crschütterlichen Schwur, nicht zu rasten und zu ruhen, bis auch inDeutschland die drückenden Polizeifesseln gesprengt sind.In den Straßen deö O st e n S herrschte von 1 Uhr ab lebhafteBewegung. In dichten Scharen zogen die Genossinnen, die sich inihren Bczirkslokalen zusammengefunden hatten, nach den Versamm-lungssälcn. die sich in kurzer Zeit füllten. Der Andrang nachObiglos Festsalcn in der Koppenstraße war sehr stark. Dem Er-suchen der Ordnerinnen folgend, blieben die Männer draußen. Alsder große Saal überfüllt war, wurde im kleinen Saal eine zweiteVersammlung veranstaltet. Die Polizei hatte ein sehr starkesAufgebot nach der Koppcnstraße dirigiert, die von Hunderten vonMännern, die in den von Frauen besetzten Sälen keinen Platz ge-sunden hatten, bevölkert war. Da die Polizei nur durch ihre Zahl,aber nicht durch Taten demonstrierte, so vollzog sich nach Schlußder Versammlung der Abzug der Massen ohne Störung. Nicht weitvom Versammlungslokal, an der Ecke der Frankfurter Allee undPetersburger Straße, wo die Heimkehrenden noch in einem dichtenZuge beisammen waren, wurde ein Mann, der ein Hoch auf dasfreie Wahlrecht ausbrachte, von einem der in mehreren Exemplarenin der Menge vertretenen Kriminalbeamten verhaftet, wasnatürlich lebhafte Entrüstung bei den Augenzeugen erregte.Brauerei K ö n i g st a d t. �2 Uhr. Schon längst ist derSaal überfüllt. Doch immer noch ziehen neue Scharen zum Ver-sammlungslokal. Züge bis zu 300 Personen fanden sich zusammen.Mehrere Damen in teuere Pelze gehüllt, schauen im Vorbei-fahren neugierig auf den Versammlungseingang zurück. Spieß-bürgerinnen, die zum Kaffeeklatsch gehen, sperren vor lauter Neu-gier und Verwunderung Mund und Ohren auf. Bor einem derZüge wanken drei Lumpcnprolctarierinncn, die Kleidung zerrisien,ihr Aussehen stumm und verzweifelt, an Leib und Seele gebrochen.Opfer unserer so herrlichen Gesellschaftsordnung. Stumpf ziehensie am Lokaleingang vorüber. Doch hinter ihnen marschieren stolzund siegesbewußt die?lrbciterinncnbataillonc.Am W e d d i n g waren die„PharuSsäle" in der Müllerstraßedas Ziel zahlreicher Frauen. In Gruppen, zum Teil zu Hun°derten im geschlossenen Zuge, zogen sie heran. Als die Versamm-lungSstunde näher rückte, war man sich einig, daß der große Saalin kürzester Frist bis zum letzten Platz � gefüllt sein würde. Dagriff die polizeiliche Vorsehung ein. ES wurde gesperrt, obwohlnach gehörigem Zusammenrücken der Versammelten noch an zwei-hundert Stehplätze vorhanden gewesen wären. Und wir wissen, wiegern begeisterte Proletarier mit einem Stehplatz vorliebnehmen,wenn es gilt, das Evangelium des Sozialismus zu hören. TieHundertc von Frauen, die ausgesperrt im Garten standen und diezum Saalaufgang führende Freitreppe belagerten, zeigten aufsdeutlichste ihren Willen, hinaus zu gelangen. Kein Protest, keinegütliche Vorstellung nutzte. Nur dazu ließ sich der blaue Cherubimherbei, soviel Frauen noch zuzulaffcn, als Männer, deren nurwenige im Saal waren, herauskämen. Einige Frauen erkämpftensich auch auf Hintertreppen oben einen Platz, bis auch hier diePolizei dazwischentrat. Und immer noch waren etwa 200 Frauenausgesperrt.In den Passagc-Sälen in der Bergstraße(Neukölln) muhtenmehrere Kriminalbeamte nach Aufforderung durch dieVersammlungslcitung unter dem Gelächter der Anwesenden denSaal verlassen.Zu einem interessanten Zwischenfall kam eS nach