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(5r möchte zu gern ein armes sterbenskrankes Menschenkind auf die Strohe setzen und berechnet, wenn ihm da» nicht gelingen sollte, wieviel Mark er aus dem Todesfall herausklagen kann. Der Be- scheid im juristischen Sprechsaal ist ihm ungünstig. Wutentbrannt wird er wahrscheinlich das Blatt für Zucht und Ordnung abbestellen und ein noch ordnungstüchtigeres abonnieren. B. K. 211. Wenn Ihr Sohn den Beweis erbringt, daß auch S-ie dann wird Ihr frühere» Dienstmädchen mit Ihrer Klage gegen Ihren Sohn abgewiesen. Ein liebliche» Familienidyll enthüllt diese Antwort. Vater und Sohn. Das Dienstmädchen diese Person ist natür­lich schon längst aus dem ehrbaren Hause hinausgeflogen. Wer Folgen machten sich bemerkbar. Ein Kind ist da. Ter Sohn soll zahlen. Doch mutig springt der Vater in die Bresche. Vorsichts- balber frägt er aber zuerst bei seinem Leibblatte, dem Blatt der sittenernsten Bürger, an. Die Antwort ist günstig. Vor Gericht wird der Vater seinen rettenden Eid für Sohn und Geldbeutel leisten. Die Klage des sittenlosen und verdorbenen Mädchens wird abgewiesen. Voll Verachtung gegen diese Person gehen Bater und Sohn nach Hause.??och auf dem Sterbebette wird der Vater dem Sohne ein treue» Festhalten an seinem Leibblatte empfehlen und ihn bitten, jederzeit für Zucht und Ordnung einzutreten, die besonders von dem roten Feind im Lande bedrängt werden. Malthus. Das dritte Kind ist kein Scheidungsgrund, aus­genommen Sie sind nicht der Vater Ich wette Hundert gegen Eins, der Fragesteller ist im ösfent- lichen Leben ein tüchtiger Patriot. Sein Herz bebt vor heiligem Zorn, wenn er in seinem Leibblatt liest, daß die Geburtenzahl im Reiche zurückgeht und dadurch die Wehrkraft des Volkes be- schränkt wird. Doch von seiner Frau, die schrecklich nun schon das dritte Kind bekommt, will er los. Kinderkriegen ist etwas für den Pöbel; nicht für den ordnungsliebenden Staatsbürger. A. 52. Es steht Ihnen frei, ein Entmündigungsverfahren gegen Ihren Vater zu beantragen. Ob aber das Gericht in der Tatsache, daß Ihr Baier sich wieder verehelichen will, einen ge- nügenden Grund zur Entmündigung erblickt, erscheint äußerst zweifelhaft. Der gute Sohlt fürchtet um sein Erbe. Schnell frägt er an, ob er seinen Vater entmündigen lassen könne. Der Vater fflhlt sich körperlich noch rüstig genug, um wieder zu heiraten. Das muß der Sohn verhindern. Zu was sind die Gerichts da. Der Alte ist geistesschwach, wenn er das Erbe seines Sohnes schwächen will durch eine Wiederverhciratung mit ihren Folgen. Leider muh ihm sein Leibblatt eine Antwort geben, die ihn nicht ermuntert. Wird er den Versuch machen? Es ist nicht sicher. Sicher aber ist: Er wird Beifall zollen, wenn sein Blatt den schönen Satz schreibt: »Tie Autorität muß ausrecht erhalten werden, die Autorität der Eltern, der geistlichen und weltlichen Obrigkeit und die Autorität der Gesetze." Pcrcat. Das Arbeiterrecht, das sich herausgebildet hat, iit nicht entstanden aus einem sittlichen Reckitsanspruch heraus. Es wurde durch den Terrorismus und den Zwang, den eine frech gewordene Klasse ausübt. ES ist mithin nur ein Notgesctz, um schlimmeres zu verhüten. Unserer Meinung nach wäre es besser gewesen, den unberechtigten Forderungen der Arbeiter die ent- schlossene und doch besonnene Autorität der Staatsgewalt ent- gegenzusetzen. Wir können Ihnen keinen Rat geben. Es kommt darauf an, ob Sie Richter finden, die wissen, daß der Zweck aller Justiz sein muß, die Autorität und die bestehende Ordnung zu erhalten. Was der Pereat-Frager pereat bedeutet: nieder mit ihm! gefragt hat, läßt sich zwischen den Zeilen lesen. Er