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Bald nachdem der Zug den Bahnhof der Paris Lyoner Dahn verlassen hat, tritt der Frühling auf beiden Seiten der Strecke an uns heran. Weiß und rosig blühende Obstbäume. Pappelreihen an Landstraßen und Wafserläufcn, Weiden auf lichten Fluren, Land- Häuser und Villen, deren Nüchternheit in der sonnedurchtränlten zitternden Luft.Harmonie wird. Ter unglückselige Stadtmcnsch, der die Natur einen so großen Teil des Jahres nur in Büchern und Bildersälen genießt, denkt an eine Kollektivausstellung von Sisley. An anmutig gelegenen Vororten geht es vorüber, an dem durch vergossenes Arbeiterblut zu trauriger Berühmtheit gekommenen Billeneube-St.-Gcorgcs, an Draveil, iro Paul und Laura Lafargue ihr Leben beschlossen. Tie Gegend wird allmählich ländlich. Gut gepflegte Bauernhöfe sonnen sich zwischen Obst- und Gemüse- gärten, Hennen laufen mit ihrem kleinen Volk umher, da und dort weiden Kühe und Ochsen. Ter Schlehdorn blüht, die Birken schimmern. Die Zweige der Kastanien entsenden eine Fülle satteren Grüns, auf den Wiesen sind die Goldstücke deS Löwenzahns aus- geschüttet. Die Landschaft ist von einer Mozartschen Süße und Heiterkeit. Eine mitfahrende Dame sagt alle fünf Minuten zu ihrer Mutter:.Ja, das franchsische Torf nichts ist so schön tvie das französische Torf." Als ob sie ihren Patriotismus in das große Buch der Natur ebenso einschreiben wollte wie in das große Buch der Staatsschuld. Nein, Madame, der Frühling ist auch in den Dörfern anderer Länder unvergleichlich schön. Mutz denn der- glichen werden? Der Wald von Fontaineblcau bringt ernstere Töne. Noch stehen die Bäume kahl. Tie noch mittäglich scharfe Sonne löst das Gewirr der Geäste in einen braunen Dunst auf. Dörfer und Städtchen lagern um alte Kirchen. Auf den Landstraßen vor den Ortschaften wandeln gemächlich feiertäglich geputzte Menschen. Sie stehen wartend an den Bahnübergängen viele Osterurlaubcr darunter, mit Eltern, Geschwistern und den Herzliebsten. So geht es, durch weite Ebenen und hügeliges Gelände, ins Departement Micr. In M o n l i n s müssen wir aussteigen. Eine Verabredung mit dem Genossen Charles Dumas, Deputierten und neuerlich Kandidaten von La Palissc, ruft uns für Montagmittag nach dem Städtchen Le Toiijon, und wir müssen in Moulins in den Per- sonenzng umsteigen, der uns in If- Stunden nach VarenneS sur l'Allier bringen wird, von wo ein Bähnle nach dem Tonjon führt in unangenehm großen Intervallen allerdings. Denn der nächste Zug geht erst am anderen Morgen ab. Tie Verkehrsverhälinisse gehören zu den minderen Annehmlichkeiten des Reifens in Frank- reicb. »* Einundeinhalb Stunden Aufenthalt in Moulins reichen zu einer Besichtigung des Orts aus. Eine alte Bezirksstadt, mit einer stagnierenden Bevölkerungsziffer von etwa 15 000. In den engen Gäßchen Feiertagsstille. Auf schön bepflanzten Esplanaden ver- einzelte Spaziergänger. Mehrere ansehnliche Gebäude. Ein Theater, das wohl aus dem Anfang deS 19. Jahrhunderts oder ans dem ausgehenden 18. Jahrhundert stammt. Die Kathedrale ist sehenstvert. Das von Viollet Le Tue angebaute Schiff mit den ztvci Frontaltürmeu ist zu den glücklichen stilistischen Anlehnungen zu rechnen. Es ist 0 Uhr abends. In der Kirche sind nur zwei alte Frauen und ein jüngerer Mann, der vor einer Altarkapelle kniet. Hat die in der letzten Woche so strapazierte Frömmigkeit am ausklingenden Ostersonntag ihre Ruhezeit