Abendausgabe Nr. 37 ♦ 44. Jahrgang Ausgabe g Nr. ls
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Derliner Volksblatk
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Zentratorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutfchlands
Das Aentrumsmanifest kein Hindernis - auf dem Wege zum Besitzbürgerblock!
Zlmklich wird gemeldet: Reichskanzler Dr. Marx begab flch heule vormittag zum Herrn Reichspräsideukeu, berichtete über den gestrigen De- schluß der Zentrumsfraktion und erklärte, daß er im Sinne b'efes Beschlusses den Auftrag des Herrn Reichspräsidenten zur Regierungsbildung übernehme. Die presse zum Zentrumsmanifeft. Verächtliche Behandlung in de« Blättern der Rechten. In den Blättern der Rechten erfährt das Manifest des Zentrums die verächtlichste Behandlung. Nur wenige erweisen ihm die Ehre, es auch nur vollständig obzu- drucken. Die Stellen, die sich auf die Republik und die Außen- Politik beziehen, werden teilweise gar nicht wiedergegeben. Wo das geschieht, erscheinen sie in kleinem Druck, während die Stellen über Christentum, Landwirtschafts- und Mittelstandsschutz fett gedruckt werden. Das ganze Stück Papier wird gleichsam mit einer Handbewegung weggeschoben. Der„Lokal-Anzeiger" findet es durchaus einwandfrei, daß das Zentrum seinen Standpunkt vor seinen Wählern entwickelt. Zum Teil enthalte das Manifest sogar Lusfüh- rungen, die das Zustandekommen des Bürgerblocks geradezu erleichterten, höhnend fügt er hinzu, daß in dem Werk der Herren Brauns, Ioos und Wirth„allen Bedenken der um die Republik besorgten Kreise des Zentrums Rechnung ge- tragen ist". Der„Tag" sieht zwar noch ziemliche Schwierigkeiten voraus, bemerkt aber befriedigt, daß das Zentrum die An- erkennung seiner Anschauungen nicht zur Bedingung mache. Ebenso hebt die„Deutsche Tageszeitung" hervor, daß Gewiffensfragen an andere Parteien nicht gestellt werden. Auch der„Kreuz-Zeitung " machen allgemeine Prinzipien- erklärungen, die das Zentrum nur für sich selber abgibt, keine Kopfschmerzen. Sie bemerkt: Der Weg zur Bildung der von hindenburg als allein noch mög- lich angesehenen Regierung auf parlamentarischer Grundlage ist aber erst dann wirklich frei, wenn über die konkreten Punkte des vorliegenden Programms wirklich verhandelt werden soll und wenn sie nicht als coiulitlo sine quo von(unerläßliche Bedingung) betrachtet werden. Es ist selbstverständlich, daß Programms- tisch Unterschiede zwischen den Parteien, ob es sich nun um die Deutschnationalen, die Deutsche oder die Bayerische Dolkspartei Handell, bestehen und niemand wird verlangen wollen, dich sich die eine oder andere ans das verpflichlel, was da» Zentrum für sich be- ansprucht. Im Vordergrund der Erörterung muß deshalb das praktische Arbeitsprogramm der kommenden Regierung stehen. Da- für sind genug Anknüpfungspunkte vorhanden. Bei g«genseitig:m guten Willen sehen wir jedenfalls keine unüberfteiglichen Hindernisse, um eine Plattform zu finden, die eine dcmWunschedesherrn Reichspräsidenten entsprechende Mehrhcitsregierung zu tragen imstande ist. Die„Deutsche Zeitung", die oft den Vorzug hat, auszu- sprechen, was die anderen denken— und die manchmal des- wegen desavouiert wird— spricht unfreiwillig und gemütlos von einem„Umfall des Zentrum s". Auf der anderen Seite fassen„Berliner Tageblatt" und „Volkszeitung" die Zentrumserklärung so auf, als ob sie in der Tat unerläßliche Bedingungen für die Deutschnationalen enthielte, von denen eben verlangt werde, daß sie der R e- publik und der Locarnopolitik ihre Anerkennung aussprächen und einer Reform der Reichswehr im Geiste der Verfassung zustimmten.