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Tinnen unbedingt dem Willen der Kirche, in letzter Instanz, des Papstes, zu folgen. Eine ganz famose Antwort der römi- schen Kurie auf die albernen Phrasen des neuen Zentrums- parteilichen ReichsausschusseLl Von kaum minderer Bedeutung sind in der neuen Jnter- pretation folgende Sätze: .Dah die katholische Kirche nach den in dieser Enzyklika dar- gelegten Grundsätzen in er st er Linie ihre Empfehlung undFörderung rein k a t h o l i sch e n V e r e i n e n zu- wenden muß, ergibt sich aus der dargelegten Aufgabe des kirchlichen Hirtenamts. Demgemäß wenden auch die Lbcrhirten der Diözesen Deutschlands ausnahmslos ihre Liebe und Unter st ützung den katholi schen Standes- vereinen, insbesondere den katholischen Arbeitervereinen zu, weil diese Vereine sowohl durch Zusaminensetzung und Satzungen, wie durch ihren engeren Anschluß an die kirchliche Autorität am ehesten Gewähr dafür bieten, daß die katholischen Grundsätze voll zur Geltung kommen. Wo die katholischen Arbeitervereine, die zugleich den gewerkschaftlichen Interessen der arbeitenden Klassen dienen, mit einem zum Schutze der wirtschaftlichen Interessen genügenden Erfolg eingeführt sind oder friedlich eingeführt werden können, wäre es in keiner Weise zu billigen, daß katholische Arbeiter sich interkonfessio- nellen Gewerkschaften anschlössen. Wo dies nicht der Fall ist, hat der Heilige Stuhl in wohlwollender Berück- sichtigung der örtlichen und der allgemeinen Verhältnisse die Duldung und die Erlaubnis der Mitgliedschaft von Katholiken bei den in Deutschland bestehenden christlichen GeWerk- schaftcn unter jenen besonderen Vorsichtsmaßregeln aus- gesprochen." Tos heißt: Förderung durch den Klerus verdienen allein die katholischen Arbeitervereine der Berliner Richtung. D i e christlichen Gewerkschaften sind nicht den katholischen Arbeitervereinen gleichberech- tigt; sie sind nur geduldet? und sie dürfen auch nur dort geduldet werden, wo ihr Verschwinden dem Vor- dringen der Sozialdemokratie und der freien Gewerkschaften nützen würde. In allen deutschen Gegenden, wo diese Duldungsbedingung nicht zutrifft, kann der Bischof jederzeit den katholischen Arbeitern die Teilnahme an den christlichen GeWerk- schaften verbieten. Doch auch in jenen Diözesen, wo die christlichen GeWerk- schaften einstweilen geduldet werden, haben sie sich dieser Dul- düng durch strenge Beobachtung der kirchlichen Lehren und der Anordnungen des Klerus würdig zu erweisen; denn so heißt es in der neuen Interpretation der Bischöfe: .Ferner müssen die Gewerkschaften, damit ihnen Katholiken beitreten können, sich von allem fernhalten, was grundsätz- lich oder tatsächlich mit den Lehren und Geboten der Kirche, wie mit den Vorschriften der zu- ständigen kirchlichen Obrigkeit nicht im Ein- klang st e h t. Auch dürfen katholische Mitglieder, die Gcwerk- schaften angehören, niemals zulassen, daß dieselben, in Sorge für die weltlichen Angelegenheiten der Mitglieder, sich durch Wort oder Tat irgendwie mit den vom obersten kirchlichen Lehr- amt verkündeten Vorschriften in Widerspruch setzen. Die Kund- gcbung erkennt weiter an, daß dieselbe höchste Autorität, die solche Normen aufgestellt hat, zu deren authentischer Auslegung allein zuständig ist. Die Entscheidung darüber, ob die Organisation sich in Widerspruch mit dem Stttengesetz der katholischen Kirche setzt, hat