Die Generalgewerkschaft. In seinem kürzlich erschienenen Buch„Eines Arbeiters Weltreise" schildert Genosse Kummer recht ergötzlich seine Auf- nähme in einen Zweigverein des amerikanischen Maschinen- bauerverbandes. Die strenge Beobachtung des Formelkrams, die Geheimtuerei, die Umständlichkeit und Schwierigkeit der Aufnahme, die nicht nur von der Bezahlung eines hohen Ein- trittsgeldes, sondern auch von dem Ausfall einer eingehenden fachlichen Prüfung abhängig gemacht ist, all das könnte unsere Heiterkeit erregen, wenn wir nicht wüßten, daß es sich da um sehr ernste Gebrechen der amerikanischen Arbeiterbewegung handelt. Allerdings wird heute auch die A. F. of L., der amerika - nische Gewerkschaftsbund, nicht mehr ganz von diesem zünftle- rischen Geist regiert. In den letzten Jahren haben viele der ihm angeschlossenen Vereine den Versuch gemacht, ihre Taktik den geänderten Verhältnissen anzupassen. Man hat bei ver- schiedenen Vereinen den Eintritt leichter gemacht; bei anderen wurde allerdings zur selben Zeit das Eintrittsgeld erhöht. Man hat sogar wenigstens an einigen Orten versucht, die Un- gelernten zu organisieren; aber alle diese Modernisierungs - versuche haben doch bis heute noch nicht den Grundcharakter dieser aristokratischen Arbeiterorganisation zu ändern ver- mocht. Kein Wunder daher, daß sich die ungelernten Arbeiter, zum großen Teil Einwanderer, die bei den Vereinen der A. F. of L. keine Aufnahme und keine Unterstützung fanden, die auch nicht imstande gewesen wären, aus ihren kargen Löhnen die hohen Eintritts- und Mitgliedsgebühren zu be- zahlen, nach anderen Organisationsformen unisahen. Meist erwachte dieses Streben allerdings erst im Augenblick des Kampfes, wenn die zur Verzweiflung getriebenen Lohnsklaven sich gegen ihre Ausbeuter erhoben und nun plötzlich an sie die Notwendigkeit herantrat, einheitliche Forderungen aufzustellen, gemeinsam zu handeln, die Schwächsten zu unterstützen, für die Kinder zu sorgen, den Behörden entgegenzutreten, mit den Unternehmern zu unterhandeln. Die Fachvereine der A. F. of L. verweigerten hier meist schon deshalb ihre Hilfe, weil die Streikenden gar keinem Beruf angehörten, dessen Angehörige im Fachverein organi- siert sein sollten. Für unorganisierte Arbeiter eines fremden Berufs sich einzusetzen, hatten aber die Gewerkschaftler um so weniger Lust. Wo aber die A. F. of L. versagte, dort sprang die junge Zentralorganisation der I. W. W., der„Industrie- arbeiter der Welt", ein. Sie sind in erster Linie die Ver- einigung der Ungelernten, der von der A. F. of L. Vernach- lässigten. Sie schickten in die Streikgebiete ihre Agitatoren und Organisatoren, sie sammelten Gelder, brachten die Kinder der Streikenden bei Genossen unter, stellten Rechtsanwälte, um die Rechte der Ausständischen zu schützen, veranlaßten eventuell auch Interventionen in den gesetzgebenden Körper- schaften. Freilich, Geld konnten sie selbst nicht viel geben, denn daran gebricht es naturgemäß einer Organisation, die zum größten Teil aus Ungelernten besteht. Aber diesen Mangel behaupten die I. W. W., nicht sehr schmerzlich zu empfinden. Ebenso wie die französischen Syndikalisten machen sie aus der Not ein Prinzip und erklären die gefüllte Gewerk- schaftskasse für ein Schwergewicht, das die Aktion eher hemmt, als fördert. Tatsächlich kann sich ja