Schiemann fü5tt dann weiter aus. daß dabei jeder Teil demanderen die Schuld zuweise, und daß hier wie dort die Ver-antwortung auf den Strom der öffentlichen Meinung ab-geschoben werde, wahrend es in Wirklichkeit nichts gebe, was bereiter wäre, von heute auf morgen seine Ueberzeugung zu wechselnals diese öffentliche Meinung, die nur erwarte, daß man den Muthabe ihr zu sagen, wohin sie gehen solle. Dann fährt der Kreuz-zeitungsmann fort:»Meine Meinung und feste Ueberzeugung möchte ich nurdahin zusammenfassen, daß es keine Zeit gegeben hat, in der,mehr als heute, durch einen erlösenden Entschluß alleSchwierigkeiten der europäischen wie der Weltpolitik in dieBahnen ruhiger und gedeihlicher Sntwickelung gelenkt werdenkonnten. Dieser Entschluß aber wurde lauten: englisch-deutsche Allianz. Sie würde die Rüstungsrivalität, diedeutsch-französischen Schärfen, die russische Aggressivpolitik, dasSchicksal des Islam und seine Leitung in Kulturbahnen nebstallen Problemen, die daran hängen, in wahrhaft idealer Weiselösen. Aber dazu bedarf es eines starken Willens, der sich überpersönliche Eitelkeits- und Empfindlichkeits-fragen hinwegzusetzen vermag und eines klaren Kopfes, derdie Dinge nüchtern beurteilt, und sich nicht durch einmal begangene Irrungen den Ausgang auf den richtigen Weg ver-mauern läßt. Es mag utopisch erscheinen, sich mit dem Ge-danken zu tragen, daß diese Möglichkeit eintreten könnte. Darumsoll sie aber nicht unausgesprochen bleiben."Professor Schiemann ist nicht irgendein Beliebiger. Man weiß,daß er zu sehr maßgebenden Kreisen enge und gute Beziehungenunterhält, und daß er über die jeweiligen Neigungen Wilhelms II.auf dem Gebiete der auswärtigen Politik unterrichtet zu sein pflegt.Auch die etwas komplizierte Formulierung seiner ersten Sätzeläßt darauf schließen, daß er mehr beabsichtigt, als den Lesernder„Krcuzzeitung" seine private Meinung über das deutsch-englische Verhältnis und seine EntwickelungSmöglichkeiten vorzu-tragen. Vielleicht laufen von seinen Bemerkungen Fäden zu denin der letzten Zeit mehrfach aufgetauchten Gerüchtcw, von einerKrisis im deutschen Auswärtigen Amt.Aber wie dem auch sei: das wichtigste ist, daß in der„Kreuz-zcitung" von einer Seite, die das führende konservative Organohne Zweifel selbst doch für in hohem Maße sachverständig hält,diejenigen Argumente, mit denen die bürgerlichen Parteien undan ihrer Spitze die Konservativen, ihre wahnwitzige Rüstungs-Politik zu verteidigen suchen, in der grausamsten Weise zerpflücktwerden. Wenn es wahr ist, daß es nur an dem guten Willenund den Fähigkeiten der zur Leitung der Auswärtigen PolitikBerufenen liegt, ob wir zu einer dauernden internationalen Be-ruhigung gelangen können, so ist es eben ein Verbrechen,die Nationen mit immer neuen Rüstungsausgaben zu belastenund ihre Beziehungen immer wieder dadurch zu vergiften, daßman, um die Bewilligungsfreudigkeit zu heben, die Märchen vonden unüberbrückbaren Gegensätzen erzählt.Allerdings teilen wir Sozialdemokraten ja nicht die Auffassungdes Professors Schiemann von der leichten Beeinflußbarkeit deröffentlichen Meinung durch eine mutige und entschlossene Re-gwrungsstelle. Schließlich wird die öffentliche Meinung nicht nurvon den Krcisblättern und von den in der Wilhelmstraße gespeistenOrganen gebildet. Wir wissen, daß gerade auf dem Gebiete derauswärtigen Politik ein guter Teil der öffentlichen Meinung vonimperialistisch gerichteten