Nr. 33.
Erscheint täglich außer Montags. Breis pränumerando: Vierteljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 mt, wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Belt" 10 Pfg. Poft- Abonnement: 8,30 Mt.pro Quartal. Unter Kreuz band : Deutschland u. DefterreichUngarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingers. in der Voft- Zeitungs- Breislifte für 1894 unter Nr. 6919.
Vorwärts
11. Jahrg.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Die Kamerunschande.
Zu sagen ist da nicht viel- eigentlich gar nichts. Man hat nur die Thatsachen theils zusammen, theils einander gegenüberzustellen, und sie reden so laut und so deutlich, ja schreien so grell, so markerschütternd, daß auch der Schwerhörigste hören, der Gefühlloseste fühlen muß.
Das Geschehene ist sehr einfach und allgemein bekannt. Am 15. Dezember des vorigen Jahres erhoben sich in Kamerun die eingeborenen Schuttruppen gegen die deutschen Behörden, bemächtigten sich der Regierungsgebäude und waren zehn Tage lang im Besitz der deutschen Kolonie, bis deutsche Kriegsschiffe den alten Zustand wieder her stellten.
Die Meuterei, für die in den ersten Berichten gar kein Grund angegeben ward, erschien um so räthselhafter, als die Schutztruppe aus Dehomehern bestand, die unter den Afrikanern für besonders zuverlässig und treu gelten und sich sogar durch eine gewisse Ritterlichkeit auszeichnen. Es mußte irgend etwas ganz außerordentliches vorgekommen sein.
Allmälig gelangte die Wahrheit, stückweise, an die Deffentlichkeit. Schlechte Bezahlung schneidige" Behandlung, deutschjunkerliche Prügel und öffentliche Auspeitschung der Soldatenweiber unter Umständen, die den Beweis liefern, daß die Veranstalter jeder Menschlichkeit nicht nur, sondern auch jeder Scham bar sind, und die in Europa und Amerika sofortige Lynchjustiz hervorgerufen hätten. Wir erwähnten bereits der unter dem Jubel der Welt von den Brauknechten in London an dem Weiber peitscher" Haynau vollstreckten Züchtigung. Und die Hyäne von Brescia " war wenigstens so anständig ge wesen, die Frauen und Mädchen nicht entkleiden zu lassen! Die amtlichen Entschuldigungsberichte aus Kamerun liegen nun vor. Hören wir, was über die Ursachen der Meuterei gesagt wird.
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Der stellvertretende Gouverneur Leist, der HauptVerantwortliche, schreibt:
Freitag, den 9. Februar 1894.
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Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
ersten zwei Jahre garnicht gelöhnt wurden, jedenfalls in moralischem Sinne des Wortes. Man zog hatte ich mehreren von ihnen vor kurzem etwas 2öhnung be ihnen das für ihren Loskauf aus der Sklaverei gezahlte Geld willigt und allen fagen lassen, daß ich auch andere, welche an der Löhnung ab. Das war an sich schon höchst verwerflich. fich das Lob des Schutztruppenführers erwürben, auf dessen mit den losgekauften Sklaven soll fein Geschäft gemacht Antrag löhnen würde. Auch sind aus vielen Anlässen( Weihnachten, Raisers Geburtstag, Puschexpeditionen u. f. w.) den werden, oder sollen etwa blos solche Stlaven losgekauft Dahomeh- Soldaten Geschenke und andere Vergünstigungen zu werden, die durch ihre Arbeit das Lösegeld ab verdienen theil geworden. So wurden die aus der Anwerbung Graven- fönnen? Dann dürfte man ja Schwache und Alte überhaupt reuth's und Expeditionen stammenden Gouvernemen tsweiber gar nicht loskaufen. Und wir sind doch als„ Christen" nach fast ausschließlich mit Dahomehs verheirathet. Wer wie ich Afrika gekommen die Bibel in der einen Hand". Freilich gesehen hat, wie diese verthierten, ausgehungerten in der anderen abwechselnd die Flinte, die Schnapsflasche und mit den widerlichsten Krankheiten behafteten Sklaven und die Nilpferd Peitsche!-
