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Man sieht, es wird im letzten Augenblick nocki mit allen Mitteln gearbeitet, um den Reichstag zur Bewilligung der Regierungsforderung zu bringen. Rudolf Bell , der er- fahrcnste und klügste Mann des Duala-Volkes, der weitaus beste Kenner der ganzen Enteignungsangelegenheit, wird wegenHochverrats" verhaftet, d. h. kalt gestellt und sein gesamtes Aktenmatrrial in Sachen der Enteignung wird beschlagnahmt! Alle psychologische Erwägung spricht da. gegen, daß Rudolf Bell , den ich aus eigener umfang. reicher Korrespondenz und dem Studium der Akten als einen durchaus besonnenen Menschen kennen gelernt habe. in d e m Augenblick zu einem unsinnigen politischen Exzeß übergegangen sein sollte, wo er sehnsüchtig die Entscheidung deS Reichstages über die Lebensfrage seines Volkes er- wartet. Seine ganze Arbeit seit einem Jahr war auf die sachliche Vorbereitung dieser Reichstagsverhandlungen gerichtet, und da sollte er den Erfolg seiner ganzen Tätig. keit durchHochverrat" gefährden? Es handelt sich bei der ganzen Anschuldigung, wie mein Vertrauensmann telegraphiert, um den berüchtigten Küsten. klatsch. Nach früheren Nachrichten, die mir aus Duala zugegangen sind, besteht der dringende Verdacht, daß dieser Küstenklatsch sich auf die Meldungen schwarzer Spitzel be- zieht, die von der Regierung unter den Dualas unterhalten werden. bono? Jedenfalls hat die Plötzliche Verhaftung und die Ein- Ziehung der Akten einen sicheren Erfolg: Meinem dortigen Vertreter ist die sicherste Informationsquelle im entscheide». den Augenblick entzogen. Mit vorzüglicher Hochachtung Rechtsanwalt H a l p e r t." Auf albernen, total unglaubwürdigen Klatsch hin wurde also Rudolf Bell , der beste Kenner und Vertreter der Tuala» forderungen, verhaftet. Zugleich wurde sein ganzes Akten- Material beschlagnahmt. Und der Effekt? Tie Duala sind nun vollends schütz- und Wehrlos! Nur unverwüstlich Weltfremde können darüber in: Zweifel sein, ob es sich hier um Zufall oder Absicht handelte! Hätten wir noch ein Parlament, das die Rechte auch der Schwächeren schützte, so würde der Regierung ein böser Kehraus getanzt. Aber es handelt sich ja nur um die Niederknllppelung von Schwarzen, die noch wehrloser sind als preußische Wahlrechtsheloten. die Entrechtung öer proletarierjugenö. DaS preußische Abgeordnetenhaus bot in der Fortsetzung der KuttuSdebatte am Moiitag bei der Erörterung des Kapitels Jugendpflege dem sozialdemokratischen Redner die erwünschte Gelegenheit, den ganzen schamlosen Unfug der sogenannten ..Jugendpflege" zu brandmarken, für die allein in dem einzigen EtatSjahr 1914 3'ch Millionen Mark an Steuergroschen verpulvert werden sollen. Bevor der Redner unserer Partei das Wort erhielt, machten die Redner der verschiedenen bürgerlichen Parteien Reklame für die ihnen nahestehenden Jugendorganisationen, um möglichst viel von den zu verteilenden Millionen in die Kassen ihrer Schutz- befohlenen lancieren zu können; wobei sich das anmutige Schau- spiel ergab, daß die bürgerlichen Jugend-..PfIeger" einander einiger- maßen unsanft in die Haare gerieten. Kein Wunder! Denn so tief diesen Konkurrenzorganisationen der Bürgerlichen auch die gemeinsame Tendenz des Kampfe» gegen die proletarisch« Jugend- auftlärung in der Brust sitzt, mit so hämischem Neide mißgönnen sich doch die liberalen und Zentrumsorganisationen gegenseitig die KorruptionSgelder, die