Nr. 71. 31. Iahrgaug.1. Keilm Ks Lmiirts" Kerl« WIliMMFreitag, 13. Mar; 19lä.Gewerkschaftliches.Arbeitslose Techniker.Die Arbeitslosi'gkeit ist eine unerbittliche Begleiterin derkapitalistischen Produktion, die an keinem Erwerbszweig undan keiner Berufsschicht vorüber geht. Auch die Privat-a n g e st e I l t e n. denen doch durch die längeren Kündigungs-fristen ein besserer Schutz geboten ist. bleiben von ihr nichtverschont. Nach der letzten Reichsstatistik erreicht der Prozentsatzder Arbeitslosenfälle bei ihnen zwar nicht die gleiche Höhe wiebei den Arbeitern, dafür ist aber die Tauer der einzelnenStellenlosigkeit um so größer, und es scheint, als ob dieseTatsache sogar in der Weise wirksam ist, daß auf den An-gestellten in Krisenzeiten nicht so sehr die Zahl der Ar-b e i t s l o s e n wächst, als vielmehr die Dauer deseinzelnen Falles.Für die Richtigkeit dieser Annahme sprechen auch die Er-gebnisse einer im Dezember v. I. in zehn Großstädten vor-genommenen Zählung der arbeitslosen Techniker.Die vom Technikerverband peranstaltete Umfrage hat 644brauchbare Fragebogen ergeben, an denen Mitglieder desBundes der tlchnisch-industriellen Beamten, des Werkmeisterverbandes und des Verbandes der Kunstgewcrbezeichner initje 25 Proz. beteiligt waren, während ein Fünftel vonUnorganisierten eingeliefert war. Tie Verhältnis-mäßig größte Arbeitslosigkeit wurde in München ermittelt,an zweiter Stelle steht Berlin. Nach Berufsgruppen ge-ordnet, war sie am größten im Baugewerbe. Nur bei23 Proz. der Befragten haben persönliche Gründe den Anlaß zuihrer Arbeitslosigkeit gegeben, bei den übrigen 77 Proz. warArbeitsmangel(Tiber 50 Proz.!), Gesck)äftsaufgabe,Konkurs und dergl. die Ursache. 29 Proz. waren über 40 Jahrealt, was daraus schließen läßt, daß in Zeiten schlechten Ge-schüstsganges die älteren Ange st eilten zuerst ab-geschoben werden. Besonders gilt dies für die Industrie,während in den kleineren Betrieben des Baugewerbes nochpersönliche Beziehungen zwischen Unternehmer und An-gestellten allzu kmsse Rücksichtslosigkeiten zu verhindernscheinen.Die durchschnittliche Arbeits! osigkeitwurde auf 120 Tage, also rund vier Monate, bei deniiber 25 Jahre alten Angestellten auf 142 Tage, also fastfünf Monate, festgestellt! Das sind gewiß beachtens-tverte Zalzlen, besonders, wenn man berücksichtigt, daß 29Kollegen, die bereits über ein Jahr arbeitslos waren, vorherausgeschieden worden sind, weil sie die Durchschnittswerte zustark beeinflußt hätten. Um von vornherein dem Einwandgewisser Scharfmacher zu begegnen, daß es sich vorwiegendum„Arbeitsscheue" handle, ist außerdem festgestelltworden, daß rund 50 Proz. der Arbeitslosen mindestense i n I a h r in ihrer letzten Stellung beschäftigt gewesen, sind,in Einzelfällen 15 bis 20. ja sogar über 30 Jahre.Ferner ergab sich, daß in der Regel die Verheiratetenmehr und länger arbeitslos waren als die Ledigen, die älterenlänger als die jüngeren, die Angestellten mit großer Familielänger als die mit kleiner Familie— alles Umstände, die derArbeitslosigkeit unter den technischen Angestellten einen rechtbösartigen Charakter geben. Ein vollständiges Bild von derungeheuren Not, die sich hinter den trockenen Zahlen verbirgt,erhält man aber erst beim Lesen der E l e n d s s ch i l d e-r u n g e n, die der Statistik beigefügt sind und von denen wiraus Raummangel leider nur wenige zum Abdruck bringenkönnen.Bautcchnikcr, 56 Jahre alt, 46 Jahre im Beruf, letzteStellung 3 2 Jahre, verheiratet, acht Kinder, seit 1. Ok-tober 1913 arbeitslos. Gekündigt wegen Ausgabe derFabrik.