begonnen? Indes hat die Kirche überhaupt in dieser Region wenig Macht über die Gemüter behalten. Das Gebiet des Departements Allier ist immer ein Rebellenland gewesen. In der ausgehenden Römer- zeit ist hier der Bauernsturm der Bagauden durchgebraust. Un- geschwächt lebt der alte Haß zwischen Schlotzherren und Bauern fort. Die Landleute des Allier sind stets an der Spitze der französischen Demokratie gezogen, ihr revolutionärer Instinkt hat sie früh mit der politischen Gleichheit die soziale Gerechtigkeit fordern lassen. 1818 versammelte ein Baucrnbankett in St. Leon ihrer viele Hunderte unter roten Fahnen, die die InschriftTod den Reichen" trugen. 1810 wählten sie den Vorkämpfer der radikalen Republik Ledru-Rollin zu ihrem Deputierten. Nach dem Staatsstreich des Louis Bonaparte rotteten sie sich zu Tausenden zusammen, um die Republik zu verteidigen, und diegemischten Kommissionen" des Usurpators haben Unzählige zur Deportation verurteilt. Auch der infamen Hetze, die die ganze Bourgeoisie nach der Nieder- werfung der Kommune gegen die Anhänger der revolutionären Ideen veranstaltete, haben sie wacker standgehalten und sofort 2000 Stimmen für Anhänger der verfemten Anschauungen ab- gegeben. Und als in den Tagen des10. Mai", da Mac Mahon am Staatsstreich arbeitete, die Republik in Gefahr war, kamen 3000 Bauern auf den Feldern bei Montlu�on zusammen, um mit Flinten und Sensen nach der Hauptstadt zu ziehen. Heute aber wenden sie sich in immer wachsender Zahl der geeinigten sozialistischen Partei zu. Das Departement Allier hat 6 Deputierte. Zwei Wahlkreise die von Montlueon find stark industriell, vier ganz ländlich. Von den Wahlkreisen von Montlu?on ist der eine das letztemal der Partei verloren gegangen, wird aber voraussichtlich von seinem alten Deputierten. Genossen C o n st a n s, diesmal zurückgewonnen werden. Den anderen, für die Partei sicheren, vertrat Genosse Thivrier, der Sohn des berühmtenDeputierten in der Bluse". Von den vier ländlichen Wahlkreisen waren drei sozialistisch ver- treten: die beiden von Moulins (Deputierte: Mille und Bri- zon) und La Paliffe(Deputierter: Dumas). Der Kampf spielt sich in diesem Departement eigentlich nur noch zwischen dcn radi- kalcn Republikanern und den Sozialisten ab. Tie Schlotzherren haben ihre früheren Terrorisierungsvcrsuche angesichts ihrer Nutz- lofigfeit im allgemeinen aufgegeben, und dieLiberalen " trachten nur, die paar tausend Wähler, die ihnen durch Klasscnlage, persön- liche Interessen oder Tradition erhalten geblieben find, beisammen- zuhalten und ihren Einfluß bei der Stichwahl geltend zu machen. La Palisse ist ein winziges Landstädtchen, wie übrigens auch Le Donjon, der Ort des Stelldicheins und die anderenStädte" des WahTreises eine einzige ausgenommen: Vichh, den be- rühmten Badeort. Alle anderen größeren Gemeinden haben so um zwei- oder dreitausend Einwohner herum. Ihre Bevölkerung be- steht aus Klcinkrämern. denen es infolge der Konkurrenz der Pariser Warenhäuser und Filialgeschäfte immer schlechter geht. gedrückten Handwerkern, Landarbeitern. Kleinbauern und den Ar- beitern der über die Gegend zerstreuten kleinen Kohlengruben, Fabriken für landwirtschaftliche Geräte, Mühlen usw. In vielen Orten blickt ein Schloß, in historischer oder aufgeschminkter Feudal- Herrlichkeit, über hohe Mauern feindselig auf die niedrigen Bürger- Häuser. Der Zug, der mich am Moniagvormiiiag nach Le Donjon bringt, ist vollbesetzt