der Minister gegen die Jugendpflege ihnen m die Tasche schüttet. Außer diesen EifersuchtsauSbrüchen boten die Ausführungen der bürgerlichen Redner sehr wenig. Ter Konservativ- Wall- bäum machte einige ungeschickte Versuche, sich an der Sozialdemo- kratie zu reibe», versandele aber nur zu bald, als ihm die Sozial- demokrateu nicht den allzu täppisch verratenen Gefallen taten, seine Belanglosigkeiten durch Zwischenrufe zu quittieren. Ebensowenig Aufregung verursachten die Monologe der Redner deS Zentrum? und der Rationalliberalen. Etwas lebhaftere Stimmung brachten erst die Ausführungen de» fortschrittlichen Redners K a n z o w. Dieser Herr ein Homo novus im Dreitlassenhause und offenbar auch noch ein Neuling in politischen Dingen forderte eine politisch st r e n g neutrale Jugendpflege. Angesichts der skandalösen parteipolitischen Tätigkeit der durch die Steuermillioncn großgepäppelten bürger- lichen Jugendorganisationen verriet diese aschgraue Theorie ein wiKlich überreiches Maß naiver JlkusionSfähigkeit. Aber Herr Kanzow zeigte auch sonst in erstaunlichem Maße die Gabe des Mißverstehe»?. So, wenn er der freien Jugendbewegung vor- warf, zuerst das Moment der politischen Jugenderziehung in der� Jugendpflege hineingetragen zu haben als ob nicht die freie Jugendbewegung erst die gebotene Antwort auf Jünglings- vereinssiinpelei und sonstige Jugendverblödung gewesen wäre, ganz zu geschweige,, der tendenziös einseitigen, direkt parteipolitischen Geschichtsentstellung, die seit alters in unseren Schulen getrieben wird. So, wenn er die Jugend- crziehung zumMonarchismus und Patriotismus" in erstaunlicher .Harmlosigkeit für etwas durchaus Unpolitisches erklärte, während er doch die demokratische und soziale Weltanschauung für etwas unzulässigPolitisches " hältl Herr Kanzow hat offen- bar doch noch nicht so ganz aus dem staatsanwaltlichen Talar herauszuschlüpfen vermocht! Und ein seltsames Nichtverstchenkönncn verrät e« doch auch, wenn dieser neue Mann deS Fortschritts der Sozialdeniokratie vorwarf, daß sie Leute wie Lessing , Goethe und Schiller einfach als Sozialdemokraten für sich reklamiere, während die Sozialdemokratie doch nur und ganz mit Recht! behauptet, daß sie heutzutage dieeinzigewerktätigeBorkämpferin und Bollstrcckerin der Humanitären Ideale sei. die den großen Denkern und Dichtern unserer klassischen Ideale veran- geleuchtet. Auf oll diese Mißverständnisse, auf die versteckten und offenen Agriffe �ber anderen Redner und auf das ganze heuchlerische und brutale System der bürgerlichen Jugendpflege ging in einer ganz ausgezeichneten Rede Genosse H a e i s ch als Sprecher der sozial- demokratischen Fraktion ein. Um all die falschen Anschuldigungen zurückzuweisen, alle Irrtümer und Mißverständniffe zurecht zu rücken und umgekehrt die niederträchtige BerleumdungS- und Per- folgungskampagne gegen die freie Jugendbewegung an den Schand- pfähl zu nageln, bedurfte er trotz aller Selbstbeschränkung einer zweistündigen Rede; aber er hatte für seine schlagend pointierten Ausführungen von Anfang bis Ende dasOhr des Hauses". Namenilich die letzte halbe Stunde der Rede des Genossen Harnisch mochte für den Verantwortlichen de« ganzen Unfugs, den KntttlSmmifter, höchst peinlich sein. Nachdem unser Genosse die sozialen Quellen der proletarischen Jugendbewegung und die jämmerlichen Praktiken des bürgerlichen Jugendfangs höchst drastisch