„Ich bin zurzeit auf die Gnade meiner Kinder ange-wiesen. Da ich nervenleidend bin, ist es für mich sehr schwer,Stellung zu finden."Architekt, 39 Jahre alt, unorganisiert, verheiratet, 24 Jahreim Beruf, letzte Stellung 2 2 Jahre, stellungslos seit dem1. Oktober 1912 wegen Konkurs.„Das Notwendigste fehlt."Bauingenieur, 59 Jahre alt, unorganisiert, geschieden,2 Jahre arbeitslos.„Zahle 16 M. monatliche Miete.Habe bereits das letzte versetzt und weiß nicht, wo ich dieMiete zum 1. Januar 1913 herbekommen soll. Schreibe zeitweiseAdressen."Bauführer, 27 Jahre alt, lcdig, im April krank aus demAusland gekommen und seitdem stellungslos.„Habe in denwenigen Monaten mehr zu kämpfen als in der ganzen Zeitmeines Auslandsaufenthaltes. Zur mißlichen pekuniären Lage— längere Zeit Herberge zur Heimat wohnhast— geselltesich die Verschlimmerung meiner Krankheit. Ich bin am 6. De-zember v. I. als halb gesund aus dem Krankenhaus entlassenworden."Hochbautechniker, 43 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, seiteinem Jahr arbeitslos.„Habe schwere Nahrungssorgen. Bin am5. 12. exmittiert worden."Tiefbauingenicur, 59 Jahre alt, verheiratet, fünf Kind e r,seit Anfang 1912 arbeitslos.„Nur durch Näharbeitmeiner Frau und einmalige Unterstützung des D. T.-V.sind wir vor dem allerschlimmsten bewahrt worden.Mehrere Dutzend derartiger Schilderungen sindda abgedruckt, immer eine noch trauriger als dieandere, und das ist doch auch nur eine Auswahl! Die„Technikerzeitung" hat deshalb recht, wenn sie zusammen-fassend schreibt: Hier findet sich alles vereinigt, was man sonstnur in den Kreisen der Elendesten unter den Proletariernsucht: Auswanderung. Mitarbeit der Frau, Offenbarungseid,Exmissionen. Inanspruchnahme der städtischen Speiseanstaltund des Pfandhauses, der Herberge zur Heimat, der Armen-Unterstützung usw. Solchem Elend gegenüber muß die Kraftder Berufsvereine natürlich versagen. Hier kann nur dasEingreifen des Staates etwas nützen und deshalbist auch diese Statistik letzten Endes nur ein neuer Beweis fürdie Dringlichkeit einer Reichsarbeitslosenver-s i ch e r u n g._öerlm und Umgegenö.Tie Ehre der Berliner Gelben.AuS Anlaß einer Betrachtung über die Art des Wachstumsgelber Werkvereine im allgemeinen und des Werkvereins derBrennaborwerke in Brandenburg a. H. im besonderen war eszwischen dem Vorsitzenden des genannten Vereins A. Weidner undder„Brandenburger Zeitung" zu einer kurzen Polemik gekommen, inderen Verlauf die„Brmidciib. Zeitung" in einer Abwehrnotiz gegeneine ihre Abonnenten beleidigende Acußerung deS Weidner mitBezug auf die während der Aussperrung auf den Brennaborwerke»von Berlin zugereisten neuen Mitglieder des Werkvereins die Be-Zeichnung„Berliner Eisbrecher" anwandte, und zwar in dem Sinne,daß erst durch die Berliner Zugereisten der solange gänzlichbedeutungslose gelbe Werkverein auf den Brennaborwerken„los-geeist", d. h. Fortschritte in seinen Mitgliederzahlen gemacht hatte.Durch den Gebrauch dieses Ausdrucks fühlten sich angeblich der Vor-sitzende Weidner und eine Anzahl weiterer gelber Werkvereins-Mitglieder beleidigt. Die Staatsanwaltschaft in PotS-dam erhob auf Antrag öffentliche Anklage gegenden verantwortlichen Redakteur der„Brandenburger Zeitung".Genossen Erich Baron, mit der Begründung, das Wort.Eisbrecher" sei eine strafbare Umgehung des Wortes„Streikbrecher".Die vom Verteidiger des Genossen Baron, Dr. Karl Liebknecht,beantragte Klageerhebung