von Landleuten. Männer und Frauen sind fast alle sehr sauber gekleidet. Nur ein furchtbar geschwätziger, sichtlich schon schwachsinniger Mer, der anscheinend die Hälfte der Reisenden kennt, aber auch die andere mit allen möglichen Fragen belästigt, macht darin eine Ausnahme. Man spricht über daS Wetter, über VerwandtfchaftSangelegenheiten und lokale Ereignisse. mit einem Soldaten über Regimentserinnerungen aber gar nicht über Politik. Auch nimmt während der ganzen Fahrt niemand ein bedrucktes Papier vor Augen was jemandem sehr auffallen muß, der früh und abends auf der Pariser Untergrundbahn die ZeitnngSmanie der Passagiere zu sehen bekommt. Tie Bersammlung in Donjon ist zur Zeit meiner Ankunft beendet. Ich treffe Genossen DumaS mit einem Pariser Freund und Parteigenossen beim Mittagessen. An der WirtStafel sitzen ihnen gegenüber noch zwei Herren. Nach der Begrüßung richte ich an DumaS die Frage, wie der Besuch der Versammlung gewesen sei. Ich sehe einen Augenblick etwa» wie Verlegenheit auf seinem Gcücht. Habe ich mit meiner harmlosen Frage irgend etwa? DummeS angestellt? Der jüngere von den Herren gegenüber lacht: Ach, wir haben doch keinen Grund, Verstecken zu spielen." Und der ältere, ein rüstiger, gesund aussehender Mann, mit dem TypuS deS Gutsbesitzers, stimmt fröhlich ein:Wir kennen uns ja schon, Herr DumaS, vom vorigen Male, wo ick meine Wähler für Sic zur Urne geführt habe... Das Eis ist derart durch meine Un- Vorsichtigkeit gebrochen und Duma? stellt mir seinen liberalen Gegenkandidaten vor. Damit ist die Steifheit überwunden, die sonst über dieser gemeinsamen Mahlzeit gewaltet hätte, und bald ist eine ungezwungene Unterhaltung im Gang. Die Wahl- kampagne hat zwischen den beiden Gegnern keine Gehässigkeit ge- schaffen, die sie ausschlösse oder einen zynischen Zug in die jetzige Gemütlichkeit brächte. Mag sein, daß seine Aussichtslosigkeit dem Kandidaten der Reaklionärc erleichtert, seinen Feldzug loyal zu führen. Er macht aber auch sonst einen sympathischen Eindruck. durchaus nicht den eines hochmütigen Junkers oder eines Fanati- kers. Uebrigens berührt das Gespräch nicht die Politik. Ter in seiner provinziellen Einschicht sitzende Herr möchte z.?. von dcn Parisern wiyen, wie eigentlich dieTango-Farbc" aussieht. Freundlich ja liebenswürdig ist auch der Abschied.Biel Glück den Umständen angemessen", wünscht Genosse Dumas seinem Gegner.«Viel Glück, unter allen Umständen", sagt der liberale Zählkandidat. Der Haß gegen die Radikalen verbindet sich mit der Ritterlichkeit des galanten Zeitalters. Man erinnert sich an das verühmte:Schießen Sie zuerst, meine Herren Engländerl" «-* £ Der Wagen, der uns zur Wählerversammlung in I a l i g n y, einem etwa 10 Kilometer entfernten Ort, bringen soll, ist schon eingespannt. Aber Dumas hat noch eine ganz besonders imer- essanie Bekanntschaft für mich vorbereitet. Er fiihrt einen kleine:!, beweglichen, alten Herrn in die Wirtsstubc. Nach seinen blühenden Wangen, seiner Rüstigkeit und nach den lebhaft und fröhlich durch eine Brille blickenden Augen möchte man ihn für einen gut- konservierten Mann am Ende der Sechziger, vielleichr für eine:'. Siebzigjährigen halten. Aber es ist der älteste Sozialist Frank- reichs, ja sogar der Nestor der ganzen sozialistischen Internationale. Genosse Prevcrcau. Ter jugendliche Greis erzählt mir aus seinem romanhaft be- wegten und rcicherfüllten Leben. Ein Kind des Departements er ist dort begütert war er von früher Jugend auf begeistcner Anhänger der revolutionären Ideen. An der Revolution von 1>18 nahm er mit Leidenschaft teil, als Anhänger Ledru-Rollins. 