sich der Heilige Stuhl vorbehalten." Dadurch sind die christlichen Gewerkschaften völlig dem Belieben des Klerus ausgeliefert. Die Bischöfe allein haben darüber zu entscheiden, was die Gewerkschaften tun und lassen dürfen, ob sie in Lohnkämpfe eintreten, ob sie die Arbeit einstellen, ob sie mit Gewerk. schaften anderer Art Bündnisse abschließen, ob sie an Arbeiterwahlen teilnehmen dürfen usw. Und gegen diese kirchlichen Entscheidungen gibt es keine Auflehnung. Die Kirche befiehlt, und die Gewerkschafts- Mitglieder hoben schweigend zu gehorchen. Und noch eins beweist die neue Interpretation der Enzy- klika Singulari quadam: dierömischeKurie Haiden deutschen Episkopat fest an der Kandare. Er tanzt, wie Rom pfeift. Auch Herr Bischof Schulte, der noch kürzlich seine milde Interpretation so würdevoll gegen Kopp verteidigte, hat auf Roms Verlangen sofort eingesehen, daß seine frühere Erläuterung nichts taugte und einer gründlichen Korrektur bedarf. Er hat nnt unterschrieben. Wie mag der Kardinal Kopp im füllen über diese Selbsttäuschung seines hohen Amtsbruders lachen! Die Cffener paraüe. Essen, IS. Februar.(Privattelegramm desVor- w ä r t s".) Unter Vorsitz deS Abgeordneten Dr. Bell fand heute die große Protestversammlung deS Zentrums statt, zu der die An- Hänger aus dem ganzen Industriegebiet eingeladen waren. Der badische Zentrumsführer T h. Wacker hielt unter Zugrunde- legung des Auftufs vom ReichsauSschuß der Zentrumspartei eine scharfe Rede gegen die Quertreiber. Nachdem Redner darzulegen versucht hatte, warum sich das Zentrum nicht auf einen konfessio- nellen Boden stellen dürfe und weshalb eS sich gerade im Interesse der Kirche nicht unter die Botmäßigkeit der Bischöfe begeben könne, zog er gegen die Quertreiber vom Leder. Den Stänkern und Quertreibern gegenüber, sagte er unter anderem, könne keine Rücksicht mehr geben, mögen sie heißen, wie sie wollen und noch so hoch gestellt sein. Die geistlichen Quertreiber seien allerdings ge- fährlicher und schließlich schwerer zu ertragen als die weltlichen. Jhuen zu folgen, würde für das Zentrum ein rasches Ende be- deuten. Nachdem der Reichsausschuß gesprochen, müsse eine Scheidung eintreten. Bei allen diesen Ausführungen vermied der Redner jedoch ängstlich, sich gegen die Ansprüche der römischen Kurie zu wenden. Er erklärte vielmehr: Wir bekennen als treu katholische Männer, daß wir bestrebt sind, die Pflichten gegenüber der Kirche in jeder Beziehung zu erfüllen. Wir sind entschlossen, der Kirche unsere Dienste zu leisten, wenn sie dieser Dienste bedarf, und wir bekennen uns insbesondere mit unentwegter Treue zur kirchlichen Autorität, zu unseremOber st en Hirten und zudenBischöfen in alldenDingen, in denen wirGehorsamschul- den.(Stürmischer Beifall.) Wir wollen ihnen auch über die Pflichten des Gehorsams hinaus die schuldige Rücksicht und Ver- ehrung zollen."(Beifall und Händeklatschen.) Der zweite Redner, Abgeordneter Marx, erklärte den Auf- ruf als eine vernünftige Tat. Wer ihn nicht mit voller Ueber- zeugung unterschreibe, gehöre nicht mehr zum Zentrum, man werde sich freuen, wenn die Partei von diesen Elementen gesäubert ist. Die Ausführungen der Redner wurden mit stürmischem Bei- fall aufgenommen. Ueberden Streit unddieStellung- nähme der chri st lichen Gewerkschaften schwiegen die Redner sich völlig aus. Das ist offenbar- auf die neue Kundgebung der Bischöfe zurückzuführen. Herr