gegen Weidner wegen BeleidigungBarons, die in dem Vorwurf der unsachlichen Haltung der„Brandenburger Zeitung" enthalten war, lehnte die Staatsanwalt-s-baft, wie auch auf eingereichte Beschwerde der Oberstaalsanwaltab. Es wurde nunniehr gegen Weidner Privatkloge erhoben,die noch schwebt. Dagegen war in dem Prozeß gegenBaron auf Dienstag, den 19. März, vor der BrandenburgerStrafkammer Termin angesetzt. In der Verhandlung wurde vonBaron wie auch von Dr. Liebknecht darauf verwiesen, daß dieinkriminierte Aeußerung in dem erwähnten Sinne aufzufassensei und somit schon keine Beleidigung der Kläger bedeuten könne.Selbst aber auch für den Fall, daß das Gericht das Wort„Eis-brecher" für„Streikbrecher" nehmen könne, stelle seine Anwendungkeine strafbare Handlung dar, da zwar nach der stehenden Recht-sprechung das Wort„Streikbrecher" als beleidigende Aeußerung bc-trachtet werde, indes eine andere an sich sonst nicht strafbare Be-nennung von sog. Arbeitswilligen nicht Sirafbarkeit nach sich ziehenkönne. Um eine Verhandlungsbasis zu schaffen, sollte der Vorsitzende desGerichts zunächst feststellen, ob die Kläger auch wirklich Berlinerund somit zur Klage berechtigt seien. Da die Staats-anwaltschaft eine solche Feststellung nicht gemacht hatte und auchkeiner der Kläger im Termin anwesend war, wurde die Vertagungbeschlossen. Auf Antrag des Verteidigers sollen sämtliche Kläger.zirka 39, zum nächsten Termin geladen werden, um festzustellen, obsie sich auch wirklich beleidigt fühlen und ob sie sich beleidigt fühlenkonnten!Wie und um was sich doch nicht alles die objektivste Behördebemüht!Deutsches Reich.In der Görlitzer Möbelfabrik(Inhaber Paul Nerger) streikenseit Mittwoch früh die Tischler, Beizer, Polierer und Maschinen-arbeiter, weil der Unternehmer den bestehenden Tarif verletzte. Mitder Firma Nerger ist im vergangenen Frühjahr ein Tarifvertragabgeschlossen worden und zwar desselben Inhalts wie der Vertrag,der mit den dem Untcrnehmerverband angeschlossenen Betrieben ge-schlössen wurde. Nach diesem Tarif ist jetzt am 1. März eine Lohn«zulage von 2 Pf. fällig geworden. Die augenblicklich nicht geradegünstige Konjunktur glaubte Herr Nerger benutze» zu können, umsich über dxn durch seine Unterschrift anerkannten Vertrag hinweg-zusetzen. Von 54 Arbeitern sollen nur 33 die vertragsmäßige Lohn-zulage bekommen. Da wiederholtes Verhandeln des Fabrikausschussessowie der Organisationsleitung mit Herrn Nerger resultatlos verlief,blieb für die Arbeiter nichts weiter zu tun übrig, als die Arbeiteinzustellen. Zuzug von Tischlern, Beizern, Polierern und Maschine»»arbeitern ist von Görlitz streng fernzuhalten.150V Granitarbeiter ausgesperrt.Die Granitwerksschleifereibesitzer im Fichtelgebirge haben am9. März an die 1599 Steinmetzen, Schleifer, Säger und Hilfs-arbeiter ausgesperrt. Die Arbeiter hatten sich erlaubt, beim Ablaufdes Tarifes Lohnforderungen zu stellen. Die Unternehmer ließensich nur zu ganz unbedeutenden Zulagen herbei. Die Arbeiter imFichtelgebirge sind sehr schlecht entlohnt. Dabei hat die dortigeGranilindustrie Weltruf, denn es wird sehr viel für den Export ge-arbeitet. Die meisten Arbeiten gehen nach Belgien und Frankreich,In Granit werden im Fichtelgebirge Monumente hergestellt, diedirekt künstlerisch genannt werden müssen. Die Aussperrung erstrecktsich auf folgende Orte: Gefrees, Hof, Schwarzenbach,Seußen, Sparneck, Selb, Niederlamitz, Kaiser-Hammer, Bern eck, Bayreuth, Weißen st adt undWunsiedel.Die Unternehmer verlangten, daß der bisherige Tarif, welcheräußerst kompliziert in seinem Aufbau ist, mit den zugestandenengeringfügigen Verbesserungen ohne weiteres auf drei Jahre weiterlaufen sollte. Die Arbeiter lehnten dieses Ultimatum ab und sokündigten die Unternehmer. Die Herren haben es ans einen Kampfabgesehen, denn sie ließen sich frühzeitig bei der Dresdener Streik-versicherungS-Gesellschast ausnehmen. Die Arbeiter in den übrigenGranitschleisereien müssen damit rechnen, daß die Fichtelgebirg?