wird ge- fragt haben: Wie breche ich Arbeiterrecht? Die Antwort dieses Blattes für Thron und Altar, für Gesetz und Recht ist klar und unzweideutig. Sie braucht keinen Kommentar. Lächelnd lege ich die Zeitung weg. Ich habe einen tiefen Blick in den Geist und das Wesen der Leser dieses Blatte» getan und einen ebenso tiefen Blick in den Geist des Blattes selbst. Sage mir, wer dich liest, und ich sage dir, wer du bist. Tic Leser sind ihres Blattes würdig, und das Blatt seiner Leser. Und zu- sammen sind sie würdig, für eine Ordnung und Zucht, für eine Gesellschaft und deren Zustände, die nichtswürdig sind, zu kämpfen. das Sexualproblem öer Jugenö. In der deutschen Studentenschaft regt sich neues Leben. In die dumpfe Stickluft von Tabaksrauch und Alkoholdunst, die jähr- zehntelang die deutschen Universitäten umnebelte, fegt von vor- schiedenen Seiten her ein hoffnungsfrohcs Lüftchen edleren und wertvolleren studentischen Tuns. Dem selbstgefälligen Strebertum, der schwarzweißroten Ideologie der Karriereschnaufer, dein faulen Das Kreisblatt. Was ist ein Kreisblatt? Beginnen wir mit dem Wichtigsten. Das Kreisblatt ist in erster Linie ein Organ, in dem gut ent- wickelte Ferkel zum Verkauf angezeigt werden. Man erfährt hier ferner, daß der berühmte DeckhengstGloria" für fünfzig Mark in fruchtbare Tätigkeit tritt, wohingegen, wenn er sich nur ein erfolgloses Vergnügen macht, zehn Mark zu entrichten sind. Es ist auch nicht richtig, was manche Leute behaupten, daß sich auf dieser Eselswiese das Leben beschaulich und ohne alle Emo- tionen abwickelt. Ich beobachtete erst in den letzten Tagen einen hochdrcnnatischen Kampf zwischen besten, allerbesten und herrlichsten Kunstbuttersorten, die sämtlich von fetter Sahne trieften, und er- fuhr mit Staunen und Bewunderung, daß man sich mittels der verschwenderisch ausgestreuten Rabattmarken eine ganze Küchen- einrichtung gratis zusammenbuttern könne. Aber neben dem dra- matischen fehlt auch das rührende Element nicht. Herr Müller aus Zwetschgendorf gibt zum Beispiel bekannt, daß er sich eines Wasser- stiefels väterlich angenommen habe, der einsam und verlassen auf der Landstraße stand und allein nicht heimfinden konnte. Herr Müller will ihn dem Verlierer gegen Erstattung der Jnsertions- kosten ausliefern und fügt, weil das dann in einem bezahlt wird, hinzu, daß er einen Heuhaufen und eine Egge zu verkaufen habe. Es werden natürlich auch Hühnerhunde, Kaninchen, Tapeten, Salz- Heringe, Brustkaramellen und so weiter angepriesen, womit auf die Reichhaltigkeit des Kreisblattes hingedeutet sei. Und es ist nicht uninteressant, zu lesen, daß Frau Lehmann eine böswillige Be- leidigung reuevoll zurücknimmt undsie" gleichzeitig für höchst ehrenhaft erklärt. Ucberhaupt scheint es unter den Kreisblattlesern auch weniger harmlose Gemüter zu geben; denn Herr Meier ver- kündetallen geflügelbesitzenden Nachbarn zur Warnung" und mit drohenden Worten, daß er auf seinem Grundstück Giftll! gestreut habe. In die dunklen Abgründe sonst in erster Linie großstädtischer Verbrechen und detektivischer Gerissenheit aber führt jene Anzeige von dem Damenjackett, das auf einem Kriegerball spurlos ver- schwand.Wenn die Person sich nicht innerhalb drei Tagen meldet, wird Anzeige erstattet, da sie erkannt ist!!!" Hoffentlich kommt sie zur Einsicht. Es ist nicht ganz unrichtig, zu sagen, daß das Kreisblatt auch einen textlichen Teil habe,«o findet man in dem lokalen Teil häufig so aufregende Mitteilungen wie die, daß der Postassistent Krüger von Oberftrammwitz nach Niederstrammwitz versetzt worden Herumlottern auf Kosten väterlicher Staats- und Börsenpapiere tritt neuerdings in bescheidenen