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vom ganze» Belke gemeinsam beirieben lm-dcn konnten, ohne daß man danach fragt, ist er schwarz oder rot! Wer aber hat die Schuld daran, daß es nicht dazu kommt? Das Turnen war früher, als es erstand, durchaus keine unpolitische Zlngelegenheit, sondern Sache der Kreise, die politische Frei- h e i t wollten, und damals wurden die Ttwwr im Bürgertum genau so verfolgt, wie heute die Arbeiters. wer. Heute haben alle Kreise ein Verständnis gewonnen für den Wert körperlicher Ausbildung, nicht mehr bloß die freiheitlichen, es könnte also das Turnen heute eine allgemeine Sache aller Parteien sein. Wenn immer wieder politische Gegensätze hineingetragen werden, so liegt das an der bei uns im Deutschen   Reiche üblichen Po- lizeiwirtschaft, an der Neigung zur politischen Verfolgung. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Es sind immer wieder dieselben Leute, von denen die Hetzereien ausgehen, so bei der Voltsfürs»r«e, so auch beim Turnen. Es ist der Geist der po- litischcn Verfolgung, der glaubt, seine Macht zeigen zu inüssen, indem er andere unterdrückt, dem nichts gut erscheint, wenn es nicht von oben her, von den Anhängern der Reaktionsparteien gebilligt and unterstützt wird. Und es ist auch die deutsche Turner- schaft, welche an diesem politischen Kampfe schuld ist. Damit ist es nicht getan, daß Herr M e r t i n mit Entschiedenheit die Angriffe gegen die deutsche   Turnerschaft zurückweist. Ueberhaupt die Tatsachen kann er nicht ableugnen. Ich hätte lieber gesehen, wenn er die politische Verfolgung der Arbeiterturner gemißbilligt hätte. M ü l l e r- Mciningen hat wenigstens mit einem milden Wort heute zum erstenmal diese Radelstichpolitik gemißbilligt. Er meinte, in Süddeutschland   komme daS nicht vor. Aber gerade in Nordbayern erleben wir jetzt auch politische Verfolgungen der Arbeiterturner, und in W ü r t t e m b e r g ist im vorigen Jahre die Abhaltung eines Olympiafestes daran gescheitert. daß dieDeutscheTurnerschaft eineBeteiligung abelehnte, wenn auch die Arbeiterturner mitmachen würden.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Das sind nicht einzelne Personen, wie Herr Müller meinte, denn die Stuttgarter Deutsche Turnerschaft hätte diese Stellung nicht einnehmen können, wenn nicht hinter ihr die gesamte übrige deutsche   Turnerschaft stünde. Ich erinnere auch daran, wie der alte Goetz ständig die Arbeiterturnvereine als politisch bezeichnete. Gewiß ist das ein alter Ehrengreis, aber gerade von einem solchen Manne könnte man verlangen, daß er nicht Unverantwortliches redet. Als Zeuge vor Gericht hat er auch einmal die Arbeiterturnvereine schlankweg als politisch erklärt. Gründe konnte er auf Befragen zunächst nicht einen einzigen anführen. Schließlich meinte er, der so z i a l d e m o k r a t i s ch e Parteivorstand habe in Lindenau eine Turnhalle ge- baut.(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Aber auch das war ein Irrtum. Das sind die Gewährsleute, die gegen die Arbeiter- turnerschaft auftreten und in die deutsche   Turnerschaft die politische Hetze hineintragen, denn Herr Goetz»st Ehrenpräsident und Re- dakteur der Blätter der Deutschen Turnerschaft. Bei Gemeinde- ratswahlen in Weißenfels   hat der dortige Verein der Deutschen Turnerschaft in einem offiziellen Flugblatt aufgefordert, nicht die politischen Kandidaten der Sozialdemokratie zu wählen.