrt, das tiefsinnige Durch-einanderschillern von Einbildung und Wirklichkeit in der Szene,wo der geblendete Gloster durch einen Sprung in die Tiefe derLebensqual zu entrinnen sucht— büßt in der sinnlichen Vergegen-wärtigung durch die Bühne vieles ein. Orkan und Donner pflegendie Worte teils zu übertönen und das lallende, die Zickzacksprüngedes Wahnsinns nachbildende Geflüster fällt, zu breiter Dauerausgesponnen, quälend auf die 3terven. Auch bietet, so malerischphantasievoll die Szenerie abgestimmt sein mag, sie für den freienPhantasieflug, mit dem der Leser der Vision folgt, nur mäßigenErsatz. Die Tradition, so wenig wie möglich zu streichen, hattedie Spielzeit auf das die künstlerische Empfänglichkeit des Durch-schnittszuschauers weit übersteigende Matz von annähernd fünfStunden ausgedehnt.Bassermann, der in der Titelrolle an Schildkrauts StelleSetreten ist, betonte die Züge der Weichheit und Hilflosigkeit. Ter!ähzorn des Greises war nicht so sehr ein gewaltige Furcht er-regender Affekt wie eine flatternde Erregung innerer Seelen-qual. Es lag ein guter, kluger Geist darin. Die Milderung desHochmuts und der Härte sollten die Gestalt dem Mitleid näherbringen. Er fand in einzelnen Momenten ergreifend wahre Tönenamenlosen Leides. Aber die Schranken, die diesem Meister modernnaturalistischer Charakterrollen durch sein Organ im klassischenVersdrama gesetzt sind, vermochte er auch diesmal nur teilweise zuüberwinden. Man mutzte sich bemühen, der Feinheit der Inten-tion oft nur mit dem Verstände nachzuspüren. M o is s i, derin der Erstaufführung vor fünf Jahren noch stark outrierte, ist in-zwischen in der Figur des Narren, eine der seltsamsten undschwierigsten der Shakespeare-Dramen, völlig hineingewachsen.So wie er ihn jetzt darstellt, mit schwerfällig humpelndem Gange,wehmütig blassem Antlitz unter angegrautem Blondhaar, sieht niauein lebendig überzeugendes Wesen, das einen an das Herz greif!.W i n t e r st e i n war ein prächtiger Kent, vor allem glänzend inseinem grimmigen Humor. D a n e g g e r ein eindrucksvoll manu-hafter Edmund. Camilla E i b e n s ch ü tz, als Cordelia anfangsetwas kühl, wußte im letzten Akt beim Wiedersehen des Vatersdurch liebreizenden Ausdruck des innigen Gefühls zu entzücken.Von den anderen seien die Damen Konstantin und Feldhammer(die beiden bösen Töchter Lears), Josef Klein(als Gloster), KarlEbert und Werner Krauh noch namentlich genannt. Die Czeschkaund Sternschcn Dekorationen boten einfache und großzügigeHintergründe._ dt.Notizen.— Musikchronik. Zwei Volkskonzerte will der Chor desköniglichen Opernhauses im Februar und März vetanstalten undzwar im Kriegervereinshause und in der Garnisonkirche, womitdurch die Blume angedeutet wird, auf welche Volksschicht bei diesenKonzerten gereckmet wird.— Der Bildgedanke. Der Maler Friedrich Kall-morgen schreibt über die Ziele der neuen Kunst:„Wir sind aufdem Wege, das Abmalen der?!atur nicht mehr als Endzweck derMalerei anzusehen. Wir haben in den letzten Jahrzehnten dasNaturstudium sehr eindringlich betrieben und viel hinzugelernt.Die Studie erlangte eine übertriebene Bedeutung und galt alsBild. Das Studium der Statur aber ist nicht Endzweck, sondernMittel zum Zweck. Diese Anschauung, die auf eine Verinner-lichung der Kunst ausgeht, die den Bitdgedanken, der Kompositionwieder ihre Bedeutung geben will, bricht sich Bahn, und darinliegt die Zukunft der deutschen Kunst."