1852 wurde er nach dem Staatsstreich zum Tode verurteilt. Er lebte im Brüsseler Exil und auf der Insel Jersey und Guernscy zu. sammen mit Victor Hugo , der seine romantische Flucht in weiblicher Verkleidung und der possenhaften Episode eines ver- liebten Gendarmen in seiner berühmtenGeschichte eines Ver- brechen?" erzählt hat. 1860 kehrte er zurück und nahm sofort seine politische Tätigkeit wieder auf. Unier der dritten Republik war er von 1882 bis 1889 Deputierter. Er sah natürlich auf der äußersten Linken und hielt zu C l e m e n c e a u, der ihm damals als der vertrauenswürdigste und fortgeschrittenste Führer der Demokratie erschien. Aber als sich die sozialistische Partei organisierte, fand er in ihr die wahre Verkörperung der Ideale seiner Jugend. Er ist jetzt der Schriftführer der winzigen Gruppe des Tonjon. Das alles erzählte mir der Alte mit vielen Details, die sein außerordentliches Gedächtnis bewahrt hat. Dann fragte er nach der Bewegung des Auslandes, ob es auch bei uns bei den Bauern vor« wärtSgehe. Und lustig schüttelt er mir zum Abschied die Hand; Na. vielleicht komme ich noch einmal in Ihr Land hinüber." Auf meine Frage nach seinem Alter hat mir Genosse Prcvereav geantivortet: 90 Jahre. Aber er hat, wie mir Dumas anvertraut. schon 93 auf dem noch kerzengeraden Rücken. Die Koketterie deS Menschen höret nimmer auf. Genosse Prevereau hat sichjung gemacht". Bichh, 18. April. Otto Pohl. politische Uebersicht. Was ist's mit der Wahlreform. Mit lauten Trauergesängen begleiten die konservativen und Scharfmacher-Blätter die Beförderung ihres Tallwih. Und der«Schmerz ist um so größer, als die Ernennung des Herrn v. Loebell ihnen, wie dieDeutsche Tageszeitung" ge- steht, überraschend kommt. Und angenehm ist augenscheinlich den Junkern diese Ueberraschung gerade nicht. Denn der Herr v. L o e b e l l war ja der Vertrauensmann Bülows, gegen den der Haß der Junker noch so frisch ist wie je. Und die leise Sprge zieht durch das konservative Gemüt, ob am Ende das von ihnen glücklich zerbrochene«Königswort" nicht von neuem geleimt werden soll. In der Tat. was ist's mit der Wahlreform? Glaubt Herr v. B e t h m a n n wirklich, diewichtigste und von Düppel bis Aabern. Still, vom 18. April ein Lied ich singen will..." So begann tor 50 Jahren Theodor Fontane seinen Hymnus auf die Erstür- «ung der Tüppler Schanzen. Und da» heute ganz vergessene, damals aber ungeheuer populäre LiedSchleswig-Holstein, meer- umschlungen" wurde in jenen Tagen mit einer Begeisterung ge- sungen, von der wir uns heute keine Vorstellung mehr machen können. Wollten doch selbst die Arbeiter Hamburgs , die sich dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein angeschlossen hatten, sich be- waffnen und eine Freiwilligentruppe bilden, um den Dänen das Fell zu gerben. Lassalle riet aber ab. Die Revolution von unten für ein freies und geeintes Deutschland war nicht durchzuführen. Bismarck machte die deutsche Einheit mit der Revolution von oben, deren erste Etappe über die zehn Düppeler Schanzen und den Brückenkopf von Sonderburg ging. Bon der deutschen Freiheit war freilich nicht mehr die Rede. Der Düppler Sturmmarsch war die Ouvertüre für den Triumphzug der preußischen Pickelhaube, der über Königgrätz und Sedan ging und