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Das sollte einmal ein Arbeiter- turnverein tun! Und war der Mann, der in Frankfurt   beim Turnerfest erklärte, Gehorsam gegen den Staat und feine Regierenden wäre die erste Turnerpflicht, etwa auch dieser und jener, Herr Müller-Meiningen?(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Man hat vom Stadion»n Berlin   gesprochen. Die Berliner  Arbeiterturnvereine haben gebeten, auch ihnen das Stadion zu festlichen Veranstaltungen zu überlassen. Man ist ihnen nicht ab- solut ablehnend entgegengetreten, allerdings wie ich den Eindruck yahe, im Hinblick darauf, daß die Bewilligung eines Zuschusses in diesen Tagen in Frage kam. Sowie aber die Absicht des General- sekretariats, auch der Arbeiterturnerschaft das Stadion einzu- räumen, verlautete, hat ein Teil der Verbände, welche dem Reichs- ausschuß für Veranstaltung der Olympischen Spiele �angeschlossen sind, dagegen Einspruch erhoben.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Wie darüber entschieden wird, wissen wir »roch nicht. Jedenfalls wird es nicht an der Arbeiterschaft liegen, wenn ihre Vereine nicht mit den anderen in einer Reihe für die körperliche Ausbildung des jungen Volkes eintreten können. Herr v. Podbielski hat sich gestern, wie ja immer bei seinen Reden, wieder eine Entgleisung geleistet.(Heiterkeit.) Peter Schlehmihl hat sich»»»cht vor seinen Schatten gefürchtet, sondern er hatte keinen.(Heiterkeit.) Herr v. Podbielski wirft allerdings einen Schatten, und zwar einen recht kräftigen.(Heiterkeit.) Wir wer- den uns durch das Husarensäbelrasseln nicht rühren lassen. Immer- hin mag der Herr ganz gute Verdienste um das Stadion haben u»»d möge nun dafür sorgen, daß die Veranstaltung, auf die er Ein- fluß hat, auch von der Arbeiterklasse benutzt werden kann. Abg. Müller sagte, es wäre ein Akt der internationalen Cour- toisie, daß Deutschland   sich nicht bloß einladen ließe, sondern auch einlade. Wir sind gewiß die ersten, die das anerkennen. Wir laden ja auch unsere Freunde aus dem Ausland ein, nur leider schmeißtmansiewiederdurchdiePolizeiheraus das ist die internationale Courtoisie, wie sie im Deutschen  Reiche ühlich ist. Wir sind da gern bereit, den bürgerlichen Par- teien einen politischen Knigges Umgang mit Nationen und Völkern zu dedizieren. Auch wir möchten die fremden Völker gern gastlich erirpfangen, aber wir sind in einer peinlichen Lage dabei: wir haben uns zu schämen dieser Verhältnisse, die im deutschen   Volke herrschen, dieser Ungerechtigkeit und Willkür. Auf uns Sozial- demokraten, auf diesen Reichstag schauen die Turner der ganze» Welt. Sollen wir sie nun hierherladen, damit sie recht deutlich sehen, daß im Deutschen   Reich Hunderttausende junger Leute, die sich ihrer körperlichen Ausbildung widmen möchten, daran gehindert werden, daß man ihnen Sport und Spiel vergällt durch die Willkür der Polizei, durch die Ungerechtigkeit der herrschenden reaktionären Parteien. Sollen wir ihnen diese schmachvollen politischen Ver- hältnisse eigens unter die Nase reiben! Im Auslaird hat man für solche Kleinigkeiten kein Verständnis. Würden das die Turner aus fteieren Ländern hören, so würden sie uns mit Recht fragen: Was, das laßt Ihr Euch