— Wir haben gesehen, daß die Rechtspresse ganz anderer Meinung ist. was tut üer höhere Klerus! AlleS in geheime« Verhandlungen schon vorbereitet? Der„Berliner Lokal-Anzeiger" schreibt:. Nachdem das Zentrum seine sachliche Bereitschaft erklärt hat, mit den Deutschnationalen in Verhandlungen einzutreten, wird in den nächsten Tagen etn Trommelfeuer falscher Meldungen erösfnet werden, um die weitere Entwicklung der Zu- sammenarbeit zu stören. Unter diesen falschen Meldungen wird— da» darf man jetzt schon prophezeien— auch die austauchen, daß die Deutschnationalen Verbindung mit dem Nuntius Pacelli gesucht hätten und in Verhandlungen mit dem Zentrum über«in Konkordat eingetreten wären. Der„Lokal-Anzeiger" hat ziemlich richtig prophezeit. Nur ist es nicht ein Blatt der Linken, in dem sich Andeu- tungen und Behauptungen in der angegebenen Richtung finden, sondern ein Blatt der Rechten, dem man wirk- lich nicht nachsagen kann, daß es darauf ausgehe,„die weitere Entwicklung der Zusammenarbeit zu stören", zugleich ein Blatt, von dem man annehmen kann, daß chm die Gelegen- heit, einen Blick hinter die Kulissen zu tun. nicht gefehlt hat. Es ist die„Tägliche Rundschau", die folgendes ver- kündet: Man P allgemein der Ueberz�ugung, daß die Verständigung dem Zentrum und de« Deutschnationalen keine ernsten
Schwierigkeiten mehr machen wird. Der Inhalt der Zentrumstund- gebung läßt den sicheren Schluß zu, daß man auf feiten des Zen- trums nicht die Absicht hat, einer Verständigung Steine in den Weg zu legen. Diese Tatsache mag denjenigen überraschen, der sich der Schwere der innen- und außenpolitischen Bedenken erinnert, die das Zentrum dem Reichswirtschaftsminister Dr. Curtius gegen- über geltend machte. Es ist aber inzwischen bekannt geworden, daß in einem kleinen kreis von Zenlrumsführern. die wohl auch mit dem höheren Klerus in Verbindung gestanden haben, und einem kreis von Deutschnationalen schon seit einiger Zeit Verhandlungen mit dem Hinblick aus die Möglichkeit einer Verständigung gepflogen worden sind. Die Konsequenzen, die sich aus diesen Borverhand- lungen ergaben, machen sich jetzt bemerkbar. Sie haben den Weg für offiziell« Verhandlungen zwischen dem Zentrum und den Deutsch - nationalen geebnet und sie werden sich wohl auch dahin auswirken, daß im Laufe der bevorstehenden Besprechung ein positives Ergebnis erzielt wird. Man begreift jetzt besser als zuvor, warum die Rechts- presse die Beteuerungen des Zentrums, es denke nicht daran, in den Bürgerblock zu gehen, keinen Augenblick ernst ge- nommen hat. Die Deutschnationalen weichen aus. Die deutschnationale Reichstagsfraktion hat heute vor- mittag eine Sitzung abgehalten, die sich mit dem Zentrums- manifest beschäftigte. Wie zu erwarten war, ist sie einer klaren Stellungnahme sorgsam aus dem Wege gegangen. Sie hat nur erklärt, daß sie in dem Manifest kein Hindernis er- blicke, mit Marx über die Regierungblidung zu ver- handeln! -» Heute vormittag trat das geschäftsführende Reichs- t a b i n« t t zur Erledigung einiger Fragen zusammen, die nicht länger aufgeschoben werden tonnten. Im Anschluß an diese Sitzung besprechen die Minister die politische Lage. Reichskanzler Marx wird am Nachmittag zunächst mit den Mittelparteien verhondeln: ob noch heute«ine Besprechung mit den Deutschnationalen folgt, steht noch nicht fest. Demokraten gegen Rechtsblock. Stürmische Debatten auf einem Bezirksparteitag. Erregte Auseinandersetzungen über die Politik der Demokratischen Partei gab es auf dem gestrigen Parteitag für den Wahlkreis Potsdam II. Im Anschluß an den Bericht des Reichstagsabgeordneten Dernburg wurde in der Diskussion von führenden Parteimitgliedern heftige Kritik an der Politik der Minister Külz und Gcßler geübt. Eine einstimmig angenommene Entschließung wendet sich gegen das verfassungswidrige Schreiben des Reichspräsidenten , das diesen mitten in den Kampf der Parteien stellt. Ferner forderte die Versammlung von der demo- kratischen Reichstagsfroktion die schärfste Bekämpfung jeder Regierung, in der die Deutschnationalen vertreten sind. Eine zweite Entschließung verlangt von der Partei zur Wieder- Herstellung des erschütterten Vertrauens der Wählerschaft ein ent- schiedencs Abrücken von der Politik des Reichswehrministers Dr. G e ß l e r._ Um die Arbeitszeit der Seeleute. Beschluß des internationalen Schiffahrtsansschnsses. Gens, 22. Januar.