Marx ver- wies lediglich auf den Aufruf des Reichsausschusses in dem zum Ausdruck gekommen sei, daß die Partei zu den christlichen Gewerk- schaften stehen werde, und Herr Dr. Bell vertröstete die Arbeiter auf den Herrgott, mit dessen Hilfe es wieder vorwärts gehen werde. Der Vorsitzende des Windhorstbundes Deutschlands und Ver- treter der Zentrumspartei aus Köln und Duisburg überbrachten Sympathieerklärungen. In einem Telegramm aus Paderborn heißt es: Der Teufel hole die Berlinerei, wir bleiben unserm Zen- trum treu. Es wurde eine Resolution angenommen, in der dem Reichs- ausschuß der Dank der Versammlung für sein energisches Ein- treten im Interesse der Partei ausgesprochen wurde. politische Uebersicht. StaatlicheMusterbetriebe. Staatsbetriebe sollen bekanntlich Musterbetriebe sein; die Tat- sachin reden indes eine andere Sprache, wie die jetzt vorliegenden amtlichen Betriebsberichte der preußischen BergwerkSver« w a l t u n g für das Jahr 1312 zeigen. Daraus geht hervor, daß der Fiskus nicht nur im allgemeinen geringere Löhne bezahlt als die Privatindustri«; auch die Behauptung, daß in den Staats- betrieben die Arbeiterausbcutung nicht so intensiv betrieben werde und Arbeiterentlassungen fast nie erfolgten, erfährt durch den amtlichen Bericht eine bündige Widerlegung. Wir beschränken uns dabei auf die Mitteilungen über die Betriebs- und Arbeitsverhältnisse auf den staatlichen Stein- kohlenbergwerken in B a r s i n g h a u s e n am Deistergeblrge (Provinz Hannover ) und benutzen zum Vergleich die Ergebnisse des Jahrfünft» von 1907 bis 1912. Danach ist die Zahl der Arbeiter Arbiter eHeganüanm. Der Kurfürstendamm und die Tauentzienstraße sind in heller Aufregung. Warum? Erhitzt man sich in Berlin WW. plötzlich für politische Fragen? Tritt man für die elsaß -lothrrngische Ver- fassung ein? Rafft nwn sich zum Kampf für ein freies Wahlrecht in Preußen auf? Kein Gedanke! Oder werden Weltanfchauungs- fragen erörtert? Sozialismus oder Individualismus? Marx oder Nietzsche? Torheit, nur daran zu denken! Oder ist bei den Blassiertesten der Blassierten ein soziales Interesse erwacht? Wird ihr Herz bewegt, weil Tausende von Proletarierkindern ohne Früh. stück zur Schule kommen. Tausende kein warmes Mittagbrot haben? Lernt man vielleicht den Wert der ArbeitSlosenversichc- rung schätzen? Wir sind in Berlin WW., verehrter Leser, und für Bagatellen wie Politik und Weltanschauung hat man hier, von Tangotea zu Tangotea gerissen, von Bar zu Bar geschleudert, wahrhaftig weder Sinn noch Zeit. Nein, Kurfürstendamm und Tauentzienstraße fiebern, weil Andre de FouquiäreS sich in Berlin aufhält. Andrt de Fouguiäres? Was ists mit ihm? Künstler? Dichter? Maler? Politiker? Staatsmann? Hat er vielleicht mit dem Prinzen von Wied zu tun? Nichts von alledem! Andre de Fouquieres ist ganz einfach der eleganteste Mann von Paris , und da er aus dem Elegantsein fast einen Beruf macht, ist er nach dem entsetzlichen, barbarischen Goldgräberdorf an der Spree gekommen, um den Insassen des Tiergartenviertels in einer Conference zu erzählen, wie man sich stilvoll anzieht. Er wird nicht mit den Anfangsgründen beginnen und etwa davor warnen, zum schwarzen Gehrock neidgelbe Stiefel zu tragen, sondern er, der Meister der Eleganz, arditer elegantiarum, der Schiedsrichter de» guten Geschmacks, ist ein Mann der Nuancen: eine gefaßte Perle, das etwa ist die Quintessenz