gefallen, und billigt eS noch durch Euer Votum? Im Ausland, wo der Reichstag   mehr ist als ein Schatten, versteht man es sehr wohl, wenn das Volk zur Demonstration für eine Forderung der Gerechtigkeit eine Budgetforderung ablehnt, auch wenn die Forderung selbst einem guten Zwecke dient. Das ist parlamentarische Disziplin, daß man nicht aus Neigung für eine Sache etwas bewilligt, was die politischen Gegner fordern, un» nachher die Früchte davon mit Hohn denen, die die Forderung bewilligt haben, vorzuenthalten.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Gewiß gibt es Kreise, die unser Votum nicht verstehen lernen. Das sii»d all die Leute, die von den tatsächlichen Verhältnissen keine Ahnung haben. Es ist leider wahr, daß die bürgerliche Presse fast ohne Ausnahme in diesen Dingen der Wahr- beit nicht durchhilft, daß sie nicht mit der genügenden Ausführlich- keit ihre Leser darüber informiert, ganz abgesehen von den Land- rats- und Kreisblättern, die positive Unwahrheiten dar­über verbreiten. Die Dinge, die Herr Hansen heute mitteilte, waren wieder ei» Schlag ins Gesicht der Gerechtigkeit und Wahrheit Wir haben im vorigen Winter von einer Entscheidung des Reichs­gerichts gesprochen, wonach Schulbehörden das Recht haben, den Turnunterricht Jugendlicher unter ihre Obhut zu nehmen das heißt zu verbieten. Ich teilte damals mit, daß die preußische Regierung den Standpunkt vertrat, das schutzbedürftige Alter ginge bis zur Großjährigkeit. Das Reichsgericht hatte aber abgelehnt, sich über diese Frage auszusprechen. Der Vertreter des ObereichSa,lwalts hat sich ausdrücklich nicht aul den preußischen Standpunkt gestellt. Es ist ja auch lächerlich: Nach dem Reichs- bereinSgesetz können Personen über 18 Jahre allen politischen Ver- sammlungen beiwohnen, und Personen unter 18 Jahren auch tur- nerischen Veranstaltungen politischer Vereine. Und da erlaubt sich die Verwaltungsbehörde unter dem Vorwand, es handle sich um schutzbedürftige Personen, jungen Leuten bis zum 21. Jahre das Turnen zu verbieten.(Hört! hört! bei den Sozial- demokraten.) Wie Herr Hansen mitteilte, geht man nun heute sogar über die Grenze der Großjährigkeit. Auf die Gefahr hin, mir einen Ordnungsruf zuzuziehen, muß ich sagen, das ist ein krasser Rechtsbruch, und eine Rechtsverdrehung. Auch dem Arbeiter-Turnverein Fichte" wird nicht gestattet, Personen unter 18 Jahren turnen zu lassen, indem man den dortigen Vorturnern keinen Turnunterricht- Erlaubnisschein erteilt, den die Vorturner der Deutschen Turner- schaft obne weiteres erbalte«.(Hört! bört! bei den Sozialdemo- kraten.) Ja, als der TurnvereinFichte" nunmehr eine Anzahl staatlich geprüfter Turnlehrer, die im Besitz des Erlaubnisscheines sind, engagierte, v e r b o t die Behörde diesen trotzdem die Erteilung des Unterrichts im TurnvereinFichte".(Lebhaftes Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Hier zeigt sich deutlich, daß die söge- nannte Fürsorge für die schutzbedürftigen Personen vor ungecigne- ten Lehrkräften nur ein Vorwand ist.(Sehr wahr! bei den Sozial- denrokraten.) Und diese Leute erklären, sie hätten Interesse an der körperlichen Ertüchtigung des Volkes.