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Mus meinem Leben. Von August Bebel . Dritter Teil. Kurz vor seinem Tode hatte Bebel brieflich seinen Freund Kautsky damit beauftragt, falls er plötzlich zur großen Armee abberufen werden sollte, den dritten Band feiner Memoiren herauszugeben, soweit dafür das Manuskript druckfertig vor- läge. Genosse Kautsky hat die ihm übertragene Arbeit sofort in die Hand genommen, so daß bereits in den nächsten Tagen der dritte Teil der Bebelschen Denkwürdigkeiten er- scheinen wird, in dem Bebel die Zeit vom Beginn des So- zialistengesetzes bis zum Jahre 1882 schildert. Durch die Er» laubnis der Verlagsbuchhandlung I. H. W. Dietz in Stuttgart sind wir in der Lage, schon jetzt einen Auszug aus diesem neuen Band veröffentlichen zu können: die Schilderung der nach st en Maßnahmen der sozialdemo- kratischen Parteileitung nach Erlaß des Sozialistengesetzes: Sobald der Reichstag am 17. September die erste Lesung be- endet hatte und der Entwurf in die Kommissionsberatung ging, fuhr die Fraktion nach Hamburg , um dort mit dem Parteiausschuß zu beraten, welche Dtatznahmen nach Inkrafttreten des Gesetzes ergriffen werden sollten. Im Ausschuß herrschte keineswegs eine gehobene Stimmung. Seit Auer von Hamburg nach Berlin über» gesiedelt war, um in die Redaktion derFreien Presse" einzutreten, war August Geib die einzige Person von Bedeutung in dem fünf- gliedrigen Ausschuß. Geib fühlte sich infolgedessen isoliert und ohne eigentliche Stütze in einem Kampfe, wie er jetzt zu erwarten war. Auch war Geib, obgleich ein Mann von hoher Intelligenz, un- tadeliger Rechtschaffenheit und großer Sachkunde, der die Geschäfte mit Kaltblütigkeit und Ruhe erledigte, keine eigentliche Kampf- natur. Dem Feinde die Zähne zu zeigen und jedes Mittel anzu- wenden, das ihm eine Niederlage beibringen konnte, das lag nicht in seinem Wesen. Dazu kamen noch zwei Umstände, die uns da­mals nicht bekannt waren, aber sein Verhalten erklärlich machten. Geib war herzkrank, wie sein baldiger Tod uns zeigte und ich ge° legentlich einer Haussuchung bei ihm wahrnahm, der ich als un- freiwilliger Zeuge beüvohnte. Dann aber stellte sich auch zu unserer aller Ueberraschung nach seinem Tode heraus, daß seine materielle Lage nicht so war, wie man sie einschätzte. Er schien mäßig wohl- habend zu sein und ein Geschäft(Leihbibliothek) zu besitzen, das seinen Mann gut nährte. DaS gemütliche Heim, das er sich mit Hilfe seiner Frau zu schaffen wußte, und die Gastfreundschaft, die er übte, unterstützten diese Auffassungen. Das war aber ein Irr- tum. Hätte er zum Beispiel noch die Zeit der Verhängung de? kleinen Belagerungszustandes über Hamburg -Alwna erlebt, und wäre er dann als erster mit ausgewiesen worden, er wäre finanziell zusammengebrochen, und was dieses für den außerordentlich fein- fühlenden Mann bedeutete, kann man sich vorstellen. Geib hätte also auch die Arbeitslast nicht leisten können, die ihm unter dem Gesetz, wenn auch nicht mehr als offiziellem Ausschußmitglied, er- wuchs. An Gehalt war ebenfalls nicht zu denken. Das alles mochte sich Geib sagen, und so erklärte er zu unserer unangenehmen Ueberraschung, daß er unter allen Umständen sein Amt niederlege und die Meinung habe, man solle die Partei auf- lösen, noch bevor das Gesetz in Kraft getreten sei, damit sie von der Polizei nickt aufgelöst werde. Mit Geibs Rücktritt war aber Hamburg als künftige Zentralstelle unmöglich. Es gab zwischen uns und Geib eine lebhafte Auseinandersetzung. Es wurden die verschiedensten Borschläge gemacht, wie man ihm seine Tätigkeit erleichtern könne. Er blieb aber bei seinem Vorsatz. Darauf erklärte