Kapftalistenkrciscn beherrscht wird, unddaß es, um diesen Strömungen Widerstand zu leisten, eines Maßesvon Energie und Rücksichtslosigkeit bedarf, das gerade bei den inihrer politischen Existenz von den Stimmungen eines einzelnenabhängigen deutschen Staatsmännern nicht unbedingt erwartetwerden kann.Aber die Anficht, daß der Friede und die Verständigung zuhaben ist, wenn man nur will, bleibt deshalb nicht minder richtig.Esagibt eine gewaltige öffentliche Meinung, die nicht hin und herschwankt, sondern fest auf dem Boden der Erhaltung des Welt-jriedens steht; die vor allen Dingen von der Möglichkeit zu einemdauernden Einvernehmen mit England zu gelangen, durchausüberzeugt ist, und die die Anficht, daß cS keine unüberwindlichenInteressengegensätze zwischen den beiden Völkern gebe, schon zueiner Zeit vertrat, als auch Herr Schiemann noch nicht das Gegen-teil zu behaupten wagte. Diese öffentliche Meinung ist die derbreiten Massen der Arbeiterschaft, die an ihre Zu-siimmung zu eine deutsch-englischcn Allianz nur die eine Be-dingung knüpfen würde, daß dieses Abkommen weder die Basissür gemeinsame imperialistische Abenteuer würde, noch daß es seineSpitze gegen einen anderen europäischen Staat insonderheit gegenFrankreich, richtete.Für eine Einigung mit den Westmächten, für eine wahrhafteFriedens- und Kulturpolitik steht der Regierung die Unterstützungder Sozialdemokratie jederzeit zur Verfügung, aber da man sie nichtnur brüsk zurückweist, sondern gerade jetzt wieder jede Gelegenheitbenutzt, den gemeinsamen Vernichtungskrieg gegen die Partei desWeltfriedens zu predigen, so hat man kein Recht, sich darüber zuetlagen, daß sich den vielleicht gut gemeinten Bestrebungen ein-, einer mehr oder weniger einflußreicher Regierungskreise einenWeg zur Befestigung der europäischen Unruhe und zur Erleichte-rung der Rüstungslasten zu finden, unüberwindliche Schwierigkeitenentgegenstellen, und die Schiemannschen Gedanken bleiben utopisch,nicht weil, wie er meint, der Mairn fehlt, der Energie genug bc-säße das Z i e l zu wollen, sondern weil man es ablehnt, sich derzweckdienlichen Mittel zu bedienen.Kokowzews<knöe.Der schon oftmals angekündigte Rücktritt des russischenMinisterpräsideisten und Finanzministers Kokowzew ist jetztunerwartet zur Wirklichkeit geworden. Das Hin- und Her-balanzieren dieses farblosen Ministerpräsidenten, der schließ-iich fast allen Einfluß im Kabinett verlor und nur noch infolgedes Mangels eines geeigneteren Rachfolgers seinen Postenbehauptete, hat Kokowzew zuletzt auch um die Gunst des Zarengebracht. Ten äußeren Anlaß hierzu bot der Durchfall desMinisterpräsidenten im Reichsrate, wo eine Anzahl gegen ihnintrigierender alter Bureaukraten mit dem früheren Minister-Präsidenten Witte an der Spitze die Beratung der Borlageüber die Bekämpfung der Trunksucht benutzte, um Kokowzewin Fall zu bringen. Rußland hat zwar— nach dem klassischenAusspruch des jetzt gestürzten Ministers— gottlob kein Parlament. Aber ein Mißtrauensvotum der mit allen Hunden.