«Unternehmer die Aufträge nach dem Odenwald, der Laufitz undeinigen Orten, welche an der Ost- und Nordsee liegen, überweisen.kleines Feuilleton.Die lästige Ausländerin. Am zweiten Tage deS InternationalenKongresses von 1912 war'S! Im Saale der Bnrgvogtei in Baselbegründete ein hochgewachsener Mann mit scharfgeschnillcnen Gesichts-zügen die Zustimmung zur vorgeschlagenen Resolution, in der gegenden Krieg lebhafter Protest erhoben wurde.Es war der italienische Delegierte. Wie eine herrlicheArie flössen die i, a, o, u und e im breiten Strome durch den Saal.Wie prächng das klingt, dachte ich und verließ meinen Platz amJournalistcntisch, um näher beim Rednerpult zu sein. Kaumbeachteie ich, daß nicht weit davon eine kleine Frau stand mit tief-schwarzem Haar, von echt slawischem Typus, die sich flüchtig Notizenmachte. Denn alles hing an den Lippen des Redners, der seineWorte durch leidenschaftliche Bewegungen und Gesten unterstützte.Der Italiener endete, und sofort bestieg die kleine Frau denPlatz, von dem aus die Delegierten sprachen. Der Vorsitzendeerteilte ihr zur Uebersetzung das Wort. Diese erfolgte zunächst indeutscher Sprache. In frischer, lebendiger Rede wurde derdeutschen und österreichischen Delegation übermittelt, was deritalienische Delegierte dem Kongreß sagen wollte. Es toaren rechtgute Gedanken, die wir zu hören bekamen. Infolgedessen empfingauch die Uebersetzerin lebhasten Beifall von der deutschen Delegation.die in diesem Punkte ungleich zurückhaltender war wie andereSektionen der Internationale.Jetzt kam Leben in die französische Delegation, denn derVorsitzende verkündete, daß die französische Uebersetzung folgenwürde. Und die kleine Frau blieb auf ihrem Platze.O, sie sprach perfekt französisch: die DelegiertenouS Frankreich und Belgien schienen wie elektrisiert zu sein ob dervon der Uebersetzerin übermittelten Worte. DaS war keine lieber-setzung mehr, daS war der durch die Rede des italienischenDelegierten wehende Geist der Begeisterung und der Entschlossenheit,gegen den Krieg zu wirken, den die kleine Frau in den Saal trug.Und die Franzosen klatschten und machten Zwischenrufe.Nun würde sie abirelen, dachten wir. Aber nichts von alledem!Kaum eine kurze Pause und weiter ging's im Text— sie sprachjetzt englisch. Sapperlot I Auch noch englisch. Und die nüchternenEngländer gaben ihre Freude über die Uebersetzung durch ihre lang-gezogenen Zwischenrufe kund. Der Kongreß aber war erstaunt obeiner solchen Sprachtüchtigkeit.Sie hatte geendet. Brausender, stünnischer nicht endenwollenderBeifall erscholl. Tie Delegierten des internationalen Proletariatsermaßen, was e§ beißt, wenn eine Ruisin eine italienische Rede indie deutsche, französische und englische Sprache übersetzt. Sie danttenihr aus vollem Herzen, sie bewunderten sie.Diese Sozialistin war— die Genossin Dr. Balabanoffaus Mailand, die man am verflossenen Montag aus Hanau aus-gewiesen hat. Eine Frau mit diesen Geistesgaben und solchemSprachtalent gilt in Preußen als lästige Ausländerin!Der