Anfängen noch, aber erkennbar! der ernste Wille zum Studium um des Studiums willen, ein reges soziales Empfinden und der Versuch praktischer Mitarbeit in öffentlichen und privaten Organisationen der Gesellschaft entgegen. Und das an vielen Orten zugleich und ohne unmittelbare Ver- Bindung miteinander! Gerade darin darf man eine besonders starke Bürgschaft für den Ernst dieser neuen Ansätze und Keime erblicken, daß sie weder von irgendeiner überlieferten Autorität mit allem verfügbaren Druck von oben her in die Studentenschaft hinein- getragen worden sind, noch als Ergebnis pompöser Aufrufe mit den obligaten Unterschriften titelreichcr Männer und Frauen Plötz- lich überall als reklamehaste Modesache austauchen. In die breite Oeffentlichkeit dringt nur wenig von diesem neuen Ringen. Dazu ist es zu sporadisch und in seiner Betätigung noch zu verschieden- artig und unsicher. Es tastet erst überall nach den richtigen Wegen und den richtigen Methoden. Einzelne Sucher finden sich mehr zufällig als absichtlich zusammen und bilden eine kleine, aber eifrige Diskussions- und Arbeitsgemeinschaft. Die einen suchen in den studentischen Arbeiterunterrichtskursen ein Feld ihrer Betätigung; andere wollen in unmittelbarem Zu- sammenwohnen mit Arbeitern deren Gedanken- und Gefühlswelt kennen lernen und dabei zugleich die Arbeiter an ihrem Borteil der besseren formalen Bildung teilnehmen lassen und durch Woh- nungskultur und künstlerische Ratschläge anregend wirken; wieder andere beschränken sich auf akademische Erörterung sozialer Theorie| und Praxis; noch andere bemühen sich auf sonstigen Wegen gesell- schastlicher Regeneration ihren Studentenjahren mehr Inhalt und Tiefe und nachhaltigere Erinnerungskraft für daß spätere Leben zu geben. Nicht alles ist richtig, manches ist sogar falsch und bedenklich. Aber der gute Wille und der Ernst der oft nicht bequemen Be- tätigung dieses Willens verdient Anerkennung. Er erhebt sich turmhoch über die wüsten Orgien studentischen Kraftüberflusses, die nach Herkommen und Silte einen erheblichen Bruchteil der Studien- jähre ausmachen. Eine ebenso schwierige wie wichtige Frage des Studentenlebens behandelt in einem kürzlich bei Eugen Drederichs in Jena   erschie­nenen Schristchen der Student Eduard Heimann  :Das Sexualproblem der Jugend" nennt er sein ehrliches Selbstbekenntnis, durch das er Freunde und Mitkämpfer für eine Veredelung des Sexuallebens der Studenten werben will. Der Titel des Schriftchens entspricht dem Inhalt nur in bedingter Form. Man erwartet eine Darlegung sozialer, ethischer und hygienischer Faktoren, eine Behandlung des komplizierten Problems vom Grunde aus; aber der Leser findet statt dessen eine geistvoll und begeiste- rungsvoll durchgeführte Begründung einer einzelnen Forderung, der Forderung grundsätzlicher vorehelicher Keuschheit des Mannes, besonders des Akademikers. Eduard Heimann   ist darum kein Sitten- und Splitterrichter und noch weniger ein griesgrämiger und altkluger Weiberfeind. Nur die vollste Hochachtung vor der Frau als Kameradin, Lebens- gefährtin und Mutter führt ihn zu seiner strengen Forderung. Wie alle jungen Männer, die im elterlichen Hause in innigster Per- ehrung der Mutter und in Erfüllung ritterlicher Pflichten gegen die Schwestern erzogen worden sind, in ihrem vorehelichen Sexual- leben die schwersten inneren Kämpfe durchmachen, so hrt auch Hei- mann allem Anscheine diese Kämpfe erlebt und sie für sich zunächst im Sinne strengster sexueller Abstinenz entschieden. Dazu kommt ein Neues. Während früher von rückständigen Eiferern gegen die Zulassung der Frauen zum Untversitätsstudium die Gefahr der sittlichen