heute nach 50 Jahren mit Zabern und seinem Drum und Tran seinen Höhepunkt erreicht hat. In anerkennenswerter Ehrlichkeit spricht auch die Kabinetts- order, die am 18. April von Korfu heran Mein Heer" geflattert kam, nur von derEinigung Deutschlands ". Die deutsche Frei- heit" wird durch die fast gleichzeitig veröffentlichteDienstvorschrift über den Waffengebrauch des Militärs" zur Genüge illustriert. Es ist daher auch begreiflich, daß die Erinnerung an die Er- «ignissc vor 50 Jahren im Volke herzlich wenig Begeisterung er- weckt. Bei den verschiedenen Kriegervereinskommersen wird natür- lich das Maul tüchtig vollgenommen, und auf jede damals eroberte dänische Schanze werden mindestens drei Glas Bier durch die nationalen Gurgeln geschüttet werden. Bei solch alkoholisierter Be- geisterung wird auch die berühmte Legende vom Pionier Klinke und seinem Pulversacke wieder in neuem Glänze erstehen. Und in den Schulen mußten am 18. April die Lehrer ihre geschichtlichen Kenntnisse zusammenkratzen, um den Kindern klar zu machen, wie herrlich weit wir es unter dem Hohenzollernaar seit Düppel ge- bracht haben. Preußens Heldensöhne, jene echtpreußischen Leute, deren Herr- lichste Vertreter der schneidige Regierungsassessor und der Gendarm sind, führen ja noch heute todesmutig den Kampf um Teutschlands Nordmark. Zwar kämpft man nicht mehr gegen dentapferen Landsoldaten", wie die Dänen in einem Nationalliede ihre Bater- landsverteidiger nennen. Aber die dänische Gefahr, die sich in armen Dienstknechten und Dienstmädchen, in harmlosen Konzert- sängerinnen und in der Person eines Nordpolreisenden verkörpert, wird mit allen Mitteln preußischer Energie bekämpft. Man lächle nicht darüber. Die dänische Gefahr ist kein leerer Wahn. Ein Gtaat, der drauf und dran ist, seinen Angehörigen das denkbar freiesie Wahlrecht zu geben,«in Wahlrecht, das sogar Frauen und Dienstboten mit allen politischen Rechten ausstattet, kann von echtpreuhischen Leuten nur mit dem größten Mißtrauen behandelt werden. Darum müssen von der Nordmark alle freiheitlichen Ba­zillen, die vielleicht in der Lederhose eine» dänischen Pferdeknechte? oder in den Schürzenfalten einer dänischen Dienftmagd sitzen, fern- gehalten werden. Die preußischen Kulturgüter sind denn doch zu kostbar, als daß sie durch dänische Barbarei versaut werden dürften. DemDanSke" find die Schläge von Düppel ein heilsames Erziehungsmittel zur Demokratie geworden. Für den preußischen und deutschen Bürger bedeutet der Sturm auf die Tüppler Schanzen den Anfang vom Ende der an sich schon so blutarmen bürgerlichen Demokratie. Die oppositionellen AortschrittSmänner kapitulieren vor der Logik der BiSmarckschen Bajonette, da» goldene Zeitalter der SiegeSlümmel und der Hurracanaille bricht an, um sich in unseren Tagen in einer epidemisch auftretenden loyalen Rücken- marcksdarre zu dokumentieren. Da schreibt der anerkannte Herold der heutigen bürgerlichen Demokratie, Herr Theodor Wolfs, daß derdemokratische Gedanke" in schuldiger Achtung die königlich- Person unberührt lassen müsse. Sin Grundsatz, den z. B. auch die Liebenberger Tafelrund« in mystischer Inbrunst befolgte. Wenn daS am grünen bürgerlich-demokratiichen Holz geschieht, dann braucht man sich nicht zu wundern, daß fortschrittlich-liberale «Sckjützenbrüder und Kegelfritzen Glückwunschtelegramme an einen Oberst Reuter senden, daß liberale Zeitungsmänner vor Loyalität zerschmelzen wie Butter in der Sonne, wenn ein Kronprinzen- adjutant bei ihnen vorfährt und um gut Wetter für den jungen Herrn bittet. Ten Gipfel loyaler Glückseligkeit hat aber ein braver Bürger?