Heldentod fürs Vaterland. Noch waren die sechzehnSoldaten, die die Lawine im Ortlergebiet getötet hatte, nicht be-erdigt, als auch schon an der österreichisch-monlenegrinischen GrenzeBlut vergossen wurde. Die bürgerliche Sensationspresse meldetein fetten Lettern von einem schweren Grenzkonflikl. und es hörtestch ganz graulich a». Oesterreich wurde wieder einmal von derMücke Montenegro schwer bedrängt. Es mußten zwecks Auftecht-crhaltung des Friedens ein paar Söhne der Schwarzen Berge ge-opfert werden.Die Ortschaft Metalka ist zur Hälfte bosnisch, zur Hälfte mon-tencgrinisch. Die Grenzlinie geht mitten durch den Ort. EinesTages verhinderten die Montenegriner eine bosnische Gendarmerie-Patrouille, einen Saumweg in diesem Drecknest zu betreten. DerBezirtsvorsteher einer benachbarten und auch sehr berühmtenOrtschaft, sie heißt Cajnica, intervenierte, aber die Montenegrinerwichen nicht. Also das Ansehen der Monarchie war schwer bedroht;und die Roten murrten auch noch wegen der sechzehnMenschenleben, die man in wahnwitziger Willkür einerLawine geopfert hatte. Es wußte etwas zur Rehabilitierung derMilitärverwaltung geschehen, und sollte es einigen montenegrinischenSchweinehunden das Lehen kosten. Ein Grenzjägerzng, dem aucheine Jnfanteriekompagnie zur Verfügung gestellt wurde, erhielt denBefehl, gegen den„Feind" vorzugehen. Es begann ein Feuergefecht,das mit dem Rückzug der Montenegriner endete. Zwei wurdengetötet, mehrere schwer verwundet und zwei gefangen genommen.Wie unschuldig und ungefährlich ist eine Lawine, wiewohl siesechzehn Menschenleben wegwischt, im Vergleich zu einer Militär-Verwaltung, die nach Taten brennt. Noch waren die Sechzehn, diesie der unberechenbare» Natur geopfert hatte, nicht beerdigt,und schon statuierte sie ein blutiges Exempel. Auch sie ging wieeine Lawine nieder. Sie fegte die Montenegriner von einem Saum-weg fort, und über das Blut, das fließen mußte, ist die Brücke zueinem neuen Frieden geschlagen worden. Und um daS Maß derhündischen Komödie voll zu machen, hat sich Montenegro entschuldigt.Der Soldat läßt sein Leben, er weiß nicht wofür und wozu, aberdas dankbare Vaterland bittet die Mörder um Verzeihung.Der Protestzug der Nackten. Eine sonderbare Nachricht koinmtaus Victoria, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Britisch-Columbia: 6999 Duchoborzen haben den Behörden kund und zuwissen getan, daß sie. wenn ein jüngst eigens gegen sie und ihreBesonderheiten erlassenes Gesetz wirklich aufrechterhalten werdensollte, nackt, wie Gott sie geschaffen, durch die Straßen der Haupt-stadt ziehen würden. Die Duchoborzen oder Duchoboren(Geistes-kämpfer), eine russische Sekte, die in mancher Beziehung an dieOuäker erinnert, haben den Regierungen der Länder, in denen siesich zu dauerndem Aufenthalt niedergelassen haben, schon genug zuschaffen gemacht. Sie betrachten sich als die Auserwählten, berufensich auf ein inneres Licht und behaupten, daß die Seele Christi inihnen wohne; darum schätzen sie auch die äußere Kirche mit ihrenPriestern und Sakramenten gering, verwerfen daS Zeichen desKreuzes und die Dreiemigkeitslehre und verweigern außerdem Eidund Kriegsdienst. Sie traten zuerst unter Peter dem Großen undder Kaiserin Anna in Moskau und anderen Städten auf. Während sieunter Katharina II. und Paul I. hart bedrückt wurden, ließ Alexander I.ihnen Duldung angedcihen und wies ihnen das Gouvernement Taurienzum Wohnsitz an. DaS Volk beschuldigte sie vielfacher Greuel und Ge-walltaten, weshalb eine