Verwilderung von Studenten und Studen- tinnen an die Wand gemalt wurde, scheint sich für ernstere Eharak- tere auS dem gemeinsamen Studium gerade die umgekehrte Folge zu ergeben. Heimann schreibt:Tatsache ist jedenfalls, daß mit dem Einzug der Frauen in die Universttät der Beginn von etwas Neuartigem zusammenfällt: eine bisher unbekannte und darum älteren Leuten vielfach bedenkliche enge Kameradschaftlichkeit zwi- schen den Geschlechtern, eine steigende Wertschätzung der Frauen bei den jungen Männern und als unmittelbare Wirkung hiervon eine rigorose Tendenz zu sexueller Abstinenz vor der Ehe... Je enger aber dieser kameradschaftliche Umgang, je tiefer die gegen- seitige Kenntnis, je inniger das freundschaftliche Vertrauen, desto mehr drängt sich den jungen Männern die Forderung der Keuschheit als eine strikte Notwendigkeit auf; denn, wie die Motivation durch- gängig lautet:Sonst müßte ich mich ja vor diesen Mädchen schämen!" Am unbequemsten ist für Heimann der medizinische Einwand, mit dem er auch nicht restlos fertig wird. Daß die strenge Jnne- hallung der Keuschheit in den Iahren stärksten sexuellen Garens sei zum Bedauern der Oberstrammwitzer, die in ihm einen leutseligen Beamten verehrt hätten. Oder daß der Schimmel des Fuhrherrn Heuer neulich beinahe ein Bein gebrochen hätte, weil er mit dem Huf in ein Straßenloch geriet. Oder daß dem Wege- arbeiter Langheinrich nach fünfzigjähriger Tätigkeit auf Aller- höchsten Befehl das Allgemeine Ehrenzeichen verliehen wurde. (Vom Kronenorden an werden solche Mitteilungen im Druck hervor- gehoben.) An der Spitze des Kreisblattes stehen die amtlichen Bekannt- machungen, die besonders von den Apothekern gehaßt werden, weil sie dem Absatz von Schlafmitteln hinderlich sind. Tann kommt der humoristische Teil, der mitPolitik" über- schrieben ist. Seine Aufgabe besteht in erster Linie darin, täglich festzustellen, daß die Welt, die bekanntlich von den Hohenzollern  und den Landräten im Lot gehalten wird, durchaus einwandfrei eingerichtet ist; daß alle Regierenden und besonders die Landräte sich in übermenschlicher Selbstverleugnung und mit dem Aufwände beispielloser Weisheit für die Leser aufopfern, und überhaupt: daß diese Leser dämliche Untertanen sind. Tics ist auch der Grund, weshalb sie die behördlichen Subventionen für das Kreisblatt in ihren Steuern mitbezahlen dürfen. Wer sich darüber oder wer sich überhaupt ärgert, ist ein Sozialdemokrat. Von diesem Sozialdemokraten steht ein Modell in der Re- daktionsstube: ein dreckiger, versoffener Kerl mit Ballonmütze, rotem Taschentuch, Ziegenhainer und Schnapsbuddel, der entweder Gotteslästerungen oder MajcstätSbeleidigungen von sich gibt, wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist, in großer Heimtücke Bomben unter die Throne zu schieben. Es ist zwar schon ein wenig alt und verstaubt, dies Modell, Gott ja. Aber ein besseres ist noch nicht er- funden, und der Herr Landrat   ist überhaupt kein Freund von Neuerungen. Und wenn man es den verehrten Lesern und den lieben Leserinnen immer wieder, immer wieder vorführt, stellen sich die Ergebnisse einer Zwangshypnose ein. Ueberhaupt ist es ja die wesentlichste Aufgabe eines KreiSblaiteS, an der bestehenden Ordnung nicht rütteln zu lassen, vielmehr sie mit allen Mitteln zu stützen. Deshalb füllt es seine Textspalten vor allem mit militä- rischen und höftschen Tingen und schleimt jeden Würdenträger an. Das war schon immer so und bleibt so. Und vielleicht heißt das Kreisblatt nur deshalb so, weil es sich ewig im alten Kreise dreht. Aber halten muß man es doch. Erstens wegen der Ferkel und so. Und dann auch für die Hausapotheke: als Brechmittel. Tic. zu