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Nr. 111.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. frei tn's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags: Nummer mit illustr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30mt. pro Quartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreich­Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Post Beitungs- Preisliste

für 1894 unter Nr. 6919.

Vorwärts

11. Bakp:

Insertions Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in ber Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn­and Festtagen bis 9 Uhr Bor mittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm Adresse: Sozialdemokrat Berlin :

Berliner Bolksblatt.

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Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Donnerstag, den 17. Mai 1894.

Arbeiter! Parteigenossen!

Trotzdem in feiner Weise der Rixdorfer Bierboykott zur Sache der Berliner Arbeiter gemacht wurde, hat gestern der von den Herren Happoldt und Rösicke geleitete Bierring in unerhörter Weise die Arbeiter Berlins und der Umgebung provozirt.

Der Bierring verfolgt andere Zwecke, als er vorgiebt. Nicht dem Nixdorfer Boykottbeschluß will er ein Paroli bieten, nein er glaubt jetzt den Moment gekommen, die Organisation der Brauerei- Arbeiter zerstören zu können. Von langer Hand war der Streich vorbereitet und trotzdem haben die Herren die Stirne, von ,, Nothwehr zu sprechen! War es Nothwehr, daß gerade die ältesten Arbeiter entlassen wurden, die zehn und mehr Jahre in einem Brauereibetriebe gegen elenden Lohn ihre Gesundheit geopfert haben, um die in der deutschen Industrie einzig dastehenden Dividenden den Rösicke und Konsorten zu verdienen?

Der alten und der organisirten Arbeiter hat man sich entledigen wollen, der Organisation der Brauerei- Arbeiter hat der Brauereiring einen tödtlichen Schlag ver­setzen wollen.

Den Brauereibesigern ist der Ramm gewaltig geschwollen, sie haben die für den 15. Mai angekündigte Entlassung schon für viele Brauerei- Arbeiter früher eintreten lassen, um die Arbeiter zu reizen, sie haben die Herausforderung verschärft, indem ihr Häuptling, der Arbeiterfreund" Rösicke, auch noch eine Lohnreduktion eintreten ließ. Die Würfel sind gefallen.

Die Brauereibefizer zwingen uns den Rampf auf. Wir nehmen ihn an. Bis heute Abend sind in den verschiedenen Brauereien schon über 200 Arbeiter von der Tagschicht entlassen, mindestens weitere 200 von der Nachtschicht dürften bis morgen früh entlassen sein, so werden 400-500 Arbeiter außer Arbeit und Verdienst gesetzt, ohne irgend eine Schuld, blos aus Uebermuth, blos aus Haß gegen die Organisationen der Arbeiter, all' diese Arbeiter haben nicht das mindeste mit der eigentlichen Streit frage, dem Böttcherstreit zu thun. Reiner von ihnen hat am 1. Mai gefeiert, Keiner durch irgend eine Forderung Anlaß zur Entlassung gegeben. Nur kapitalistischer Ueber­muth und frivole Brutalität der Brauereiproten verlangte diese Opferung!

Gegen 500 Brauerei- Arbeiter und 300 Böttcher, 800 fleißige Männer, darunter sehr viele Familienväter liegen auf der Straße.

Wie haben wir diese unerhörte Provokation zu beantworten?

Unzweifelhaft mit der Waffe, die die Brauereibesizer am schwersten trifft, mit dem.

Bonkoff.

Es kann blos die Frage sein, ob der Boykott ein allgemeiner sein soll, oder ob diese Maßnahme nachhaltiger und erfolgversprechender sein wird, wenn wir uns auf eine bestimmte Anzahl Brauereien beschränken.

Die Untereeichneten empfehlen, von einem allgemeinen Boykott ahzusehen und sich auf die Boykottirung einiger Brauereien zu beschränken.

In der heißen Jahreszeit und bei der großen Bedeutung des Biergenusses für die Ernährung der Arbeiter würde ein allgemeiner Bierboykott nicht die erhoffte Berlin , den 16. Mai 1894.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Wirkung haben; er würde, da wir auf die Energie sehr vieler Arbeiter rechnen können, alle Brauereien unzweifelhaft schwer schädigen, aber sicherlich nicht so, daß sie zum Nachgeben gezwungen würden. Unsere Kraft würde sich zersplittern, dagegen wird die Boytottirung einer Anzahl von Brauereien diesen die ganze Wucht unseres Angriffes fühlbar machen. Bier muß getrunken werden, aber boykottirtes Bier wird Sesto leichter entbehrt werden, wenn anderes zur Verfügung steht. Ein allgemeiner Boykott würde den Bierring stärken, ein partieller sprengt ihn.

Wer aber Bier aus Brauereien, in denen Arbeiter gemaßregelt wurden, nicht trinken will, dem steht dies ja immer frei.