geschildert, kennzeichnete er zum Schluß temperamentvoll die ebenso lächerlichen wie perfiden Polizeischikanen, durch die die Polizei unter Zustimmung des preußischen Ministers für.Jugendpflege" die proletarische Jugdenpflege zu erdrosseln sucht. Mag die bedauerns- werte Regierung so fortfahren! Die Früchte ihrer die proletarische Jugend zum Klassenbewußtsein aufpeitschenden Tätigkeit kann sie dann einmal erleben, wenn es den Kriegshetzern gelingt, das aber- witzige Verbrechen eines europäischen Krieges heraufzubeschwören! Der gestäupte Minister schwieg. Am Dienstag dürfte er aber doch noch einige mühsam einstudierte Redensarten von sich geben._ vas Urteil gegen Sie Genossin Luxemburg . Das aufsehenerregende Urteil der Frankfurter Strafkammer gegen die Genossin Luxemburg liegt jetzt vor. Nach Fällung des Urteils nannten wir es einjuristisches Unikum", ein Tendenz- urteil in der allerkrassesten Form. Darüber waren bürgerliche Zeitungen, insbesondere dieDeutsche Tageszeitung", lebhaft ent- rüstet. Aber aus den schriftlichen Entscheidungsgründen erhellt, so- weit möglich, noch klarer wie aus der mündlichen Verhandlung: die Verurteilung ist nicht erfolgt, weil etwa die Genossin eine straf- bare Handlung begangen hat, sondern sie ist erfolgt weil die Ge- offin Luxemburg den Militarismus kritisiert und damit, wie es der Staatsanwalt nannte,ein Attentat aus den Lebens- nerv unseres Staates" ausgeübt hat! Allein aus politischer Auffassung der Richter, aber aus keinem juristischen Grund, ist die Verurteilung zu verstehen. Als einziger Urteilsgrund aus dem langen Urteil nur die eine Anführung, daß die Genossin Luxemburg die bekannte so- zialdemokratische Agitatorin" sei. Alles andere, was im Urteil angeführt ist, spricht auch für den politischen Gegner für die juristische Unzulässigkeit einer Verurteilung. In den EntscheidungSgründen wird zunächst dargelegt, daß das Eintreten der Genossin für das Milizsystcm und die Darlegung, daß beim Milizshstem die Waffen nicht gegen den inneren Feind an- gewendet werden, wohl aber in einer der herrschenden Klasse nicht wünschenswerten Richtung mal losgehen könnten, nur von einer Befürchtung der herrschenden Klasse sprechen, aber keine Aus- forderung zum Morde, wie die Anklage wollte wenigstens sei da» nicht nachweisbar. Anders liege es aber mit einer Wendung, die in der Versammlung zu Fechenheim sowohl, wie in der in Bockenheim im Anschluß an die Erörterungen einer Kriegsgefahr gefallen sei. In Fechenheim habe die Genossin Luxemburg von der Möglichkeit eines Krieges geredet und hierbei geäußert,bei einem eventuellen Kriege sollten die Arbeiter es sich überlegen, ob sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten, auf ihre Brüder in Feindesland zu schießen. Infolge des allgemeinen Zusammen- schlusseS der Arbeiter sei eS unbedingt durchführbar,«in entschie- deneS:Rein, auf unsere Brüder schießen wir nicht!" auszusprechen". In Bockenheim habe die Rednerindie Möglichkeit eines Welt- kriegeS erörtert und hierbei wörtlich geäußert:Bei einem Kriege fragen wir uns: werden wir uns einen Krieg ungestraft gefallen lassen." Aus der Versammlung ertönten hierauf Zurufe: Niemals! Sie fuhr daraufhin fort:Wenn un» zugemutet wird, die Mord- Waffen gegen unsere französischen oder anderen Brüder zu erheben, dann rufen wir: daS tun wir nicht!" Diesen Worten sei sekunden- langer Beifall gefolgt. In diesen Worten liege«ine