(Eigener Drahtbericht.) Der gemischte Schiff- sahnsausschuß des Internationalen Arbeitsamtes hat heute morgen mit 7 gegen S Stimmen beschlossen die Regelung der Arbeltszelt der Seeleute auf die Tagesordnung der Marinearbeitskonferenz von 1S27 zu setzen. Der Beschluß kam im letzten Moment dadurch zu- stände, daß der französische und der belgisch« Reederver- treter mit der Arbeitergruppe stimmten. Diese Stellungnahme erNärt sich daraus, daß Frankreich die Arbeitszeit der Seeleute(Achtstundentag mit Ausnahmen) schon seit 1320 durch Gesetz geregelt hat. Solange die franzSstschen Reeder hossten. dieses Gesetz gelegentlich wieder beseitigen zu können, hiellen sie mit ihren Kollegen der übrigen Länder, doch mußten sie in letzter Zeit jede Hoffnung darauf aufgeben, und deshalb traten sie aus Kon- kurrenzgründen dafür ein, daß die Arbeitszeit in der Schiffahrt auch international geregell werden müsse. Namens der übrigen Arbeitgebervertreter gab der englische Vertreter eine Erklärung ab, daß sie ihren ablehnenden Standpunkt nicht ändern könnten. Weiter soll auf der Konferenz von 7328 der Schutz der Seeleute im Fall von Krankheit und Unfall sowie deren Fürsorge in den Häfen zur Beratung gelangen. Ferner beschloß der Ausschuß, die Zahl seiner Mitglieder von ö auf 7— für jede Truppe— zu erhöhen, wozu noch je ein Mitglied der Arbeit- geber- und der Arbeitergruppe des Berwaltungsrates des Inter - nationalen Arbeitsamtes und dessen Präsidenten kommen, so daß der Ausschuß künftig aus 77 Mitgliedern bestehen wird.
Der.Popvlaire" wieder erschienen. Heute sst nach zweijähriger Pause der sozialistische..Populaire" wieder als Tageszeitung erschienen. Das Blatt, dessen Leitung 2 ö o n Blum übernommen hat, ver- öffcntlicht in der ersten Nummer ein Begrüßungsschreiben des Reichstagsabgeordneten Stampfer, des Chefredakteurs des .Vorwärts", sowie ein Begrüßungstelegramm der Deut- ich« Sozialdemokratisch« Partei........,,...
Masche um Masche. Das Netz des Faschismus. Von der italienischen Grenze wird uns geschrieben: Mit großer Sorgfalt und viel System webt der eofchismus an dem Netz, das jede Form von p p o s i t i o n aus dem öffentlichen Leben ausschließen soll. Gegen das ausdrückliche und feierliche Versprechen, das seiner- zeit der Iustizminister im Senat gegeben hat, das Gesetz über die Beamtenentlassung nicht auf den Richterstand auszudehnen, hat man längst alle unliebsamen Richter g e m a ß r e g e l t, vor allem die, die einst die Vor- Untersuchung des Prozesses Matteotti gewissen- hast und ohne Ansehen der Person betrieben hatten. Dann hat man das Recht der Beamtenmaßregelung, das im Dezember vorigen Jahres außer Kraft trat, um ein weiteres Jahr verlängert und hat es nun dieser Tage auch auf die städtischen Beamten ausgedehnt. Die,, Gazetta Uffiziale" vom 17. Januar veröffentlicht nun auch ein Dekret, das eine Revision der in die Matrikel der Handelsmarine Eingetragenen anordnet. Für diese Revision wird eine Frist von fünf Iahren vorgesehen, und sie soll zur Ausmerzung derer führen, ,chie sich in moralischer Inkompatibilität zum nationalen Charakter unserer Handelsflotte befinden, durch ihre Handlungen oder durch ihre Haltung, die, wenn auch juristisch einwandfrei, doch dem italienischen Gefühl widerstehen oder die öffentliche Meinung durch ihren Ernst oder ihre Rotorietät erregen. Im Sinne dieses Artikels sind Zeit und Ort der begange- neu Handlung oder angenommenen Haltung b e l a n g l o s." Eine Handlung, die die