seiner Geheimwissenschaft, steckt man wohl in eine schwarze, beileib« aber nie in eine schwarz-weiß gestreifte Krawatte! Weil er heute solche und ähnliche Offen- barungen zum besten zu geben hat. wird Herr de FouquiereS von dem snobistischen Berlin WW. ehrfurchtsvoll angestaunt und, als ob es sich um einen zarischen Minister drehe, haben die Firmen Mosse und Ullstein als Ausfrager diejenigen ihrer jungen Leute zu ihm gesandt, die sich der prononziertesien Bügelfalten rühmen und den prononzierten Duft der galizischen Heimat längst erfolgreich aus ihren Kleidern vertrieben haben. Nun braucht Eleganz, soweit sie nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck ist, auch von dem sozialistischen Proletarier nicht verachtet zu werden. Der Sozialismus ist nicht Knotentum, der Sozialismus will die erlesensten Kulturgüter so zum Besitz der Allgemeinheit machen, wie es heute Streichhölzer sind; und wenn er nicht überhaupt eine Umwälzung der gesamten Kleidung mit sich bringt, wird der Sieg des Sozialismus so zweifelhafte Er- rungenschaften des kapitalistischen Zeitalters wie Zugstiefel, Schnallenschlijise,Röllchen" und Vorhemdchen so sicher beseitigen wie Unterernährung, Elend und Schmutz. Bei auf höherer Gc- schmacksstufe stehenden Völkern als den Deutschen , in deren großer Mass« die Gründerperiode der siebziger Jahre mit ihren Schund- und Schleuderwaren auf Jahrzehnte hinaus den Sinn für guten Geschmack ausgerottet hatte, bei den Engländerik�elwa, zieht sich auch der Arbeiter heute schon Feierabends oder Feiertags nach den einfachen Grundregeln der Eleganz an, die verlangen, daß an der Kleidung nichts vorgetäuscht ist. Man kann auch den ausgeprägtesten Sinn für Eleganz haben und doch ein Revolutionär sein. Die Jakobiner der französischen Revolution malt uns eine spießbürgerliche Geschichtsschreibung als schmutzige Gesellen von lumpenhaftem Aussehen, eine Schilderung. die nicht einmal auf den Heerbann der Vorstädte zutrifft. Aber die Führer des Jakobinertums waren samt und sonder? anschn- liche, gut angezogene Männer, und einer der eifrigsten, H e r a u l t de SöchelleS, war sogar ein Musterbeispiel ausgesuchtester Eleganz für alle jungen Leute, die Wert auf ihr AeußereS legten. Sproß einer alten Adelsfamilie, Neffe des Marschalls von Eon- t a d e 3 und der Herzogin von Polihnac, der allmächtigen Freundin Marie AntoinetteS , reich, schön, geistvoll, liebenswürdig, ein Liebling der Frauen, ein Vorbild der jungen Männer, führte Herault de S�chelleS vor 1789 ein geschmackvolles Ge- nießerdasein, aber als er, statt wie so viele feiner Klassengenossen in die Hauptquartiere der Emigration jenseits der Landesgrenzen zu entweichen, in die Strudel der Revolution hineingerisscn wurde, fand er sich bald auf der äußersten Linken des Nationalkonvents wieder. Er in erster Reihe brachte die radikale Verfassung deS JahreS 1793 zu Papier, aber derAlzibiadeS der Bergpartei", wie er genannt wurde, war noch immer ein eleganter Mann, als er mit seinem Freunde Danton auf die Guillotine geschickt wurde. Umgekehrt kann das Gegenteil von Eleganz ein Zeichen von reaktionärer Gesinnung sein. Genau 100 Jahre, ehe Herr de FouquiereS auS Paris nach Deutschland kam, um den Deutschen den Sinn für rechte Eleganz zu wecken, herbreitete sich auf diesen Bergwerken von 2231 im Jahre 1907 auf 2145 im Jahre 1912 gesunken, die Förderung dagegen stieg trotz