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Ztr. 75 4Z. Jahrgang

1« Seilage ües vorwärts

Sonntag, 7». Febrvar 1�26

Nein, die Sache hat nichts mit Romantik zu tun. Trotz de» Titel», der ebenso in eine veteltiogeschichte wie in einen Rinaldo- Rinaldini-Roman passen würde. Es ist die einfache, nüchterne Ge- schichte von der Großstadt, die nie schläft, in der die Jagd noch dem Groschen in allen vierundzwanztg Stunden de» Tage» auch nicht «inen Lugenblick ruht. Wir alle kennen die Gestalten, die nacht» von Lokal zu Lokal ziehen, die an den Straßenecken stehen, mit dem Wurstkessel auf dem sauber gedeckten Tischchen oder mit ein paar Schachteln Streichhölzer im.Bauchladen". Ob wir im Osten, im Nord«, oder im Zemrum wohnen, wir kennen sie. Nur die ganz seinen Leute merken nicht so viel von ihrer Existenz. Denn vor der Tür de» eleganten Lokals wacht der großmächtigc Herr Portier darüber, daß die unverschämte Armut nicht da» Vergnügen der

Bei Warstmaxe".

Gäste stört. Wenn sie auch noch so bescheiden von Tisch zu Tisch schlüpfen schon die Erinnerung an chr« Existenz ist peinlich. Und wer im Auto nach chau» fährt, der sieht sie auch nicht am Wege stehen. Wir anderen ober, wir kennen sie. .Wurftmaxes' Nachfolg«. Vor dem Krieg«, da waren.Wurstmaie' und sein« wenigen Kollegen auch schon stehend« Typen des Berliner Nachtleben». Drin in der Iriedrichstadt gründete der Ahnherr der Dynastie Wurstmar« sein Geschäft. Die blendend weiße Schürze, der umachänate Wurst» kesiel und der Ring mit dem fabclhasten, toubeneigrotzcn.Brillanten' waren die Jnstgnen seiner Würde. Und es aalt für fesch, in animierter Stimmung aus seinen lockenden Rus.cheißc Wiener, Herr Ieheimrat' zu reagieren und schnell noch«inen Stehhappen am Wurstkessel zu nehmen. Wie fruchtbar war Wurst, nares Ge- dank«! Heuie sehen wir an unzähligen Straßenecken seine Nach- solger und Nachfolgerinnen stehen. Die ganze Nacht durch brennt die Spiritusflamme unter dem blanken Kessel, zur Seite hängen ein halbes Dutzend Paar Würstchen über dem Tassenkops, und neben dem weißgedeckten Klapptisch steht er oder sie, Wurstmare» Nachiolger, und warten aus Kundschaft. Wer soll bloß die zahllosen «Heißen Wiener' bewältigen! Aber alle finden ihre Kundschaft. Die an den besten Ecken stehen, mögen.sogar gut verdienen. Iai Denn die Kundschaft bot sich erheblich erweitert. Der früher im Restaurant für zwei, drei Mark warmes Abendbrot, kann sich den Luxu» heute nicht mehr leisten. Und wenn doch mal ab und z» gebummelt wird, na, dann nimmt man das.warme Abendbrot' eben bei Wurstmaxe«in, denn die Stullen, die man vorher. wollen durchaus nicht für die ganze Nacht ausreichen. So kommt Wurst» maxr zum Äerdienst! recht bescheiden'meist, denn die Konkurrenz ist groß Aber der blanke Kefsel ist nicht unerschwinglich teuer, auch für einen Arbeitslosen im Notfall wird noch irgend was verkauft, um Ihn aruuschasfen. Und man braucht ja kein großes Warenlager. Mau rauft täglich ein. und olle Tage kommen ein paar Start ein. Ein wenig bleibl hängen. Ach, man ist sa s o be- scheiden geworden! Und geduldig steht man frierend neben dem heißen kesiel; die ganze lange Winternacht hindurch, und sreut sich. wenn die lange Grete und die dicke Erna aus ihren Berusspromc- noden mal zu einem kleinen Klatsch haltmachen, auch wenn sie nicht (edesmal«in Paar Würstchen verzehren. Den nächsten Kavalier chleppen st« vielleicht mit... Und et sind sa so schlechte Zeiten. Die Meechcn» oerdienen ovch nischt..." Durch die Stadt. Freitag? und Sonnabends scheint noch Hachkonsunktur in den Kneipen zu sein. Aber wer genau hinsiebt, kann deutlich merken, aus welchen zwei sehr verschiedenen Menschcntypen die Besticher bestehen. Da sind die soliden Leute. Auch sie gehen in die Kneip«. Man will doch mal unter Menschen! Will sich mit seinesgleichen zwanglos unterhalten. Der Bürger h-u's gut der kann, und wenn» wirklich nur zu einer.leeren' Taste Tee ist, doch mal Freund« und Bekannte einladen. Er hat ja noch ein unschätzbares Gut, ein« richtige menschenwürdige Wohnung. Der Prolet?