Wir schlagen Euch vor, von heute ab keinen Tropfen Bier von folgenden Brauereien zu trinken:

0

1. Schultheiß- Brauerei , Aktien- Gesellschaft, Berlin ,( und Tivoli). 2. Brauerei F. Happoldt. 3. Böhmisches Brauhaus, Kommandit Gesellschaft auf Aktien, 2. Knoblauch. 4. Brauerei Karl Gregory, Berlin ( Adler Brauerei). 5. Vereins­Brauerei Nixdorf. 6. Spandauer Berg- Brauerei, vormals C. Beckmann, Westend bei Charlottenburg . 7. Aktien- Gesellschaft Schloß- Brauerei Schöneberg. Arbeiter! Zu Hause und im geselligen Verkehre, in der Werkstatt und bei Ausflügen, überall wo Ihr hinkommt sorgt für die strenge Durchführung des Boykotts. Nur dann wird jeder Berliner Arbeiter, der sich seiner Ehrenpflicht gegen die Partei, seiner Solidarität mit dem durch den Unternehmerhochmuth brotlos gewordenen Arbeitern bewußt ist, unausgesetzt den Boykottbeschlüssen gemäß handelt. Nur dann kann der Sieg unser sein, dann wird er auch ganz sicher errungen werden.

Die Welt muß wissen, daß die Einigkeit der Arbeiter stärker ist als der festeste Ring hochmüthiger Kapitalisten!

Sofort muß der Bierring die Aktion der Arbeiter fühlen. Kein Augenblick ist zu versäumen. Jedem müssen die Namen der boykottirten Brauereien fest eingeprägt werden!

Hoch die Solidarität der Arbeiter!

Nieder mit dem Bierring!

Mit der Durchführung des Boykotts find bis auf Weiteres beauftragt:

J. Auer, SW., Raßbachstraße 9,

R. Millarg, NW. , Lehrterstraße 22,

5. Mattutat, SO., Wrangelstraße 124,

H. Gumpel, NO., Weinstraße 31,

Paul Hilpert, Rixdorf, Karlsgartenstraße 1.

Am Freitag Abend finden zum Zwecke der Besprechung dieser Angelegenheit nenn öffentliche Versammlungen statt in allen Stadt­theilen Berlins .

Die Lokale werden noch durch Inserat im Vorwärts" und durch Säulenanschlag bekannt gemacht.

R. Berger. R. Beyer. W. Börner.

J. Auer. R. Augustin. J. Bamberger . J. Bamberger . A. Bebel. H. Bolze. G. Boffe. H. Dornbusch. Karl Dost. H. Faber. Rich. Fischer. B. Franke. St. Friz. J. Gandorfer. W. Gesche. C. Gruschke. H. Gumpel. R. Halfter. K. Hergt. R. Helbig. P. Hilpert. F. Hoch. E. Joft. F. Kizing. H. Knüpfer. F. Kubat. Fr. Lehmann. K. Lenzner. W. Liebknecht. F. Lichte. H. Mattutat. K. Mehner. R. Millarg. J. Otto. L. Patuscher. M. Beper. W. Pfannkuch. J. Pfarr. H. Pötzsch. N. Schermig. N. Schmidt. B. Schneider. Jul. Schneider. C. Scholz. W. Schröder. P. Singer. J. Timm. R. Tschentscher. F. Warschowsky. Rob. Wengels. H. Werner . W. Winckelmann. H. Wörner. 2. Zaate. F. Zubeil.

Feuilleton.

Der Inde.

Deutsches Sittengemälde

aus der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts. Bon C. Spindler.

vor achtzehn Jahren beiläufig zu Frankfurt gehalten wurde, Bart: Jhr habt mich und die Söhne gerettet, edler Her­mit ungeheurer Pracht und großem Zulauf von Fürsten und zog, damals in der Jugendblüthe. Ihr habt mir gesendet Gewaltigen, unter denen jedoch hervorglänzte wie der Stern 39 des Morgens der Herzog Leopold von Oestreich."

Ob ich mich dessen entsinne?" fragte Friedrich mit leuchtendem Blicke:" Destreich glänzte da wie die Sonne selbst, nicht wie der Stern, den sie verscheucht. Steh' auf, rede wie tömmst Du mit Leopold zusammen?"