(Zuruf rechts: Liederbuch!) Es handelt sich darum, ob Personen, die die Erlaubnis haben. Turn- Unterricht zu erteilen, auch Mitglieder des Arbeiterturnvereins unterrichten dürfen. Das hat mit dem Liederbuch gar nichts zu tun. Natürlich, man sagt, die Arbeiterturnvereine seien nicht national. Mit keinem Wort wird ein nichtswürdigerer Unfug getrieben.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wir haben oft genug gesagt, daß wir mit unserer politischen Stellung- nähme unserer Nation besser zu dienen glauben als Sie. Das sind Ueberzeugungsfragen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wir verbitten uns aber, daß Sie erklären, wir seien nicht national. weil wir unserem Volke auf unsere Art zu dienen bestrebt sind. Freilich, die Kriegstreibereien, das was Sie national nennen, den Servilismus nach oben und das Treten nach unten, das lehnen wir als nichtnational ab.(Sehr gut! bei den Sozial- demokraten.) Wenn wir gegen diese Forderung Protest erheben, so beab- sichtigen wir damit eine Demonstration gegen die Un- gerechtigkeit und UnWahrhaftigkeit, die im Deut- schen Reiche herrscht gegenüber den Arbeiterturnern, oder den nationalen Bruchstücken, die nicht mit den Konservativen gehen. Wir denken uns, endlich einmal muß doch die Stimme der Wahrheit durchdringen nicht bei den Regierungen, ein solcher Phantast bin ich nicht; aber in weiten Kreisen des Volkes und bei den Politikern dieses Hauses. Zu den ernsten Männern innerhalb der anderen Fraktionen haben wir das Vertrauen, daß sie, wenn auch allmählich und langsam, so doch schließlich einsehen werden, daß hler eine empörende Ungerechtigkeit vorliegt, die Deutschland   zu Schmach und Schande gereicht.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Besonders Höften wir das von denen, die selbst Freunde des Sports sind, daß sie endlich zu der Erkenntnis kommen, so darf es nicht weitergehen, es muß Licht und Schatten gleichmäßig verteilt werden. Geschieht das, so hören auch die Kämpfe auf. In dem Augenblick, wo alle gleich behandelt werden, ist eine Konkurrenz der Organisationen überflüssig geworden. Ich hoffe, daß das eintreten wird, und um denen, oie Interesse für die Sache haben, der ganzen Turnerschaft, die Augen zu öffnen, deshalb stimmen wir für die Streichung dieser Forderung.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdenwkraten.) Die Debatte schließt, die Abstimmung wird ausgesetzt. Im außerordentlichen Etat werden zur Förderung der Herstellung von Kleinwohnungen 4 Millionen Mark verlangt. Abg. Mumm(Wirtsch. Vgg.) wünscht, daß mehr und schneller Kleinwohnungen gebaut werde»». Der außerordentliche Etat wird genehmigt, ebenso die Ein- nahmen. Damit ist der Etat des ReichsamtS des Innern erledigt. Hierauf wird in erster, zweiter und dritter Beratung debattelos der Gesetzentwurf angenommen, der die Frist zur Beschäftigung von Hilfsmitgliedernbeim Patentamt bis zum 31. März 1916 verlängert. Hierauf vertagt das HauS die weitere Etatsberatung auf Montag 2 Uhr. Schluß 2 Uhr._ /lbgeorönetenhaus. 