auch eine Organisation der schlechtest bezahlten Arbeiter nicht auf ihre finanziellen Hilfsquellen verlassen, eine Organisation, deren Bestand und Festigkeit noch besonders durch die unerhörte Vielsprachigkeit der hier in Frage kommenden Arbeiter, durch ihr oft sehr niedriges Kulturniveau und durch ihre ewige Wanderschaft fortwährend gefährdet wird. Sie muß an die Begeisterung der Kämpfenden, vor allem aber auch an die Solidarität der Kameraden appellieren. So kommt es, daß diese aus voll- kommen anders gearteten Verhältnissen entsprossene Bewe- gung sich ihre Ideologie, ja ihre Ausdrucksweise, zum großen Teil von den französischen Syndikalisten entlehnte. Hier wie dort die zur Schau gestellte Verachtung von Gewerkschafts- lassen und Gewerkschaftsdisziplin, die Berufung auf die alle Hindernisse bezwingende Kampfbegeisterung und auf die hilfs- bereite Solidarität der Klassengenossen, endlich die Neigung zur„direkten Aktion". Aber die Aehnlichkeit ist doch tn vielen Heimarbeit. In einer Stube, dicht zusammengezwängt, Vom Odem ihres Elends halb erstickt, Die matten Augen heiß und ungetränkt, Tief über ihre Arbeit hingebückt. So sitzen sie und werden nicht gewahr, Wie sich der Frühling vor dem Fenster zeigt. Sie sehen nicht, wie sich das blonde Äaar Der Jüngsten ties zum Tisch hinabgeneigt. Erst, als ihr Stöhnen durch die Enge quillt, Da seh'n sie alle auf wie toterschrocken... Sie wissen, wem das dumpfe Stöhnen gilt. Doch ihre Augen bleiben hart und trocken. Leo Heller . Der Musterarbeiter. Von Emil U n g e r. So oft unser Chef an ihm vorbeiging, huschte über sein Gesicht ein Zug der Befriedigung. Ja, das war ein Arbeiter nach seinem Sinn. Ach, daß doch alle so wären! Man merkte kaum seine Anwesenheit. Morgens, pünktlich auf die Sekunde, trat er an und während der Arbeitszeit saß er wie festgemauert auf seinem Platze und arbeitete unverdrossen, weder rechts noch links schauend. Nur selten, daß er einmal eine Silbe sprach. Und auch das nur, sofern es unbedingt nicht zu umgehen war. Sonst konnte man ihm jedes Wort mit der Beißzange aus dem Munde ziehen, wenn er reden sollte. O ja, er war vorbildlich als Arbeiter, dieser Franz Treugold (so hieß er), oft genug bekamen wir es durch die Blume zu hören. Unser Chef nahm jede Gelegenheit wahr, uns seinen Musterarbeiter unter die Nase zu reiben. Wir aber schwiegen und dachten unser Teil, nur ein ver- ständnisvolles Lächeln huschte von Mund zu Mund. Wußten wir doch, daß der Tag nicht ferne war, wo unser Arbeitgeber sein blaues Wunder erleben würde. Jeder von uns kannte Franz Treugold schon lange genug, um zu wiffen, wie er anzufangen und auch Stücken nur rein äußerlich, und gerade in der Organisations- frage tritt der Gegensatz zwischen dem französischen und ameri- kanischen Syndikalismus scharf hervor. Das Grundprinzip der französischen, auf kleinbürger - lichem Boden erlvachsenen Organisation ist das der Föderation, des losen Bundes. Die Gewerkschaftszentrale ist ihrem Statut gemäß nicht viel mehr als ein Korrespondenzbureau und ver- fügt auch tatsächlich nur über sehr bescheidene Mütol. Das Programm der I. W. W. hingegen geht auf straffste Zentrali- sation aus. Die„Industriearbeiter der Welt" verlangen den Zusammenschluß in Jndustrieverbänden, im Gegensatz zu den Fachverbönden, die heute noch in der A. F. of L. maßgebend