•ehetzten Würdenträger im Reichsrate, der herrschenden Junkerund Bureaukraten, reicht dennoch aus, um einen mißliebig ge-ivordenen Minister den Hals zu brechen.Wie wenig dieses Ergebnis der Abstimmung im Reichs-rate mit dem zur Verhandlung stehenden Gegenstande zu tunhatte, geht schon daraus hervor, daß die Majorität des Reichs-rates, nachdem sie trotz aller Proteste Kokowzews für die Be-kämpfung der staatlich geförderten Trunksucht eingetreten war,von hinten hemm ihren eigenen Beschluß illusorisch machte.Tie„volksfreundliche" Demonstratioil des Reichsrates hat andein bestehenden Zustande, wo der Fiskus jährlich eineMilliarde Rubel an der Schnapspest verdient und damit seinenEtat aufrechterhält, nichts geändert. Der Reichsrat hat viel-mehr noch dafür gesorgt, daß die junkerlichen Schnapsbrennerim Reichsrate von der AntialkoholVewegung beileibe keinenSchaden davontragen. Das Ergebnis der ganzen pomphaftenAktion ist lediglich der jetzt eingetretene Sturz des Minister-Präsidenten Kokowzew.Faßt man nur diese Seite der geschilderten Vorgängeins Auge, so kann man dem Rücktritt Kokowzews und deinbevorstehenden Revirement an den höchsten russischen Regie-rungsstellen nur eine sekundäre politische Bedeutung bei-messen. Was bedeutet es schließlich, wenn der Zar„vonGottes Gnaden" den oder jenen Bureaukraten zu seinem Ge-schäftsführer ernennt? Ein größeres Interesse jedoch bean-sprnchen diese Vorgänge, wenn man sie mit der EntWickelungder gesamten russischen Politik der letzten Jahre in Verbin-dung setzt.Als Kokowzew nach dem am 14. September 1911 er-folgten Tode Stolyptns das Erbe dieses brutalen Gewalt-menschen antrat, war es allen klar, daß er sich nicht lange Zeitbehaupten würde. Die Kugel Bagrows hatte zwar dem Lebendes„russischen Bismarcks" ein Ende gesetzt als er politischschon völlig abgewirtschaftet hatte. Aber die Kreise, die seinePolitik gutgeheißen hatten, waren doch noch mächtig genug,um eine weitere Fortführung der Brutalisieruugs- und Ver-hctzungspolitik durchzusetzen. Der schon seit 1994 als Finanz-minister amtierende Kokowzew erschien den junkerlichen Ge-Waltpolitikern zwar schon damals nicht als der geeigneteMann, denn in seinem Verkehr mit den europäischen Geld-gebern hatte er sich Allüren angewöhnt, die denn doch von derlieb gewordenen Knutentradition abstachen. Indes setzteKokowzew alles daran, um seine Auftraggeber zu versöhnen.Er setzte unentwegt denselben Regierungskurs fort, denStolypin an der Spitze der siegestrunkenen Reaktion einge»schlagen hatte; er übernahm gleich ihm die Blutschuld derGalgenjustiz und der Gefängnisgreuel; er duldete die zügel-lose Herrschaft des Lockspitzeltums und der Ausnahmegesetz-gebung; er knechtete, wie Nikolaus es ihm befahl, die Finnen,die Juden und die Polen; er schritt genau wie sein Vorgängergegen alle selbständigen Regungen des Volkes ein; er förderteden Korrumpierungs- und Verwesungsprozeß der Duma vonStaatsstreickjsgnaden; er duldete es, daß die Wahlen zurvierten Duma von der Polizei und dem heiligen Synod ge-führt und in eine schmähliche Faree verwandelt wurden, under krönte schließlich seine Politik damit, daß er der Jnszenie-rung des mittelalterlichen Ritualmordprozesses in Kiew keineHindernisse in den Weg legte. Wenn er doch schließlich, trotzder geschilderten Eigenschaften seiner Politik, die ihn mit denEchtrussen aussöhnen sollten, bei diesen eigentlichen HerrschernRußlands immer mißliebiger wurde, so erklärt sich dasdaraus, daß die politischen Gegensätze in Rußland in denletzten zwei bis drei Jahren eine ungeheure Schärf« erlangthaben.Dies bringt es mit sich, daß eine Fortfühmng der bisherigen Politik in den verschiedensten Lagern als unmöglichbetrachtet wird. Der Sturz Kokowzews als des Vertreters)er reaktionären Routine ist in dieser Beziehunghöchst smnptomattsch. Die von Stolypin