Aufsorde- rung zur Nichtb efolgung der Gesetze, welche den Soldaten den Gehorsam gegen die erteilten Be- fehle zur Pflicht machen. Wenn die Angeklagte sage, die Anklage sei ein Zerrbild ihrer au» dem Zusammenhang gerissenen Aeußerungen, in denen sie für die Einführung des MilizshstemS eingetreten sei und dargelegt habe: Kriege seien nur möglich, so- lange die arbeitende Volksmasse, solange die Mehrheit de« Volke» nicht zu der Ueberzcugung gelangt, daß Kriege eine barbarische, tief unsittliche reaktionäre und volksfeindliche Erscheinung sind; über daS Zustandekommen und den Ausgang der Kriege entscheiden nicht nur die Armee, nicht nur die Befehle von oben und der blinde Gehorsam von unten, sondern die große Masse de» werktätigen Volkes, so stehe die Entscheidung über Krieg und Frieden.nach den bestehenden Gesetzen" nicht der Gesamtheit des Volkes zu, esziehe auch nicht die Masse des Volke» in den Krieg", also könne die Angeklagte mit demwir" nichtdie Ge- samtheit deS Volkes, sondern nur die im Felde stehenden Soldaten, die zum Schießen berufen sind, gemeint haben". So macht das Urteil die Genossin Luxemburg zum Soldaten und zeigt, daß die Urteilsfinder die sozialdemokratischen Gedanken- gänge zu verstehen nicht in der Lage sind, vielmehr durch ihre Bor- cingenommenheit in die Worte einen Sinn hineininterpretieren. der ihnen nach dem ganzen Zusammenhang der Rede fehlt. ES kommt dann das Urteil zur Begründung, welche Strafpara- graphen verletzt sein sollen. Man sollte annehmen: 8 112 des Strafgesetzbuchs. Denn der bestraft ja die Aufforderung oder Anreizung von Personen des Soldaten st andes, dem Befehls des Oberen nicht Gehorsam zu leisten. Weit gefehlt! Das Urteil führt zutreffend aus: der Paragraph könne ja, nach der Recht- sprcchung des Reichsgerichts, gar nicht in Frage kommen, da weder Personen de» Soldatenstandes spezialisiert sind, noch eine Auf- forderung zu einer aktuellen Verweigerung des Gehorsams vor- liegt. Dann führt das Urteil wieder unter richtiger Bezugnahme auf Reichsgerichtsentscheidungen aus: auch der Tatbestand des p III (Aufforderung zur Begehung einer strafbaren Handlung) liege nicht vor, denn es sei nicht zu einer bestimmten strafbaren Handlung aufgefordert, also muh Freisprechung erfolgen. O nein, da» Urteil meint: der 8 119(Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze) treffe zu. ES sei allgemeinzum Ungehorsam gegen die den Gehorsam der Soldaten befehlenden Gesetze" aufgefordert. ES richte sich die allgemeine Aufforderung der Angeklagten zum Ungehorsam im Kriegssallegegen die unpersönlichen Grundlagen der Rechts- ordnung". Also die Angeklagte hat nicht zu strafbaren Handlungen auf- gefordert; weil sie das nicht getan hat, hat sie zum Ungehorsam gegen Gesetze aufgefordert, die den Ungehorsam mit Strafe bedrohen. Erkläret mir, Graf Oerindur. diesen Zwiespalt der Natur. Aber es kommt noch netter. Bei der S t r a f a u s m e s s u n g heißt es: es sei davon auszugehen,welche Bedeutung die Rechts- ordnung dem Gesetze, zu dessen Uebertretung ausgefordert worden ist, beimißt". Tie im§ 95 Abs. 2 des Militärstrafgesetzbuchs an- gedrohten Strafen zeigen, daß das Gesetz den Ungehorsam vor den Feind zu den schwersten Verbrechen zählt. Unsre Leser entsinnen sich, daß kurz vorher dai Gericht erklärt hatte, e» könne nicht aus den 88 lll oder 112 strafen, weil eine Aufforderung zu einer straf- baren Handlung nicht vorliegt. Hier