sind. Allerdings fehlt es auch im amerikanischen Gewerk- schaftsbund nicht mehr an Versuckien, sich zu Jndustri.ver- bänden zusammenzuschließen, wie bei den Berg- und den Brauereiarbeitern. In anderen Industrien, wie bei den Me- tall- und den Bauarbeitern besteht wenigstens eine Art von Kartellverband . Trotzdem herrscht noch immer in der A. F. of. L. eine ungeheure Zersplitterung vor, die eben mit dem zunftmäßigen Charakter dieser Organisation zusammen- hängt, die auf die Bedürfnisse gelernter Facharbeiter zuge- schnitten ist. Die I. W. W. hingegen rekrutieren sich aus der ungelernten Mannschaft der modernen Riesenbetriebe, wo alle Grenzen und Schranken zwischen den Berufen aufgehoben sind, in denen oft sogar verschiedene Industrien vereinigt sind. Bei den I. W. W. kann daher von Fachvereinen von vornherein nicht die Rede sein, ja, ihnen genügt schon der Jndustriever- band in unserem Sinne nicht mehr. Ihre Redner verlangen schon den„Verband der Verbände", den allumfassenden „Klassenverband", die Vereinigung aller Arbeiter in einer ungeheuren Generalgewerkschaft. Diese Forderung hat sich aus den Verhältnissen geradezu mit Notwendigkeit ergeben. Zunächst mußte schon der energische Appell an die Klassensolidarität, an das Zusammen- gehörigkeitsgefühl der gesamten Arbeiterschaft, dessen Betäti- gung allein imstande wäre, sich dem übermächtigen Unter- nehmertum gegenüber zu behaupten, dazu führen, diese ge- samte Arbeiterschaft auch organisatorisch zusammenzufassen. Dieses Bestreben mußte aber noch dadurch wesentlich bestärkt werden, daß Amerika das Land der großartigst ausgebildeten Formen der Unternehmervereinigungen ist. der Ringe, Kar- telle, Trusts usw. Der Solidarität der Arbeiter muß die Solidarität der Ausgebeuteten entgegengestellt werden. End- lich mögen aber bei der Aufstellung dieses Programms auch noch Traditionen an eine Glanzzeit des amerikanischen Ge- Werkschaftslebens mitgewirkt haben, an den erstaunlichen Auf- schwung der„Ritter der Arbeit". Und doch hätte gerade die Erinnerung an den raschen Aufstieg und den baldigen Niedergang dieses„Edlen und heiligen Ordens der Ritter der Arbeit" seinen Nachfolgern eine Warnung sein können. Diese zuerst geheiine, seit 1878 öffentliche Organisation bezeichnete sich selbst als„die große Vereinigung aller, die sich in Arbeit mühen, ohne Rücksicht auf Geschlecht, Glaubensbekenntnis oder Farbe". Denn, wie sie erklärten,„das Herz der Arbeit pocht mit gemeinsamem Schlag". Bei ihnen war jede Organisation nach Berufen überhaupt verpönt. Es gab nur Ortsgruppen von Arbeitern. Es erinnert das an die überwiegende Bedeutung, die mit ähnlicher Motivierung den lokalen„Arbeitsbörsen" im Gegen- sah zu den Fach- und Jndustrieverbänden von den französi- schen Syndikalisten beigemessen wird. Im Jahre 1883 be- trug die Mitgliederzahl der„Ritter der Arbeit" erst 62 000. Drei Jahre später wurde die Zahl auf 500 000 bis 800 000 geschätzt. Doch von da ab ging es unaufhaltsam bergab. Eine Periode wilder Streiks setzte ein. Jede Organisation vertraute darauf, daß ihr ja die anderen zu Hilfe kommen würden, und dabei waren durch die Agitatoren des Ordens zu Propagandazwecken noch außerordentlich übertriebene Darstellungen seiner Macht verbreitet worden. Ter Rück- schlag konnte nicht ausbleiben. Die leichter organisierbaren