inaugurierte undvon Kokowzew fortgesetzte Reaktion hat sich eben überlebt.Einerseits fordern nun die reaktionären Draufgänger, dieauf eine vollständige Wiederherstellung der vorrevolutionärenZustände hinarbeiten, daß auf allen Gebieten der Gesetzgebungund der Verwaltung die aste Autokratie zur Herrschaft ge-langt. Andererseits jedoch formt sich, infolge des Wieder-auflebens der revolutionären Bewegung der Arbeiter, eineneue Bewegung in den verschiedensten Schichten der Bevölke-rung, die ihre Spibe gegen das bestehende Regime richtet.Es ist kein sicherer Boden mehr, auf dem die zarische Reaktionsetzt steht. Die Vertreter der Geaenrevolution spüren das instinktiv. Heute hoffen sie noch, ihre Position durch einreaktionäres Draufgängertum zu befestigen. Sie ziehen esvor, für diesen Kampf eine noch unbedeutendere, farbloserePersönlichkeit als Kokowzew an der Spitze der Regierung zuehen, und so erheben sie den senile», völlig unfähigenGoremykin auf ihr Schild, um desto ungehinderter in denKampf einzutreten für die völlige Wiederherstellung derzarischen Autokratie.»Petersburg, 12. Februar. Wie es heißt, steht auch derRücktritt des Kriegsministers Ssuchomlinow bevor, alsdessen Nachfolger der Chef des Generalstabes Shilinskigenannt wird.__politische Ueberslcht.Von der Arbeiterversichcrung des Reichs.Der Reichstag mußte Donnerstag iwch die ganzeSitzung zur Besprechung der Arbeiterversicherung verwenden.Selbstverständlich suchten die Redner der bürgerlichen Parteienund die Regierungsvertreter den Eindruck abzuschwächen, dendie gründlichen und eingehenden Ausführungen des GenossenBauer vom Tage vorher gemocht haben.Sehr einfach hatte sich Staatssekretär Dr. Delbrückmit dieser Sache abgefunden: er begnügte sich mit einigenhöflichen, die Sache verschleppenden Redensarten. Dafürmußte sein Direktor Caspar sich damit abquälen, das un-gehörige Verhalten der Behörden, das Genosse Bauer gerügthat, möglichst zu entschuldigen.Ihnen antworteten die Genossen F e ld in a n n und Hochmit dem Nachweis, daß die Beschwerden der Arbeiter durchausberechtigt sind. Auch bürgerliche Redner mußten bestätigen,daß die Arbeiter nur zu sehr Grund zu Klagen über Mängelder Arbeiterversicherungen haben. Besonders festzustellen ist,daß Ministerialdirektor Caspar ohne jedes Wort der Erwide-rung den Vorwurf hinnehmen mußte: er suche dadurch dasVorgehen der preußischen Regierung zu entschuldigen, daß erdas Gesetz so auslegt, wie er selbst es bei der Beratung desGesetzes als u n zulässig bezeichnet hatte.Im übrigen sprachen die bürgerlichen Redner noch überdie Höhe der Beiträge für die Unfallversicherung, über dieErrichtung und Förderung der Landkrankenkassen und überdie Befreiung der Arbeitgeber von der Pflicht, ihre Dienst-boten in den Krankenkassen usw. zu versichern.Die Abstimmung über die Anträge zum Reichsversiche-rungsamt erfolgt morgen.Abrechnung.Daö Abgeordnetenbaus hat auch am Donnerstag die General-debatte zum Etat des Ministeriums des Innern noch nicht beendet.Der Zufall halte die Rednerliste so gestaltet, daß ausnahmsweiseeinmal kein Scharfmacher zu Worte kam, und da ausser unseremGenossen S t r ö b e l, dessen Rede sich zu einer Generalabrechnungmit der Regierung und ihren Sachwaltern gestaltete, auch dieHerren Cassel und K o r f a n t y der Reaktion deutlich die Wahr-heit geigten, so werden die Kardorff und Konsorten diesen Tag nichtnicht gerade als SiegeStag buchen.Der