ich, es sei doch ein Ding der Unmöglichkeit, daß die Partei keinen Zentralpunkt mehr habe, an den sich die Genossen in ihren Nöten um Rat und Hilfe wenden könnten. Lehne Hamburg ab, so schlüge ich Leipgig vor, und sei ich bereit, die Stelle GeibS als Kassierer von Mitteln, die zu schaffen angesichts der kommenden Opfer mir jetzt die wichtigste Tätigkeit zu sein schiene, zu über- nehmen. Dementsprechend wurde beschlossen. Darauf händigte mir Geib die letzten 1000 Mark ein, die er noch in der Kasse hatte. Da» war der Grundstock für meine künftige Tätigkeit als Finanzminister unter dem Sozialistengesetz. Auch dem Drängen Geibs. sofort die Partei für aufgelöst zu erklären, da er nicht mehr sein Amt verwalten wolle, mußten wir nachgeben; denn es wäre eine Lächerlichkeit gewesen, für eine Galgenfrist von wenigen Wochen noch einen provisorischen Ausschuß einzusetzen, bis die polizeiliche Auflösung erfolgte. So wurde denn beschlossen, mit einer Proklamation an die Partei heranzutreten und sie für aufgelöst zu erklären. Aber die Art, wie dieses geschah. erregte Unzufriedenheit. Statt daß der Ausschuß oder das Zentral- Wahlkomitee, wie der Ausschutz genannt wurde, seitdem Tessendorf das Verbot der Parteiorganisation für Preußen durchgesetzt hatte, sich selbst in einer Proklamation an die Partei wendete, die Or- ganisation für aufgelöst erklärte, ihr Ratschläge für ferneres Wirken machte und ihr Mut zusprach, erschien imVorwärts" eine Be- kannpnachung des Sekretärs Derossi, die an Trockenheit des ToneS und Schwächlichkeit des Inhalts kaum übertroffen werden konnte. Erst auf unsere Einsprache, daß die Bekanntmachung des Sekretärs nicht genüge und der Ausschutz mit der Namensunterschrift seiner Mitglieder die Parteiorganisation für aufgelöst erklären möge, er- schien eine solche, datiert vom IL. Oktober, imVorwärts" vom 21. Oktober. Aber diese Proklamation verbesserte die Stimmung nicht. DaS Komitee erklärte, daß es seine Auflösung der Polizei- bchörde angezeigt habe, es also von jetzt ab eine zentralistische Or- ganisation der Partei nicht mehr gebe, sonach auch keine planmäßige Organisation mehr. Damit sei es vorüber. Auch für Geldsendungen habe man keine Verwendung mehr. Man solle solche nicht mehr an Geib adressieren. Man ging noch weiter und forderte, daß, wenn noch irgendwo eine Parteimitgliedschaft bestehe, diese sich sofort auflösen sollte. Der Aufruf schloß: Einig in der Taktik, auch zur Zeit der Bedrängnis, sei die Gewähr für eine bessere Zukunft. In der Hamburger Zusammenkunft war man einmütig der Ansicht, die Schläge abzuwarten, die nach Verkündung des Gesetzes gegen die Partei geführt würden, und danach seine Matznahmen zu treffen. Unter keinen Umständen dürfe da? Feld freiwillig geräumt werden. Es sei vorauszusehen, daß in erster Linie die Partei- und Gewerkschaftsorgane der Unterdrückung verfallen würden. Es be- standen zu jener Zeit 23 politische Organe, von denen 8 sechsmal wöchentlich, 8 dreimal. 4 zweimal und 3 einmal erschienen. Daneben bestand dieNeue Welt" als Unterhaltungsblatt. Weiter erschienen 14 Gewerkschaftsblätter. Die Mehrheit dieser Blätter wurde in 16 Genossenschaftsdruckereien hergestellt. Mit der Unterdrückung dieser Preßorgane, erwartete man, würden sofort eine Menge Personen, als Redakteure, Expediteure, Kolporteure, Verwaltungsbeamte, Schriftsetzer, Hilfspersonen aller Art, brotlos. Um für alle diese brotlos gewordenen Personen nach Möglichkeit Hilfe zu schaffen, müßte man versuchen, an Stelle der unterdrückten neue Blätter zu gründen, die sich dem Gesetz anzu- bequemen versuchten. Hatten doch Lasker wie der Berichterstatter der Kommisston bei der Beratung