bessergestellten gelernten Arbeiter fielen massenhaft ab. weil sie fürchteten, für die streiklustigen Ungelernten die Zeche bezahlen zu müssen, und bei diesen selbst stellte sich bald Ent- täuschung und Entmutigung ein. Im Jahre 1891 soll die Mitgliedschaft des Ordens schon weniger als 200 000 betragen haben. Seine Bedeutung war zugleich hinter der der neu- gegründeten A. F. of L. wesentlich zurückgetreten. wieder zu enden pflegte. Er wurde allgemein„Bruderherz" ge- nannt und war schon ein dutzendmal im Verband gewesen, wir kümmerten uns schon gar nicht mehr um ihn und verzichteten gern auf seinen Wiedereintritt. Seine Arbeitsstelle wechselte er sehr oft aus„unwiderstehlichen" Gründen. Bruderherz stand schon im Anfang der Vierziger. Er war klein und gedrungen von Gestalt und hatte ein breites, rotes Gesicht, das von einem noch röteren Bart umrahmt wurde. Er war Jung- geselle. Brachte man ihn zum Sprechen und fragte man ihn. warum er nicht geheiratet habe, so lautete die lakonische Antwort: „Hab's vergessen." Also, Bruderherz hatte bei uns angefangen zu arbeiten. Vier Wochen weilte er bereits in unserer Mitte, und längst schon er- warteten wir den Ausbruch seines stärksten Charakterzuges. Unsere Erwartung sollte sich denn auch sehr bald erfüllen. An einem Montagmorgen fehlte Bruderherz beim Glockenschlag sieben. Durch unsere Reihen ging ein leises Raunen, und mit Spannung blickte jeder von Zeit zu Zeit mal nach der Tür. Bald kam der Erwartete auch. Seine Augen starrten gläsern ins Leere, strack und steif, als habe er einen Besenstiel verschluckt, suchte er seinen Platz auf, der neben dem meinen lag... Langsam zog er seine Jacke aus, band die Schürze um. Dann setzte er sich gemächlich hin. Lange kramte er in seinem Werkzeug herum, fortwährend vor sich hinbrummelnd. Zuletzt begann er aber doch zu arbeiten, und niemand achtete mehr seiner. Der Chef war auch mehrere Male durch den Saal gegangen, ohne daß ihm an seinem Günstling etwas aufgefallen wäre. Als das Frühstückszeichen ertönte, drehte sich Bruderherz Plötz- lich mit einem Ruck auf dem Schemel herum und fauchte mich zornig an: „Wat wolltest Du mit dem Dolche? sprich!"' Da er meinen verwunderten Blick sah, begann er vergnügt zu lachen. Schließlich fragte er in bittendem Ton: „Bruderherz, hast Du Soroff?" Nein, ich mußte bedauern, Schnaps hatte ich wirklich nicht. Da wandte er sich enttäuscht ab. Eine Weile blickte er stier zum Fenster hinaus, dann stieß er seinen Vordermann an: „Bruderherz, haste keen Soroff?" Der wimmelte ihn ärgerlich ab. Einige Minuten saß er un- schlüssig da, mit beiden Händen die Schnurrbartspitzen zwirbelnd. Endlich stand er auf und zog aus seiner Rocktasche eine ziemlich große, aber leere Schnapsflasche. Eine Sekunde hielt er sie prüfend gegen das Licht. Dann ging er fort, im Vorübergehen seinem Vordermann wütend zuzischend: Doch diese Spuren schrecken die heutigen Vertreter der I. W. W. nicht. Mit voller Entschiedenheit erheben sie die Forderung nach„ons big union", nach dem„einen großen Verband". Allerdings scheinen sich die Führer der Bewegung noch darüber nicht ganz einig geworden zu sein, wie sie sich diesen„Klassenverband" vorstellen sollen. Die einen stellen ihn geradezu wie einen straff zentralisierten allumfassenden Verband hin, die anderen wollen den einzelnen Industrie- verbänden