denVersammlungen in Neukölln. Von der Kncsebcckstraße her bewegtesich ein Zug von 200 Frauen nach der Hermannstraßc, wo er aufeinen gleich großen Trupp traf. Die Teilnehmerinnen begrüßtensich mit Hochrufen auf das Frauenwahlrecht und zogen dann ge-meinsam durch die Boddinstratze. Hier stellten sich ihnen mitRevolvern bewaffnete Polizisten entgegen und trieben einen Teilzurück. Ter Spitze des Zuges gelang es, in die Berliner Straßehineinzukommen. Der zurückgetriebene Teil gelangte durch Neben-straßcn ebenfalls in die Berliner Straße, und dort vereinigten sichbeide Trupps wiederum. Als die Polizei von neuem anrückte, löstesich der Demonstrationszug freiwillig auf.Im Anschluß an die Charlottenburger Versammlungzogen die Teilnehmer nach dem Spandauer Bock zu, wobei sich diePolizei am Rathaus hindernd in den Weg stellte. Einige Genossenund Genossinnei» wurden verhaftet. Besorgt folgte die Polizeiden Demonstrierenden bis zum Spandauer Bock, um sich zu er-eöelleute.Es ging mir zu wenig adlig zu unter meines-gleichen, darum komme ich zu euch.Annemarie von NathusiuS.Als die große französische Revolution schon ihre Schatten aufdie rauschenden Prunkmahle deS ancien regime vorauswarf, schriebChodecloS de Laclos seinen berühmten Roman Oiaiscrn«Dangereuses, zu deutsch: Gefährliche Liebschaften. Rein äußerlichschien eS eins jener gewagten„galanten Bücher" zu sein, die derganzen Zeit als Nervenkitzel dienten, aber in Wahrheit war eSein unerbittlicher Sittenspiegel, der herrschenden Sippe vor dieverzerrte grinsende Fratze gehalten. Mit unheimlicher Schärfemalte Laclos' Griffel diese hochfeudalcn GrandseigncurS desvorrevolutionären Frankreichs, die sich nur die eine Mühe gegebenhaben, geboren zn werden, und die ihre schrankenlosen Vorrechteausnützen, um sich in schrankenlosen Lastern zu wälzen. Eineentnervte und vcrmulte Gesellschaft ist eS, hohl bis ins Mark, ohneethische Werte, ohne sittliche Antriebe, ohne Kraft und ohne Zu-kunft, willenlos hingegeben dem Stumpfsinn gemeiner und ge-meinster Vergnügungen und in ihres selbstsüchtigen HerzenS Leerenur darauf bedacht, den Tag und die Nachr möglichst„kavalier-mähig" todzuhctzen. Alles, was Geltung hat linier nicht ganz ver-dcrbten Menschen, Liebe, Freundschaft, Ehre. Tapferkeit, besudelndiese Autokraten Tag für Tag. Tie Frau ist ihnen nur Geschlechts-iieo» jagdbares Wild. Wer sich in die Oiauons Dangereuses versenkt, begreift, auch wenn er von dem tieferen Sinn des Jahres1789 als einem Durchbruch der bürgerlichen Klasse durch die feudaleOrdnung nichts ahnt, rein gefühlsmäßig, daß die große Sintflutkommen mutzte, um diesen eklen Menschenkehricht aus der Ge-Schichte hinauSzufchwemmen.An die Bedeutung der Liaisons Dangereuse» erinnert ein Buch,oaS Annemarie von NathusiuS eben unter dem TitelIch bin das Schwert bei Carl Reitzner in Dresden hat er-scheinen lassen. Rein äußerlich auch ein Roman, ist dieses Werkein Bekenntnisbuch und ein Kampfruf zugleich. Mag man überfeine literarischen Eigenschaften streiten, auf jeden Fall lodert eineFlamme darin, die helle Flamme eines unbändigen Hasses...Ichwill", bekennt die Verfasserin,„meinen Griffel in Blut tauchenund sie zeichnen, diese Herren meiner Heimat, sie sollen mich hassen,diese Mörder deS RechtS." Und weil eS ihr gelungen ist, ihrenGriffel m warmeS LebenShlut zu tauchen, fei ihr Buch nicht alsein literarisches Ereignis— was ist alle papierene Literatur nebeniicm strömenden Leben!