erste Redner, der Fortschrittler Cassel, der sich durchseine Worte schon so oft den jubelnden Beifall der Konservativen er-warben hat, erregte diesmal offensichtlich den Unwillen seiner Gönner.Nicht nur, daß er sich gegen eine Verschärfung der Geschäftsordnungwandte, erklärte er sich auch mit allem Nachdruck gegen neue Gesetzezum Schutze der Arbeitswilligen und gegen jeden Versuch einerEinschränkung des Streikpostenstehens. Zwischendurch wies er alsBerliner Vertreter die am Tage vorher erfolgten Angriffe desMinisters gegen die Berliner Verwaltung zurück. Zwar erhob sichHerr v. Dallwitz sofort zur Erwiderung, aber man kann nichtsagen, daß seine Argumente überzeugend gewirkt haben. Nicht ein-mal der von ihm unternommene Versuch des Nachweises, dass derKauf der Herrschaft Lanke nicht den Anstoß zur Einführung der er»höhten Umsatzsteuer durch den Kreis Niederbarnim abgegeben habe,dürfte als geglückt anzusehen sein.Eine vernichtende Anklage gegen die preußische Polizei, die durchschikanöse Auslegung des Reichsvereinsgesetzes den Polen das Ver-einsrecht illusorisch macht und deren Organe im Kampfe gegen diePolen sogar vor strafbaren Handlungen nicht zurückschrecken, ver-anlasste den UnterstaatSselretär Holtz, das Wort zu ergreifen,um in bekannter Manier, das heißt mangels sachlicher Argumentemit einigen hochtönenden Redensarten gegen den polnischen Ab-geordneten zu polemisieren.Eine Glanzleistung war die Rede S t r ö b e l s, die den Abschluß des Tages bildete. Gründlich rechnete er mit den konser-vativen und nationalliberalen Arbeiterfeinden ab, und er traf denNagel auf den Kopf, als er das fortgesetzte Geschrei über sozial«demokratischen Terrorismus und über Schutz der Arbeitswilligen alsdas kennzeichnete, wa? es in Wirklichkeit ist, als den Versuch, dieöffentliche Aufmerksamkeit abzulenken von dem geplantenAttentat aus den Geldbeutel des Volkes. Das Spiegelbild,das Ströbel den Arbeiterfeinden von Fuhrmann über Kardorffbis Heydebrand vor Augen hielt, war so treffend und charakteristisch,daß die Herren darüber mehr als einmal in Wut ausbrachenund ihrem bedrängten Herzen durch Zwischenrufe Luft zu machensuchten. Auch das heuchlerische Gebaren der Mehrheit, die sich wiedereinmal über die Sozialdemokratie sittlich entrüstet, wurde von Ströbeltreffend gekennzeichnet.Am Donnerstag hofft man die Generaldebatte zu beenden.Vorher wird das Haus sich darüber zu entscheiden haben, ob esdem Antrage seiner Kommission folgend, sich mit der Veröffent-lichu.ig des Urteils gegen den verantwortlichen Redakteur des„Vor-wärts" wegen Beleidigung des Abgeordnetenhauses einverstandenerklären will.Neues Maulkorbgesetz für das Dreiklafsenparlament?Die Rede des Genossen Adolf Hoffmann im Dreiklassenhauseist den Scharfmachern aller Schatlieningen auf die Nerven gefallen.Sie find dabei, die schon beschränkte Redefreiheit im Junkerparlamentnoch weiter zu beschneiden: Der„Berliner Lokal-Anzeiger", das neueRegierungsblatt, berichtet:„Seit gestern sind im Abgeordnetenhause Verhandlungenzwischen den bürgerlichen Parteien im Gange, die daraus abzielen,die bisherige unbeichränkie Redefreiheit zu begrenzen. Zentrumund Nationalliberale wären geneigt, die Dauer der Reden auszwei Stunden festzulegen, während die Konservativen den Rednernnur eine Stunde bewilligen und dann das Haus bestagt wissenwollen, ob es geneigt sei, den Redner weiter anzuhören."Schutz den Arbeitswilligen.An anderer