noch gewisse Autonomierechte lassen. Daß dabei dieser geplante allgemeine Arbeiterverband ebenfalls meist „Jndustrieverband" genannt wird, erhöht nicht gerade die Klarheit der Auseinandersetzung. Charakteristisch für diesen Gebrauch des Ausdrucks ist es, daß die amerikanischen Syndi» kalisten in der„Internationale", die sie als ihr Kampf- lied betrachten, den Schlußvers,„die Internationale wird die Menschheit sein", mit den Worten übersetzen„tbe industrial union sball be the human race", d. h. also wörtlich, der Jndustrieverband wird das Menschengeschlecht sein. Wenn nun aber die Arbeiter aller Berufe und Industrien in einer Generalgewerkschaft vereinigt werden, kann es nickst deren Hauptzweck sein, die Spezialinteressen der einzelnen Arbeiterkategorien wahrzunehmen, sondern die allen Arbei- tern gemeinsamen Interessen. Die Hauptaufgabe dieser Or- ganisation ist dann nicht mehr der Kampf um bessere Lohn- und Arbeitsverhältnisse im einzelnen Betriebe oder Beruf, sondern der Kampf gegen die der Arbeiterklasse gemeinsamen Gegner, also gegen das Unternehmertum und den Staat. Tatsächlich sind auch die I. W. W. folgerichtig zu diesem Schluß gekommen. Zwar erklären ihre Vertreter meist noch, in der sozialistischen Partei den politischen Ausdruck ihrer Prinzipien zu sehen. Doch schon fast vor einem Jahr hat Ge- nosse Debs, der Präsidentschaftskandidat uhserer amerikanischen Bruderpartei, der selbst an der Gründung der I. W. W. be- teiligt war, sich später aber von ihnen abwandte, gegen diese Organisation den Vorwurf erhoben, daß sie sich zwar, so oft sie in Verlegenheit kommt, sehr energisch an die Partei um Hilfe wendet. Sobald aber die Gefahr vorbei, dann schlagen die I. W. W. der Partei sofort ins Gesicht. Neben einer solchen Generalgewerkschaft, wie sie die I. W. W. planen, ist auch tatsächlich für eine politische Partei kein Raum mehr. Die der ganzen Arbeiterklasse gemeinsamen Interessen sind eben ihre politischen, d. h.. sie können nur der Gesamtorganisation des Ausbeutertums. dem Staat, gegen- über durchgesetzt werdhn. Ihre Geltendmachung ist nicht mehr Aufgabe der Gewerkschaften, sondern Sache der Partei. Nimmt eine Generalgewerkschaft es selbst in die Hand, mit gewerkschaftlichen Pressionsmitteln, vor allem also durch den Streik, dann aber auch eventuell durch Sabotage und andere Mittel der„direkten Aktion" jene Konzessionen den Herr- schenden abzuringen, so macht sie damit die Partes über- flüssig. Die„eine große Union " kann ihrem Wesen nach nichts anderes sein als eine Organisation des politischen General» streiks. Allerdings, faßt man jene Forderung der Generalgewerk- schaft nur in dem Sinne auf, daß in jedem Lande starke Jndustrieverbände gebildet werden sollen, die einen gemein- samen Ausschuß bilden, der die Verständigung zum Zwecks wechselseitiger Hilfe erleichtern und eventuell auch gemein- same Streikfonds verwalten soll, dann verliert diese Forde- rung ihren revolutionären Anstrich, dann wird sie eine Frage ruhig abzuwägender technischer Zweckmäßigkeit; dann hört die„Generalgewerkschaft" aber auch auf. ein Schlagwort der Agitation zu sein. Nur die ruhige Erwägung erfahrener und sich ihrer Verantwortlichkeit bewußter Gewerkschaftspraktiker ist dann berufen, das Maß festzustellen, in dem diese Forde- rung jeweils zu verwirklichen ist. In Amerika