—, sondern als eine politische Urkunde ge-wertet.Wa» dieser Sittenschilderung des preußischen Junkertumsein besonderes Gepräg« verleiht, ist, daß die sie gibt, dazu gehörte.Nicht ein Außenseiter, der, aus„jüdisch-demokratischen" Kreisenkundigen, ob hier etwa auch geredet wurde. Vor dem Gelächter derAnwesenden zog die heilige Hermandad schließlich ab.Der Frauentag im Reich.In allen Orten, wo eine namhafte Parteiorganisation besteht,fanden am Sonntag Demonstrationsveranstaltungen für dasFrauenwahlrecht statt. Ueberall wird berichtet, daß der Besuch sehrgut und weit größer war als im Vorjahre. Ter Verlaus berechtigtzu den besten Hoffnungen für die rote Woche. Aus der Fülle deruns vorliegenden Privattelegramme können wir nur einige wieder-geben:Elberfeld. In Elberfeld und Barmen fanden zwei Versamm-lungen statt, die einen vorzüglichen Verlauf nahmen. Im KreiseHagen-Tchwelm fanden Versammlungen statt: in Hagen, MewelS-dorf und Schwelm; weiter in Remscheid, woran sich auch Genossenaus Wermelskirchen, Ronsdorf und den umliegenden Orten bc-teiligten. Eine weitere Versammlung tagte in Velbert. Im Wahl»kreise Altena-Jserlohn waren ö Versammlungen einberufen.Leipzig. Hier gestaltete sich der Frauentag zu einer präch-tigcn Kundgebung für das Frauenwahlrecht. Schon äußerlich tratdas in Erscheinung. Die Straßen nach dem Volkshaus, nach demdie Leipziger Genossen zwei Versammlungen einberufen battcn,waren trotz des Regens von Frauen belebt, die Straßenbahnwagenvon ihnen dicht besetzt. Die beiden Versammlungen waren über-füllt, mindestens 3000 Personen hatten sich eingefunden.Dresden. Es fanden S Versammlungen statt, die von zirka4000 Personen, meist Frauen, besucht waren. Der Besuch war einwesentlich stärkerer als das letztemal. Zwischenfälle kamen nichtvor; nur eine Genossin wurde notiert.München. Der Frauentag wurde durch neun überaus stark be-suchte Versammlungen begangen. Die Resolution, die daS Frauen-Wahlrecht fordert, wurde überall einstimmig angenommen. TieVersammlungen bilden eine prächtige Einleitung zu der rotenWoche.Nürnberg. Eine Frauenversammlung in Fürth, die am Sonn-abend abend bei strömendem Regen stattfand, war von zirka400 Personen besucht. In Nürnberg selbst werden am Montag-abend 11 Versammlungen abgehalten.Hannover. Es fanden zwei Versammlungen statt, die insgc-samt von 4—5000 Personen besucht waren, darunter die MehrzahlFrauen. Zahlreiche Aufnahmen für den Wahlverein fanden stallund viele Abonnenten für den„Volkswillcn" wurden gewonnen.Die Polizei hatte eine außergewöbnliche Macht aufgeboten; dieMassen brachen aber lediglich in ein stürmisches Gelächter aus, alssie die Menge Polizisten sahen.Magdeburg. Der Frauentag nahm einen eindrucksvollen Ver-lauf. In größeren Trupps zogen die Genossinnen der einzelnenVororte nach dem Versammlungslokal und gaben dem Straßenbildein besonderes Gepräge. Die Versammlung war von annähernd2000 Frauen besucht.Der Frauentag im Rus!anK.