Wie oft teilt man die Wohnung nicht nur mit der eigenen Familie, iu!r oft Hausen nicht nur Großeltern, Kinder, Enkel in zwei, drei kleinen Räumen wie oft ist noch der Schlasburiche, der.möblierte Herr', de» man nicht stören dürfte. Dun» sitz, man eben mal in der Kneipe«- beim Glas Bier, das lange vorhalten muß, oft genug mit der Frau, die auspaßt,.det die Kirche im Darf bleibt". Di« anderen sind dt«, die trinken, um mal im Rausch wenigst«»» große Leute zu sein, um zu vergessen. Und durch diese Rensthe» schieben sich die nächtlichen Händler. Allerlei bieten sie an. Nicht? gerade Notwendiges. Aber wenn mau schon so letchisinnig ist, alle Wache mal in die Kneip« zu geben dann zahlt man auch mal einen Sclbsrr für die StreichboUschachtel. die Mutter sonst iür L's Pfennig kauft, und kaust eine larbeiip nichtige Ansichtskarte(.handgemalt!. für die man erst in vier Wochen Verwendung hat. Noch beber? Geschäfte macht der Mann mit der Elektrisirrmafchine. Irgendein arbeitsloser Installateur oder Mechaniker ist da aus den gute» Gc. danken gekommen, mit einer kleinen Elettrisiermnschine nachts durch die Lokal« zu gehen.Einen Groichcn bloß! Muskeli'tärkend! Nervenanrcgend!' Er findet reichlich Kundschaft. Eine Elektrisier Maschine ist immer noch ein bistel fremdes Möbel. Und gern opfert man einen Groschen, um seine Kraft zu zeigen. In denbesterrn Lokalen', den Cast» der Möchtegernkaoaliere, die leichtstnnigerweifc hier am Sonnabend den großen Mann spielen, um ihrem Mädel zu imponieren, reißt die Kette die ganz« lange Nacht nicht. Der krlegsvertetzte mit den Ansichtskarten, der Ardciisloje. der die ersten Margenzeitungen anbietet, ein altes Männchen mit Streichhälzeni und die Blumenfranen. die dlumenfrouen. .Gib mir dein« Veilchen , mein schönes Kind.' sagte der junge Gras Wartenfel» zu dem blasten, dunkellockigen Madchen mit den schönen Nehaugen... sowohl, so stand es immer in den knall- gelben Groschenheften»Lila oder die Schicksale eines Blumen mädchens'. Und nachher wurde sie Gräfin, die Tugend siegte, außerdem war sie selbst da» Kind einer uerstoßenen Krafentochter sonst hätte sie nie so schön und so tugendhaft sein können ach. es war herrlich, was alles aus so einem Blumenmädchen werde»

SträuCchcn getälllg?"

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Gnkel Moses. Roma« von Schalom Asch .