haben die eigenartigen Zustände auf gewerk- schaftlichem und politischem Gebiet, die � zünftlerrsche Be- schränktheit der Vereine der A. F. of L., die daraus folgende Isoliertheit der Ungelernten, sowie andererseits die Schwäche der noch jungen politischen Partei dazu geführt, daß mit der Forderung der„einen großen Gewerkschaft" sehr übertriebene, utopistisch? Hoffnungen und Erwartungen verknüpft wurden. In Deutschland durste für solche Vorschläge, wie sie in letzter Zeit aufgetaucht sind, kaum ein günstiger Boden sein. El. IS. „Det sollst Du am Kreuze bereuen!" Bruderherz blieb eine volle Stunde fort. Er war über die Hintertreppe hinab gegangen und kam auch dann wieder auf dem» selben Wege zurück. Sein Blick war nunmehr noch starrer wie zuvor, und sein Gesicht hatte einen bläulichen Schimmer angenom- men. Kein Zweifel, Bruderherz war sternhagelvoll. Nur mit Mühe vermochte er sich auf seinem Schemel gerade zu halten. Eine Weile balanzierte er, und als er endlich das Gleichgewicht gefunden hatte, stellte er die Flasche, die bis oben hin mit einer gelben Flüssigkeit gefüllt war, auf den Werktisch, sie mit verklärtem GesichtsauSdruck musternd. Dann fuhr er mit seinen zitternden Händen streichelnd, liebkosend an ihr herab. Das dauerte geraume Zeit, zuletzt ent- korkte er sie umständlich und reichte sie mir zum Trunk hin. Als ich das Angebot sehr energisch abwehrte, wandte er sich an seinen Vordermann. Doch auch da hatte er kein Glück. Da setzte er die Flasche selbst an den Mund und ließ die Flüssigkeit glucksend in die Kehle hinabrinnen. Als die Flasche etwa um ein Drittel ihres Inhalts erleichtert war, stellte Bruderherz sie unter den Tisch. Nun suchte er sich allmählich auf seine Arbeit zu besinnen. Aber er kam bald wieder davon ab und eine Weile später lag sein Kopf schwer auf dem Tisch. Eine gräuliche Schnarchsinfonie Hub an und eine Wolke von Fuseldunst hüllte in weitem Umkreis die Stelle ein, wo Bruderherz schlief. Nach einiger Zeit schüttelte ihn der Bordermann derbe hin und her, und als auch das nichts half, spritzte er dem Betrunkenen kaltes Wasser ins Gesicht. Der Chef hatte sich bemerkbar gemacht. und wir wollten nicht, daß er Bruderherz schlafend antreffen sollte. Dieser richtete sich denn auch auf und blickte mit irren Augen um sich, ohne in seinem Schnapsrausch zu wissen, was um ihn herum geschah. Er war auch dann seiner Sinne noch nicht mächtig, als hinter ihm die Stimme des Arbeitgebers laut wurde, der mit dem Vorarbeiter etwas besprach. Gerade, als Bruderherz die gefüllte Schnapsunke wieder an die Lippen setzte, blickte der Chef herüber. Wir dachten alle in diesem Augenblick, der Herr würde sich in eine Salzsäule verwandeln, ein so maßloses Verwundern und Er» schrecken malte sich in fernen Zügen. Franz Treugold, sein Lieb» ling, das Muster eines Arbeiters— faß total betrunken vor ihm und hatte die Schnapsflasche am Munde! Herr Stöhr konnte das noch gar nicht erfassen. Er schien aus allen Wolken zu fallen. Tann trat er hin und sagte in strengem, vorivurfsvollem Tone: „Aber Herr Treugold, das hätte ich von Ihnen nicht erwartet.' Beim Klang der Stimme wandte sich Bruderherz um und al» er den Arbeitgeber erblickte, richtete er sich entschlossen<wf und torkelte mit fröhlichem Meckern auf ihn zu.
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