scharfe Untersuchung eingeleitet wurde, diemit der Bestrafung ihrer„Engel und Apostel" endete. Sie wurdendann 1841 nach Transkaukasien versetzt und das Land wurde nachihnen Duchoborien genannt. Eine Spaltung, die 1887 unter ihneneintrat, veranlaßte einen großen Teil der Duchoborzen, nach Kanadaund Oststbirien auszuwandern. Sehr angenommen hat sich ihrerTolstoi, der ihnen, als sie auswanderten, den. Ertrag eines seinerWerke zur Verfügung stellte. Ob die Behörden von Victoria dieangekündigte ungewöhnliche Protestkundgebung gestatten werden,bleibt abzuwarten. Ein„Festzug" von sechstausend nackten Männernwäre immerhin ein nicht ganz alltäglicher Protest.Notizen.— Theaterchronik. In der Komischen Oper lvirdam Sonntag, den 15. März, nachmittags 3 Uhr Wagners Lohen-grin bei kleinen Preisen gegeben.— Kunst abend. Ein Goethe-Abend findet Sonntag,den 15. d. M., abends 8>/, Uhr, im S ch i l l e r s a a l, Charlotten-bnrg, statt. De» einleitenden Vortrag hält Dr. G. Manz. Außer-dem Rezitationen und Gesangsvorträge.— Die Neuordnung der Nationalgalerie ist jetztvollendet. Von Sonnabendnachmittag 2 Uhr an wird sich die Galeriedem Publikum im neuen Gewände präsentieren.— Alles fließt.„Die Welt ist eine andere geworden: wirin unserem Lebensalter find vielleicht nicht mehr imstande, moderneKunst zu erfassen und richtig zu beurteilen. Der Kunstgeschmackwechselt beständig. Jeder große Künstler ist ursprünglich ein Se-zessionist gewesen. DaS jüngere Geschlecht unter uns denkt undurteilt schon ganz anders als wir."Also sprach der hallische Oberbürgermeister, um seinen wegenseiner Modernität angegriffenen Museumsdireklor zu verteidigen.Ob der Oberbürgermeister ebenso„modern" denkt, wenn es sichz. B. um die Arbeitcrjugendbewegung handelt?— Einer, der s i e kennt. WerS Geld dazu hat, spielt sichheute als Mäcen und Kiinstkenner auf und macht die jeweilige Kunst-mode mit. Der alte M o n e t, der bedeutendste von den über-lebenden Impressionisten hat neulich diese Kreise gekennzeichnet. Um1889 begann der bis dahin Verkannte berühmt zu werden— unddann begann die lächerliche Uebertreibung.„Sehen Sie"— erzählteMonet—„ich erinnere mich noch an die Zeit, wo einer mit Rot undMühe 199 Franken zusammenkratzte, den Künstler aussuchte, um ihmsein Bild abzukaufen und seine Leinwand dann zitternd vor Glückmit sich nahm. Jetzt gibt man 59 999 Franken— und versteht nichtsdavon. Man erklärt die Malerei zu lieben. Ich glaube nicht daran.Ich muß natürlich mitgehen, aber oft schäme ich mich, eineungeheuere Summe für ein im Spaß hingeworfenes Werk anzu-nehmen."— DaS Alkoholkonto. Seit zwei Wochen trinkt der Stock-holmer seinen Alkohol a konto. DaS will heißen, daß seit 14 Tagendas Brattskeshstein cinaeführl ist. daS den Alkoholverbrauch dadurcheinzuschränken sucht, daß den Kunden Spirituosen nur auf«in Konto-buch hin ausgeschänkt werden. Nach all den vorausgegangenenKämpfen ist diese einschneidende Neuerung fast sang- und klanglosins Land eingezogen. Aber schon in der kurzen Frist ihres Bestehenshaben sich ihre wohltätigen Folgen bemerkbar macht.— Massenfänge eines seltenen Fisches. NiesigeFänge von echtem Petermann(Steinforelle) sind in den letzten beidenWochen von Geestemünder Fischdampfern gemacht worden, die imKattegat gefischt hatten. In einzelnen Zügen förderte das Netz 49bis 59 Zentner dieses sonst nicht sehr häufigen Fisches zutage: ver-schiedene Dampfer landeten jeder 699 Zentner in Geestemünde. DieFolge war, daß der Preis auf den dritten Teil sank.