des Gesetzes erklärt, daß Blätter, die ihre Haltung änderten, nicht unterdrückt werden sollten. Aber respektiert wurden diese Zusagen nicht. Neben der Neugründung von Blättern solle man sich auf die Herstellung allgemein bildender Literatur werfen. Die Gründung von Blättern sei auch geboten, weil sie die bequemste und unverfänglichste Art bilde, die Verbin- dung unter den Parteigenossen aufrechtzuerhalten. Gelänge eS nicht, in der einen oder anderen Form Hilfe zu schaffen, dann würde eine große Zahl der führenden Personen genötigt, ins Aus- land zu wandern, was ein großer Verlust für die Partei sei. Ms Sozialisten stigmatisiert fänden sie angesichts der Stimmung in den Unternehmerkreisen keine Stellung, die überdies infolge der Krise Arbeitskräfte in Mengen zur Verfügung hätten. Daß man sehr bald auch mit einer für die Parteiverhältnisse großen Zahlen Ausgewiesener und deren dadurch in Not geratenen Familien werde rechnen müssen, daran dachten wir zunächst nicht. Auf Grund der Erklärungen, die während der Beratungen über den kleinen Belagerungszustand aus kompetentem Munde abgegeben wurden, hielten wir zunächst die Berhängung desselben für unwahr- scheinlich. Mir täuschten un». Noch ehe der Monat November zu Ende ging, wurde der kleine Belagerungszustand über Berlin ver- hängt. Ahm folgt« im Jahre 1886 derjenige über Hamburg-Altona und Umgegend, dann über Harburg, Ende Juni 1881 über Stadt und Bmtihauptmannschaft Leipzig usw. Wenn bei irgendeiner unter dem Sozialistengesetz getroffenen Mahregel, so erwie» sich bei. der VerhSngung des kleinen Belagerungszustandes dieloyale" Behandlung des Gesetzes als Lüge. Sobald das Gesetz verkündet und in Kraft getreten war, fielen die Söbläge hageldicht. Binnen wenigen Tagen war die gesamte Parteipresse, mit Ausnahme des.Offenbacher Tageblatts" und der Fränkischen Tagespost" in Nürnberg unterdrückt. Das gleiche Schicksal teilte die Gewerkschaftspresse, mit Ausnahme des Organs des Buchdruckerverbandes, des..Korrespondcnien". Auch war der Verband der Buchdrucker, abgesehen von den Hirsch-Dunckerschcn Vereinen, die einzige Gcwerkschaftsorganisation, die von der Auf- lösung verschont blieb. Alle übrigen fielen dem Gesetz zum Opfer. Die Nachbarn. Von John Galsworth y. In abgelegenen Gegenden flößt die Natur, die auf den ersten Blick so schlicht und heiter scheint, dem Beschauer nach und nach ein sonderbares Unbehagen ein: das Gefühl, als ob ein dort hausen- der Geist auf den alten Heidewegen, den Felsen und Bäumen spuke, der die Macht besitzt, alles Lebendige um sich her gespenstisch zu verzerren. Wenn das Mondlicht das Heideland zwischen den drei kleinen Städten Hartland, Torrington und Holsworthy überflutet, stiehlt sich ein heidnischer Geist durch die bleichen Ginstersträucher. Er schleicht um die Stämme der einsamen, galgenähnlichen Föhren, er guckt heimlich aus dem Schilf des im Mondschein erglänzenden Moors. Dieser Geist hat die Augen eines Kriegers an der Grenze, der in jedermann einen Feind wittert. Und in der Tat ist jener hochgelegene Winkel des Landes bis zum heutigen Tage� Grenz­gebiet geblieben, wo der herrische, besitzgierige Eindringling aus dem Norden Seite an Seite mit dem unbeständigen, stolzen, leiden- schaftlichen Keltibercr haust. In zwei Häuschen auf der Höhe des Brachlandes lebten zwei Familien nebeneinander. Jene langgestreckte weiße Wohnstatt schien nur e i n Haus zu sein, bis das Auge hinter den Heckenrosen, welche die rechte Hälfte des Gebäudes einhüllten, die kunstlose, vom Wetter arg mitgenommene Darstellung eines Rennpferdes er- blickte, was den Ausschank berauschender Getränke kundtat; wäh- rend in einem