-

Dem

Euern Arzt, der mich heilte; Ihr habt getröstet mein kla­gend Weib; Ihr habt beschenkt meine Kinder. Ihr habt Euch nicht geschämt, herabzusteigen in eines armen Juden Hütte, zu sehen unsere Armuth, unsere Leiden. Gott !"" spracht Ihr beim Scheiden halb vor Euch hin: ,,,, kann man den Menschen so in den Staub treten?"" und eine Hand­Es tömmt ja nur an auf die Probe," erwiderte Ben" Des Herzogs Haus war offen wie das Haus eines voll Gold ließt Ihr auf meinem Schmerzenslager zurück. David ehrfurchtsvoll; unser Volt hat immer geehrt und Vaters seinen Söhnen," fuhr Ben David fort, um Gott Herr! Mensch unterm Herzogshute! Aus Eurem Bei­geliebt den Stamm der Habsburger , den Erlauchten, Weit- und Ehre wurde daselbst gespeist der Hungrige, geträuft fpiele hab' ich gelernt, daß es giebt edle Christen. Herr! gepriesenen." der Durstige. Zwei Judenknaben wollten auch mit ansehen von Euch habe ich ererbt Vertrauen auf die dunkle Vor­Schweig!" herrschte ihm der Fürst zu: Ich hasse die die Pracht des herzoglichen Hofstaats. Ach, sie wußten schung; Herr! Euer Gold hat mir gebracht Segen, hat Speichelleckerei, zu der Deine Glaubensgenossen so viele nicht, daß, wo der christliche Bettler Zutritt hat, derselbe mich gemacht reich, und bei dem Haupte meines Vaters ge­Anlage haben. Gerade und offen ins Gesicht; hinterm dem Juden doch verboten ist. Neugierig durchstreiften sie lobe ich's Euch: Euer ist auch alles, was mein ist auf der Erde." Rücken fein Haarbreit anders, so sei der Unterthan gegen den Hof, die weitläufigen Ställe. Dem einen von ihnen Ben David schwieg erschöpft und küßte des Herzogs seinen Herrn, der Geringe gegen den Hohen. Ich wette, fällt ein töftlich Sattelzeug in die Augen, mit vergoldeten Stiefel, daß Friedrich empört zurücktrat, und halb gerührt, diese schmutzige Glattzüngigkeit ist Dir nicht einmal Ernst, Buckeln, der andere greift es tindisch bewundernd an mit halb unmuthig ausrief:" So steh' doch auf, aberwiziger denn Dein abscheulich Antlig wird noch häßlicher durch das den Händen; ein Satteltnecht sieht's und ruft:" Diebe!"" Ebräer! Du wirst mich böse machen mit dem übertriebenen erheuchelte Grinsen." Unter den Fäuften des Trosses büßen die Kinder ihre un- Gewäsche. So seid Jhr aber, leichtsinniges Volk. Ben David zuckte schweigend die Achseln, und verbeugte schuldige Neugier. Vergebens flehen sie an ihre Peiniger! Erlöser fangt Ihr Hosianna, und habt ihn dann getödtet." fich. Der Herzog blickte ihn scharf an, und schlug alsdann Sie schreien auf zu dem hochgelobten Gott und zu ihrem Ben David richtete sich langsam und bekümmert auf. erstaunt die Hände zusammen. Jesus Christus !" rief er: Bater. Der Zufall will, daß dieser vorbei geht an den Gnädigster Herzog," sprach er, gänzlich ablenkend, mein Wer hat Dich denn also zugerichtet, Jude, daß Dein Ge- offenen Thoren, hört das Gejammer, hineinsieht in den Vater, der seine hundert Jahre zählt, hat viel des Guten ficht aussieht wie ein zerfetzter und kümmerlich zusammen- Hof und erkennt seine eigenen, gemarterten Söhne. Die gethan auf der Welt, und keinen Lohn davongetragen, als genähter Turnier Handschuh? Das nenne ich eine Narbe, Angst jagt ihn unter die rohen Pferdeknechte; ihre Grausam- ein schneeweißes Haupt und schwache Glieder. Belohnt wie man sie auf dem besten Schlachtfelde holen kann, ob- teit stößt ihn zurück. Mit der Gewalt der Verzweiflung mich an seiner Statt, edler Fürst, oder sorgt, daß der Kaiser schon Du sie da nicht holtest." will er entreißen sein Blut der Gefahr, und der Hieb eines es thue." Ach, gnädigster Herr", erwiderte Ben David mit scharfen Schneidmessers wirft mich mit blutendem Gesichte Der Herzog sah ihn befremdet an. Wie soll ich das bewegter Stimme: auf dem ehrenvollsten habe ich diese zu Boden, denn ich, ich, Herr, war der Vater der armen perstehen?" fragte er: Wie käme denn ich, wie der Kaiser Narbe erhalten; im Kampfe für meine Söhne, und Ihr, Kleinen!" dazu, Dich zu belohnen für die guten Thaten, die vielleicht großmüthigster Fürst", hier warf sich der Jude weinend zu Still! still!" rief der Herzog, auf dem Antlitz die Dein Vater verrichtet hat?" Friedrichs Füßen, Ihr müßtet mich an diesem Denkzeichen edle Scham zeigend, welche eine gute That darauf Lächelnd schwieg Ben David eine Weile, trat dann in erkennen, wenn ein Sohn Israels werth wäre der Er- malt: Ich weiß bereits... steh' auf; ich entsinne mich die vorige ehrfurchtsvolle Entfernung, und versezte: Guer innerung." schon." Wort ist Wahrheit, Herr, aber wenn Ihr nicht an Der Herzog stand betroffen auf und musterte mit durch- Vor der Herrlichkeit Gottes liege ich nicht aufrichtiger mir das Gute vergelten wollt, das mein Vater vor fünfzig bringendem Auge den Knieenden, der also fortfuhr: im Gebete, als hier vor Euch in Dankbarkeit!" sprach Ben Jahren that, warum laßt Ihr mich entgelten, was mein gewiß, gewiß, hr entsinnt Euch noch des Reichstags, der David weiter, und große Thränentropfen fielen in seinen Bolk vor anderthalbtausend Jahren Böses gethan?-"

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