dieser verringerten Arbeiterzahl von 455129 auf 497 023 Tonnen, oder pro Arbeiter von 199 auf 237 Tonnen. Da» sind 88 Tonnen Kohlen pro Ar- heiter mehr als 1907. Die staatliche Verwaltung hat also nicht minder wie das Privatkapital meisterlich verstanden. die Arbeitskraft der Arbeiter anzuspannen und sie zu höherer Leistungsfähigkeit anzutreiben. Auch der Wert der Förderung ist erheblich gestiegen. Sind nun auch die Löhne entsprechend erhöht worden? Diese Frage muß verneint werden. Im ganzen ist der Durchschnitts- lohn eines Arbeiters, trotz der in den fünf Jahren unserer Vergleichs- Periode herrschenden allgemeinen Teuerung, nur von llll auf 1138 M. gestiegen; da? sind 27 Mark im Jahre oder 14 Pf. pro Schicht mehr. Der Löwenanteil de? um 4l0 M. pro Arbeiter gestiegenen Förderwertes ist also dem Fiskus zugute gekommen. Allerdings ist auch der U e b e r f ch u tz der Werke von 505 401 M. im Jahre 1907 auf 213 757 M. im Jahre 1912 gesunken, aber dieser Rückgang findet seine natürliche Erklärung in der Tatsache, daß alle Neueinrichiungen auf den staatlichen Berg- werken nicht aus Anleihen oder besonders gebildeten Fonds, sondern aus den laufenden Einnahmen be st ritten werden. Tatsächlich spricht denn auch der Bericht von 1912 von erheblichen Erweiterungsbauten, die von dem Uebcrschnß bezahlt worden sind. Wenn aber wirklich gesunkener Ueberschuß den geringen Arbeiter lohn begründete, so ist nicht einzusehen, warum nicht auch den Beamten billig wäre, was den Arbeitern recht sein soll. Die Beamten erhalten aber neben ihrem vollen, und namentlich in den höheren Graden lehr reichlich bemessenem Gehalt noch sogenannte Prämien für die gestiegenen Leistungen der Arbeiter. So er- hielten ein Steiger 240 9?., ein Fahrsteiger 250 M., ein Obersteiger 300 M. als Antreiberprämie zu qualifizierende Extra- zuschuß. Und die Werksdirektoren und sonstige Ober- beamte erhielten vom Fiskus insgesamt dieSumme von 170000 M. neben i h r m Gehalt. Dabei wird das Bild noch dadurch vervollständigt, daß die Verwaltung infolge der ge- ringeren Arbeiterzahl im Jahre 1912 nicht lveniger wie 10009 M Knappschaftskassenbeiträge und 1400 M. Invaliden. b e itä g e gespart hat. So siebt es in den staatlichen Bergwerken am Deister aus. Der Staat erzielt steigende Riesenüberschüsse, die Arbeiter aber müssen sich durchschnittlich in Zeiten zunehmender Teuerung mit einem Schichtlohn von 3,02 M. begnügen. Wenn nicht die meisten Bergarbeiter, wenigstens soweit sie verheiratet sind, neben- bei noch etwas Landwirtschaft und Viehzucht betrieben, würde es ihnen wohl überhaupt nicht möglich sein, von solchen erbärmlichen Löhnen zu leben. Fast scheint es so, als ob der Fiskus bei der Festsetzung der Löhne mit diesem Nebenverdienst der Bergarbeiter- samilien rechnete. Nebenbei bemerkt ruht diese Arbeit fast ganz auf den Schultern der Frauen, die auf diese Weise mit zur Ernährung der Familie beitragen müssen. Vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht sind diese schon früh alternden Proletarierinnen bei der Bestellung und Aberntung ihrer Parzellen beschäftigt, und schwer mit Körben voll Gemüse und anderen land« wirtschaftlichen Produkten bepackt, ziehen sie mehrmals in der Woche nach dem nahen Hannover , um dort auf dem Markte das bare Geld zu erstehen, das draußen in ihrer Wirtschaft so notwendig ist, weil der Lobn des Mannes nicht ausreicht zur Befriedigung