ernsten nervösen Störungen führt, will er den vielen und ernsten ärztlichen Bekundungen gegenüber nicht bestreiten, aber er hilft sich mit der gewaltsamen Logik, daßGesundheit zwar ein sehr wich- tigcs Mittel, aber darum noch lange nicht der Zweck des Lebens ist," und durch die nicht minder gewaltsame H>ipothese:Wer sich und fein Erleben durch Keuschheit steigert, wird vielleicht weniger leisten als mancher andere, aber besseres." Auch dem Verfasser kommt es im gewollten und scharf betonten Gegensatz zur moralischen Duckmäuserei gerade auf daS stärkste sexuelle Erleben an, das er aber nur von der Einehe bei vorher- gegangener strengster vorehelicher Keuschheit erwartet:Denn ein köstliche» Gut ist die Keuschheit, die sich auft'part, um die Weibe einer großen Stunde zu vermehren." Er ist aber ehrlich genug, selbst die Fälle wenigstens anzudeuten, in denen auch, entgegen seiner Behauptung.Unkeuschheit" und außerehetiche Verbindung zum stärksten seelischen Erleben führen könne: bei Künstlern will er toleranter sein, weil bei ihnen auch durch die Wiederholung das Erleben nicht abgestumpft werde, Goethe wird deshalb auch von ihm mit anderem Maß gemessen. Aber gerade mit der Zulassung dieser Ausnahme entwertet er seine übrigen Deduktionen. Tie Künstler sind nicht eine so streng abgeschlossene Menschengattung, daß man für sie besondere Moral- und Sexualgesetze aufstellen darf. Wir sind gerade gegenwärtig drauf und dran, durch die Reform der Erziehung das Künstlerische in jedem Nienschen zu wecken, ohne daß eS bei jedem einzelnen zu künstlerischer Tat kräftig genug zu werden braucht. Aber künft- i lerische Anlagen sind in jedem Menschen mehr oder weniger vor- Händen, also gegebenenfalls mehr oder weniger auch das von Hei- mann dem Künstler zugeschriebene besondere Sexualempfiltden. In der strengen Forderung zeitlicher sexualer Askese liegt nicht das Interessante des Heimannschen Büchleins, auch nicht in seiner Begründung. Was das Buch aber zu einem sympathischen Beitrag der modernen studentischen Literatur macht, daS ist der Geist, aus dem heraus es entstanden ist; das ist die Tapferkeit und Offenheit, mit der ein Jüngling für eine These eintritt, von der er von vornherein wissen mußte, daß sie seine Kommilitonen fast ausnahmslos ablehnen, wenige mit Ernst und Sachlichkeit, die meisten mit höhnsicher Besserwisserei und faulen Witzen; das ist endlich auch die Stärke der Selbstüberwindung, die sich in der Innehaltung eines derartigen freiwilligen Gebots äußert. Denn Heimann gibt zum Schluß zu verstehen, daß ihm und seinen Mitkämpfern ihre Art. das Leben einzurichten, oft schwer genug werde und daß mancher von ihnen besiegt dahinsinke. Aber man dürfe nicht jammern, denn man kämpft für eine gute Sache: für die Ehrfurcht vor den Frauen, für die Heiligkeit der Liebe, für die Größe des Lebens". H. Lest. vom Jahrmarkt öes Lebens. RuWfch frisierte Weltgeschichte. Einzelnen Lehrbüchern für preußische Volksschulen merkt man an, daß ihre Verfasser Eewissensskrupel empfanden, wie sie sich über unangenehme Situationen der Weltgeschichte, als da sind: die Regierungszeit Friedrich Wilhelm II.  , die große französische   Re- volution und die deutsche Revolution, im staatSerhaltendcn Sinne hinweghelfen sollten, ohne die geschichtliche Wahrheit allzusehr zu verbiegen. Im allgemeinen hat man sich damit abgefunden, den Dynastien unbequeme Dinge möglichst auszumerzen; über so delikate Sachen, wie die Köpfung Ludwig XVI  . und die wüste Wirtschaft deL dicken Preußenkönigs aber kein Wort zu verlieren. Da sind die russischen Geschichtsschreiber doch ganz andere Kerle» So wird beispielsweise in einem Lehrbuch der Welt- g e s ch i ch t e, herausgegeben von dem Historiker I l o j a w s k i, daS vornehmlich an russischen Gymnasien in Gebrauch ist, die Zeit der großen französischen   Revolution und das Kaiser­reich also dargestellt: Ludwig XVI  . war ein friedlicher und milder Herrscher. der in seiner langen Regierungszeit mit besonderem Geschick tüchtige F i n a n z m i n i st e r zu finden wußte. Bon seinem Volke verehrt und geliebt, entschlief der hoch betagte Monarch nach einer glorreichen Regierung plötzlich am S ch l a g s l u ß. Ihm folgte sein Sohn Ludwig XVII.  , der mehrere Kriege führen mußte, in denen sein Feldherr, der königliche Marschall Napoleon Bonaparte  , einen großen Teil Europas   für seinen König eroberte. Napoleon   mißbrauchte aber seine Macht und mackzte den vergeblichen Versuch, sich gegen die recht- Einer öer vielen. Es ist das Lied der großen Stadt- Alle Töne sind darin: Haß, Aufruhr, versteckter Grimm, Hohn, Leid, Hunger und die furchtbare Schar der Siechtümer; aber auch die lebentragenden: Stolz, Selbst- Bewußtsein, das frohlockende Schnaufen über erreichte Ziele, das anfeuernde Vorwärts, der Trommelschlag der Hoffnung, die Jahnen der Sehnsucht und das verstehende, alles befreiende Lachen einsamer Denker; auch die lebcnzeugcnden: der warme Blick, die streifende Liebkosung, das heimliche Warten, die Schauer eroberter Be- rührungen, das Glück verbotener Wege und die grausame, nieder- reißende und doch alles erbebende, alles überwältigende Liebe. Ter müde Wanderer bört nichts von diesen ihn in wahnsinniger Schnelle umkreisenden Akkorden, die sich mit dein Weltatem ver- mischen. Ilm ihn braust der Sturm der Stille, Wohl sieht er die ragenden Fabriken, diese Riesenhöblen menschlicher Tätigkeit und menschlichen Elends, wohl siebt er die schaffenden Hände von Hunderttausenden seiner Genossen, wohl überschaut er das un- geheure, den Blick gewinnende Getriebe, das allfältig Kraft braucht, und das doch ihn, den Grauhaarigen, nicht mehr Leistungsfähigen, ausschloß. Er greift mit einer hellen Röte im Gesicht an seine Tasche. Aber die wenigen Pfennige, die drin liegen, werden nicht mehr; die harte, trockene Brotkruste wird nicht weich und beißbar. Er kommt an den Strom, der unter der hohen, schwebenden Brücke dahinfließt. Er schaut in die Strömung, die unaufhaltsam nordwärts treibt, wertenden Meeren zu, und die letzte tzofsnuug fällt aus seinem annseligen Leben. In allen Adern spürt er die Kälte der Verlassenheit. O unberechenbares Leben, du fließendes Heer! Aus tausend Oucllcn nimmst du, aus tausend Ouellen verschwendest du und giost niemals Rechenschaft. Wie du endest, ob du verspritzest in den rasend sich drehenden Turbinen, ob die Sonne dich aufsaugt noch während der Wanderung, oder ob du Gras netzest und fruchtbare Kräuter, was ist der linterschied- Ein Gemeinsames nur bindet: du bist gewesen! Frag nicht woher, frag nicht wohin. Das sind Fragen ins Wesenlose, Narrheiten. Aus Quellen gehst du. in Meere mündest du; einzig was dazwischen liegt, ist dein: der Weg. Selbst die ewigen Sterne kennen keine andere Antwort, selbst die ewigen Sterne können nur Spiegel sein. Ob dbr alte Mann dies alle» bedachte? Keine Seele weiß es. Nur ein eilig heimhastender Mensch sah, wie er sein schmieriges Bündel fortwarf und über die Geländer sprang. Ein nasses Auf- klatschen? ein heller Schrei! Was sucht ihr mit Lichtern? Was steht ihr und haltet Gr- spräche? Was nützt das �schifflein, das ihr ihm nachjagt? Laßt ihn! Laßt ihn, er ist frei!. Eure Lichter kommen zu spät. Es ist daS Lied der großen Stadt, der täglich sich tausendmal wiederholende Ausschrei des Lebens. Oskar Wöhrle.