27. Sitzung. Sonnabend, den 14. Februar 191t, vormittags 11 Uhr. Am Ministertisch: v. D a I l w i tz. der Etat ües Innern. Zunächst werden die Anträge S ch m e d d i n g(Z.) auf Ueber- nähme der Fürsorge für die gemeingefährlichen Geisteskranken auf den Staat und Braun(Soz.) auf Regelrmg des JrrenrechtS be- raten. Abg. Frhr. v. Schenck zu Schweinsberg(k.): Wir stimmen dem Antrag zu. Die Kostenftage darf nicht aus- schlaggebend sein. Die Unterbringung der gemeingefährlicben Geistes- kranken in den öffentliche» Irrenanstalten   auf Kosten der Provinzial- Verwaltung halten wir für verfehlt. Abg. Dr. Schröder-Kaftel(natl.) schließt sich den Ausführungen des Vorredners an und stimmt dem Antrag Schmedding zu. D»e gestrigen Einwände des Ministers gegen diesen Antrag sind unzutreffend. Es liegt ein Antrag der Sozial- demokraten vor. der von der Regierung eine Regelung des Irren- rechts fordert, soweit dasselbe nicdt reichsgesetzlich geregelt ist. Meine treunde im Reichstag haben schon früher eine reichsgesetzliche egelung des Jrrenrechts gewünscht. Aber diese Frage ist so schwierig, daß sie nicht kurzer Hand im Landtag entschieden werden kann. Es wird am besten sein, diesen Antrag an die Justiz- lommission zu überweisen. Minister des Innern v. Dallwitz: Die Voraussetzungen, von denen der Antrag Schmedding aus- geht, sind unzutreffend. Die Regierung steht diesem Antrag nach wie vor ablehnend gegenüber. Eine Teilung der Jrrenpflege, wie sie der Abg. Schröder vorgeschlagen hat, läßt sich nicht durch- führen. Abg. Dr. Flesch(Vp.): Wir werden sowohl für den Antrag S ch in e d d i n g wie für der Antrag der Sozialdemokraten stimmen. Diesen Antrag an eine Kommission zu verweisen ist unnötig, da wir einen ähnlichen Antrag bereits früher angenommen. Es ist bedauerlich, daß Preußen noch keine gesetzliche Regelung des Jrrenwesens besitzt. Es handelt sich bei dieser Frage doch auch um das Wohl und die Sicherheit der Allgemeinheit; da ist eS erstaunlich, daß der Minister sich weigert, die Uebernahme der Jrrenpflege durch den Staat zuzugestehen. Abg. Dr. Liebknecht(Soz.) Durch Geisteskranke sind schon sehr schwere Unglücksfälle hervor- gerufen worden, wie das furchtbare Wüten eines Jrrsingen in einer Bremer Schule und der Fall Wagner in Württemberg   be- weisen. Außerdem abererscheinteineReform deS Jrrenrechts dringend er- forderlich durch die häufigen Fälle, in denen Leute durch Erb- s ch l e i ch e r e i ihrer Angehörigen. Neid usw. entmündigt und gegen Vermögensraub und Betrug wehrlos gemacht werden. Gegenüber solchen Zuständen kann die Kostensrage keine Rolle spielen. Es handelt sich bei der Reform des Jrrenrechts um viele und kornplizierte Fragen, wie des Schutzes der Oeffentlichkeit gegen gemeingefährliche Geisteskranle und der Zweiteilung zwischen Staat und Provinzen, in der ich mich dem Minister anschließe weil es doch keinen Unterschied machen darf, ob der Geisteskranke be- mittelt ist oder nicht. Die gemeingefährlichen Geisteskranken sind einheitlich und gleichmäßig zu bebandeln, während der Antrag Schmedding hier Verschiedenheiten einführen will. Sehr falsch wäre es, wenn polizeiliche Gesichtspunkte zum Nachteil der medizinischen in den Vordergrund treten würden. Bei aller Rücksicht auf die nötige Schonung der Gesellschaft muß doch auch diesen bedauerns- werten Kranken mitleidig gegenübergetreten werden. Da es sich aber um Interessen der Allgemeinheit handelt, hätte allerdings der Staat sie wahrzunehmen, statt sich in Kompetenzstreitigkeiten mit den Gemeinden und Provinzen verlieren, wie es der Minister gestern tat. Man kann von den Ge- meinden die Unterbringung der Gemeingefährlichen nicht verlangen, iondern sie mutz einheitlich durch den Staat geschehen. Ob Staat oder Provinzen die Kosten aufbringen, ist für die