liest man eS wieder anders. Das Gericht fuhrt dann noch auS: auf eine erhebliche Strafe hätte erkannt werden müssen; e» sei für die beiden Straftaten auf je neun Monate erkannt, die auf«in Jahr zusammengezogen seien. Wenn an sich auch eine noch höhere Strafe angemessen erschien, so erachiele doch da« Strich i. baß die AngifTagf« all ffrau vo» einer Freiheitsstrafe härter betroffen wird wie ein Mann." Kann ein Tendenzurteil klarer seine Tendenznatur enthüllen? Und ist dieser Hausen von Widersprüchen und Unverständlichkeitcn, aus denen sich das Urteil zusammensetzt, kein juristisches Unikum? So sehr die Richter bestrebt gewesen sind. Gerechtigkeit auszuüben. so fern steht das Urteil der Gerechtigkeit. Richter, deren politische Tendenz den blinden Gehorsam des Soldaten für den Lebensnerv des Staates halten, können den politischen Gegner, der für Miliz- system, gegen Militarismus und gegen Kriegsmöglichkeit auftritt. nicht objektiv beurteilen. Die eigene politische Ansicht verdrängt die klare Erkenntnis der Tatsachen und ihre rechtliche Subsumicrung. Es geht hier dem Richter ähnlich so. wie dem, dem das Prosit- intereffe deS Großgrundbesitzers höher steht, wie die sonst von ihm in alle Himmel gehobene Frömmigkeit. Neulich schrieb dieDeutsche Tageszeitung" von diesem Standpunkt aus folgendes Urteil: Fromm sein ist gut, aber gute Mähmaschinen sind besser." In ähnlichem Sinne beherrscht den Richter, der die Angeklagte alsdie bekannte sozialdemokratische Agitatorin" bezeichnet, un- bewußt das Motto:Gerecht sein ist gut, aber Sozialdemokraten verurteilen, ist besser."'' Gberwinöer. Am Sonnabend ist der früher« politisch« Redakteur de«DreS- dencr Anzeiger", Prof. Heinrich Oberwinder , im Alter von 69 Jahren gestorben. Oberwinder war ein Renegat der modernen Arbeiterbewegung; sein Leben ist-in wechselvolles und episadenreiches gewesen. Er begann in jungen Jahren als begeisterter Revolutionär und endete als Reaklionär, der die Sozialdemokratie in Wort und Schrift mit den schofelsieir Mitteln bekämpfte. Zu Ende des JahreZ 1867 entstand in Wie rt der Arbeiter« bildungsverein, der ein Vorbild der österreichischen sosialistischen Arbeiterbewegung wurde. Zu der Zeit.verbreitete sich unier den Wiener Arbeitern der Sozialismus infolge der rührigen Agitation von Heinrich Qbertvinder und einem Tischler Härtung aus Han- novcr mit überraschender Schnelligkeit". So zu lesen in einem Handbuch des Sozialismus' von Siege- mann und Eigo. Oberwinder und Härtung erschienen 1868 auch in Nürnberg auf dem Kongreß der Arbeiterbildung»vereine als Agitatoren und Delegierten aus Wien . Ein für Oesterreich ein- gefetztes Parteikomitee zur Agitation für daS allgemeine gleiche Wahlrecht usw. wurde Ende 1868 polizeilich aufgelöst. Die Unter« drückung der Arbeiterbewegung begann im größeren Umfang«. In dieser schlimmen Zeit stand Oberwinder als Dreiundzwanzigjähri- ger im Vordertreffen des politischen Kampfes in Wien und Oester- reich. DaS Vorgehen der Polizei beantwortete er mit der Heraus- gäbe einer sozialistischen Zeitung, derB o l k S st i m m e", die 1869 am Geburtstage LassalleS das erstemal erschien. Al« im Oktober und November dieses Jahres all« von der Arbeiterpartei arrangier- ten Versammlungen als staatsgesährlich verboten wurden, war es wieder Oberwinder, der den Protest dagegen organisierte. Als die Behörden nicht einlenkten, sondern weiter maßregelten, hielt