Fenster auf der linken Hälfte eine sonderbare Mischung von Eßwaren und Schuhleder erkennen ließ, daß dieser Laden der einzige des primitiven Weilers war. Das Ehepaar auf der Ostseite hieß Sandford, das auf der Westseite Leman, und wenn man sie zum erstenmal sah, dachte man sich wohl: Was für vornehme Prachtgestalten! Sie hatten alle vier über Durchschnittsgrötze und waren schlank wie Tannen. Der Gastwirt Sandford war ein starkgebauter Mann mit einem großen blonden Schnurrbart, helläugig, ernst und unbeweglich er sah aus, als entstiege er gerade einem alten Wikingerschiff. Leman war lang und dürr wie eine Latte, ein ausgesprochener Kelte mit freundlichem, träumerischem, heiterem Gesicht. Die beiden Frauen waren so verschieden voneinander wie die Männer. Frau Sandfords zarte, fast durchsichtige Wangen verfärbten jich leicht« ihre Augen waren grau, das Haar hellbraun. Frau LemanS Haar war kohlschwarz und von mattem Glanz, ihre Augen sahen tiefbraun wie das Moor aus, und daS Gesicht schien wie aus altem Elfenbein geschnitten. Wer sie öfters sah, fand aber bald heraus, was diese Vor- nehmheit beeinträchtigte. Sandford, dessen Gesicht keine Witterung zu bräunen vermochte, sah drein, als könnte ihn nichts in der Welt daran hindern, sich eine Sache anzueignen, wenn er es sich einmal in den Kopf gesetzt hatte; seine Augen verrieten, daß sein höchstes Ideal das Eigentum und sein ganzes Streben nach Besitz gerichtet war. Wenn er, von seiner niedergeduckten Wachetlhündin gefolgt, nach seinen Feldern ging(denn er betrieb neben der Schänke auch noch Landwirtschaft), so schien sein Schritt die Wege zu erschüttern, und solch ein überwältigendes Selbstbewußtsein, solch eine Unnahbarkeit ging von ihm aus, daß selbst die Vögel stille wurden. Er sprach nur selten. Er war nicht beliebt. Man fürch- tete ihn eher, doch keiner wußte warum. Wenn seine Frau auch frisch und rosig, manchmal geradezu mädchenhaft aussah, hatte er ihr trotzdem langsam, aber sicher da? Siegel seiner Herrschast ausgedrückt. Man hörte sie nur selten reden. Hier und da jedoch durchbrach ihre Geschwätzigkeit die gewöbn- liche Zurückhaltung, so wie Wasser einen beschädigten Tamm. Bei solchen Ausbrüchen sprach sie gewöhnlich von ihren Nachbarn, den Lemans, und beklagte die Zustände in deren Eheleben.Eine Frau," sagte sie dann,muß manchmal dem Mann nachgeben; ich Hab gar oft Sandford nachgeben müssen, jawohl!" Ihre Lippen waren vom oftmaligen Zusammenpressen so dünn wie der Rand einer Teetasse geworden; aus den kalten Zügen ihres langen Ge- sichts schien jeder Ausdruck einer selbständigen Regung entflohen zu sein. Sie war nicht gebrochen, sondern nur niedergebeugt, und vas hatte sie so hart und abweisend gegen andere gemacht. Das Bewußtsein, daß sie selbst zu Boden gedrückt worden war, schien in ihr jene? giftige Gefühl gegen Frau Leman wachzurufen eine hoffärtige Person," wie sie mit ihrer, feinen Stimme zu sagen pflegte,eine Person, die sich noch nie einem Mann gefügt hat da? sagt sie ja selbst.'S ist nicht das Trinken, das den Leman so närrisch macht;'s kommt nur davon, weil sie ihm nicht nachgeben will. Natürlich bedienen wir jeden gern, der zu unS kommt; aber'S ist gar nicht das Trinken, das den Leman so verrückt macht sie ist es." Leman, dessen hagere Gestalt man gar oft in der kleinen mit Steinfliesen gepflasterten Wirtsstube auf der Holzbank sitzen sah, bekam in der Tat nach und nach das verschwommene Gesicht und Ebenso verfielen der Auflösung die zahlreichen lokalen sozialdemo- kratischen Arbeitervereine, nicht minder die Bildungs-, Gesang- und Turnvereine, an deren Spitze Sozialdemokraten standen, und die deshalb für