Gouvernements fich
und zu freien, gesunden
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durch den Lostauf Gravenreuth's und die Pflege des Der Herr stellvertretende Gouverneur ging offenbar träftigen Soldaten entwickelten, der mußte glauben, von der Ansicht aus, daß die Dahomeher Sklaven durch daß diese Leute im Dienste des Gouvernements sich wie im den Loskauf die Sklaven der Loskäufer geworden Himmel hätten vorkommen müssen. Aber der Neger lebt nun seien. Der Loskauf war in seinen Augen nur ein vereinmal fiets in der Gegenwart und vergißt die Vergangenheit. deckter Sklavenkauf. Sollte er sich hiergegen ver Die Löhnung der als Soldaten angeworbenen freien Neger wahren, so erinnern wir ihn an die in Amerika und auf war für die Dahomehs ein Gegenstand fortwährenden den englischen Kolonien bestehenden Gesetze, nach welchen Neides. Leider fanden sich auch Personen, wie der in Deutsch alle Verträge, die einen Arbeiter auf eine be land erzogene Alfred Bell, welche die Unzufriedenheit der Dahomehs stimmte Dauer von Jahren an einen Arbeit künstlich schürten und aus derselben Kapital schlugen. Der Neid der Dahomehe auf ihre schwarzen Kameraden wurde noch geber binden, der dem betreffenden Arbeiter einen dadurch erhöht, daß lettere wegen ihrer hohen Löhnung Vorschuß für Reisegeld, Abtragung von Schulden zwar häufiger mit Geldstrafen aber weniger mit u. s. w. gezahlt hat, als un moralisch und ein Pügelstrafen belegt wurden. Wahrscheinlich haben Verhältniß der Sklaverei bilbend, auch die Dahomehweiber zur Revolte auf- giltig und mit strenger Strafe belegt sind? gereizt. Dieselben waren als Gouvernements- Arbeiterinnen Das Loskaufsgeld für ehemalige Sklaven enspricht genau Dem Ingenieur Drees in erster Linie unterstellt und von den Vorschüssen an Kulis u. f. w. Letzterem dem Gärtner Walter zur Beschäftigung im Gouvernementspark überwiesen. Drecs und Welter flagten beständig über die maßlose Faulheit der Dahomehweiber, Losgekauften versicherten, war ganz in der Ordnung. Aber welche nicht arbeiten wollten und stets die Arbeit verließen, man mußte sie ordentlich bezahlen und menschenwürdig bewenn der Weiße den Rücken kehre. Alle über sie verhängten handeln; und dabei hätte die Kolonie ein vortreffliches GeStrafen feien wirkungslos. Da die männlichen Arbeiter für schäft gemacht, während jetzt das Hundertfache des schwere, namentlich die Kai- Hinterfüllungsarbeiten, verwandt Lostaufsgeldes an Werth zerstört worden ist von der wurden, und deshalb außer einigen Knaben die Soldaten Schande und dem Frevel ganz abgesehen und ganz abweiber die einzigen Arbeiter des Gärtners bildeten, empfand gesehen davon, daß der stellvertretende Herr Gouverneur letzterer die Faulheit der Weiber bitter. Auch am 15. v. Mts. Die theuere" Waare hat todtschießen und„ aufbaumeln" wiederholten sich die Klagen über die Trägheit der Dahomeh weiber, so daß ich beschloß, selbst die letzteren bei der Arbeit lassen. zu kontrolliren. Eine Stunde nach Beginn der Arbeitszeit fand ich dieselben noch in ihren Hütten. Ich trieb sie nunmehr zur Arbeit an. Doch als ich eine halbe Stunde später wieder zum Arbeitsplatz zurückkehrte, waren sämmtliche Weiber in ihre Hütten zurückgekehrt, so daß ich mich genöthigt sah, den Faulsten von ihnen einige Siebe ( Minimalzahl fünf, Maximalzahl zehn) er theilen zu lassen.