Allgemein- heit recht gleichgültig. Wir stimmen trotz einzelner Bedenlen für den Antrag Schmedding. aber viel wesentlicher ist unser Antrag. Das Haus hat schon am 16. April v.J. dieienAntrag einstimmig angenommen, wozu da noch eine Kommissionsberatung? Das wäre ein Mißtrauens- Votum des Hauies gegen sich selbst. Es handelt sich um eine h ö ch st dringliche Aufgabe, auf die schon 1892 von S t ö ck e r in derKreuz-Zeilung" hingewiesen wurde, und die Reform des Irren- wefens ist auch längst in den Götlinger Thesen verlangt. Die Re- gierung hat mehrfach Zusagen gegeben. Die Bewegung ist aber noch nicht zu ihrem Ziele gelangt, obgleich in zahlreichen aus- ländischen Staaten und auch in Sachsen-Weimar  , Elsaß-Loihringen usw. Jrrengesetze bestehen, die sich bewährt haben und auch gar nicht so kompliziert sind. Ein solches Gesetz ist notwendig zum Schutz der Allgemeinheit gegen gefährliche Irre, aber auch zum Schutz des JndividiumS gegen rechtswidrige Jnternierung als Geisteskranker. Das Gesetz müßte Aufnahme und Entlassung in und aus Irrenanstalten   regeln, ein geordnetes Rechtsmittelverfahren, unabhängige Ueberweisung, auch durch Laien, und die Verhältnisse des� Personals regeln. Den Geisteskranken und ihren Angehörigen müssen bestimmte Rechte gegeben werden. Das Verwalwngs- streilverfahren gegen polizeiliche Unterbringung reicht nicht aus und steht auch nur einem sehr kleinen Kreis zu. Wenn der Internierte nicht entmündigt ist und nicht einen gewissenhaften Vormund hat. wird er die Rechtsmittel nicht anwenden können. Sie müssen auch den nahen Verwandten und iolchen Personen, die ein besonderes Interesse daran haben, gegeben werden. Wenn auch widerrechtlich« Jnternierungen lange nicht so zahlreich find wie früher, so müssen auch Garantien gegeben werden, daß sich auch nur wenige Fälle ereignen. Bei allem großen und berechtigten Ver- trauen zu den Aerzten muß doch zugegeben werden, daß Mißgriffe vorkommen und dann: es pfuscht doch die P o l i z e i den Psychiatern so oft ins Handwerk und entläßt Internierte nicht, trotzdem der Psychiater sich dafür entschieden hat. Dagegen müssen Rechtsgarantien ge- schaffen werden. Die Internierten müslen sich mit der Außenwelt in Verbindung setzen können. Da« Besuchswesen, das Recht, zu korrespondieren muß geregelt werden. Man kann ja den Briefen er- läuternde Bemerkungen hinzufügen, aber man darf die Briefe doch nicht zurückhalten. Das muß auf die Kranken sehr nachhaltig wirken und erst recht auf widerrechtlich Eingeschlossene. Rekursgerichte, zum Teil aus Medizinern bestehend, müssen eingesetzt werden. Wurde doch in Berlin   ein Straßenhändler wegen wiederholter Ueber- lretung der Polizeianordnungen als gemeingefährlich interniert.(Hört! hört!) Nehmen Sie, wie im Borjahr, miseren Antrag ohne Kommissionsberatung an. wiederholen Sie den schon einmal gefaßten Beschluß und veranlassen Sie dadurch die Beschleu- nigung der Einbringung der schon lange angekündigten Vorlage! l Bravo  ! bei den Sozialdemokraten.) Abg. Biereck(fl.): Der Staat ist verpflichtet, für die Unterbringung derjenigen Geisteskranken zu sorgen, deren Jnternierung die Sicherheitspolizei fordert. Klagen über unrechtmäßige Einsperrung in die Irren- anstalten werden erst aufhören, wenn eine gesetzliche Regelung der Jrrenpflege getroffen worden ist. Der sozialdemokratische