sozialdemokratische Vereine erklärt wurden, in denen, wie die Phrase im Gesetz lautete,sozialdemokratische, auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung ge- richtete Bestrebungen in einer den öffentlichen Frieden, insbesondere die Eintracht der Bevölkerungsklassen gefährdenden Weise" zutage getreten seien.... Die Versuche, an Stelle der unterdrückten Blätter neue zu gründen, die nach Lage der Dinge außerordentlich vorsichtig redi- giert werden mutzten, mitzlangen in den ersten Jahren fast alle. So versuchte man in Berlin nach der Unterdrückung derFreien Presse" unter dem Titel derBerliner Tagespost" ein farbloses Blatt zu gründen, das als Fortsetzung derBerliner Freien Presse" an- gesehen und sofort verboten wurde. Seine Herausgebe» wurden deshalb zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Mit demVorwärts" in Leipzig fielen eine Reihe hier erscheinender Provinzblätter: Volksblatt in Altenburg ",Volksblatt für den 14. sächsischen Wahl- kreis",Muldentaler Volksfreund",Groitzsch-Pegauer Volksblatt" undVoigtländische freie Presse" dem Gesetz zum Opfer. Ebenso fielen dieMitteldeutsche Zeitung", dieFreie Presse" und die Neue Leipziger Zeitung". 1873 folgten derLeipziger Beobachter", dasDeutsche Wochenblatt" und derWanderer"; als letztes Blatt wurde 1881 derReichsbürger " unterdrückt, nachdem zuvor noch ein kleines WitzblattDaS Lämplein" den Weg des Sozialisten- gesctzes gegangen war. Nunmehr stellten wir in Leipzig auf Jahre hinaus jeden Versuch einer Blattgründung ein. Wir machten die Erfahrung, daß die Blätter stets dann verboten wurden, sobald der Abonnentenstand so weit gediehen war, dah er ihre Kosten deckic. Dadurch und durch verschiedene andere Wahrnehmungen mißtrauisch gemacht, entdeckten wir, daß wir einen Polizeispion in der Person eines unserer Expedienten im Geschäft zu sitzen hatten, dem natür- lich sofort mit dem nötigen moralischen Fußtritt die Tür gewiesen wurde. Wir machten alsdann noch den Versuch mit einem bürger- lichen Verleger, unter dessen Firma gemeinsam ein Blatt heraus- zugeben. Dieses führte aber in Kürze zu MißHelligkeiten, und so traten wir von dem Versuch zurück. Und da die gleichen Matznahmen wie in Berlin und Leipzig fast überall gegen uns getroffen wurden, hatten wir im Lauf von wenigen Monaten für Hunderte von Existenzen und deren Familien zu sorgen. Von allen Seiten kamen die Hilferufe an unz nach Leipzig , denen wir selbst mit Aufbietung aller Kräfte nur zum kleinsten Teile gerecht werden konnten. Parteigenossen, die damals den Ereignissen fernstanden oder sich gar im Ausland in sicherer Hut befanden, haben später ge- glaubt, dieUntätigkeit" der leitenden Personen scharf kritisieren zu müssen. Die guten Leute, aber schlechten Musikanten hatten keine Ahnung von dem wirklichen Zustand der Dinge, die wir öffentlich nicht mit der großen Glocke bekanntmachen durften. Als Entschuldigung mag siir den einen und anderen dieser Kritiker dienen, daß er auf Grund des Protokolls über den Wydener Kon- greß urteilte. Aber dieses Protokoll ist irreführend. Es war frisiert und mußte genau so wie später das Protokoll über den Kopen- Hagener Kongreß frisiert werden, wollten wir uns nicht selbst de- nunzieren und bezichtigen. So wurden in diesen Protokollen zwar die Angriffe gegen die Parteileitung veröffentlicht, aber was diese zu ihrer Rechtfertigung zu sagen und überhaupt Wichtige? zu be- richten hatte, wurde möglichst verschwiegen oder nur abgetönt wieder- gegeben. T-ies diente auch zur Irreführung der Behörden.... Es galt zunächst im Hause Ordnung zu schassen, ehe man sich auf auswärtige Unternehmungen einließ. So wiesen wir Lieb- knecht und