öffentliche Meinung durch ihre Rotorietät erregt— was offenbar von der Qualität der Handlung ganz unabhängig fein kann—, ist also ein mög- licher Anlaß für den Verlust eines erworbenen Rechtes, von dem unter Umständen die wirsschaftlichc Existenz des Betreffenden abhängt. Etwas Aehnliches wird jetzt für die Besitzer von öffentlichen Verkaufsstellen in Szene gesetzt. Aber damit, seine Widersacher um ihr Brot zu bringen. läßt es sich der Faschismus nicht genügen. Sie sollen auch aus dem geistigen Leben der Nation ausgerottet werden. Und das kann natürlich nicht in der Weife erfolgen, daß ihnen etwa der Faschismus durch fein eigenes geistiges Leben Luft und Sonne streitig machte, denn dieses fein geistiges Leben ist etwas so Kümmerliches und Künstliches, daß es kaum einen Grashalm überwuchern könnte: das kann nur durch Verbot erfolgen. Und so ist am 13. Januar ein Dekret veröffentlicht worden, durch das„jede neue Bildung und Orga- n i f a t i o n, fei sie auch provisorisch, die sich den Unterricht, die Anleitung zu Berufen, Künsten oder Handwerken oder in irgendeiner anderen Weise die körperliche, sittliche und geistige Erziehung der Jugend zur Aufgabe macht", verboten wird, außer der faschistischen Jugend- organifation, die den Namen„Opera Nazionale Balilla" führt. Ausgenommen find nur die katholischen„Boy Scouts ", die aber auch nur in den Orten mit über 20000 Einwohnern weiter bestehen dürfen oder in den Provinzialhauptstädten: auch sie müssen in dem Schilde ihres Abzeichens(das Schild der italienischen kommunalen Freiheit) das Rutenbündel und die Initialen der faschistischen Iugendorganisätion führen. Durch«in Gesetz vom vorigen Jahre hat fich das Regime schon die Möglichkeit gesichert, jedes private Er-- ziehungsinstiwt seiner Kontrolle zu unterwerfen, sein Dermögen tinter die Verwaltung eines Kommissars zu stellen und das Institut ganz an sich zu reißen. An den öffentlichen Lehranstalten, von der Volksschule bis zur Universität, hat man schon längst alle Persönlichkeiten ausgemerzt, die nicht Faschisten sind, oder sich nicht als Faschisten ausgeben. Dieser„Rcinigungsprozeß" findet ganz stillschweigend statt: keine Zeitung kommentiert. Eines der letzten Opfer war der Professor der Botanik an der Universität Padua . Genosse Montemartini. Interessant ist. daß ihm die Studenten eine Sympathiekundgebung gemacht haben, wie übrigens auch anderen Hochschullehrern, deren Zugehörigkeit zum Senat bis jetzt ihre Maßregelung oerhindert hat. Selbst die einfache Betätigung menschlicher Solidarität wird den Nichtfaschisten verwehrt. Ohne Autorisation der Präfckten darf man nicht einmal eine Geldsammlung für einen bedürftigen Gefährten veranstalten: es ist dies sogar ein Feld, was von den Lockspitzeln besonders leifrig bestellt wird. Es ist gefährlich, beut« zehn Lire für einen armen Teufel zu geben. Nachdem sich der Italiener so oft und so herzlich über das allgegenwärtige preußische„es ist verboten" lustig gemacht haben, marschieren sie heute alle im Gänsemarsch zwischen Spasseren, die einzig diese Inschrift ziert. Wohl tröstet es die Schwarzhemden, daß diese Inschrift sich ja nur auf die „Antinationalen" bezieht, und dem Faschisten eine gar ver- heißende Kehrseite zeigt: es ist alles erlaubt, dir ist alles erlaubt! Aber, mit dieser Kehrseite und ihrer Anwendung hat es feine eigene Bewandtnis, wie das bekannte Rund- schreiben des Premierministers an die Präfekten zeigt. Offiziell will man die Gewalttätigkeiten, die sich die Schwarzhemden bisher so ausgiebig erlaubt hatten und zu denen jedes neue Attentat einen willkommenen Anlaß gibt, nicht weiter zulassen. Es heißt aber, daß Mussolini in seiner Rede vor dem Hohen Rat die Seinen beruhigt und ihnen nahegelegt hat. die offizielle Lesart nicht gar zu wörtlich und nicht gar zu ernst zu nehmen. Wir haben