(Privattelcgramme des„Vorwärt S".)Wien, 8. März!9l4. Wie alljährlich wurde der Frauentagauch diesmal von den sozialdemokratischen Parteien Oesterreichsfreudig und machtvoll begangen. Von der deutschen Partei wurdendiesmal in allen Ländern Fraucnversammlungen veranstaltet. InWien, wo man sich sonst mit einer großen zentralen Versamm-lung begnügte, wurden diesmal 13 abgehalten. EL sprachen durch-gängig sozialdemokratische Abgeordnete und Gemeinderätc; in vierVersammlungen nahmen auch Frauen das Wort, um für denbürgerlia)en Stimmrcchtsvercin eine Solidaritätserklärung mitdem Kampf der Arbeiterinnen um das Frauenwahlrecht zu be-künden.An diesem Sonntag hatte auch die Wahl zu einer kaufmänni-scheu Angestelltenkassa stattzufinden. Die Wählerinnen benutztendie Gelegenheit, in geschlossenen Zügen zum Wähllokal zu mar-schieren.Im übrigen Niederösterreich wurden 34, in Lberöfterreich 7,in Salzburg 6, in Steiermark 33, in Kärnten 9, in Vorarlberg 3,in Böhmen 31, in Mähren 17 und in Schlesien 12 Versammlungenabgehalten. In Deutsch-Oesterreich kommen also zirka 200 Frauen-Versammlungen zusammen.Prag, 8. März 1914. Die tschccho- slawische sozial-demokratische Arbeiterpartei hielt in Prag im Hotel„Zentral" eine Frauenversammlung ab. Ter Abg. Genosse Nemecund die Genossin Machova. Redakteurin der Frauenzeitschrift„Zensth Lisi", sprachen. Außerdem fanden in Böhmen noch38 Frauenversammlungen stalt. Erwähnenswert sind insbesonderedie Persammlungen in Pilsen, Brüx, Bodenbach, Laua, Kladno,Tabor, Nimburz. Beraun, Junghunzlau, Königgrätz usw.Brünn, 8. März 1914. In Mähren wurden am Frauentag20 Versammlungen abgehalten, die außerordentlich gut besuchtwaren. Die Demonstrationen in Brünn selbst war außerordentlicheindrucksvoll, der größte Saal der Stadt war bis auf den letztenPlatz besetzt. Der Genossin Luxemburg wurde ein Telegrammgesandt.Zürich, 8. März 1914. Am Frauentag in der Schweiznähmen 29 Städte teil. Die Gesamtzahl der Teilnehmerinneubeträgt 4009. So waren in den Versammlungen anwesend: inZürich 400, in Basel 600, in Bern 400, in. Genf 600. Alle Versammlungen waren trotz der schlechten Witterung gut besucht. DieResolution enthält überall die Forderung des Fraucnwahlrechts,des Mutter- und Kinderschutzes, spricht ihre Sympathie der Ge-nossin Luxemburg aus und erhebt Protest gegen die Klassenjustiz.Amsterdam, 8. März 1914. In Holland wurden über 70Versammlungen abgehalten. In Amsterdam litten die Straßen-umzüge unter großem Gußregen. Die Versammlung im großenVolkspalast war überfüllt. In den Versammlungen sprachen meistFrauen, wie auch zumeist Frauen anwesend waren.�**Ein Glückwunsch.Sofia, 8. März 1914. Die sozialistischen Frauen Bulga-r i e n s senden herzliche Glückwünsche zu Euerem Kampfe für poli-tische Frauencechtc. Euer Frauentag fällt mit dem erbittertenWahlkampfe Bulgariens zusammen, an dem sich die sozialistischenFrauen durch lebhafte Agitation für den Befreiungskampf deSinternationalen Proletariat» beteiligen. T i na Kyrkow.politische Ueberftcht.Ruhe im Walde.T�er Kronprinz darf mit der bürgerlichen Presse zufrieden sein. An mehr oder minder versteckter Stelle findetsich die 5?achricht von der harten Verurteilung unseresGenossen Meyer zu drei Monaten Gefängnis. Um so ausführlicher und liebevoller beschäftigen sich die Herreit umMosse und Ullstein mit der Anwesenheit des- hohen Herrnbeim— Sechstagerennen! Wir erfahren genau, daß derKronprinz zwei goldene Zigarettenetuis für das siegendePaar und zwei Paar goldene Manschettenknöpfe(mitSchließung eigener Erfindung?) für das zweite siegende Paargestiftet bat. sowie von dem lebhaften Interesse, das er fürdiese Blüte unserer Kultur hegt. Und doch sollte man meinen,daß das Urteil gegen den„Vorwärts" für die gesamte Pressevon großer