ich ein bald nach Verhängung des Sozialistengesetzes gemachtes Angebot, uns die Mittel für ein im Ausland erscheinendes Blatt zur Verfiigung zu stellen, vorläufig zurück. Ich bemerke, um keine falschen Kombinationen aufiommen zu lassen, es war nicht Karl Höchberg , der unS dieses Angebot machte. Höchberg und Otto Freytag in Leipzig und eine kleine Zahl bemittelter Personen, die damals der Partei nahestanden oder zu ihr gehörten, lieferten Sie Mittel, damit wir der dringendsten Not abhelfen konnten. Denn die Sammlungen durch die Partei kamen erst allmählich in Fluß und wurden auch durch die von Ort zu Ort wandernden Aus- gewiesenen in Anspruch genommen. Und die Zahl der Hilfsbcdürfli- gen war namentlich in den ersten Jahren groß und wuchs be- ständig. Unter solchen Verhältnissen war der Partei das Hemd näher als der Rock. Vor allem galt es zunäckst, wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen, die im ersten Sturm des Sozialisten- gcsetzes in T«route geratenen Massen wieder zu sammeln und ihnen den Geruch eines Menschen, der zwar nie ganz betrunken, aber nur in den seltensten Fällen nüchtern ist. Er sprach langsam. das Reden schien ihm immer schwer zu fallen, er arbeitete nicht mehr; sein früher heiteres, liebenswürdiges Gesicht trug jetzt eine trübe Armesündermiene zur Schau. Das ganze Torf wußte von seinen heftigen Gcmütsausbrüchen und plötzlichen verzweifelten Weinkrämpfen, und daß Sandford ihm schon zweimal ein Rasier- messer hatte entreißen müssen. In ihrer Klatschsucht nahmen die Leute ein gespannte» Interesse an seinem raschen Verfall; sprachen davon mit Besorgnis und doch wieder mit einem gewissen Wohl- behagen und waren einstimmig der Ansicht, dahes gewiß noch ein böses Ende nimmt; das Trinken richtet George Leman zu- gründe, das ist so sicher wie's Amen im Gebet"! Doch konnte man sich Sandford, diesem helläugigen, aschblonden Teutonen, nicht leicht nähern, und keiner ließ sich gern mit ihm in Diskussion ein; seine undurchdringliche Zurückhaltung wirkte gar zu einschüchternd. Auch Frau Leman beklagte sich niemals. Wenn man diese schwarzhaarige Frau mit dem unbeweglichen und doch so bezaubernden Antlitz erblickte, wie sie mit dem Säugling im Arm aus der Tür trat, um etwas Luft zu schöpfen, und im Sonnenlicht stand, so glaubte man wahrhaftig, eine alte Britan- nierin vor sich zu haben. In sieghaften Rassen sollen die Männer den Frauen überlegen sein, in unterdrückten dagegen die Frauen den Männern. Sie war zweifelsohne Leman überlegen. Diese Frau konnte man wohl mißhandeln, niederbeugen, aber sie war nicht zu brechen. Ihr Stolz war zu ursprünglich, zu sehr ein Teil ihres eigensten Wesens. Niemand hatte je gesehen, daß sie und Sandford ein Wort gewechselt hätten. Fast schien eS, als ob der alte Rassenhaß des Grenzlandes mit seinem nicht endenwollenden Konflikt in diesen Beiden verkörpert wäre. Denn unter dem langen Strohdach lebten sie nebeneinander: jener Mann, der große ur- wüchsige Eroberer, und jene Frau der heimischen Rasse, mit den schwarzen Haaren und den geschmeidigen Bewegungen. Stets wichen sie einander aus, nie fiel ein Wort zwischen ihnen, und in dem Maße, wie sie ihren eigenen Gefährten überlegen waren, wären sie vielleicht einander würdig gewesen. In dieser einsamen Gemeinde, wo die Häuser weit auSein ander lagen, eilten dennoch die Neuigkeiten auf den vom Mm duftenden Wegen und über die ginsterbedeckte Heide pnt erstaunlicher Schnelligkeit dahin, vielleicht auf den Flügeln des Westwind», vielleicht vom Geist der Gegend auf seinen Wanderungen den Leuten zugeflüstert, oder von kleinen Jungen, die auf große» Acker- gäulen saßen, weiterbefördert.