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Zweitens: Die Weiber der Dahomeher Durden gepeitscht unter den empörenden ÜmStänden, die wir kennen. Und wir wissen auch, daß der stellvertretende Herr Gouverneur zusah.
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Die Faulsten" bekamen„ einige Hiebe( Minimalmaß fünf, Maximalmaß zehn)." Die Hiebe wurden verabreicht mit gedrehten Peitschen aus Nilpferdhaut, wie sie dort im Gebrauch sind! Wir haben einige Gremplare hier, die gelegentlich im Reichstag auf den Tisch des Hauses niedergelegt werden
Die Dahomehs sind frühere Sklaven des Häuptlings Behanzin von Dahomeh und durch Baron Gravenreuth im Jahre 1891 freigekauft. Sie bildeten den stabilen Theil der Bolizeitruppe. Als älteste Soldaten derselben hatten sie in verschiedenen Kämpfen des Gouvernements gegen eingeborene Stämme eine gewisse Kriegserfahrung und vor allen Dingen zu schießen und die Gefchüße zu bedienen gelernt. Der Bei den plumpen Bertuschungs- und widerlichen Mora Grund der Revolte, welche auch nach Ansicht des Führers und der Unteroffiziere der Polizeitruppe jedenfalls feit langem gelisirungsversuchen des Herrn stellvertretenden Gouverneurs plant gewesen, dürfte vor allem in der Unzufriedenheit halten wir uns nicht auf sie haben blos ein psychoDer Dahomeh3 mit ihrer Bezahlung zu suchen logisches Interesse zur Kennzeichnung des Mannes; wir sollen. Jeder Schlag mit diesem fürchterlichen Foltersein. Die Löhnung der sonstigen Polizeifoldaten( während der wollen nur die zwei hervorspringenden Punkte aus der instrument zerreißt die Haut- und nun gar die Refrutenzeit 20 und später 30 M. pro Monat) tonnte den Phrasenumhüllung herausgreifen: Dahomehsoldaten zur Zeit noch nicht zu theil werden, da sie um einen theuern Preis aus der Stlaverei losgetauft waren. Während dieselben die
Feuilleton. Helene.
Nachdruck verboten.]
Erstens: Die Dahomeher wurden um ihre Löhnung betrogen. Vielleicht nicht in juristischem,
Augen und sicheren Händen, eine bewundernswerthe Ruhe bewahrend.
Ein junger Arzt, Fedor Jwanowitsch Stachow, dem ( Alle Rechte vorbehalten die blonde Stirnlocke, die er der Scheere nicht überantworten [ 88 wollte, immer wieder in die Stirne fiel, so oft er sie auch mit einer energischen Bewegung des Kopfes zurückwarf, sah höchst ungeduldig aus.
Roman in zwei Bänden von Minna Kautsky . In dem Sortirungs- und Verbandsraum, der von Lampen genügend erhellt war, arbeiteten indeß die Aerzte und Feldscherer unter Aufbietung all' ihrer Kräfte; galt es doch rasch zu sein, bei dieser Musterung.
Nach dem Grade ihrer Verwundung wurden die Verwundeten mit Betteln versehen, worauf die Nummer und, wo möglich, auch der Name vermerkt wurde.
Die Schwerverwundeten waren die rothen, gelb und weiß die der mittleren Rategorien, blau die Leichtverwundeten.
Die Rothen schickte man in das Hospital, die Gelben wurden an Ort und Stelle verbunden, damit sie nach furzer Etappe den Weitertransport ertragen tönnten, die Blauen wurden gespeist, dann sollten sie sehen, daß sie weiter fämen, wie, das war unter den herrschenden Um ständen ihre Sache.
Alle hatten unter dem eiligen Transport unsagbar gelitten und die jungen bärtigen Gesichter sahen völlig leichenhaft aus.
Er suchte nach interessanten Fällen, und die Burschen, die ihm unter die Hände kamen, entsprachen nicht seinen Erwartungen.
" Da haben wir was Schönes," brummte er, die Rerle find halb verhungert, das hat sie so heruntergebracht, nicht die Paar Tropfen Blut, die sie verloren haben.... find denn das für Verwundungen frakturen die allergemeinſten-- anderes!"