Wichtigkeit sei. Handelt es sich doch um eine ArtJustiz, die jede satirische Behandlung unmöglich tnachenwürde. Traf das Urteil gegen Lettß die politische Kritik reinpolitischer Akte mit einer Härte, die sich nur durch die Absichtder Abschreckung erklären läßt, so geht das Urteil gegen den„Vorwärts" im Grunde genommen noch weiter: es verbietetauch jede indirekte und andeutungsweise Kritik. Ginge esnach dem Geiste dieser Justiz, so wäre eine andere als einebyzantinische Beschästigung mit dem Kronprinzen schwermehr möglich.Aber eben deshalb läßt das Urteil die bürgerliche Preisekalt. Tie byzantinische Beschäftigung wird ja immer mehvdie einzige. Seitdem der Kronprinz gar während der Zabern»affäre zu Mosse und Ullstein seinen Adsudonten gesandt hat,sind ja die.Herren so von Tank für diese Aufmerksamkeit erfüllt, daß ihnen nichts ferner liegt als der scharfe Protest, znstammend, einmal einen flüchtigen Blick in das Treiben der ost-elbischen Herrenrasse werfen durste, schrieb diese erbarmungsloseAnklage, sondern eine Junkersche selber, die, Kind eines Junkers,Gattin eines Junker», unter Junkern aufwuchs und lebte, bis derWiderwille sie trieb, aus einer Welt der Verlogenheit und Heucheleizu fliehen. Anne Marie von NathusiuS— nennt man diebesten Namen der konservativen Partei, so wivd auch der NameZkathusiuS genannt. Der Großvater'Philipp von NathusiuSwarf, als die Sievolution von 1848 mit dem feudalen Unrat desMittelalters ein wenig aufzuräumen drohte, im..Voltsblatt fürStadt und Land" da» Banner des unverfälschten Krautjunkertumsaus den Tagen der Köckeritz und Jtzenplitz auf. der Bater, Herrauf Ludom, war der bekannte„Kreuzzettungs"inann, der in densiebziger Jahren die Fronde der junkerlichen Ultras gegen denkapitalistisch verseuchten Bismarck führte— die berühmten„Neuen Äera"-Artikel waren von NathusiuS wenn nicht ge-schrieben, so doch inspiriert und zurechtgestutzt. Und eine Trägerindieses hochkonservativen Ztamens kommt jetzt und bringt, um dieWorte zu brauchen, die Heinrich Votz 1793 auf seinen.JunkerHerd" anwandte,„eine Junkeridylle, die den Junkern wie englischerSenf in die Nase kribbeln wird".Eine Idylle freilich im Schmutz und in der Schande, denn diefeudalen Herren, die uns mit Sporn und Peitsche regieren möchten,stehen aus dem Bilde, das diese gute Kennerin ihres Wesens ent-wirft, als eine durch und durch verfaulte Kaste da. Der einzelneist vielleicht nicht einmal ein schlechter Mensch, aber die Klasse alssolche ist so historisch überlebt, so inhaltslos, so in ihrer widerlichenSelbstsucht verkommen, das, was in dem einzelnen ihrer Mitgliederan edlen Keime» stecken mag, rettungslos erstickt wird..Tiere inUniform und Gehrock" nennt Ann« Marie von Na t h u s i u s dieMänner dieser„ersten Kreise". Sie haben sick? entwickelt.beiDrinkgelagen, beim Spiel, in schlechter Frauengesellschafi, imrohen, stumpffinnigen Frontdienst, mit irgendeiner konservativenZeitung als einziger Lektüre, neben einigen Witzblättern und oher-flächlichen Romanen", sie sind leer und inhaltslos, für sie ist keinKunstwerk entstanden, sie haben keinen Teil an den großen Zielender Menschheit, für sie ist die Gretchsniragödie umsonst geschrieben.