Antrag muß an die Justizkommiision verwiesen werden, da der Entwurf des neuen Strafgesetzbuches Fragen aufrollen wird, die mit der Jrrenpflege zusammenhängen. Wrr stimmen ihm zu. da eine gesetz- liche Regelung der Jrrenpflege. zwar keine reichsgesetzliche, wohl aber eine landesgesetzliche, dringend notwendig ist. Ei» Regienutgskommissar: Nach den Entscheidungen deS Verwaltungsgerichts ist die Sorge für die Geisteslranken Sache der Ortspolrzei und nicht der Landespolizei. Abg. Schmedding(Z.): Wir wollen den jetzigen Zustand, daß die Gemeinden die Kosten tragen, ändern und sreuen uns über die Zustimmung, die unser An« trag im Hause gesunden hat., Abg. Dr. Liebknecht(Soz.): Trotz der Begründung, die der Abg. Bier eck gab, bitten wir von einer Ueberweisung unseres Antrages an die Justizkommission abzusehen. Daß durch den Entwurf de? neuen Strafgesetzbuches neue Fragen ausgerollt werden, wußte man schon ftüher, als daS HauS im vorigen Jahre dem gleichen Antrage zustimmte. Der Abg. Viereck wird doch nicht meinen, daß man mit der Regelung der Jrrenpflege warten solle bis der Entwurf des Strafgesetzbuches Gesetz geworden ist, denn es ist sehr wohl möglich, daß sich das noch sehr lange hinauszieht. Die Regelung der Jrrenpflege ist eine äußerst dringende Angelegenheit. DaS ist auch von der Regierung anerkannt worden. Wenn neue Materien und Fragen auftauchen, so kann man sie durch eine Novelle zum Jrrengesetz regeln. So schwierig ist überhaupt die ganze Frage nicht zu lösen. Erst vor kurzer Zeit hat sich die Oeffentlichkeit mit dem Fall Kroß beschäftigt, in dem hier in Berlin   ein Mann als angeblich geisteskrank auf Betreiben seines B a t e r S verhaftet und nach Oesterreich   transportiert worden. DerVorwärts" hat sich von einer ausführlichen Beschäftigung dieser Angelegenheit mit Absicht zurückgehalten. Man hat ihm sogar einen Vorwurf daraus gemacht. Aber die andere Preffe hat sich ausgiebig damit befaßt. Gäbe eS erforderliche Rechtsgarantien für die Geisteskranken, so wäre kein Grund vorhanden, sich aufzuregen. Die Tatsache der Recht» losig keit, die Willkür der Verwaltungsorgane begünstigt alle die Vorwürfe, die gegen die Verwaltung erhoben werden. ES ist also geradezu ein staatSerhaltendeS Interesse, solche Vorwürfe durch eine gesetzliche Regelung des Jrrenwesens ein für allemal zu beseitigen. Der Mangel an emer solchen Regelung be- günstigt die Gefahr, die der Allgemeinheit besonders auch durch die geheimen Geisteskranken erwachsen. Diese Kranken haben Angst davor, die Krankheit anzuzeigen, weil sie, wegen der Rechtlosigkeit der Irren, den Aufenthalt in einer Jrrenanstatt wie das Lebendigbegrabensein fürchten. Durch eine gesetzliche Re- getung deS Jrrenwesens würde auch diese Gefahr beseitigt werden. Roch einmal ersuche ich den Regierungsvertreter und ven Minister, uns darüber Auskunst zu geben, wie weit die Bororbeiten für ein Jrrengesetz gediehen find. Dies« Frage ist schon deshalb berechtigt. weil bereits durch die Presse Nachrichten über diese Vorarbeiten ge- gangen sind und das Haus sich einmütig für ein solches Gesetz aus- gesprochen hat.(Beifall bei den Sozialdemokraten.) Mnister v. Dallwitz: Auf Grund des Beschlusses des Abgeordnetenhauses im vorig« Jahre habe ich mich mit dem Justizmimster in Verbindung gesetzt. Die Erwägungen schweben noch.