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nackte Haut! und zieht eine fingerdicke blutende Strieme. Würde Herr stellvertretender Gouverneur Leist die Probe an sich selbst machen lassen, so würde das„ Minimal
Unserem armen Fedor Jwanowitsch klebte die blonde Locke jetzt an der Stirne fest, seine Beine zitterten, er ver mochte sich kaum mehr auf den Füßen zu halten, aber seine Hände arbeiteten mechanisch immer noch weiter.
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Seid Ihr von Sinnen?" schrie er die Träger an, seht Ihr denn nicht, ich kann nicht mehr, ich kann nicht, und da bringt Ihr mir auch noch die Halbverreckten der Kerl ist ja schon todt fort mit ihm- fort!"
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Als nun aber der Jüngling die Augen zu ihm aufschlug, mit einem unfäglich traurigen Blick, mit jener stummen Resignation des gänzlich Verlassenen, da überwog die Regung des Mitleids. Was" Her mit ihm, hol ihn der Teufel," und er riß ihm gemeine Schuß das Hemd auf. Gypsarbeit, nichts Eine Brustwunde mitten durch die Lunge!" rief er und in seinen erschöpften Zügen malte sich Befriedigung. Kleine Wundöffnung geringe -grader Kanal Berste rung- ein Schuß wie ein Stich- und dabei durch und durch. Das ist das neue Gewehr, ich kenne das," dann dem Verwundeten zulächelnd: Beruhige Dich, mein Sohn. Du bleibst in meiner Behandlung. Wir wollen mit einander den Beweis liefern, daß man mit einer durch schossenen Lunge noch leben kann."
" Bitte, Schwesterchen," wendete er sich an Sofia, die eben dabei war, einen Gypsverband anzulegen, wenn Ihnen eine Brustwunde unterkommt oder sonst was Besonderes, Elegantes, denken Sie an mich, schanzen Sie mir das zu. Wenn ich schon diese gräßliche Plage auf mich nehme, dann möchte ich doch was davon haben."
Das fahle Licht des Tages drang durch die Fenster und die Temperatur sant noch tiefer herab. Auch in der Sortirungsbaracke war es empfindlich falt geworden; aber die Aerzte hatten die Röcke abgeworfen und arbeiteten wie
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Die Sonne war roth aufgegangen und verschwand wieder in einem immer dichter werdenden Nebel.
Einige waren so gänzlich erschöpft, daß sie selbst im Fieber. zum Sterben zu schwach schienen; Andere blickten, um ihr Der Belegraum des Hospitals war längst überfüllt, Die Unordnung und Verwirrung in Bulgareni aber Loos besorgt, mit bangen, fragenden Augen die Aerzte an. man legte die Verwundeten zwischen die Betten auf den hatten mit der Nacht keineswegs ihr Ende gefunden. Sie „ Echickt uns nicht fort!" stammelten sie und ver- Boden, man suchte sie in den Häusern des Dorfes unterschienen ihren Höhepunkt zu erreichen, als am Morgen fuchten, ihre Hände zu heben, habt Erbarmen, laßt uns zubringen, man hatte Zelte für sie errichtet, aber es fehlte Tausende von Maroden und Leichtverwundeten, die sich zu hier!" an Stroh, sie zu lagern. Vergebens bot man einen halben Fuß auf den Weg gemacht hatten, zu Gruppen gesellt, nach Einige Operationen sollten sofort ausgeführt werden, Imperial für ein Bund Stroh, es war keins mehr aufzu- einander hier eintrafen. aber man fonnte sich nur im äußersten Nothfall dazu betreiben. Die Mehrzahl befand sich in einem desolaten Zustande; Und da lagen die Unverbundenen gehäuft und immer die Schuhe waren zerrissen, die Monturen hingen in Fetzen Sofia arbeitete an der Seite der Männer mit festen noch neuer Zuzug... Es war zum Verzweifeln. von ihnen herab, Gesicht und Hände waren blutig und von
quemen.