- mann in Holzminden erklommen. Dort schoß der Schützenverein zu Ehren der Geburt des Braunschweiger Thronfolger» eine Ehren- scheide aus. Ter Sieger war ein Herr Tacke. Das Ereignis war aber für diese» loyalen Untertan noch ganz besonder? erfreulich. Denn Herr Tacke, so verkündet dieHolzmindener Zeitung" der staunenden Welt, rief einst als Gardist vor dem Berliner Schlosse die erste Wache heraus, die die Ehrenbezeugung vor der jungen Prinzessin(jetzigen LandeSmutlor von Braunschweig ) zu machen hatte, die zum ersten Male spazieren gefahren wurde. Bon dieser Orgie loyaler Glückseligkeit kann sich natürlich ein sozialdemokratisch verseuchtes Gemüt keine Borstellung machen. Der Schießerfolg in Verbindung mit dieser historischen persönlichen Erinnerung es ist nicht zum Ausdenken I Ein Bürgertum von solchen geistigen Qualitäten erblickt in dem Wege von Düppel bis Zabern natürlich nur einen Triumphzug des höchsten Menschentums. Es ist in diesen Jahrzehnten dick und seit geworden und fragt den Teufel nach der deutschen Freiheit. Ihm graut sogar davor, denn bei aller loyaler Borniertheit ahnt es doch, daß Arbeiterköpse und Lrbeiterfäuste daS bei Düppel be­gonnene, halb« Werk fortsetzen und ausbauen müssen. Aber dann ade satte, knechtselige Behaglichkeit! Da söhnt sich der brave deutsche Spieher schon eher mit dem Zaberner Pandurenkeller aus. Bor mir liegt ein kleines, unscheinbares Heftchen. daS vor 50 Jahren eine Massenverbreitung gefunden hat.Gedichte und Lieder für Schleswig-Holstein " ist sein Titel. Herausgegeben ist ek von Hoffmann von Fallersleben . Sein Preis ist 1 Sgr.Zum Besten von Schleswig-Holstein ." Auf dem Titelblatte steht auS« drücklich:Kann nackgedruckt werden, aber nur zum Beste» für Schleswig-Holstein ." Aus diesem Büchlein sangen damals di« Großväter und Väter unserer heutigen liberalen Philister: ..Greift an das Werk mit Fäusten! Das Rechten hilft nicht mehr. Ihr Besten und Getreusten, Zur Tat, zur Gegenwehr! Wenn alles ist verloren, Dann hofft nur noch ein Tor, Im Kampf nur wird geboren, Was eure Ruh' verlor. Was sie versprochen hatten Von Recht und Billigkeit, Ist nur«in Schall , ein Schatter», Ein unerfüllter Eid. Die Freiheit will errungen, Kein Gnadenbissen sein! Mit Fäusten, nicht mit Zungen Greift an und schlaget drein." Und heute? Tu lieber Himmel. Da singt man auch im radl» kalsten liberalen Bezirksverein, die zottige Männerbrust von loyaler Rührung geschwellt, dasHei! dir im Siegerkranz". Für die Frei« heit zahlt heute ei» anständiger Bürger keinen Silbergroschen mehr. Heut läßt er sich von den Epigonen der Tüppelstürmer alle» bieten, ein Reuter und ein Forstner sind ihm die Heroen deutscher Mannestugend, denen er in seiner Stammtischecke bewundernd hul- digt. Angesichts all dieser bürgerlichen Jämmerlichkeit auf der einen, der Pickelhauben-Ueberhebung und der ganzen reaktionären Wirtschast auf der anderen Seite seien noch folgende Berse ouZ dem Liederbüchlein der Düppeltage zitiert: O Himmel, der du hock dich wölbst, Schau aus die Schmach, die uns geboten; Schau her, hier wirft ein Volk sich selbst Für ew'ge Zeiten zu den Toten! Und harrt ihr noch, daß kommen soll Erst Schlimmeres dem Baterlande? Wann endlich ist das Maß denn voll Ter endlos aufgehäuften Schande!" Ernst,