Aber als Mascha hörte, daß ihr VaterGarges" genannt wurde, da sprang sie aus ihrem Winkel hervor, in dem st« kich die ganze Zeit versteckt hatte, ging, auf den Vater zu und iahte ihn bei der Hand Groß « Tranentrvpfen hingen an ihren Wimpern: .Komm nach Hause. Pa. Bleib nicht hier, Pa. Das sind schlechte Menschen.... Hab keine Sorge, Pa. Wir werden schon leben. Wir werden uns Rat schassen.... Nimm kein Geld von ihm'(dabei wie» sie auf Onkel Moses). .Du bist em schlechter Mensch," rief sie Onkel Moses zu,.«in Lieh, ein Biest, ein Hund das bist du!" .Mascha, um Gottes willen, was tust du? Bitte den Onkel um Verzeihung. Was hast du gesagt?" .Ich will den Onkel nicht um Verzeihung bitten. Komm nach Haus«, Pa. komm, ich will nicht, daß du hier bleibst." Schaut, daß ihr herauskommt,' schrie Sam. und drängte Larvn. Perl und Mascha gegen die Tür. Onkel Moses erhob seine Brauen Seine feuchten, blaß» blauen Augen traten hervor; er legte die Schere weg, faltet« die Hände über den Bauch und schaut« das Mädchen an. das den Dater an der Hand hielt und fortzoa. Er biß sich auf die rasierte Oberlipp« und sprach halb vor sich hin: .1 liste th« stich*(Ich liebe die Kleine.) Als Sam des Onkels Stimme hörte, ließ er die beiden Männer und das Mädchen los. Ein« Minute lang blickt« der Onkel auf das Mädchen, und Mascha schaute ihn an. De» Onkels Vlick irrte verlegen umher. Er wurde ernst, biß sich auf die Lippen und sprach zu Mascha: -Zch wünschte, du wärast nieiiw pchter. Mascha sah ihm fest ms Gesicht- An chren«ugen? Wimpern hingen Tränentropion und sie anfcportete: -I d-'e yon!'(34 hast« Sie.) Der Onkel lächelt«. Seine großen, fleischiaeu Lippen öffnettin sich und entblößten seine gesunden weißen Zähne; er spielte mit semer goldenen Uhrkette und rief dann nach einer Weil«: .Sam!" .Pe». Ontek." Sam lies eifrig herbei. .Wie hat«r doch daheim geheißen? Onkel Moses deutete auf Laron. ..Gorgrl.'

Nimm denGorge!" hinauf und und setz' ihn zur Arbeit. Er bekommt von nun ab fünf Dollar mehr Lohn für die da"(dabei deutet« er auf Mascha). Onkel Derl. Aaron, Sam und alle Angestellten risien Mund und Augen auf und blickten den Onkel an, ob er es wirklich ernst meine. »Siebst du. danke dem Onkel, küß ihm die Hand," schrie Bert Mascha zu. Mascha blickte auf den Bater: Was wird der Batcr tun? Sie fad, wie Pa voll Freude die Treppe emoorsprang und hinter Sam dem Arbeitsswhl zueilte. Der Onkel rief Ihm nach: Geh. Gorgcl, geh. Pa antwortete nicht, er lächelte glücklich. Mascha lief rasch aus dem Gcschäjt hinaus; wie helle runde Perlen rollten die Tränen über ihre glülzenden Wangen. 7. Onkel Moses' Leben. Die ganze letzt« Zeit hatte Onkel Mose « sehr viel über sich, über sein Leben, sein« Vergangenheit und seine Zutunst nachgedacht. Und als Mascha gegangen war. versank Onkel Moses wieder in Nachdenken. Mascha, das halbe Kind, hatte «inen starken Eindruck aus ihn gemacht. Eine Kindheit hatte Onkel Moses nie be festen. Cr wuchs bei seinem voter, dem Grießmüller, auf. Der mabttc Grieß für die Bauern, und sein« Kinder hungerten dabei. Bon Kindheit auf' mußte Moses arbeiten und selbst verdienen: Körbe vom Markt hinter einer Hausfrau hertrogen oder ins Schlachthaus lausen, um ein Huhn schlachten zu lasten. Im Schlachthaus freundete er sich mit den Fleischerburschen an. und die verließ er nicht mehr. Er half ihnen beim Anbinden der Tier«, hier und da durfte er auch einem geschlachteten Schaf das Fell abziehen. So verdiente er sich fein bißchen Brot und wuchs dabei ganz einsam auf. Er hatte niemanden und gehört« niemandem. Als er stellitnc,?p'lichning wurde und Angst bekam, man könnte ihn hei den Soldaten behalten. ging er eines Tage« durch, entwtlchte über die Grenzr und fuhr auf einem Nmdertranspartfchiff über das große Wülfer, ohne einen Kreuzer Geld; er arbeitete, indem er die Ockfen Mern half. Mit schmerzenden Seiten von den Hieben, welche »hm die Matrosen auf der Reise austeilten, und mit zwei Rubeln hatte er das amerikanische Festland betreten und jetzt war er Moses Melnik. der Großkonfektionär auf der Bovert), der Präsident derC4 ongrepation Ansche Kusmin". Halb Kusmin steht in seinen Diensten, die vornehmsten Juden semer Heimatstadt sind bei ihm Arbeiter. Bügler usw.. st« zittern vor ihm und schmeicheln ihm; Moses Melnik besitzt