„Hatte mein Mann," fragt Anne Marie von NathusiuS, denn siei st die Beate von Falkenhain, der sie die Geschichte in den Mund legt,Hatte mein Mann mich jemals aufgefordert, ihm in ein gutesSchauspiel, eine Wagneroper, zu folgen? Hatte ich bei ihm, dermir meine paar Bücher entwendete, jemals gute Lektüre ge-sunden 1 Sprachen meine Hrüder von anderen Dingen, als vonPferden, Wetten, Tennisturnieren, gesellschaftlichen Skandalen,beherrschte sie eine andere Leidenschakt als das Spiel und der gutgedeckte Tisch? Waren ihre Liebes- und Ehegeschichten nicht einHohn auf alle feinen, zarten, edlen Gefühle? Wurden ihreFrauen unter ihren Händen nicht zu Zerrbildern ihrer selbst,mit dirnenhaften Gefühlen und Gewohnheiten? Was wolltendie wenigen Ausnahmen besagen?Aber sie wissen stramme Zucht zu halten, diese merkwürdigenEdelleutc. auf ihrer Klitsche wie aus dem Kasernenhof und sindskrupellose Ausbeuter eines gedrückten Landarbeiterproletariats,„Sklavenhalter dieser heimatlosen Arbeitstiere, die für besonder»guten Willen ein Glas Branntwein erhielten, um in einige» Stun-den der Trunkenheit ihr Elend zu vergessen, während der Herr Ka-Pannen aß und Pommery trank". Sie haben cven noch die Machtund sie nutzen sie unbedenklich, solange es geht— nach ihnen dieSintflut I Einen neuen Landrat soll der Kreis erhalten. Dannaber beileibe nicht den Herrn v. Gussow, der eine Ausnahme ist,denn er„baut," wie einer der Junker erzürnt hervorschnarrt,„seinenArbeitern Paläste hin, wiegelt die ganze Landbevölkerung gegenuns aus mit seiner Polksverhätschelung", aber.Tammsdorf istunser Mann! Der weiß, was dem Kreise gehört! Der ist für uns.für die Ritterschaft. Persteht auch zu repräsentieren. Ist KorvS-student gewesen, bei'ncm anständigen Rement gedient, ist im Hetz»klub und Wildsthutzverein, fährt seinen Biererzug wie kein anderer.Den brauchen wir." Und sie werden ihn schon durchsetzen, dennsie haben die Macht.In diesem Leben, das sich wie eine leere Leierkastcnmelodieableiert, werden auch die Frauen dieser brutalen Herrenmenschenzu seelenlosen und wertlosen Geschöpfen. Nur als Geschlechtstierebetrachtet, mit Tand behängt, durch LuruS verwöhnt, bringen sieihre Tage mit Klatsch und Modckram hin, und geraoe bei dentemperamentvolleren und siäderen Naturen ist verbotenes Liebes-spiel und Ehebruch ein Stück Revolte gegen schmachvolle Satzung.Denn auch hier sind die Frauen Opfer. Die eine wird von ihremMann braun und blau geschlagen und die andere mit Syphilis angesteckt, der eine heiratet ein Komteßchcn mit„Vergairgenheit".weil sie Geld hat, und der andere sucht aus der Schande seinerSchwester bare Münze zu schlagen, und sind dabei alle tadelloseEhrenmänner, preußische Edelleute, Reserveoffiziere der Gardekavallerie, Stützen des Thrones und de» AltarS— Pfui Teufel!Die Frauen aufzurufen zu ihrem Befreiungskampf, hat Annemarie von NathusiuS ihr Buch geschrieben, aber auch umzum Kampf gegen die Tyrannei unserer Gesellschaftsordnung über-Haupt auszustürmen:Bekämpft sie ohne Unterlaß,Die Tyrannei auf Erden,Und heiliger wird unser HaßAls unsere Liebe werden.Aber wenn heute auckj noch diese Kämpfepin mehr zu Nietzscheals zum Sozialismus drängt, so wird ihp tiefere Einsicht in datProblem. daS sich ihr aus aufrüttelnden Erlebnissen geformt hat,zeigen, daß dieses Problems Lösung nur im Sozialismus liegt.Wie auch die Sozialdemokratie ganz allein mit schonungsloserSchärfe den Kampf gegen jenes hochmütige und verfaulte Junker-tum führt, das die Tochter de»„Kreuzzeitungs'�ManneS mit soprächtigem Haß an den Pranger stellt. Karl Ludwig.