der aller- notwendigsten Lebensbedürfnisse. Trotzdem: StaatShetriebe find Musterbetriebe! Mahnahmen gegen den Geburtenrückgang. Im Reichstage ist ein Antrag sämtlicher bürgerlicher Parteien eingebracht worden, in dem gesetzliche Regelung des Verkehrs mit Mitteln zur Verhütung der Schwangerschaft verlangt wird. Leere Redensarten. DieGermania " meldet: Die Zentrumsfraktion des preußischen Abgeordnetenhauses hat heute ihre volle Zustimmung zu dem Aufruf des Reichsaus- schusses der Zentrumspartei gegenüber den Quertreibern durch Unterschrift unter diesen Aufruf ausgesprochen. Auch die Reichs- tagsfraktion des Zentrums hat heute beschlossen, daß alle ihre Mitglieder den Aufruf zur Unterschrift vorgelegt erhalten. De» gleichen Beschluß haben in den letzten Tagen schon die Zentrums- fraktionell in den Landtagen von Bayern , Württemberg und Baden gefaßt. Nach Vollzug der Unterschriften wird der Aufruf Ernst Moritz Arndt über Mode und Kleidertracht. Er schrieb dem teutschen Manne teutsche Kleidung vor: Sein gewöhnliche? Kleid ist der alte teutsche Leibrock, welcher, nirgends ausgeschnitten, schlicht herabfällt, so daß er die Hälfte der Schenkel über dem Knie bedeckt. Den Hals be- freit er von dem knechtischen Tuche und lässet den Hemdkragen über den kurzen Rockkragen auf die Schultern fallen. Bei Feier. lichkeiten wird ein Fedcrhut mit den Volksfarben getragen; sonst mag er seinen Kopf bedecken und schmücken, wie es ihm gefällt. Solche Anweisung war eine Reaktion auf die französische Mode, die über ein Jahrhundert Deutschland tyrannisiert hatte, aber wenn in der Folge auch die freiheitlich gesinnten Burschen- schafter sich in dieser teutschen Tracht geficlen. so wurde sie doch allmählich das Kennzeichen jener, die rauhbautzig auf ihr Teutsch- tum pochten und gerade die revolutionären Einflüsse Frankreichs teutschtümelnd abwehrten Reaktionäre wie der Vater Jahn und der von Heine gestäupte M a h m a n n liefen so, zum Gaudium der Straßenjugend, mit altteutschem Leibrock und bloßem Halse herum. Patrioten mögen darum bittere Klage anstimmen, weil 100 Jahre danach in Berlin (!) in einem deutschen Verlage(!) eine Zeitschrift erscheint, dieGazette du bon Ton" heißt und weil der eleganteste Mann von Paris in Berlin als Lehrmeister des Sich-AnziehenS auftaucht. Aber dieser Hunger nach Eleganz in Berlin WW. ist weder ein reaktionäres noch ein revolutionäres Programm, sondern ledig- lich ein Zeichen der Programmlosigkeit. Weil man hier für nichts andere? Interesse aufzubringen vermag als für die hohlsten Aeußcrlichkeiten, deshalb lauscht man gierig dem Propheten des Schneidersalonö, und wird es künftig als ein« unverzeih- liche Sünde ansehen, wenn ein Kurfürstendämmler eine kostbare Perle in schwarzweiß gestreifter Krmvatte trägt, aber als eine allgemein menschliche Schwäche, wenn er eine kostbare Perle durch betrügerische Schiebereien er- warben hat, sie aber, getreu den Gesetzen deS Herrn de FouquiereS, in schwarzer Krawatte trägt. Wenn eine Gesellschaftsschicht ganz ausgebrannt, ganz verflacht, ganz fertig ist, dann wird die elegante Kleidung zum A und O ihres kümmer- lichen Seins. Noch immer ist es ein Zeichen unrettbaren Verfalls gewesen, wenn der Glaubenssatz, daß Kleider Leute machen,»n- bedingt anerkannt wurde, uud kaum je ist er so unbedingt an- erkannt worden wie von den arbeitslos genießenden Drohnen des Berliner Westen?. KarlLudwig.