Stelle des Blattes finden unsere Leier einen Ge-richtSbericht, der wieder mit voller Deutlichkeit zeigt, welche Rolleberufsmäßige Streikbrecher nicht nur im wirtschaftlichen Kampf.sondern auch bei der Erhebung von Anklagen gegen streikende Ar»beiter spielen. Zwei berussmäßige Arbeitswillige, die immer nur insolchen Betrieben arbeiten, wo ehrenwerte Arbeiter streiken, habeneine Vergangenheit hinter sich, die eS jedem anständigen Menschenunmöglich machen, mit ihnen irgendwelche Gemeinschaft zu haben.Diese ach so nützlichen Elemente fühlen sich durcheinen streikenden Arbeiter beleidigt, holen die Polizei, verursachendadurch einen Auflauf, der eine dieser Menschen schießt auf dieMenge, er wird überwältigt und nun tritt das Ungebeuerliche, inPreußen leider nicht Ungewöhnliche ein, daß einer von denen, die deingewalttätigen Menschen die Mordwaffe entwanden, und ein anderer,der sich hierbei überhaupt nicht beteiligt, aber vorher einige Wortemit den Arbeitswilligen gewechselt hatte, in Untersuchungshaft ge-nommen und wegen schweren LandfriedensbruchS unter Anklage ge-stellt werden. Ter völlige Zusammenbruch, den die Anklage vorGericht erlebte, ist der beste Beweis sür daS jeder Berechtigung ent«behrende Vorgehen der StaatSanwalischast.Offiziersehrc und Soldatenehrc.Ein ehemaliger Offizier schreibt uns:Man kann dieses Thema nicht besser beleuchten, als durch fol-gende drei Zitate. In der Verhandlung gegen den Leutnantv. F o r st n e r vor dem Oberkriegsgericht sagte der Verteidiger,R i t t m e i st e r Köhler, u. a. folgendes:„Wenn auch nicht von Notwehr gesprochen werden kann, sohat der Angeklagte doch in Bestürzung gehandelt, und zwar ausFurcht, daß der Schuster aus ihn losstürzen könnte. Darübersind wir uns doch alle klar, daß, wenn der Mann denOffizier angefaßt oder gar geschlagen hätte, derLeutnant v. Forstner niemals wieder hätte vordie Front treten könne n."Die Offiziersehre ist also so empfindlich, daß ein Offizier schondann nicht mehr in seiner Stellung bleiben kann, wenn er bei derFe st nähme eines Wider spcnstigen von diesem auchnur angefaßt wird.Hören wir nun, wie der königlich preußische Major vonEstorff in seiner„Anleitung zum Unterricht über Fahneneid,Kriegsartikel und Berufspflichten" das Anfassen usw. von So l-daten taxierte. Hier heißt es:..Nicht jeder kleine Puff oder ein einfachesSchimpfwort beim Exerzieren können als Bc-leidigung oder Grund zu einer Beschwerde gel-ten.... Erst wenn direkte Mißhandlungen ein-treten, z. B. der Mann nachts aus dem Bett geholt und mitder Klopfpeitsche verprügelt wird, ist der Mann verpflichtet,Meldung zu machen, da dann in ihm der Soldat, der desKönigs Rock trägt, geschändet ist."Da diese Sätze in einem viel benützten Jnstruktionsbuchstanden, kommt ihnen eine Art offizieller Charakter zu.Nun wollen wir noch einen leibhaftigen ehemaligen königlichpreußischen Kriegsminister reden lassen, nämlich denHerrn v. G o ß l e r, der vor Herrn v. Einem am Ruder war. Ersagte einmal im Reichstag:„Ich halte es überhaupt für unrichtig, daß jeder Miß-Handlungsfall g e r i ch t l i ch abgeurteilt werden muß; früher wares so, daß eine einfache Mißhandlung, ein leichter Stoß oderSchlag, disziplinarisch bestrast wurde. Die Offiziere undUnteroffiziere sind verhällnismäßig jung, sie müssen eben erzogenwerden. Vergreift sich ein Vorgesetzter bei der Ausbildung anden Leuten, so ist es ganz in der Ordnung, daß der Betreffende