Oberwinderden Moment für gekommen, zur Wahrung eines ge­setzlich garantierten Rechtes und im Interesse der eigenen Existenz einen Beweis ihrer(der Arbeiterpartei) Kraft und Entschlossenheit zu geben." Er arrangierte mit den anderen Führern der Bewe« gung, besonders mit Gewerkschaftern, eine öffentlich« Kund- gebung vor dem ReichstagSge bände in Wien , die am 13. Dezember 1869 stattfand. Schon am nächsten Tag« brachte die Regierung«ine Gesetzes- Novelle ein, die den Arbeitern da» Koalitionsrecht gewährte. Im Oberhaufe fand ober die Nachgiebigkeit der Regierung scharfen Tadel. Die Folge dieser Scharftnacherei war der Wiener Hochverratsprozeß, in dem Most, Scheu und Papst zu j« fünf, Oberwinder aber zu sechs Monate» schweren Kerker», einige andere Angeklagte zu GefängniSstrcffen ver­urteilt wurden. Eixi Ministeriumwechfel im Jähre 1871 brachte jedoch den Berurteilten die Amnestie, nachdem sie einig« Monate der Strafe verbüßt hatten. Als die Spaltung der österreichischen Arbeitestbewogung ein­trat, schlug sich Oberwinder im Gegensatz zu Sche» auf die Seite derGemäßigte n". Nach einem Prozeß ztvifchen beiden verschwand Oberwinder aus Wien . Er trieb sich viele Jahre in Frankreich , England, der Schweiz und Belgien herum, wurde 1888 in Paris Korrespondent deutscher und österreichischer Blätter, die er mit chauvinistischen Artikeln bediente. Dann kam er nach Berlin an das christlich- sozial«Volk" von Stöcker, wurde später Wanderredner des deut- sche» Flottenvereins und tauchte 1902 in Dresden auf, wo er in die politische Redaktion de»Dresdner Anzeiger" eintrat. Von dieser Zeit an datiert die skrupellose Hetz« diese? Blattes. das sich bis dahin verhältnismäßig sachlich verhalten hatte, gegen die moderne Arbeiterbewegung. Dafür wurde er mit dem Pro- sessoriitel ausgezeichnet. Zehn Jahre hat der ordnungsparteiliche Ueberläufer an dieser Stelle gewirkt. Neben der wüsten Sozia- listenbekämpsung betrieb Oberwinder auch noch als Spezialität eine prononzierte Englandheye. politische Ueberflcht. Ära« v. Bethman « Hollweg . Den Reichskanzler v. Bethmann Hollweg hat mitten in der Hochflut der politlschen Arbeit ein harter Sch'cksalsschlag getroffen: seine Gattin ist in der Nacht vom Sonntag aus den Montag nach langem schweren Leiden gestorben. Ein schwerer Verlust für den Konzler; denn die Verstorbene war ihm allezeit eine treue Kameradin, die ihm während seiner ganzen Laufbahn vom Land- rat zum Reichskanzler treu zur Seite gestanden hat. Ohne Unter- schied der Parteien darf deshalb auch der Kanzler der allgemeinen Teilnahme sicher sein. Aus allen Teilen des Reiche» sind bereits im R-ühSkanzlerpalaiS unzählige Beileidstelegramme und Kon- dolenzschrecben eingetroffen. Auch Reichstag und Landtag haben heute dem Herrn v. Bethmann Hollweg ihre Teilnahme auSge- iprochen. Mittwoch nachmittag soll nach einer Trauerfeier im Reich»- kanzlerpalais die Leiche nach Hphensinow übergeführt werden, wo vanil am Donnerstag die Beerdigung stattfindet. Tie Tispofttionen des Reichstages haben durch den Tod der Frau de» Reich«kanzler» ein« Aenderung erfahren. Der Reichskanzler wird die für Mittwoch angekündigte Rede über die auswärtige Politik nicht halten. Man nimmt an. daß er seine Darlegungen bei der dritten Lesung deS Etats machen wird. Ten Etat des Auswärtigen Amte» wird Staatssekretär v. Jagow und den Etat des Reichskanzlers dessen Stellvertreter. Herr Delbrück , vertrete«.