seinen Namen, nnd in ihnen liegen die Juden aus Kusmin wohnen. Einige Betten im HospitalBikur Eholim" trogen seinen Namen, und in ihnen liegen die Juden aus nismin krank, wenn sie alt werden: der Name Moses Melmk leuchtet mit Gvldduchftaben über dem ToreSchaar Rachmim" am Eingang des Friedhofs, aus dem die Leute ans Kusmin ruhen, wenn sie gestorben sind. Doch was bat Moses Melnik von feinem Leben? Manch« mal scheint es ihm, auch er fei. ebenso wie seine Arbeiter, ein Faden, der in die Nadel eingrsädelt ist. Die Maschine läuft, nnd die Nadel näht, ob sie nun will oder nicht..., Alle Menschen in Amerika sind in die Nadel clngepfrienii, auch Moses Melnik; vom ersten Tage an. da er Tierslaschen aus demSaloon" benannten kleinen Gasthaus trug, in welchem er am ersten Tage nach seiner Ankunft Arbeit gesunden battc. bis heute steckt Moses Melnik in der NaM und hat keine einzige Minute lang Zeit gehabt, still zu stehen und nachzn» denken. Die Energie hat ihn wie eine wahnsinnig gewordene Maschine vorwärts getrieben und keinen Augenblick nach­gelassen. Nächtelang hat er auf seinem Bett gelegen und hat Pläne entworfen, wie er sein Fortkommen aufbauen sollte. In seinem Leben hat Moses Melnik ans verschiedenen Letten gelegen. Ans schmutzigen Strohsäcken in finsteren Herbergen und auf breiten, reinen Letten in hellen Zimmern aber aus allen hat er die Nächte nur mit Geschäftsplänen verbracht; mit dem Plan, einen Lunchroom an einer Straßen­ecke. nicht weit von einer Fabrik zu eröffnen, dem ersten Plan. den er verwirklichte. Er führte auch diesen Lunchroom in den ersten Iahren nach seiner Ankunft big zu seiner Derheiratuiig. Dann pertauscht« er ihn gegen«inen Laden mit zur uckgesetzter Männertleidung. die er in großen Fabriken zusammcnkoiifte und in den Südstaaten durch Reisende verkaufen ließ. Aus diesem Geschäft« erwuchs«ine Konfektlonsschneiderci für Mannerklewung. Immer war Moses Mewiks Kopf voll von Zukunstsplänen. Später sntstonh«n die Pläne. Häuser zu bauen. Dies« Idee hatte ihn wie«ine Manie ergriffen. Wo er einen leeren Platz sah, wollte er ihn mit hohen Zinshäusern bebauen.... Und gerade damals hatte er zu bauen be» gönnen, als es mit dem Velde bei ihm am knappsten stand. gerade damals, als er vor einer Knse. vor einem Abgrund stand gerade damals hatte er sich entschlossen, die größten Unternehmung«« durchzusühre». Das war für ihn wie ein Spiel, wie eine Wette, als wollt« er feine eigenen Kräfte an sich selbst erproben. fFortsetzung folgt.)